Fakt ist, meine sehr verehrten Damen und Herren: Ankündigungsrhetorik nützt hier niemandem etwas. Es müssen wirklich konkrete Taten folgen. Das heißt, eine solche Agenda wird schlussendlich Auswirkungen auf den
bestehenden gesetzlichen Rahmen haben, national wie supranational; welche genau, lässt sich aber erst sagen, wenn die Agenda von den Mitgliedsstaaten beschlossen wurde. Damit sind wir wieder beim Kernproblem, dass eben bisher noch nicht viel passiert ist, und wenn man genau nach Europa schaut, sieht man: Eine Einigung scheint momentan nicht in Sicht zu sein.
Deshalb muss man an dieser Stelle auch ehrlich in der Debatte sein: Die Einwirkungsmöglichkeiten allein von Sachsen sind durchaus begrenzt. Wir können, wir wollen und werden aber den Bund weiter begleiten, ihn auffordern, Klarheit in Europa einzufordern und Druck auf die Mitgliedsstaaten auszuüben. Das gilt im Übrigen auch für die Frage nach der Funktionsfähigkeit der Registrierzentren in Italien und Griechenland, wie Herr Ursu gerade noch einmal angesprochen hat, die ja in Kürze angeblich in die Umsetzung kommen sollen.
Fest steht: Europa darf sich beim Thema Asyl nicht nur durch Worte in Richtung Solidarität bekennen, es darf kein Lippenbekenntnis bleiben, sondern die Solidarität in Europa muss eingefordert werden. Wenn sich hierbei einzelne Mitgliedsstaaten herausnehmen, dann spreche ich mich dafür aus, dass auch entsprechende Sanktionsmöglichkeiten in Anspruch genommen werden. Die Staatsregierung wird jedenfalls den Bund bei den Verhandlungen in Brüssel und darüber hinaus weiterhin unterstützen, denn klar ist: Je schneller ein Kompromiss gefunden wird, desto besser ist es für alle Beteiligten in Europa, in Deutschland und in Sachsen.
Meine Damen und Herren! Wir kommen zum Schlusswort. Es wird gehalten von Herrn Abg. Schiemann für die Koalitionsfraktionen. Bitte sehr, Herr Schiemann.
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Zunächst bedanke ich mich für die ehrliche und offene Debatte. Ich respektiere, dass jeder, der sich hier geäußert hat, natürlich das wiedergibt, was er aus seiner Erfahrung und aus seinem politischen Hintergrund in die Debatte einbringen kann. Dafür danke ich Ihnen, auch wenn ich eine Position vertreten habe, die sicherlich nicht jeder geteilt hat.
Rechtsstaat braucht Humanität, und Humanität wird ohne Rechtsstaat nicht leistbar sein. Ich hatte das als zentralen Aspekt in diese Fragestellung der Migrationsagenda der Europäischen Union eingebettet. Ich glaube, nur ein starker Rechtsstaat, der sein eigenes Recht achtet und respektiert, wird in der Lage sein, eine Ausnahmesituation für Flüchtlinge zu leisten. Ein Rechtsstaat, der auf dem einen oder anderen Auge wegschaut, wird diese Fragen nicht über längere Zeit lösen können. Deshalb bleibe ich der Meinung, dass diese beiden Dinge zusammenbleiben müssen und nicht auseinanderlaufen dürfen.
Das ist für die Integrationsagenda der Europäischen Union auch ein hoher Anspruch, die noch eine Vielzahl von Hausaufgaben zu erfüllen hat. Integration – dafür möchte ich noch einmal werben – kann nur in das Wertesystem gehen, das in Europa existiert. Dieses Mehr, dass wir uns alle ändern müssen, ist etwas, was bisher nicht nachvollziehbar ist.
Wenn ich in einen Staat einwandere, dann muss ich die Regeln und das Wertesystem respektieren und mich einbringen. Wenn Sie beispielsweise in die Vereinigten Staaten von Amerika auswandern, dann haben Sie sich an das Recht der Vereinigten Staaten zu halten und nichts anderes. Was Sie zu Hause machen, ist Ihre Sache.
Ich hatte zunächst auch von einem Kurswechsel gesprochen und erreichten Belastungsgrenzen. Ich glaube, dass diese Frage auch mit der Integration beantwortet werden muss. Die Flüchtlingsaufnahme, meine sehr geehrten Damen und Herren, ist eng mit Humanität verbunden, die derzeit überwiegend in den Landkreisen sowie in den Städten und Gemeinden erfüllt wird – von vielen Menschen, die sich ehrenamtlich einbringen als Paten oder als Helfer und die versuchen, die Arbeit der Flüchtlingsbegleitung günstig darzustellen.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, nochmals herzlichen Dank für die Debatte. Ich gehe davon aus, dass die Europäische Union gut beraten ist zu reagieren, ihre Einwohner mitzunehmen und eine Debatte über die Zukunft zu führen, was die Europäische Union an Wanderungsmöglichkeiten zum Eigenerhalt aufnehmen kann und welche Kräfte sie entfalten muss, damit zum Beispiel die Vereinbarungen zu den Flüchtlingslagern im Libanon, in der Türkei und im Nachbarland Jordanien entsprechend erfüllt werden.
Meine sehr geehrten Damen und Herren! Herr Präsident! Nochmals herzlichen Dank! Die Europäische Union hat viele Hausaufgaben zu erfüllen. Ich gehe davon aus, dass das auch von den Staats- und Regierungschefs der Nationen Europas geleistet wird.
Ich war jetzt mit der Redezeit sehr großzügig. – Meine Damen und Herren! Ich stelle nun die Drucksache 6/2803 zur Abstimmung. Wer seine Zustimmung geben möchte, den bitte ich um das Handzeichen. – Danke. Wer ist dagegen? – Wer enthält sich der Stimme? – Bei zahlreichen Stimmenthaltungen und einigen Gegenstimmen ist die Drucksache mit Mehrheit beschlossen.
Meine Damen und Herren, die Fraktionen nehmen wie folgt Stellung: DIE LINKE, gefolgt von SPD, CDU, AfD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Staatsregierung, wenn sie das Wort wünscht.
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich komme aus dem früheren Muldentalkreis – einer Region, die einmal Hochburg für Neonazis war und wo die Situation Mitte der Neunzigerjahre eskaliert ist. Darüber berichteten Medien kritisch, und das gefiel Leuten vom rechten Rand naturgemäß nicht. In Wurzen wurde daher eines Nachts in meterhohen Lettern die Parole „Lügenpresse halt die Fresse!“ an eine Fassade geschmiert. Hinzugesetzt wurde der Name eines unliebsamen Lokaljournalisten.
Das war 1996, also vor ziemlich genau 20 Jahren. Damals hörte ich den Begriff „Lügenpresse“ zum ersten Mal – heute hören wir ihn ständig. Der Begriff war als eine unmissverständliche Drohung gemeint. Genau diese Bedeutung hat der Begriff auch heute. Der Unterschied liegt darin, dass den Worten heute nicht nur Taten folgen, sondern dass diese Taten serienmäßig geschehen. Das muss ernst genommen werden, weil die Lage ernst und aktuell ist.
Einmal mehr zog vergangenen Montag Legida durch Leipzig. Auf der Bühne stand übrigens der AfD-Mann Roland Ulbrich, der zur rechtsradikalen „Patriotischen Plattform“ gehört. Er beschwerte sich über angebliche Verleumdung durch die Presse. Im Verlauf der Versammlung kam es wieder zu tätlichen Angriffen auf mehrere Pressevertreter, unter anderem zum Nachteil eines Fotografen sowie eines Fernsehteams von RTL.
Meine Damen und Herren, es gibt ein verbreitetes Missverständnis aus meiner Sicht, nämlich dass der Begriff Lügenpresse eine Art Medienkritik sei. Tatsächlich gibt es an so mancher Medienberichterstattung etwas auszusetzen. Wir treffen auf Beispiele naiver Hofberichterstattung, wir treffen aber ebenso auf investigative Recherchen und Berichterstattung, die mit Kritik nicht sparten. Demokratie heißt nun einmal, Kontroversen auszuhalten und Kritik zuzulassen – insbesondere solche Kritik, die man nicht teilt und die einen vielleicht selbst betrifft. Anders ist
Demokratie nicht vorstellbar. Deshalb gewährleistet Artikel 5 des Grundgesetzes die Meinungs- und Demonstrationsfreiheit, die Freiheit der Berichterstattung, der Wissenschaft und Kunst. Die Sächsische Verfassung bekräftigt dies in Artikel 20.
Ja, manche Berichterstattung mag man wohl für Unfug halten. Zu behaupten, dass alle Medien lügen, ist allerdings der größte Unfug. Die Meinungsfreiheit ermöglicht eben auch Unfug. Es gibt aber eine ganz klare Grenze: Jeder Angriff auf Journalistinnen und Journalisten ist ein Angriff auf die Verfassung. Wir haben es heute genau damit zu tun – mit Angriffen auf Medienschaffende, damit, dass Berichterstattung erschwert oder behindert wird, dass es zu Bedrohungen, Einschüchterungen und auch zu Gewalt kommt. Die Grenze ist längst überschritten.
Erst vor wenigen Tagen stand bei Legida in Leipzig die Pegida-Chefhetzerin Tatjana Festerling auf der Bühne. Sie sagte wörtlich: „Wenn die Mehrheit der Bürger noch klar bei Verstand wäre, dann würde sie zu Mistgabeln greifen und diese volksverratenden, volksverhetzenden Eliten aus den Parlamenten, aus den Gerichten, aus den Kirchen und aus den Pressehäusern prügeln.“ Anlass dieser unsäglichen Rede Festerlings war der Geburtstag des PegidaAblegers in Leipzig. Dort war es bekanntlich schon vor einem Jahr, ganz zu Beginn, zu wiederholten Angriffen auf Berichterstatter gekommen. Ich wünsche dieser Frau Festerling einen mutigen Staatsanwalt. Was sie äußert, ist freilich keine Medienkritik, sondern hochdosierte rechtsextreme Hetze und ein unverhohlener Aufruf zur Gewalt. Frau Festerling selbst sprach jüngst in Dresden davon, dass auch Methoden anzuwenden seien, die nicht anständig sind. In Sebnitz empfahl sie eine „Vertreibungspolitik“.
Als Muldentalerin kommen mir bei solchen Worten ganz üble Erinnerungen. Vor 20 Jahren nannte man dieses Konzept nämlich „national befreite Zonen“. Der Punkt ist: Die Gewalt wird nicht einfach angedroht, sondern sie findet bereits statt. Sie richtet sich auch und besonders gegen Medienschaffende. Das Medienmagazin „Funkturm“ hat allein 26 Fälle recherchiert, in denen es im vergangenen Jahr in Sachsen zu Übergriffen auf Journalistinnen und Journalisten kam. Diese Taten – und mutmaßlich gab es weit mehr – ereigneten sich unter anderem
in Dresden, Leipzig, Chemnitz, Freital, Heidenau und Sebnitz. Rund ein Drittel dieser Taten geschahen bei Demonstrationen von Pegida und ihren Ablegern. Es wurden dabei Reporterinnen und Reporter geschlagen und getreten, Fotografen geschubst und ihre Ausrüstung zerstört, Kameraleute bespuckt und beraubt. Zum Einsatz kamen Fäuste, Steine, Pfefferspray und Pyrotechnik, um nur einige Beispiele zu nennen. Mehrfach musste angesichts der heftigen Attacken die Berichterstattung abgebrochen werden.
Darüber hinaus gibt es augenscheinlich organisierte Angriffe auf Redaktionsräume. In der Nacht zum 20. März 2015 wurde auf die Lokalredaktion der LVZ in Eilenburg ein Anschlag verübt. Die unbekannten Täter warfen Scheiben ein, beschmierten die Fassade und hinterließen an der Eingangstür den Schriftzug „Lügenpresse“. Am frühen Abend des 15. November 2015 warfen Unbekannte mehrere Ziegelsteine auf die Geschäftsstelle und Lokalredaktion der „Freien Presse“ in Glauchau. Dabei wurden mehrere Scheiben zerstört. Zum Tatzeitpunkt befanden sich zwei Redakteure in den Räumen.
Meine Damen und Herren! Das Wort „Lügenpresse“ ist Stigmawort und Schlachtwort zugleich. Es muss uns eine Warnung sein. Solche Sprechchöre waren schon Ende 2013 zu hören, in Schneeberg bei den sogenannten Lichtelläufen der NPD. Dort wurden Journalisten auch bedrängt.
Ein Jahr später, im Herbst 2014, erschallte die Parole „Lügenpresse“ bei den „Hooligans gegen Salafisten“, bei denen auch sächsische Bürgerinnen und Bürger beteiligt waren. Auch bei HoGeSa-Veranstaltungen wurden Reporter bedrängt. Kurz darauf wurde das Wort „Lügenpresse“ zum Kennzeichen der Pegida-Märsche. Es wurde sodann zum Unwort des Jahres 2014 gewählt. Eine Studie des Wissenschaftszentrums Berlin ermittelte Anfang 2015, dass rund 97 % der Pegida-Teilnehmer die Parole „Lügenpresse“ für zutreffend halten. Eine repräsentative Umfrage des DIMAP-Instituts im Auftrag der ARD ergab im letzten Oktober, dass jeder fünfte Bundesbürger den Vorwurf „Lügenpresse“ teilt.
Offenbar haben wir es mit einem Normalisierungseffekt zu tun. Er schafft ein Klima, in dem es bestimmten Milieus opportun erscheint, sich an Journalistinnen und Journalisten zu vergreifen. Wenn wir die Berichte über solche Vorfälle nebeneinanderlegen, so scheint es bereits ein Ritual geworden zu sein, gegen Medien handgreiflich zu werden. Gewerkschaften, Medienverbände und Sendeanstalten, darunter die Deutsche Journalistenunion bei ver.di, der Deutsche Journalistenverband, der Fotojournalistenverband, der Sächsische Zeitungsverlegerverband, der Bundesverband Deutscher Zeitungsverleger sowie der Mitteldeutsche Rundfunk, haben in den vergangenen Wochen mehrfach mit deutlichen Worten darauf hingewiesen, dass die Pressefreiheit in Sachsen in akuter Gefahr ist, dass eine freie Berichterstattung nicht mehr
So warnt eine gemeinsame Erklärung von MDR, DJV und dem Sächsischen Zeitungsverlegerverband vom 5. Oktober 2014 vor einer – ich zitiere – „Ausweitung der Hetze und Gewalt gegen Medien, die bei den Pegida- und Legidaaufmärschen in Dresden und Leipzig besonders augenfällig ist. Die Aufputschung von teilweise Tausenden Anhängern der Bewegung mit den Worten ‚Lügenpresse‘ ist nicht nur für alle Medienvertreter unerträglich, sie beschädigt die Demokratie, schafft eine Stimmung der Verunsicherung in der Bevölkerung und provoziert Handlungen bis hin zum Einsatz von Gewalt“.
Unisono fordern die Verbände, dass es die Aufgabe des Staates, insbesondere des sächsischen Innenministeriums, der örtlichen Versammlungsbehörden und der sächsischen Polizei, sein muss, die Pressefreiheit zu gewährleisten, Journalistinnen und Journalisten bei der Berufsausübung zu schützen, Angriffe auf Medienvertreter zu unterbinden, Taten aufzuklären und Täter zu ermitteln sowie Schlüsse für künftige Beauflagungen und Einsatzplanungen zu ziehen.
Meine Damen und Herren! Das sind Dinge, die man eigentlich nicht einzufordern braucht, sondern die in einem Rechtsstaat vollumfänglich vorausgesetzt werden dürfen. Aber in Sachsen ist das derzeit nicht der Fall. Heute gibt es Journalisten, die sich nicht mehr oder nur in Begleitung zu Demonstrationen von Pegida und Konsorten trauen. Es gibt Fälle, in denen diese Begleitung aus privaten Wachkräften besteht. Anders gesagt: In puncto Pressefreiheit ist der Freistaat Sachsen auf den Stand eines Entwicklungslandes zurückgefallen.
Diese Entwicklung muss sich die Staatsregierung vollumfänglich anrechnen lassen. Sie hat bis zum heutigen Tage den sogenannten Protest nicht als die innenpolitische Gefahr erkannt, mit der wir es von Beginn an zu tun haben. Die anhaltende Gewaltwelle gegen Medien ist dafür nur ein Beispiel unter vielen.
Meine Damen und Herren! In jüngster Zeit ist oft von den berüchtigten Gewaltspiralen die Rede. Es handelt sich um ein gefälliges Erklärungsmuster für Gewalteskalationen, die wir leider beobachten müssen. Dieses Muster greift hier aber nicht. Journalistinnen und Journalisten haben gar nichts eskaliert, sondern gehen ihrer Arbeit nach, soweit ihnen das noch möglich ist. Möglich wäre es auch gewesen, dass die Staatsregierung ein Interesse daran hat, die Situation in den Griff zu bekommen oder sie wenigstens zu verstehen. Aber das wurde offenbar nicht angestrebt. Mich verwundert das, und es entsetzt mich auch. Denn das gewaltsame Vorgehen gegen Medien ist doch nichts anderes als der Versuch, Grundrechte auszuhebeln und an Grundsätzen des Verfassungsstaates zu rütteln.
Als ich vor vier Monaten eine Anfrage zu den Angriffen auf Journalisten gestellt habe, bekam ich lapidar zur Antwort, das sei nicht recherchierbar. Zum Glück aber
gibt es Journalistinnen und Journalisten, die wissen, wie man recherchiert. Ich glaube, im Sinne von Demokratie und Pressefreiheit müssen wir ihnen gerade jetzt den Rücken stärken.