Protokoll der Sitzung vom 13.11.2014

Dennoch, meine Damen und Herren: Dieser Neustart ist gelungen. Er ist auch nach 25 Jahren erlebbar und sichtbar. Das können Sie überall im Land nachvollziehen. Dazu müssen Sie noch nicht einmal dieses Haus verlassen. Gehen Sie in einer freien Minute ganz einfach einmal ins Bürgerfoyer. Vor wenigen Tagen wurde dort eine Ausstellung der Erzgebirgsregion eröffnet, einer Region, die vor und unmittelbar nach 1990 als strukturschwache Region mit relativ wenigen Entwicklungschancen deklariert wurde. Schauen Sie sich an, wie sich diese Region mittlerweile zu einem starken Wirtschaftsstandort und einer liebevollen Heimat entwickelt hat.

(Beifall bei der CDU)

Im Rahmen dieser Debatte kann ich nur ein kurzes Streiflicht setzen, um Ihnen das plastisch vor Augen zu führen. Im Erzgebirge gibt es einen kleinen Ort mit 5 000 Einwohnern, Schlema. In den Dreißigerjahren des letzten Jahrhunderts war das ein blühender Kurort. Diese Entwicklung wurde 1945 rabiat durch die SDAG Wismut unterbrochen. Es wurde Uranerzbergbau betrieben, ein gnadenloser Raubbau an Mensch, Natur und Umwelt.

(Zuruf von den LINKEN)

Aus dem ehemaligen Kurbad, meine Damen und Herren, wurde eine Wüste aus Tagesschächten und Halden. Wer sich ein Bild davon verschaffen will, kann vor Ort eine Ausstellung sehen. Wir selbst, die wir diese Region kannten, können heute nicht mehr nachvollziehen, was da passiert ist. Entsprechend haben 1990 die Medien diese Region betitelt. Im „Spiegel“ stand zu lesen: „Schlema, das Tal des Todes“. Zukunftschancen: null, Entwicklungsperspektiven: keine.

Aber, meine Damen und Herren, jetzt bin ich wieder bei der Entwicklung vor 25 Jahren. Die Menschen in Bad Schlema, in Sachsen, im Osten Deutschlands haben sich mit dieser Entwicklung nicht abgefunden, sondern haben die neue Freiheit, die neuen gesellschaftlichen Chancen genutzt, haben Hand angelegt – auch und gerade mit Unterstützung der Politik – und haben den Neuanfang gewagt.

Bitte kommen Sie zum Ende.

Meine Damen und Herren, und ihnen ist das gelungen, was nicht für möglich gehalten wurde: Aus diesem Tal des Todes, aus dieser Landschaft von Halden und Tagesschächten ist wieder ein blühender Kurbad-Standort entstanden.

(Beifall bei der CDU)

Herr Colditz, ich bitte Sie, zum Ende zu kommen.

Ich denke, wir tun gut daran, diese Entwicklungen, die nicht nur dort stattgefunden haben, sondern die in ganz Sachsen und deutschlandweit nachzuzeichnen und nachzuvollziehen sind, in Erinnerung

zu behalten, um den weiteren Aufbau dieses Landes voranzubringen.

(Beifall bei der CDU, der SPD und vereinzelt bei der AfD)

Möchte die SPDFraktion noch sprechen? – Herr Stange, Sie möchten gern noch einmal für die Fraktion DIE LINKE das Wort ergreifen.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Gestatten Sie mir, meinen Gedanken fortzusetzen, da das in der Aktuellen Debatte durch die Fünf-Minuten-Begrenzung immer ein bisschen schwierig ist. Meine Frage war: Was ist von den Grundgedanken der friedlichen Revolution übrig geblieben?

In den vergangenen Tagen ist – auch und gerade durch die Bürgerrechtlerinnen und Bürgerrechtler der DDR – oftmals kritisiert worden, dass das Erinnern an die friedliche Revolution Gefahr läuft, zu einem Ritual zu verkommen und gar Züge von einer gewissen Disneylandkultur tragen könnte. Ich glaube, diese Kritik ist berechtigt. Was ist also geblieben?

Der Herr Ministerpräsident hat gleich zu Beginn seiner Regierungserklärung bewusst auf die freien Wahlen abgehoben. Das ist richtig: Ja, freie Wahlen sind geblieben. Wir haben den demokratisch verfassten Rechtsstaat. Ich glaube, für uns alle ist es ein Glück, diesen zu haben. Ich frage aber weiter: Was ist mit dem Demokratisierungsversprechen und Demokratisierungsansatz von

1989? Noch heute gilt – mit einigen Veränderungen – das Grundgesetz von 1949. Eine neue Verfassung für die Bundesrepublik Deutschland gibt es noch nicht.

(Christian Piwarz, CDU: Wir sind sehr zufrieden mit dem Grundgesetz!)

Noch immer diskutieren wir auch in diesem Hohen Hause über moderne, breitere Beteiligungsmöglichkeiten für Bürgerinnen und Bürger und streiten über die Absenkung von Quoren für Volksbegehren und Volksentscheide.

Was ist aus der Versöhnung geworden? Auch diese Frage muss gestattet sein. Ich bedanke mich ausdrücklich bei Kollegin Kliese für ihre Ausführungen auch dahin gehend. Die Verantwortung der politischen Klasse ist eindeutig. Kollege Colditz, wir werden all das, was Sie zu Recht anmahnen, in der Zukunft als politische Klasse nur dann vermögen, wenn wir uns nicht nur erinnern, sondern kritisch hinterfragen – nicht nur die Vergangenheit, sondern auch die Gegenwart. Auch das ist Verpflichtung aus der friedlichen Revolution von 1989. Das sollten wir nicht vergessen. Das Erstarren und Verkrusten der DDR ist nicht mit ihrer Gründung entstanden, sondern im Verlauf ihrer Geschichte. Auch das sollte für uns klar sein.

Kollegin Kliese sprach auch die Willkommenskultur an. Einem politischen Gemeinwesen, das die friedliche Revolution als Gründungskonsens in sich trägt, sollte es gut zu

Gesicht stehen, Fremden gegenüber die humanistische wie christliche Umgangsform zu wahren – so, wie man eben mit Fremden, vor allem aber mit Flüchtlingen umzugehen imstande ist, wenn man Humanist ist, wenn man Christ ist.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei den LINKEN)

Gibt es vonseiten der Fraktionen noch Redebedarf? – Herr Heidan.

Verehrte Frau Präsidentin! Ich möchte vom Mittel der Kurzintervention Gebrauch machen. Als ehemaliges Mitglied der „Gruppe der 20“ der Stadt Plauen, als Betroffener – in der eigenen Familie mit Berufsverbot belegt, mein Freund mehrere Monate im Stasi-Gefängnis in Gera eingesperrt –, halte ich es schon für sehr bedenklich, was DIE LINKE hier durch Herrn Stange zum Thema „25 Jahre friedliche Revolution“ kundtut.

Ich denke, DIE LINKE hat kein Recht, über die friedliche Revolution zu sprechen – als Erbfolge der Verbrecherpartei SED,

(Susanne Schaper, DIE LINKE: Was ist das für ein Demokratieverständnis? Die Zeit ist vorbei! – Weitere Zurufe von den LINKEN)

die 1989 durch die Menschen des Landes Sachsen zum Teufel gejagt worden ist. Das halte ich für sehr bedenklich. – Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU und der AfD – Susanne Schaper, DIE LINKE: Genau das ist ein Maulkorb!)

Herr Stange, Sie möchten reagieren?

Vielen Dank, Frau Präsidentin! Kollege Heidan, die Schizophrenie der DDR und die Brüche in den Lebensläufen habe ich auch in meiner eigenen Familie zu verzeichnen. Es handelt sich dabei um meinen Bruder.

(Christian Piwarz, CDU: Beschönigung!)

Es geht nicht um Beschönigung, Kollege Piwarz – hören Sie doch bitte zu –,

(Christian Piwarz, CDU: Das ist Beschönigung in diesem Zusammenhang!)

sondern es geht vielmehr darum, dass ich versucht habe, deutlich zu machen, dass Erinnern und Erkenntnis zwei Seiten einer Medaille sind und erforderlich sind, um die Grundgedanken der friedlichen Revolution in die Zukunft zu transportieren. Ansonsten erstarren wir im Erinnern. Das wird aber den zukünftigen Generationen keinen Deut weiterhelfen.

(Beifall bei den LINKEN und der Abg. Sabine Friedel, SPD)

Nun hat Herr Abg. Schiemann von der CDU-Fraktion das Wort.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Frank Heidan hat als einer der Betroffenen noch einmal eindrucksvoll geschildert, was ihm und seinem Freund widerfahren ist. Ich denke, es ist das legitime Recht eines Betroffenen, sich auch hier vor dem Hohen Hause über das zu äußern, was er in einer Diktatur erleben und erdulden musste. Die friedliche Revolution ist für uns nicht das Transparent, das wir vor uns hertragen, um allein eine Erinnerungskultur zu haben. Erinnerung an das Geschehene ist aber eine Grundlage dafür, dass man Zukunft gestalten kann.

(Beifall bei der CDU)

Ich stehe für Meinungsfreiheit, auch wenn hier das Wort „Maulkorb“ fiel. Es gibt keinen Maulkorb. Ich denke, in diesem Hohen Haus hat jeder das Recht, seine Meinung auszusprechen; aber es gibt meiner Ansicht nach einen Irrtum: Die DDR ist nicht am Ende verkrustet gewesen, sie ist von Anfang an undemokratisch gegründet worden.

(Lebhafter Beifall bei der CDU und der AfD)

Sie ist von Anfang an zu einer Diktatur mutiert, die für sich selbst in Anspruch genommen hat, die Diktatur einer Arbeiterschaft zu sein.

(Kerstin Köditz, DIE LINKE: …klasse!)

Ich habe als Sohn eines Kriegsinvaliden und Arbeiters keine Macht ausüben können. Das haben überall Funktionäre, in Mehrheit der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands, getan,

(Frank Heidan, CDU: In der Verfassung!)

und ich denke, es wäre für die LINKEN an der Zeit, diesen historischen Irrtum zu korrigieren

(Zuruf der Abg. Sabine Friedel, SPD)

Frau Kollegin Friedel –, uns weismachen zu wollen, es wäre ja nur am Ende etwas schiefgelaufen. Nein, es ist von Anfang an schiefgelaufen, weil man keine Demokratie haben wollte.

(Beifall bei der CDU und der AfD)