Protokoll der Sitzung vom 13.11.2014

(Beifall bei der SPD, der CDU, den LINKEN und den GRÜNEN)

In der DDR waren alle gleich, und manche waren gleicher. Den Ausspruch kennen viele von Ihnen. Insofern muss man auch immer wieder bedenken, dass es Menschen gab, die den Fall der Mauer nicht gefeiert haben. Das waren allerdings nicht nur diejenigen, die tief ins System involviert waren. Es gab auch etliche andere Menschen, auch in Sachsen, für die der Mauerfall nicht nur Anlass zur Freude war. Ihre Ausbildung, ihre Berufsabschlüsse, ihre Studiengänge wurden von heute auf morgen völlig wertlos. Für sie begann die Meinungsfreiheit mit Arbeitslosigkeit, ganz anders als im Westen Deutschlands. Wir sollten es nicht kritisieren, dass diese Menschen Probleme haben, in der Demokratie anzukommen. Wir sollten es hinterfragen. Das Jubiläum des Mauerfalls ist ein Grund zu feiern. Aber wir sollten auch bedenken: Selbst der Gerechte wird ungerecht, wenn er selbstgerecht wird.

(Beifall bei allen Fraktionen)

Für die Linksfraktion spricht jetzt Herr Abg. Stange.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich beteilige mich sogar sehr gern an dieser Debatte. Ich denke, dass es diesem Hohen Hause angemessen ist, dies auch heute zu Beginn der neuen Legislatur zu tun.

Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die kritische Aneignung von Geschichte betreiben wir, um über moralischpolitische Läuterung eine eigene demokratische politische Identität zu erlangen. Das ist unbestritten. Um mit Hannah Arendt zu sprechen: „Ich will verstehen.“ Deshalb ist es für Geschichtswissenschaft, für Bildungsträger, aber auch für die politische Klasse, der wir nun einmal angehören, eine Aufgabenstellung, eine kritische Aufarbeitung so zu entwickeln, dass Erinnern und Vermittlung von Erkenntnis gleichermaßen möglich sind, weil sie auch zwei Seiten der gleichen Medaille darstellen. Deshalb ist es wichtig, eine Perspektive dieses Verstehens im Sinne von Begreifen auch auf die DDR zu entwickeln ohne Dämonisierung

einerseits, aber ohne Bagatellisierung und Gutheißen andererseits.

Lassen Sie mich an dieser Stelle Martin Sabrow zitieren, den Leiter der Expertenkommission des Deutschen Bundestages: „Wer aus normativer Perspektive das Pendant des bundesdeutschen Rechtsstaats allein als ostdeutschen Unrechtsstaat zu erfassen versucht, versperrt sich den Weg zum Verständnis für die Binnenlegitimation der zweiten deutschen Diktatur und für die Handlungsmotive ihrer Träger, die die Unterordnung des formalen Rechts unter eine politisch definierte Gerechtigkeit als Ausdruck einer überlegenen Rechtsordnung verstanden haben mochten.“

Um keinen Zweifel aufkommen zu lassen: Die Verbrechen der DDR müssen auch 25 Jahre nach der friedlichen Revolution weiterhin benannt, aufgeklärt und verurteilt werden. Daran will ich keinen Zweifel lassen. Deshalb war es richtig, dass sich unsere Rechtsvorgängerin, die SED/PDS, 1989 bei dem Volk der DDR entschuldigt hat, und deshalb ist es richtig, dass die Parteiführung meiner Partei vor wenigen Tagen dieses Bekenntnis erneuert hat.

(Frank Heidan, CDU: Und was wird mit dem Parteivermögen, Herr Stange?)

Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wenn Sie eine Zwischenfrage stellen möchten, können Sie von diesem Instrument mit Sicherheit Gebrauch machen, ansonsten geht das von meiner Redezeit ab.

Liebe Kolleginnen und Kollegen! Kollege Schiemann und Kollegin Kliese haben bereits die mutigen Menschen von 1989 angesprochen. Sie haben den Mut gehabt, die Ohnmacht in diesem Land zu überwinden, und sie haben sich im Neuen Forum und in vielen anderen Gemeinschaften zusammengefunden, zum Beispiel in den Kirchen, um vier zentrale Entwicklungen voranzubringen: Demokratie, das uneingeschränkte Wirken von Menschen und Bürgerrechten, Frieden – Schwerter zu Pflugscharen; Kollege Schiemann hat das angesprochen – sowie den Schutz der Umwelt.

Diese Kerngedanken der friedlichen Revolution

müssen wir uns immer wieder vergegenwärtigen. Prof. Dr. Lammert hat auf die protestantische Revolution hingewiesen. Auch dies ist ein wichtiger Strang. Denn es ist der Gedanke, der die runden Tische beflügelt und damit auch den Versöhnungsgedanken getragen hat.

Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich werde in der zweiten Runde die Frage stellen: Was ist von diesem Gedanken, von diesem Kerngedanken der friedlichen Revolution geblieben? Das ist für uns für eine kritische Perspektive sehr wichtig.

Bis dahin bedanke ich mich zunächst.

(Beifall bei den LINKEN)

Für die AfDFraktion Frau Dr. Petry. Bitte.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Auch wir stehen hier, weil es die friedliche Revolution gegeben hat. Viele AfDMitglieder sind in der Zeit der friedlichen Revolution oder davor aus diesem Land gegangen, heimlich, zum Teil als Straftäter gleich Republikflüchtlinge, bestraft oder diffamiert. Viele sind zurückgekommen und sind heute in Sachsen. Viele von ihnen haben die AfD mitgegründet.

Die Bürger der damaligen DDR – und auch ich selbst im Alter von vierzehneinhalb Jahren – haben auf der Straße gestanden, und viele mutige Menschen haben bereits in den Jahren davor in der Friedensbewegung Freiheitsrechte erkämpft und dafür zum Teil bitter bezahlt.

Ich denke, immer wieder Dank auszusprechen ist eine Selbstverständlichkeit. Ich denke, der heutige Blick muss aber viel weiter reichen. Denn ein knappes Vierteljahrhundert nach der friedlichen Revolution gibt es vermehrt Menschen, gerade in den neuen Bundesländern, die in der Tat gar nicht mehr so neu sind, die sagen: Für das, was wir heute erleben, sind wir 1989 nicht auf die Straße gegangen. Was meinen viele Bürger damit? Sie meinen, dass auch heute vermehrt wieder über politisch korrekte Inhalte gesprochen wird, und das, was nicht der Mehrheitsmeinung entspricht, sehr schnell von den Parteien – gerade von denen, die es schon länger gibt als die AfD – als politisch inkorrekt und sehr unsachlich und undifferenziert und auch aus Unwissenheit, denke ich, als rassistisch beschimpft wird. Eine solche Verfahrensweise, ein solches Verhalten ist meiner Ansicht nach einer Demokratie gerade im Gedenken an die friedliche Revolution nicht würdig.

(Beifall bei der AfD)

Den Politikern der DDR wurde zu Recht vorgeworfen, dass sie sich gleicher fühlten, als die angeblich gleichen Bürger. Auch heute müssen wir Politiker – da schließe ich uns durchaus mit ein, denn auch wir sind hier angekommen – von Bürgern fragen lassen, wie sehr wir und ob wir überhaupt die Lebenswirklichkeit der Menschen in Sachsen und in ganz Deutschland noch kennen.

Da höre ich auch heute Morgen, dass Bürger als Wutbürger beschimpft werden – offensichtlich im Vergessen darüber, dass Wutbürger gerade das machen, was sie tun müssen, nämlich die Stimme des Souveräns hörbar machen. Ich fordere uns gemeinsam auf, auf diese Bürger viel, viel stärker zu hören.

Meiner Ansicht nach haben wir eine ganz ernste Aufgabe. Wir haben die Aufgabe, das, was die friedliche Revolution erkämpft hat, nicht nur in der Wirtschaftsfreiheit, in der Reisefreiheit, sondern in der demokratischen Freiheit zu bewahren, indem wir miteinander in einer fairen Art und Weise umgehen, indem wir die politische Kontroverse auf sachlicher Ebene führen und die Polemik so weit es geht außen vor lassen.

(Beifall bei der AfD)

Damit wir dies tun können, brauchen wir auf allen Ebenen im Freistaat und in Deutschland Instrumente. Damit meine ich ganz konkret Bürgerentscheide und Volksbegehren, die den Bürgern nicht nur die Gnade geben, dies zu tun, sondern das Recht des Souveräns zurückgeben, über Gesetzesvorhaben oder auch über die Abschaffung von Gesetzen in einem demokratisch definierten Prozess mitzuentscheiden. Eine Diffamierung von neuen politischen Gruppen, die gerade dafür stehen, was die friedliche Revolution gewollt hat, nämlich Pluralismus auch in der Gesellschaft, darf es mit uns nicht geben. Dafür wird die AfD nachhaltig eintreten.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der AfD)

Für die Fraktion GRÜNE Herr Abg. Zschocke, bitte.

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich höre oft den Satz: Es war ja nicht alles schlecht in der DDR. Mag sein, dass etwas an diesem Satz dran ist. Aber dieser Satz wird auch oft verwendet, um zu verklären. Ein verklärender Rückblick auf das, was die DDR im Alltag war, gelingt nur dann, wenn große Teile der Lebenswirklichkeit in der DDR ausgeblendet werden. Ich habe als junger Mensch noch viele Jahre in der DDR gelebt. Ich habe die Maulkörbe erlebt, Zensur, Gängelung überall. Wer sich nicht systemkonform verhielt – das musste noch nicht einmal eine politische Aktivität sein –, wurde nicht zur Oberschule zugelassen, durfte nicht studieren, was er sich gewünscht hatte, den gewünschten Beruf nicht erlernen, ist vielleicht von der Hochschule geflogen, hatte Ärger mit der Stasi. Manche fanden sich im Jugendwerkhof wieder oder eben auch in politischer Haft.

Das System hat systematisch die Lebenschancen von unangepassten, vielleicht auch manchmal zu unvorsichtigen jungen Menschen zerstört. Diese Prägungen und Verletzungen wirken bis heute. Um die Wirkungen der Diktatur im Alltag aufzuarbeiten, reicht es nicht, immer nur auf die SED oder die Stasi zu blicken. Die Tiefenwirkungen, die Verästelungen dieses Apparates in die Gesellschaft hinein sind genauer zu betrachten. Viele waren unfreiwillig involviert in Parteien, in Organisationen, in Betrieben, in Schulen, in Universitäten, bei der Armee, bei der Polizei, bei der Justiz. Viele haben kooperiert. Viele haben funktioniert, haben sich letztendlich staatstragend verhalten, weil der Anpassungsdruck so hoch war.

Deshalb möchte ich sagen, das Unrecht in der DDR war systembedingt. Es ging nicht allein nur auf das Handeln Einzelner zurück. Es gab keine Gewaltenteilung. Die Regierung hat sich selbst über geltendes Recht hinweggesetzt, Wahlen gefälscht, Kritiker verfolgt. Wir haben es sogar erlebt, dass mit politisch Gefangenen Menschenhandel betrieben wurde.

Ich mache seit 25 Jahren Politik, vor allem in Chemnitz, jetzt hier im Landtag. Ich habe in dieser Zeit Menschen

kennengelernt, die ihre maßgebliche Rolle, die sie bei der SED hatten, die sie auch in den anderen staatstragenden Parteien hatten, die sie im Staatsapparat hatten, die sie im Bildungswesen hatten, umfassend, ehrlich und ungeschönt darstellen, die ihre eigene Funktion, ihr eigenes Wirken im Apparat klar darstellen und dafür Verantwortung übernehmen – ohne Relativierung, ohne Verharmlosung. Meine sehr verehrten Damen und Herren, das ist die Basis, und das ist auch Teil von Aufarbeitung.

Aber ich habe auch Menschen kennengelernt, die der SED und ihrer Rolle in der DDR huldigen, die 1989 als Konterrevolution bezeichnen, die das Leid und das Unrecht vieler unterschlagen, die die Stasi verherrlichen, die Stasi-Opfer herabwürdigen, auch heute noch im Nachhinein kriminalisieren. Solche Menschen agieren mit Verlaub – ich möchte das deutlich sagen – auch heute noch in den Kreisen und Räumen der LINKEN. Sie werden dort allzu oft immer noch geduldet. Vermutlich steht dahinter die Vorstellung, man müsse auch diese Kräfte integrieren und dürfe sie nicht ausgrenzen.

Ich habe aber auch Menschen kennengelernt, die ihre systemtragende Rolle in den anderen Parteien und Organisationen gern verschweigen, die lieber die Linkspartei dämonisieren und alle, die mit der LINKEN zusammenarbeiten, als Verräter an der friedlichen Revolution anprangern. Der ehemalige Alterspräsident Prof. Cornelius Weiss hat diese Menschen treffend charakterisiert – ich darf das zitieren – „als die, die sich nur ungern an ihr eigenes Verhalten in der Vergangenheit erinnern oder dieses bewusst verschweigen und sich lieber an ihrem selbst gestrickten Opfermythos festhalten, pharisäerhaft mit dem Finger auf andere zeigen“.

Meine sehr verehrten Damen und Herren! 25 Jahre nach der Wende sollten wir alle gemeinsam mit dem Verklären, mit dem Verleugnen, mit dem Versteckspiel aufhören. Wir sollten das überwinden. Es geht nicht darum, über einzelne Biografien zu urteilen oder den Stab zu brechen, sondern es geht darum, dass wir hier zu Ehrlichkeit, zu mehr Glaubwürdigkeit, auch zu mehr Klarheit und Eindeutigkeit finden, was die Bewertung des Systems in der DDR betrifft, aber auch die Rolle, die jeder Einzelne dort gespielt hat.

Wir GRÜNE stellen uns dieser Herausforderung. Ich sage es hier ganz deutlich: Wirkungsvoller kann Unrecht nicht aufgearbeitet werden als gemeinsam mit denen, die damals Verantwortung trugen, egal in welcher Funktion und Partei. Das ist kein Verrat an der friedlichen Revolution. Das ist auch keine schleichende Rehabilitierung von ehemaligen Funktionären, sondern eine lebendige Fortsetzung dessen, was unser Auftrag aus dem Jahr 1989 ist.

Bitte zum Ende kommen.

Das sind wir letztendlich auch den Opfern schuldig.

Vielen Dank.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Wir gehen in eine zweite Runde. Ich beginne wieder mit der Koalition. Für die CDU-Fraktion nimmt Herr Abg. Colditz das Wort.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Es ist gut, dass wir heute diese Debatte führen – nicht nur in Erinnerung an die friedliche Revolution vor 25 Jahren, sondern auch und gerade im Kontext mit dem Beginn der 6. Legislatur des Sächsischen Landtages.

Meine Damen und Herren! Die parlamentarische Demokratie ist mittlerweile und Gott sei Dank eine Selbstverständlichkeit in unserem Land geworden. Aber damit sie das wirklich sein kann, muss sie mit Leben erfüllt und breit gestaltet werden und auch gesellschaftlich breit akzeptiert sein. Das ist heute nicht anders als vor 25 Jahren, als die Grundlagen für diese parlamentarische Demokratie gelegt wurden. Deshalb ist es sinnvoll, sich an den Ursprung 1989/90 zu erinnern. Ich hatte die Freude und das Glück, an der Konstituierung des 1. Sächsischen Landtages selbst teilzunehmen. Sicher, bei der Konstituierung des Sächsischen Landtages 1990 war der Geist des Aufbruchs und der wiedererlangten Freiheit, der damals die Menschen im ganzen Land beseelt hat, auch bei den Abgeordneten dieser 1. Legislaturperiode sehr präsent, vielleicht präsenter als heute.

Die heutige Situation ist sicherlich ein Stück weit eine andere, vielleicht etwas nüchterner. Aber dennoch oder vielleicht gerade deshalb ist Rückbesinnung sinnvoll. Es gilt, meine Damen und Herren, in Erinnerung zu behalten, welche Gestaltungskräfte freigesetzt werden, wenn es gelingt, Menschen zu motivieren, sich in Freiheit und Demokratie in die gesellschaftliche Entwicklung einzubringen.

Es gilt auch, sich daran zu erinnern und zu würdigen, was sich in diesen 25 Jahren letztlich entwickelt hat. Diese Entwicklung kann man als Grundlage und auch als Impuls für die künftigen Herausforderungen sehen. Solche Erinnerungen wachzuhalten hat überhaupt nichts mit einer politischen Nabelschau zu tun, sondern ist die Grundlage für ein selbstbewusstes und breites gesellschaftliches Engagement, auch und gerade – dabei denke ich an die Wahlbeteiligung zur letzten Landtagswahl – gegen wachsende Politik- und Demokratieverdrossenheit, die sich zum Teil aus einer gefährlichen Nostalgiestimmung speist.

(Beifall bei der CDU)

Diese Nostalgiestimmung blendet aus, meine Damen und Herren, wie dieses Land vor 25 Jahren heruntergewirtschaftet war und wie unfrei und bevormundet die Menschen in diesem Teil Deutschlands vor 1990 gelebt haben. Auch leugnet sie und blendet aus, wie die Voraussetzungen und die Grundlagen aussahen, als dieses Land 1990 einen gesellschaftlichen Neubeginn gewagt hat.