Protokoll der Sitzung vom 27.05.2016

(Zuruf von der AfD: Nicht von Ihnen!)

dass wir so ein Krankenversicherungssystem, so ein Rentenversicherungssystem, so ein Bildungssystem und auch so eine Kommunalverfassung haben, dass wir das alles erwirtschaften können, und zwar durch viele Krisen hindurch, bis zur heutigen Situation, in der wir fast Vollbeschäftigung in Deutschland haben. Da kommen Sie daher und haben nichts weiter zu tun, als das Sozialsystem und dessen Finanzierung schlechtzumachen. Das ist der Stil all Ihrer Anträge: Angst machen, Panik verbreiten, Pseudodebatten führen und Dinge wie Schiffbau mit Eisenbahnverkehr zusammenkleistern. Das ist Ihre Art von Anträgen, das muss man einmal ganz deutlich sagen.

Deshalb ist dieser Mist schlichtweg abzulehnen.

(Beifall bei der SPD und den GRÜNEN – Zuruf von der AfD: Die SPD stirbt trotzdem!)

Nun ist die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN an der Reihe. Herr Abg. Dr. Lippold, bitte.

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Sie wollen eine Rücknahme der Vorfälligkeit der Sozialversicherungsbeiträge erreichen, meine Damen und Herren von der AfD, obwohl Sie im Antragstitel etwas von Strafzinsen schreiben. Aber dazu später mehr.

Es handelt sich wieder einmal um Bundespolitik. Deshalb fordern Sie die Staatsregierung auf, über den Bundesrat Bundespolitik zu machen. Sie soll einen Gesetzentwurf,

den Sie bereits 2014 in den Bundesrat eingebracht hatten und der dort gleich in der Ausschussberatung durchfiel, wieder einbringen. Die Bundesratsinitiative des Freistaates Sachsen ging zurück auf den schon genannten Antrag von CDU und FDP im Sächsischen Landtag, der in der 5. Wahlperiode im Vorweihnachts-Plenum des Jahres 2012 beschlossen wurde. Dieser Antrag wurde damals mit Bürokratieabbau und Liquiditätssicherung, insbesondere für Handwerksbetriebe, begründet. Diese Begründungen machen auch durchaus Sinn. Denn tatsächlich entsteht für die Handwerksbetriebe ein besonderer Aufwand, wenn sie bereits für den Folgemonat Sozialversicherungsabgaben abführen müssen, ohne bereits genau zu wissen, wie viele Stunden in diesem Monat wirklich geschrieben werden und vor allem ohne dafür vom Kunden Geld gesehen zu haben.

Die Vorfälligkeitsregelung selbst stammt vom August 2005, als sie im Rahmen des Rentenentlastungsgesetzes von der rot-grünen Mehrheit im Bundestag mit Zustimmung des damals schwarz-gelb dominierten Bundesrates beschlossen worden war. Wie Sie sich erinnern können, gab es reichlich einen Monat später eine Bundestagswahl, und die CDU hatte vor der Wahl verkündet, die Regelung rückgängig zu machen. Kurze Zeit später stellte sie dann die Bundeskanzlerin einer großen Koalition, und die Regelung blieb bestehen. Sie blieb auch bestehen, nachdem ab 2009 in Berlin Schwarz-Gelb regierte.

Genau diese Persistenz der Regelung in wechselnden politischen Landschaften führte dann auch bei der Opposition im Sächsischen Landtag, in diesem Plenum, im Jahr 2012 zu der Vermutung, dass es sich um einen AlibiAntrag der CDU/FDP-Koalition handle, der, obwohl chancenlos in Berlin, den Handwerkern kurz vor Weihnachten Engagement der Koalition demonstrieren solle. Dennoch bekam der Antrag breite Zustimmung,

(Zuruf von der CDU)

weil wenig gegen seine Begründung sprach.

Die Staatsregierung erstellte einen Gesetzentwurf und brachte ihn im Mai 2014 im Bundesrat ein. Er wurde in die Ausschüsse verwiesen – eine Woche später bereits per Ausschussempfehlung nicht zur Einreichung beim Bundestag empfohlen und in der nächsten Bundesratssitzung in den Tiefen der Aktenablage beerdigt. Ein ziemlich klares Signal, dass die Idee dort wirklich unbeliebt war.

Jetzt treten Sie, meine Damen und Herren von der AfD, auf die politische Bühne im Sächsischen Landtag. Zwei Jahre nach Ihrem Einzug graben Sie mangels eigener Ideen die schwarz-gelbe Karteileiche wieder aus und versuchen sie wiederzubeleben. Dabei schreiben Sie zunächst die Begründung von damals ab und ahnen wohl schon selbst, dass Sie noch irgendetwas hinzufügen müssen. Da werden Sie richtig kreativ. Sie widerstehen sogar der Versuchung, irgendeine Verschwörungstheorie oder einen fremdenfeindlichen Vorwurf auszugraben, aber die EU muss natürlich einen mitkriegen. So konstruieren Sie einen Zusammenhang zwischen der Zinspolitik der

EZB und der Rücknahme der Vorfälligkeit der Sozialversicherungsbeiträge.

Spätestens hier passiert es wieder: Eine Forderung, der sich in der 5. Wahlperiode eine breite Mehrheit dieses Hauses anschließen konnte, obwohl sie in Berlin von vornherein völlig chancenlos war, wird in der Begründung von Ihnen so grotesk verunstaltet, dass man es kaum glauben kann. Das ist Karteileichenschändung, meine Damen und Herren von der AfD.

(Beifall bei der CDU, der SPD, den LINKEN, den GRÜNEN und der Staatsregierung – Mario Beger, AfD: Ja, ja! – Lachen bei der AfD)

Man muss sich das mal vorstellen. Die Sozialkassen verfügen heute über ein komfortables Finanzpolster. Nun kommen Sie und sagen: Da liegt viel Geld, und es gibt negative Einlagezinsen. Also, sagen Sie, muss das Geld von dem Konto weg, damit es nicht schlecht wird, und zwar nicht dadurch, dass man es für den vorgesehenen Zweck verwendet, sondern dadurch, dass man es einfach jemandem gibt. Die Nummer muss ich wirklich einmal bei meiner Bank versuchen. Die haben definitiv mehr Geld herumliegen als ich, das schlecht werden könnte. Ein Angebot, denen etwas von dieser schweren Last abzunehmen, muss ja dort regelrecht als Rettung vor dem Zinsklau erscheinen.

(Lachen bei der Abg. Dr. Frauke Petry, AfD)

Ehrlich, um auf so etwas zu kommen, musste wirklich erst die AfD in den Landtag. Sie haben dabei von Ihrem Goldhandel wirklich eine Menge gelernt. Spätestens an dieser Stelle haben Sie die Sache wieder ins Absurde gedreht und mit Ihrer Begründung einen Antrag unannehmbar gemacht, über den man sonst selbstverständlich nach eingehender Sondierung des bundespolitischen Umfeldes und zu einem Zeitpunkt, wo er möglicherweise als wichtige Konjunkturunterstützung käme, zumindest hätte nachdenken können. Allerdings, wie der Name Sozialkasse schon sagt: Dort liegt Geld für die Verwendung im Sozialsystem. Ich habe nicht den Eindruck, dass man im Sozialsystem nichts damit anfangen kann. Es ist bezeichnend, dass Ihnen dieser naheliegende Zusammenhang nicht aufgefallen ist.

Danke.

(Beifall bei den GRÜNEN und vereinzelt bei den LINKEN)

Meine Damen und Herren! Das war die erste Runde. Es gibt Redebedarf für eine zweite Runde vonseiten der AfD-Fraktion. Herr Abg. Barth. Bitte sehr.

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Herr Scheel, als Erstes: Es ist richtig, die Bundesrepublik Deutschland spart Zinsen.

(Sebastian Scheel, DIE LINKE: Ja!)

Die Zinsersparnisse sind derzeit etwa 30 Milliarden Euro, und es ist auch richtig, dass wir durch die GriechenlandRettungspakete bisher keinen einzigen Euro bezahlt, sondern eine Zinsersparnis haben. Das ist alles richtig. Aber wir haben mit diesem Geld weder Griechenland gerettet noch die griechische Bevölkerung in irgendeiner Art und Weise unterstützt, sondern wir haben unser europäisches Bankensystem, deutsche und französische Banken gerettet.

(Zurufe von der CDU und den LINKEN – Gegenruf der Abg. Dr. Frauke Petry, AfD: Das müssen Sie gerade sagen!)

Wenn Sie linke Parteien sind, meine Damen und Herren, Herr Scheel, und das sind Sie und das ist auch die SPD, dann verstehe ich Ihre Argumentation nicht. Wer bezahlt die Niedrigzinspolitik? Die bezahlen die Bürger, die bezahlt jeder einfache Arbeitnehmer in unserem Land.

(Beifall bei der AfD)

Ich will Ihnen einfach einmal ein paar Beispiele nennen.

(Zuruf des Abg. Harald Baumann-Hasske, SPD)

Wenn Sie vor 1990 oder unmittelbar nach der Wende eine Lebensversicherung als Altersvorsorge abgeschlossen haben, lag der Garantiezins bei 4 %. Wenn Sie heute einmal schauen, wo der Garantiezins steht, dann ist er bei 1,25 %. Stellen Sie sich einfach vor, dass Sie ein Haus gebaut und eine Finanzierung endfällig gestellt haben, und Sie haben nur die Zinsen gezahlt und wollten endfällig mit einer Lebensversicherung

(Zuruf des Abg. Mario Pecher, SPD)

Ihr Haus letztendlich bezahlen. Schauen Sie sich einmal die Rentnerinnen und Rentner an,

(Valentin Lippmann, GRÜNE: Kommen Sie einmal zum Thema! – Unruhe im Saal)

denen ein anderes Sparverhalten anerzogen worden ist, die nicht solch ein Konsumverhalten wie das heute übliche haben.

(Valentin Lippmann, GRÜNE: Ja! – Sebastian Scheel, DIE LINKE: Das müssen Sie aber dazuschreiben! – Zuruf des Abg. Patrick Schreiber, CDU)

Diese Menschen bezahlen die Niedrigzinspolitik, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der AfD)

Wenn Sie diese Zusammenhänge nicht verstehen, dann fehlt Ihnen einfach ein Teil des volkswirtschaftlichen Verständnisses, meine Damen und Herren.

(Zurufe von der SPD und des Abg. Valentin Lippmann, GRÜNE)

In diesem Zusammenhang ist auch unser Antrag zu verstehen.

(Proteste im Saal – Zuruf des Abg. Valentin Lippmann, GRÜNE)

Wir wollen mit diesem Antrag verhindern,

(Unruhe im Saal)

dass ein Teil der Sozialversicherungsbeiträge dazu dient, dass wir unser Bankensystem finanzieren, meine Damen und Herren. Dieser Zusammenhang ist einfach und verständlich zu erfassen, aber offenbar gelingt das hier niemandem aus den anderen Fraktionen in diesem Haus.

(Beifall bei der AfD – Starke Unruhe im Saal)

Meine Damen und Herren! Die zweite Rederunde ist eröffnet. Gibt es weiteren Redebedarf aus den Reihen der Fraktionen? – Das kann ich nicht erkennen. Möchte die AfD-Fraktion noch mit einem dritten Redebeitrag aufwarten? –

(Uwe Wurlitzer, AfD: Nein, danke!)

Das ist nicht der Fall. Ich frage die Staatsregierung. – Herr Staatsminister Dulig, bitte. Sie haben das Wort.

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Koalitionspartner haben im Koalitionsvertrag vereinbart, sich für die Rücknahme der Vorfälligkeit von Sozialversicherungsbeiträgen einzusetzen. Eines Antrages der AfD hierzu hätte es dafür nicht bedurft.