Protokoll der Sitzung vom 17.12.2014

Die absoluten Ablehnungszahlen des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge betrugen im Jahr 2008 insgesamt noch knapp 13 000 Anträge. In diesem Jahr sind in den ersten elf Monaten knapp 81 000 abgelehnte Anträge zu verzeichnen. Das bedeutet zugleich eine prozentuale Ablehnungs- und Verweisungsquote von 70 % bei etwa 115 000 Sachentscheidungen.

Meine Damen und Herren! Diese bundesweiten Tendenzen sind auch im Freistaat Sachsen zu erkennen. Sachsen werden durch den Bund die Asylbewerber aus dem Urlaubsland Tunesien zugewiesen. Waren es 2013 noch 550 Bewerber, werden es in diesem Jahr etwa 1 000 Antragsteller sein. Die Anerkennungsquote liegt hier bei durchschnittlich 0,2 %. Wohl auch diese Diskrepanz veranlasste bereits im Februar 2011 den CDU-Fraktionsvorsitzenden im Bundestag, Volker Kauder, gegenüber „Bild am Sonntag“ zu äußern: „Die Aufnahme von Flüchtlingen aus Tunesien in Deutschland wäre falsch.“

Meine Damen und Herren! Wir müssen uns als politisch Verantwortliche damit beschäftigen, wie wir mit dieser Entwicklung künftig besser umgehen. Auf der einen Seite sehen wir in Umfragen ein positiv zu wertendes, weitverbreitetes Verständnis, dass tatsächlich Verfolgte, Bedrohte Schutz, Hilfe und Unterstützung erhalten müssen. Auf der anderen Seite sehen wir seit mehr als neun Wochen jeden Montag in Dresden eine Versammlung von Bürgern, die zwischen berechtigten Asylbegehrenden und Wirtschaftsflüchtlingen differenziert. Diese Menschen üben unter anderem Kritik daran, dass in zu vielen Fällen abgelehnte Asylbewerber weiterhin geduldet und nicht nach Recht und Gesetz abgeschoben werden. Berichterstattung über Fälle, in denen Menschen ihre Pässe wegwerfen, um einer Ablehnung zu entgehen, oder straffällig werdende Asylbewerber tun ihr Übriges.

Addiert man die Asylanträge im Zeitraum seit dem Jahr 2011 und zieht hiervon die Summe aller Entscheidungen des Bundesamtes ab, ergibt sich per 30.11.2014 ein Saldo in Höhe von 139 636. Das heißt, im Bundesamt für Migration und Flüchtlinge werden am Jahresende mehr als 140 000 unerledigte Asylanträge vorliegen.

Während im Jahr 2012 noch 70,4 % aller Verfahren in einem Zeitraum von unter sechs Monaten mit Bescheid beendet werden konnten, sank dieser Wert bereits im Jahr 2013 auf nur noch 59,7 %.

Wird die Verfahrensdauer unter Einbeziehung der Gerichtsverfahren betrachtet, so sind seit dem Jahr 2010 jeweils durchschnittliche Gesamtverfahrensdauern von weit mehr als zwölf Monaten zu verzeichnen. Das heißt, für einen abgelehnten Asylbewerber, der vor Gericht klagt, werden bis zum Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung durch den Freistaat aufgrund gesetzlich bestehender Verpflichtungen mindestens 7 200 Euro im Jahr aufgebracht. Dies veranlasst die Staatsregierung dazu, nochmals mehr als 13 Millionen Euro nachträglich durch das Plenum genehmigen zu lassen. Insgesamt wird der Freistaat Sachsen in diesem Jahr etwa 52,5 Millionen Euro für Asylbewerber aufwenden.

(Eva Jähnigen, GRÜNE, steht am Mikrofon.)

Herr Barth, gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Nein, ich gestatte keine Zwischenfrage. – Die Staatsregierung plant, weitere Erstaufnahmeeinrichtungen in Leipzig und Dresden für viel Steuergeld zu eröffnen. Demgegenüber hält es die Alternative für Deutschland für vordringlich, Asylverfahren auf der Ebene des Verwaltungsverfahrens und des Gerichtsverfahrens zu beschleunigen.

Bei konsequenter Umsetzung unseres Antrags werden die Ausgaben des Freistaates künftig vermindert und die kreisfreien Städte und Landkreise weniger belastet.

Bei dieser Verfahrensweise kann auf den zusätzlichen Neubau von Asylbewerberheimen unter Umständen verzichtet werden. Nicht zuletzt erhalten diejenigen, denen Asyl gewährt werden kann, schneller Rechtsklarheit.

Ich danke Ihnen recht herzlich.

(Beifall bei der AfD)

Für die CDU-Fraktion spricht nun Herr Abg. Hartmann. Sie haben das Wort, Herr Hartmann.

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Das ist ein ernsthaftes Thema, und es fällt mir schwer, jetzt ernsthaft zu bleiben. Mein Vorredner hat gerade gesagt – ich übersetze das in Bezug auf den Antrag: Wir schaffen 20 Stellen bei der Bearbeitung im BAMF und zwölf Richterstellen, und schon haben wir das Asylproblem gelöst. So einfach kann es gehen.

Das ist sicherlich sehr pointiert vorgetragen, aber ich tue es deshalb, weil es am Kern des Themas etwas vorbeigeht. Im Übrigen hat man die Gelegenheit genutzt, die Debatte jetzt wieder in die Grundsätzlichkeit hineinzuzie

hen. Insoweit gibt mir das die Gelegenheit, noch einmal kurz etwas Grundsätzliches dazu zu sagen.

Erstens. Die Personalausstattung des Bundesamtes für Flüchtlinge und Migration ist eine originäre Aufgabe und Zuständigkeit des Bundes. Der Bund muss diese Aufgabe erfüllen. Wenn wir von einer Versiebenfachung der Zahlen der Asylsuchenden in diesem Land ausgehen, gebietet es, für diese aktuelle Entwicklung diese Gegensteuerung vorzunehmen. Erste Schritte hat der Bund in diesem Zusammenhang getan.

Das Zweite: Der Freistaat hat auch schon in der Vergangenheit mit beschränkten personellen Ressourcen den Prozess des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge hier in Sachsen unterstützt. Aber es ist eben nicht originäre Aufgabe der Landesverwaltung, die Aufgaben des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge wahrzunehmen. Im Übrigen: Wenn dieser Antrag so einfach damit umzusetzen wäre, 20 Leute aus der Staatsverwaltung herauszuziehen, dann müssten wir doch feststellen, dass wir offensichtlich einen Personalüberhang in der Staatsverwaltung haben. Wir reden aber derzeit darüber, dass wir einen angemessenen Prozess zur Personalausstattung und Aufgabenwahrnehmung der Staatsverwaltung führen. Insoweit springt dieser Antrag, selbst wenn man ihn an dieser Stelle ernst nehmen würde, zu kurz. Denn: Woher sollten wir die 20 Planstellen nehmen?

Ich bleibe beim Thema. Es ist eine originäre Zuständigkeit des Bundes. Dort ist der Hebel anzusetzen und die Forderung aufzumachen.

Das Nächste ist die Frage – da würde ich gern das aufnehmen, was mein Vorredner gesagt hat – der Verantwortung für die Erstaufnahmeeinrichtungen und die Verteilung. Ja, wir haben bisher Erstaufnahmeeinrichtungskapazitäten in Chemnitz mit einer Außenstelle in Schneeberg. Sowohl die Stadt Chemnitz als auch die Stadt Schneeberg sind mit dieser Situation überfordert. Deswegen verteilen wir diesen Verantwortungsbereich auf die kreisfreien Städte Leipzig, Chemnitz und Dresden. Das erscheint an dieser Stelle durchaus sinnvoll. Es geht um dreimal 700 Flüchtlinge und die daraus resultierenden Kapazitäten. Das ist in der derzeitigen Situation mit Blick auf die Asylbewerberzahlen weder in Bezug auf die Vergangenheit, wo wir mit 2 000 bis 3 000 pro Jahr gerechnet haben, noch mit Blick auf die Realität mit 8 000 zu viel oder zu wenig, sondern eine Anpassung an die tatsächlich erforderliche Struktur.

Ich glaube – und das ist ein Ergebnis der heute Morgen geführten Diskussion –, es ist nicht schicklich und wahrscheinlich auch nicht anständig, bei diesem sehr ernsthaften Thema eine fiskalische Debatte zu führen. Das, was finanziell erforderlich ist, um Menschen in diesem Land die Unterstützung zu geben, die ihnen zusteht, muss gewährleistet werden. Das, was dafür nicht notwendig ist, muss auch nicht sein. Aber die fiskalische Gegenrechnung ist der falsche Weg. Insoweit konzentrieren wir uns auf die Aufgabe, die wir an dieser Stelle haben.

Es ist klar: Auch wir sind für eine Finanz- und Personalausstattung im erforderlichen Rahmen. Aber bei der Ersterfassungsbearbeitung ist es Sache des Bundes. Wenn Sie sich die entsprechende Stellungnahme der Staatsregierung anschauen, werden Sie feststellen, dass wir in der Vergangenheit schon im Rahmen des Erforderlichen Unterstützung gegeben haben. Wir werden deshalb Ihren Antrag ablehnen.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der CDU und der SPD)

Bitte.

Herr Präsident! Ich möchte eine Kurzintervention machen.

Herr Hartmann, Sie sagten, das sei Bundessache. Da gebe ich Ihnen vielleicht noch beim BAMF recht. Aber die Verwaltungsgerichtsbarkeit ist natürlich Ländersache. Wir wissen, dass gern geklagt wird, wenn ein Verwaltungsverfahren abgeschlossen ist. Diese Stärkung liegt wirklich in der Zuständigkeit der Länder, hier des Freistaates Sachsen. Hier könnte man die ohnehin kurzgehaltene Verwaltungsgerichtsbarkeit entlasten.

Das war eine Kurzintervention des Abg. Dr. Dreher. – Herr Hartmann, Sie möchten erwidern?

Ich antworte gern darauf.

Ich bin der innenpolitische Sprecher meiner Fraktion. Ich denke, dass Herr Modschiedler in einer zweiten Runde Gelegenheit nimmt, auf das Thema Justiz einzugehen.

Meine Damen und Herren. es geht in der Aussprache weiter. An der Reihe ist die Fraktion DIE LINKE, Herr Abg. Schollbach. Bitte sehr, Herr Schollbach, Sie haben das Wort.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Bei der Befassung mit dem Antrag der sogenannten Alternative für Deutschland

(Dr. Frauke Petry, AfD: Was heißt hier „sogenannt“?)

kam mir „Biedermann und die Brandstifter“ von Max Frisch in den Sinn.

(Dr. Stefan Dreher, AfD: Das ist unverschämt!)

Dort macht es der Opportunismus der Biedermänner überhaupt erst möglich, dass die Brandstifter ohne große Mühe ihre Arbeit verrichten und ihr Ziel erreichen können. Das Interessante an der AfD ist nun, dass sich hier sowohl die Biedermänner als auch die Brandstifter in ein und derselben Partei versammelt haben.

(Beifall bei den LINKEN und der SPD – Proteste bei der AfD)

Deren führende Kräfte senden fortwährend mehr oder weniger subtile Botschaften aus, die Ängste und Ressen

timents vor Ausländern schüren und einem geistigen Klima der latenten Fremdenfeindlichkeit den Weg bereiten. Sie entblöden sich ja nicht, mit Pegida gemeinsame Sache zu machen,

(Dr. Stefan Dreher, AfD: Sie grenzen aus, wir nicht!)

die gegen vermeintlich kriminelle Ausländer hetzt, aber selbst von kriminellen Deutschen angeführt wird.

(Beifall bei den LINKEN – Zuruf des Abg. André Barth, AfD)

Der Umstand, dass die AfD gleich in einem ihrer ersten Anträge im Landtag die Dauer der Asylverfahren thematisiert, ist kein Zufall, sondern perfides Kalkül. Dieser Antrag ist die geronnene Scheinheiligkeit. Vorgeblich soll die Bearbeitungsdauer der Asylverfahren verkürzt werden, um Klarheit über das Bestehen eines Asylgrundes zu schaffen. Was die AfD mit diesem verbrämt daherkommenden Antragstext eigentlich zu erreichen beabsichtigt,

(Dr. Stefan Dreher, AfD: Schön, dass Sie es wissen!)

ist aber etwas anderes. Sie will die möglichst schnelle Abschiebung von Ausländerinnen und Ausländern erreichen. Darum geht es Ihnen. Das wird beispielsweise deutlich, wenn in der Antragsbegründung davon schwadroniert wird, dass unter anderem – ich zitiere – „die besondere Attraktivität der Geldleistungen deutschen Sozialrechts“ dazu führe, dass in Deutschland Asylanträge gestellt werden.

(Zuruf der Abg. Dr. Frauke Petry, AfD)

Dabei wissen wir doch, dass Ausländerinnen und Ausländer in Deutschland deutlich mehr Steuern zahlen, als sie den Staat kosten, wie jüngst die Untersuchung im Auftrag der Bertelsmann-Stiftung ergeben hat.

(Dr. Stefan Dreher, AfD: Wie ist denn das Steueraufkommen der Asylanten?)

Nichtsdestotrotz hat die AfD aber gleichwohl keinerlei Hemmungen, sich auf dem Rücken von Asylsuchenden, also zulasten von Menschen, die sich nicht wehren können, politisch zu profilieren. Dieses Verhalten ist von einiger Erbärmlichkeit.

(Dr. Stefan Dreher, AfD: Das gilt für Ihren Redebeitrag!)