Die Fraktionen können jetzt das Wort nehmen. Es gilt folgende Reihenfolge: zuerst die einreichende Fraktion, danach CDU, DIE LINKE, SPD, AfD und die Staatsregierung, wenn sie es wünscht. Ich erteile nun der Fraktion der GRÜNEN, Frau Abg. Maicher das Wort.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sachsen ist ein Einwanderungsland – zum Glück! –, auch wenn die Anerkennung dieser gesellschaftlichen Realität in Sachsen, aber auch von manchen hier im Hohen Hause erst nach und nach vollzogen wird.
Leider sehen viele Menschen im Freistaat diese Chance nicht. Im Gegenteil: Viele Menschen im Freistaat Sachsen sind gegen Zuwanderung. Sie sprechen sich offen gegen eine vielfältige Gesellschaft aus. Häufig ist von Angst die Rede oder von der Furcht vor Überfremdung. Die Angst
und Furcht mancher Bürgerinnen und Bürger mündet dabei nicht selten in offen zum Ausdruck gebrachtem Hass, in Übergriffen auf andere.
Der Ministerpräsident hat es Anfang des Jahres selbst ausgesprochen – ich zitiere –: „Ja, es stimmt, Sachsen hat ein Problem mit Rechtsextremismus, und es ist größer, als viele es wahrhaben wollten.“
Ich finde es beschämend, dass unser Bundesland vielerorts in einem Atemzug mit Fremdenfeindlichkeit genannt wird und – noch mehr – dass Sachsen das Land mit den meisten rechtsextrem motivierten Straftaten ist.
Ursachen und Gründe gibt es sicherlich viele, die zu einer solchen Situation in Sachsen beigetragen haben. Aber ich frage mich, wie intensiv die Staatsregierung nach Auswegen und Lösungen sucht, um dieser Situation zu entkommen. Eine Möglichkeit, die Überwindung von Vorurteilen
und den Abbau von Ängsten gegenüber den jeweils anderen zu befördern, ist für meine Fraktion die interkulturelle Kulturarbeit. Die stark zunehmenden interkulturellen Aktivitäten im Kunst- und Kulturbereich sind wichtig. Es gibt seit Langem die interkulturellen Wochen und auch immer mehr Kunst- und Kulturprojekte, die durch Migrantinnen und Migranten gestaltet werden.
Ich selbst konnte vor einigen Wochen das Theaterstück „Brennpunkt X“ im „Theater der jungen Welt“ in Leipzig besuchen. Die Staatsministerin Frau Köpping war als Schirmherrin auch dabei. Es ist für mich ein beispielhaftes interkulturelles Projekt, und das nicht nur, weil es ein gemeinsames Stück von Ensemble und Geflüchteten ist, nein, viel mehr: weil es die Zuschauerinnen und Zuschauer zum Hineinversetzen zwingt in unterschiedliche Kulturen, in unterschiedliche Herkünfte, in Probleme beim Aufeinandertreffen, aber auch in die Zerrissenheit von Amtspersonen, die politische Vorgaben erfüllen müssen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Vielleicht sollten wir uns als Sächsischer Landtag gemeinsam dieses Stück einmal anschauen. Solche Projekte können unser aller Vorstellung verändern und Empathie wecken. Interkulturelle Kulturangebote können die treibende Kraft für eine gesellschaftliche Entwicklung sein. Sie richtet sich an alle, die hier in Sachsen leben.
Wir wollten mit der Großen Anfrage eine umfangreiche Bestandsanalyse und die Diskussion von Handlungsmöglichkeiten sowie den Umsetzungsstand und den Weiterentwicklungsbedarf der bereits im Jahr 2011 beschlossenen beispielhaften Empfehlungen des Kulturausschusses der Kultusministerkonferenz „Interkulturelle Kulturarbeit“ abfragen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Um es auf den Punkt zu bringen: Die Antworten der Kulturministerin auf unsere Große Anfrage sind erschütternd. Das einzig Positive ist das große Engagement der sächsischen Kultureinrichtungen und Kulturschaffenden, auf das in den Antworten großzügig verwiesen wird.
Auf eigenes kulturpolitisches Handeln können Sie, Frau Ministerin, aber nicht verweisen. Dass dem so ist, wundert mich auch nicht. Zumindest legen Ihre Antworten schonungslos offen, wie wenig Sie über interkulturelle Kulturarbeit wissen und, vor allen Dingen, wie wenig Sie vorhaben.
Ich führe ein paar Beispiele an: Es liegen keine Kenntnisse über die Teilhabe von Menschen mit Migrationshintergrund am kulturellen Leben, deren Anteil an der Besucher- und Publikumsstruktur sowie deren Mitgestaltung und künstlerischem Schaffen in Sachsen vor. Stattdessen zeigen Sie klar ihre Grenzen von Teilhabe in staatlichen Kultureinrichtungen auf – ich zitiere –: „Die Optionen zur Gewinnung von migrantischen Zielgruppen sind aufgrund der Hochpreisigkeit des Angebots der Sächsischen Staatsoper im Bereich Vorstellungen in der Semperoper begrenzt.“
Damit fällen Sie nicht nur ein Pauschalurteil über alle Migrantinnen und Migranten, nein, Sie lassen mit diesem Verständnis den Ausschluss breiter Bevölkerungsschichten zu. Das finde ich verheerend.
Sie wissen nichts über die Einstellungen und Handlungsweisen von Menschen ohne Migrationshintergrund in Bezug auf fremde Kulturen und kulturelle Vielfalt. Die Bedarfe der Kultureinrichtungen, die bereits viel interkulturell arbeiten, werden nicht abgefragt. Eine spezielle Förderung der Vernetzung zwischen Einrichtungen der Migrantenorganisationen und Kulturschaffenden gibt es nicht. Mittel zur Förderung interkultureller Kulturarbeit werden von dem Ressort nicht vergeben, geschweige denn Würdigung, Preise oder Wettbewerbe im Bereich der interkulturellen Kulturarbeit.
Sie unterstützen auch nicht die Professionalisierung des interkulturellen Kulturmanagements. Ein flächendeckendes Qualifizierungs- oder Weiterbildungsangebot zum Erwerb interkultureller Kompetenzen für Beschäftigte der Kulturverwaltung oder öffentlicher Kultureinrichtungen gibt es nicht.
Dem Sozialministerium sind keine Fortbildungsangebote oder Fachberatungen für Fachkräfte in der Jugend- und Erwachsenenarbeit mit dem Schwerpunkt interkulturelle Kulturarbeit bekannt. Kenntnisse hinsichtlich interkultureller Aktivitäten von Kulturschaffenden und Kultureinrichtungen in Kindertagesstätten, in Schulen, aber auch im außerschulischen Bereich liegen nicht vor.
Sie haben weiterhin keine Kenntnisse über den Anteil von Menschen mit Migrationshintergrund unter den Beschäftigten in den staatlichen Kultureinrichtungen und Sie wollen es auch gar nicht wissen; denn Sie beabsichtigen auch zukünftig keine Strategie zur Förderung von Diversität in der Personalentwicklung – ich zitiere –: „Für die Kultureinrichtungen des Freistaates Sachsen gilt allgemein, dass angesichts der im Moment geringen Zahl an Neueinstellungen eine Diversitätsentwicklung nicht
Diese Einstellung ist ein Armutszeugnis nicht nur bezüglich Interkulturalität, sondern auch mit Blick auf den demografischen Wandel.
Nun könnte man zu Recht sagen, dass wir Sachsen am Anfang stehen. Jahrelang schien das Thema keine große Bedeutung zu haben, weil nur wenige Menschen zu uns kommen wollten. Aber spätestens jetzt mit der Einwanderung neuer Mitbürgerinnen und Mitbürger, spätestens jetzt bei den deutlich gewordenen gesellschaftlichen Spannungen, aggressiven Diskussionen und Spaltungen müssten doch auch Sie erkennen, wie wichtig die aktive Förderung interkultureller Kunst und Kultur ist, und zwar nicht nur als Flüchtlingsarbeit und nicht nur zur Integration von Asylbewerbern, sondern auch für diejenigen, die hier in Sachsen seit 10, 20, 50 oder 90 Jahren leben.
Es geht um den Austausch, das Miteinander, Einflüsse verschiedener Sichtweisen und künstlerischer Ausdrücke,
auch mit Wirkung in die Aufnahmegesellschaft. Ihnen geht es offensichtlich nur darum – ich zitiere Sie: „Die Neuankömmlinge mit der deutschen Kultur vertraut zu machen und sie später im Integrationsprozess zu begleiten, das heißt, sie zunehmend an den allgemeinen Angeboten teilhaben zu lassen.“ Ein Konzept zur Förderung interkultureller Kulturarbeit in Sachsen gibt es ebenfalls nicht und Sie arbeiten auch nicht daran. Das ist ein schweres Versäumnis.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, bitte entschuldigen Sie die Monotonie der Auflistung, es gibt noch viel mehr Stellen, die ich jetzt nicht erwähne, aber ich halte den fehlenden Willen der Staatsregierung, in diesem Bereich Wissen zu erlangen, aber vor allen Dingen gestalten zu wollen, für fahrlässig – gerade in Sachsen mit der zunehmenden Dialogunfähigkeit, mit der fehlenden Akzeptanz anderer kultureller Herkünfte, Einstellungen und Lebensentwürfe.
Da reichen auch nicht die zugegebenermaßen sehr deutlichen wichtigen und richtigen Worte von Ihnen, Frau Stange, zum Beispiel beim Fachtag Soziokultur des Landesverbandes Soziokultur – dafür bin ich Ihnen auch sehr dankbar. Wir brauchen hier aber mehr denn je eine interkulturelle Öffnung, eine vielfältige Kulturgesellschaft, Bewegung statt Stillstand und die klare Positionierung und den Willen, das auch umzusetzen vonseiten der Kulturministerin. Wir unterstützen Sie dabei.
Aus diesem Grund werden wir im Anschluss an diese Aussprache auch unseren Entschließungsantrag „Interkulturelle Kulturarbeit im Einwanderungsland Sachsen“ einbringen.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wir sind uns alle einig: Kultur kann und wird die Integration von Flüchtlingen und Asylbewerbern unterstützen. Kultur kann helfen, unser Land kennenzulernen, einen Zugang zur Sprache zu finden, unsere Werte und Geschichte zu verstehen. Kultur kann daher wichtige Beiträge leisten, dass ein gemeinsames Zusammenleben möglich wird.
Kultureinrichtungen können aber nicht nur helfen, eine gemeinsame Verständigung zu finden; sie können auch Angebote machen, die Perspektive zu wechseln – was durchaus wichtig und auch sehr interessant sein kann.
Wir nehmen sehr wohl wahr, dass die Kultureinrichtungen in den letzten Monaten außerordentlich aktiv beim Thema Integration gewesen sind, sich geöffnet und vernetzt haben. Die Kulturschaffenden haben sich mit viel persönlichem Engagement, Elan, Mut und Energie der großen gesellschaftlichen Aufgabe angenommen. Jeder von uns – Frau Maicher hat ein Beispiel genannt – kann sicher über
Wir sind aber auch froh, Frau Maicher, dass die Kulturschaffenden bei dieser Arbeit nicht mit Anfragen zur Statistik überhäuft worden sind, damit jetzt Ihre Große Anfrage in aller Ausführlichkeit beantwortet werden kann, sondern dass Sie einfach losgelegt und sich des Themas angenommen haben.
Die Kultureinrichtungen haben sich aber nicht nur für Flüchtlinge und Asylbewerber geöffnet, sondern auch die einheimische Bevölkerung, die das Thema beschäftigt, die verschiedene Fragen diskutieren will, zum Dialog eingeladen. Außerdem zeigen die Programme, dass wir noch viel lernen können und teilweise auch müssen über die Geschichte und Religion anderer Länder oder darüber, wie ehemals Fremdes in der Vergangenheit aufgenommen und in unsere heutige Kultur ganz selbstverständlich integriert wurde. Ohne die Offenheit unserer vorhergehenden Generation wären heute die Türckische Cammer oder andere Kunstschätze nicht denkbar.
Integration ist damit ein Prozess, auf den sich die Kulturpolitik längst eingestellt hat – mit einem hohen Aufwand an hauptamtlichem und ehrenamtlichem Personal, aber auch mit finanziellen Mitteln.
Einen guten Eindruck – ich sehe das nicht so wie Sie – vermittelt die Beantwortung der Großen Anfrage durch die Staatsregierung; allein das, was in den Theatern, Konzerthäusern oder durch Ausstellungen in den letzten Monaten passiert ist.
Die vorhandenen Strukturen und Fördermöglichkeiten bieten sich also ganz offensichtlich an, sich des Themas anzunehmen, denn sonst hätten es die Kultureinrichtungen in den letzten Monaten nicht so intensiv tun können. Sie gehen zwar später noch näher darauf ein, aber Ihr Entschließungsantrag wird leider dem, was im Freistaat bereits passiert, nicht gerecht. Es gibt diese Bewegungen der vielfältigen Projekte, die ganz speziell auf die jeweilige Situation vor Ort eingehen und den Kontakt zu dem bereits existierenden Kulturleben finden. Das ist doch das Beste, was passieren kann. Das ist Integration, das ist der richtige Weg: sich mit den vorhandenen Strukturen zusammen diesem Thema zu widmen.
Dass das so passiert, wird nicht nur von der Staatsregierung und von uns positiv aufgenommen. Deshalb widerspreche ich auch entschieden Ihrer Feststellung, die Staatsregierung habe ungenügende Kenntnisse über die Situation im Kulturbereich. Die vielen Antworten auf die Kleinen und Großen Anfragen auch von Ihrer Fraktion zeigen da ein ganz anderes Bild.
Die GRÜNEN schlagen uns nun einen Weg vor, das Thema anzugehen: dass es von Landesebene zentral gesteuert wird und zusätzliche Programme entstehen sollen.
Unser Verständnis ist hier ein anderes. Wir denken, dass die vor Ort Beteiligten am besten wissen, welche Maßnahmen notwendig sind, um die passenden Angebote bereitzuhalten. Deshalb ist es richtig und wichtig, die bestehenden Programme für die Arbeit mit Flüchtlingen und Asylbewerbern zu öffnen und weiter dranzubleiben.
Wir haben eine ganze Reihe von Fördermöglichkeiten im Kulturbereich; ich nenne nur das Kulturraumgesetz, aber auch die weiteren Unterstützungsprogramme des Landes. Sie haben gerade Frau Stange gelobt, dass sie beim Fachtag Soziokultur war. Das ist unter anderem deshalb möglich gewesen, weil der Landesverband durch den Freistaat unterstützt wird und dadurch solche Tagungen organisieren kann. Es gibt die Angebote der kulturellen Bildung, die Kulturstiftung ist in diesem Bereich aktiv, nicht zu vergessen die Landesbühnen oder auch die Semperoper oder die Staatlichen Kunstsammlungen, die ebenfalls durch den Freistaat finanziert werden.
Auf der anderen Seite haben wir ein Integrationsprogramm, das auch für den Bereich der Kultur offen ist. Selbstverständlich können dort Gelder beantragt werden. Dass diese auch dem Kulturbereich zugute gekommen sind, kann man sehr gut in der Antwort auf die Kleine Anfrage von Frau Zais nachlesen.