Protokoll der Sitzung vom 28.09.2016

und fokussieren, dann wird es wohl leider nicht das letzte Mal sein, dass wir eine solche Debatte in diesem Hohen Hause führen. Ich hoffe, dass sie uns erspart bleiben möge.

Vielen Dank.

(Beifall bei den GRÜNEN und den LINKEN)

Wir sind jetzt am Ende der ersten Runde angelangt. Es sprach gerade Kollege Lippmann für die Fraktion GRÜNE. Wir eröffnen jetzt die nächste Rederunde. Die antragstellende Fraktion DIE LINKE wird jetzt durch Herrn Kollegen Kosel vertreten.

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Im Antragstext meiner Fraktion heißt es, „Lehren aus den Vorfällen von Bautzen ziehen“. Als Mensch, der vor 50 Jahren im Kreiskrankenhaus Bautzen zur Welt gekommen ist, der in dieser Stadt sein Abitur gemacht hat, die meiste Zeit seines Lebens in Bautzen oder dessen ländlichem Umfeld verbracht hat, möchte ich auf diesen Aspekt der heutigen Debatte meinen Schwerpunkt setzen.

Dazu ist es zunächst notwendig klarzustellen, was gegenwärtig das gravierendste Problem für die Stadt und ihre Einwohner darstellt. Um es gleich klar zu sagen: Das gravierendste Problem für Bautzen und seine Einwohner sind nicht die Flüchtlinge und auch nicht die unbegleiteten minderjährigen Ausländer, obwohl es unter ihnen einzelne gibt, die die Gesetze nicht einhalten und dafür zur Verantwortung gezogen werden müssen, aber, meine Damen und Herren, durch den Rechtsstaat und nicht durch Selbstjustiz sogenannter besorgter Bürger und des braunen Mobs.

(Beifall bei den LINKEN)

Meine Damen und Herren! Als Mensch, der die Stadt Bautzen zu seiner engeren Heimat zählt, sage ich Ihnen: Das gravierendste Problem von Bautzen sind die über Jahre verfestigten rechtsradikalen Strukturen und Vernetzungen. Selbst wenn die Flüchtlinge in Zukunft integriert sind oder die Stadt wieder verlassen haben, werden diese rechtsradikalen Vernetzungen der Stadt und ihren Einwohnern weiterhin zur Last fallen.

Die Angriffe auf geflüchtete Menschen sind für die Rechtsradikalen zum Teil nur Mittel zum Zweck. Ihr Ziel ist die Eroberung des öffentlichen Raums und des politischen Diskurses. Auch ohne die Flüchtlingsbewegungen der vergangenen zwei Jahre wäre es in Bautzen und im Umland weiterhin zu rechtsradikalen Übergriffen gekommen. Die Opfer wären dann wieder – oder weiterhin – Behinderte, Obdachlose, alternative Jugendliche, Sorben, Linke, Homosexuelle, engagierte Demokraten oder konsequente Christen gewesen; das heißt: alle, die anders aussehen, anders sprechen, anders denken oder anders lieben, als es der verbrecherischen Ideologie der Neonazis entspricht.

Meine Damen und Herren! Es ist nötig, über die Gründe dieser starken rechtsradikalen Vernetzung nachzudenken. Ich glaube, ein Aspekt ist dabei wichtig. 1990 gab es nach meiner Erinnerung in der Stadt, im damaligen Stadtgebiet, das bedeutend kleiner war als das heutige, fünf Jugendklubs und zwei konfessionelle Jugendtreffs unter dem Dach der Kirche. Heute gibt es nur noch ein städtisches soziokulturelles Jugendzentrum und zwei kirchliche Jugendbegegnungsstätten. Diese Fehlentwicklung ist dringend zu korrigieren. Dabei ist es wichtig, den Jugendlichen niederschwellige Angebote zu unterbreiten und dabei die klare Ablehnung von Gewalt und Menschenfeindlichkeit als Teil dieser Projekte zu integrieren.

Aus meiner Sicht ist es mehr als nur bedenkenswert, dass es im April des Jahres 1998 zu Angriffen von Rechtsradikalen gerade auf einen noch nicht rechten Jugendklub in Bautzen gekommen ist. Meine Damen und Herren, das Kulturbüro Sachsen hat unlängst formuliert, in Bautzen habe sich eine „organisierte Neonazistruktur warmgelaufen“, wie es heißt.

Wie hat das begonnen? Zunächst, Anfang der Neunzigerjahre, mit rechtsradikalen Konzerten, Lagerfeuerabenden und Flugblattverteilung. Relativ früh folgten aber schon die Beschädigung von Denkmälern für NS-Opfer und die Beschädigung von sorbischen und religiösen Symbolen. Schon frühzeitig waren gewaltsame Übergriffe mit im Spiel. Opfer waren all diejenigen, die ins Feindbildschema der Neonazis passten. Im Schatten der Ereignisse von Hoyerswerda schauten manche Verantwortlichen in Bezug auf Bautzen nicht mehr genau hin. Die Sachsen galten laut ihrem Ministerpräsidenten ja als „immun gegen Rechtsradikalismus“.

Meine Damen und Herren! Die Chronik rechtsradikaler Straftaten in Bautzen und im näheren Umland macht auch die Widersinnigkeit und Unberechenbarkeit des Tätermilieus deutlich. So kam es im Jahr 2000 zu Attacken auf Obdachlose, was in Weißwasser sogar zur Tötung eines Obdachlosen führte. Die Täter begründen das damit, dass das Opfer „nichts wert gewesen“ sei. Wenige Zeit später wurde in Bautzen ein tschechischer Arzt attackiert, obwohl er nach Auffassung der Täter einen „wertvollen“ Beruf hat – einfach, weil er ein tschechisches Autokennzeichen hatte.

Zweitens. Bei Angriffen gegen Ausländer wird immer wieder darauf verwiesen, man müsse ihnen „Respekt für einheimische Regeln und Traditionen beibringen“.

Gleichzeitig begeht das Neonazi-Tätermilieu aber antisorbische Straftaten, die dessen fehlenden Respekt für nun wahrlich in der Lausitz einheimische Traditionen und Regeln deutlich macht. Es stellt sich also die Frage: Wer hat in der Lausitz ein Integrationsdefizit?

Drittens. Rechtsradikale verweisen gern darauf, meine Damen und Herren, dass sie das „christliche Abendland“ verteidigen. Zugleich kam es in der Region aber schon seit 2006 zur Zerstörung von Wegkreuzen – zumal sorbisch beschrifteten. 2012 wurde die Losung „Odin statt Jesus“ an mehrere Kirchen gesprüht. Im Januar dieses

Jahres wurden Flüchtlingshelfer, die ihre christliche Motivation für ihr Engagement offenbarten, stark beleidigt.

Bitte kommen Sie zum Ende.

Meine Damen und Herren! Gestatten Sie mir als Schlusssatz eine persönliche Bemerkung. Als ein in der DDR sozialisierter junger Jurastudent haben mich in den Neunzigerjahren zwei Sätze für die Bundesrepublik geprägt: „Die Würde des Menschen ist unantastbar“ und „das Recht braucht dem Unrecht nicht zu weichen“. Wenn jetzt Neonazis in Bautzen verkünden, Nazikiez verteidigen – unsere Stadt, unsere Regeln“ – –

Herr Kosel, Sie müssen jetzt bitte zum Ende kommen.

Wenn jetzt Neonazis diese Regeln verkünden, dann werden die Grundlagen unseres Staates ausgehöhlt. Das dürfen wir nicht zulassen.

Vielen Dank.

(Beifall bei den LINKEN)

Für die CDUFraktion spricht Herr Abg. Hartmann.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ja – und hier möchte ich noch einmal einsteigen –, wir haben in Sachsen ein Problem mit zunehmender Gewalt, nicht nur in Bautzen, sondern in Sachsen insgesamt. Wir haben ein Problem mit zunehmender Radikalisierung. Dazu gehört auch ein zunehmendes Problem mit rechtsradikalen Strukturen und auch Netzwerken. Das ist zweifelsohne der Fall. Natürlich müssen wir uns die Frage stellen, wie wir mit dem Thema umgehen.

(Zuruf des Abg. Rico Gebhardt, DIE LINKE)

Welche Möglichkeiten haben wir, mit Präventionsangeboten vorzugehen, um abdriftende Jugendliche sowohl im linken als auch im rechten Spektrum abzuholen?

(Zuruf des Abg. Rico Gebhardt, DIE LINKE)

Das ist zweifelsohne so. Ganz klar, Gewalt hat in unserer Gesellschaft keine Chance oder darf keine Chance haben. Es hilft aber nur wenig, das Ganze in schwarz-weiß einzuteilen, wie wir es in Bautzen erleben. Ich will es deutlich sagen: Bautzen hat eine Vorgeschichte, eine Entwicklung. Eine Beschränkung auf die Frage des Vorfalls, der Anlass zu dieser Debatte ist, ist falsch. Wir haben eine Vorgeschichte, die sich über Monate entwickelt hat.

Seit März 2016 – das ist amtlich nachlesbar – gab es in Bautzen über 70 Einsätze der Polizei im niederschwelligen Bereich, und zwar in unmittelbarem Bezug auf das, was sich mit unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen am Kornmarkt ereignete. Das blenden Sie jedoch aus.

(Rico Gebhardt, DIE LINKE: Nein!)

Das passt nicht in Ihre einfachen Klischees von guten Asylsuchenden und bösen Polizisten. Das funktioniert dann natürlich nicht.

(Widerspruch von den LINKEN – Vereinzelt Beifall bei der AfD)

Natürlich, das will ich deutlich sagen, gehört die Frage von verantwortungsvollen Betreuungsangeboten, von Möglichkeiten der Integration, der Begleitung und Betreuung dazu. Auf der anderen Seite gehört gleichwohl dazu, dass es auch Regeln gibt, die eingehalten werden müssen und die man auch umsetzt.

(Zurufe der Abg. Rico Gebhardt und Sebastian Scheel, DIE LINKE)

Das ist nicht nur eine Aufgabe für Gerichte und Polizei. Gerade bei unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen sprechen wir von einer Fürsorge durch Behörden. Das Jugendamt übernimmt hier eine besondere Betreuungsfunktion, nämlich die der Eltern. Insoweit ist es doch eine zentrale Frage, meine sehr geehrten Damen und Herren,

(Rico Gebhardt, DIE LINKE: Was man die ganze Zeit gemacht hat!)

wie man über Monate hinweg aus gut gemeinten Gründen oder aber, weil man eine politische Position hat, eine solche Entwicklung geduldet hat, die dann eskalierte. Das rechtfertigt im Übrigen überhaupt nicht, was wir dann in der Eskalation erlebt haben – von, wie wir es dem Titel Ihrer Debatte entnehmen, „eventbetonten Jugendlichen“.

Im Übrigen, Herr Lippmann, Vorsicht an der Bahnsteigkante: Nicht alle, die dort waren, sind harte Rechtsextremisten. Auch diesbezüglich sprechen wir über ein Problem, nämlich die Frage, dass solche Entwicklungen mit Ursache und Wirkung in beide Richtungen natürlich Nährboden für solche Strukturen sind, auf denen sich dann Eskalationsstufen aufbauen.

Insoweit, meine sehr geehrten Damen und Herren: Verwechseln wir nicht Ursache und Wirkung und malen wir nicht jede Diskussion schwarz und weiß, sondern nehmen sie als das, was sie sind. Sie kennen das: Zwei Seiten derselben Medaille sind in jedem Fall zu berücksichtigen.

Im Übrigen, wenn sich asylsuchende Jugendliche nicht an unsere Regeln halten, dann stellt sich schon die Frage, wie wir, wie Behörden dagegen vorgehen. Das gilt, wie gesagt, gleichwohl auch für Gewalttaten.

Ein pauschaler Verdacht gegen Asylsuchende, auch das will ich an dieser Stelle noch einmal deutlich sagen, ist genauso unzulässig. Es ist wie in unserer Gesellschaft: Es gibt Menschen, die sich an Regeln halten, und solche, die das nicht tun. Es ist auch eine Wahrheit in unserer Gesellschaft, dass wir in der Selbstreflexion nachfragen müssen, wie wir mit unseren eigenen Regeln und Normen überhaupt umgehen. Vielleicht ist es auch so, dass uns jetzt an mancher Stelle ein Spiegel vorgehalten wird im Hinblick auf die Durchsetzung von Normen, Werten und Regeln in

unserer eigenen Gesellschaft. Das bedarf einer intensiven Diskussion; das wird an diesem Thema offensichtlich.

Gleichwohl befreit uns das nicht davon festzustellen: Wenn es diese Regelverstöße gibt, dann ist es Sache des Staates und seiner Behörden, im Vorfeld und im weiteren Verfahren ab einem bestimmten Punkt. Insoweit ist es bedauerlich, dass die Diskussion über die Handelnden und die Repressionsmaßnahme der Polizei, die am Ende der Entwicklung steht, aufgezogen wird. Ich halte es für, gelinde gesagt, unmöglich, die Polizei hier in eine solche pauschale Kritik zu nehmen, genauso wie das Landesamt für Verfassungsschutz.

(Widerspruch des Abg. Rico Gebhardt, DIE LINKE)

In dieser Pauschalität, Herr Lippmann, halte ich das für unangemessen und für respektlos. Da sollte man die gestandene Lebenserfahrung von Polizeiführern und Polizeibeamten, die jeden Tag ihre Schädel und ihre Rücken dafür hinhalten, etwas mehr wertschätzen und das in diesem Hohen Hause auch zum Ausdruck bringen.

Bitte zum Ende kommen.

Viel wichtiger ist es, auch in Bautzen darauf hinzuwirken, dass die Stadt mehr bietet als diese Vorfälle.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der CDU)

Wird noch einmal das Wort von der SPD-Fraktion gewünscht? Das ist nicht der Fall. Ich frage die AfD-Fraktion? – Bitte, Herr Wippel.