Wir kommen zunächst zur allgemeinen Aussprache in folgender Reihenfolge: AfD, CDU, DIE LINKE, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und die Staatsregierung, wenn das Wort gewünscht wird. Für die AfD-Fraktion beginnt die Aussprache Herr Abg. Wendt.
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Nachdem in unserem Ausschuss die Anhörung der Sachverständigen erfolgt ist, sind wir nun in der abschließenden zweiten Lesung und stimmen heute über den Gesetzentwurf zum Landessehhilfengesetz meiner Fraktion ab. Zunächst möchte ich noch einmal kurz auf die Problematik eingehen. Die
Krankenkassen zahlen Zuschüsse zu Brillengläsern nur noch bis zum 18. Lebensjahr und über das 18. Lebensjahr hinaus nur dann, wenn gerade noch ein Visus von 0,3 trotz Korrektur mit Brille erreicht werden kann. Ich frage mich, warum dies nur für unter 18-Jährige und äußerste Extremfälle gelten soll. Hier werden Menschen mit hochgradiger Sehschwäche ausgeschlossen. Das kann eigentlich nicht das Ansinnen dieses Hohen Hauses sein.
Die Personen jedoch, die ebenfalls hochgradig fehlsichtig sind und mit einer Brille einen höheren Visus als 0,3 erreichen können, erhalten seit der Ära Gerhard Schröder, SPD, im Jahr 2004 keine Leistungen mehr. Auch das Landesblindengeldgesetz schafft für hochgradig Sehschwache nur dann einen Ausgleich, wenn die Sehleistung
Dabei kann sich nun mal nicht jeder – und insbesondere im Zusammenhang mit der Korrektur hochgradiger Fehlsichtigkeit – die teuren Brillengläser leisten. Das führt praktisch dazu, dass manche Leute vollends darauf verzichten oder nicht passende Brillen tragen. Die Sachverständigenanhörung hat zudem deutlich gemacht, dass hier eine Regelungslücke für Menschen mit hochgradiger Fehlsichtigkeit, die keine finanziellen Leistungen nach dem Landesblindengeldgesetz oder über die gesetzlichen Krankenkassen erhalten, vorhanden ist. Gerade deshalb haben wir dieses Gesetz ausgearbeitet und lassen heute darüber abstimmen.
Zwar werden nach § 24 Abs. 1 Satz 1 SGB II und § 37 SGB XII Darlehen auch für Sehhilfen gewährt, allerdings müssen diese aufwendig beantragt und in der Folge auch wieder zurückgezahlt werden. Da insbesondere Rentner, Geringverdiener bzw. Bezieher von Leistungen nach dem SGB II oder SGB XII mit der Rückzahlung Schwierigkeiten haben und womöglich erst gar keinen Kredit bekommen, erscheint ein Landeszuschuss für Sehhilfen angezeigt, bis auf Bundesebene wieder entsprechende Leistungen im Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenkassen verankert werden.
In der Anhörung ist auch zum Tragen gekommen, dass bei uns Menschen circa 80 % der Sinneswahrnehmungen über das Sehen stattfinden und viele Unfälle durch ungenügendes Sehen bzw. Erkennen verursacht werden. Hier sei auf den Zusammenhang zwischen dem Sehen und der Reaktionsfähigkeit beispielsweise bei Gefahrensituationen hingewiesen. Ich möchte hierbei den Sachverständigen und Optikermeister Schaufel zitieren: „Gutes Sehen bedeutet hohe Leistungsfähigkeit im beruflichen Leben, Wohlfühlen in der Freizeit, Sicherheit vor allem im Straßenverkehr.“ Und allein das müsste unser aller Anliegen sein, Herr Gebhardt.
Ich denke auch, dass Sie und die anderen Fraktionen unserer Meinung sind, denn anderenfalls hätten Sie sich im Rahmen der Sachverständigenanhörung geäußert und Fragen gestellt. Aber es wurden keine Fragen gestellt und zudem auch nur sehr wenige Sachverständige bestellt. Das zeigt eindeutig, dass Sie für diesen Personenkreis scheinbar nichts übrig haben.
(Valentin Lippmann, GRÜNE: Sie bestellen manchmal auch keine Sachverständigen in anderen Ausschüssen!)
Herr Lippmann, darauf habe ich gewartet. Es ist hervorragend, dass Sie dieses Argument anbringen. Das zeugt von Ihrer geistigen Reife. So!
(Lachen bei den LINKEN – Unruhe im Saal – Rico Gebhardt, DIE LINKE: Das zeugt jetzt auch nicht von Ihrer geistigen Reife!)
Doch da als einziges potenzielles Argument gegen unseren Gesetzentwurf die Gesetzgebungskompetenz in Zweifel gezogen wurde, möchten wir hier ganz klar unsere abweichende Meinung vertreten. In der Bundesdrucksache 15/1525, aus der die Leistungskürzung auf medizinisch notwendige Ausnahmefälle hervorgeht,
wurde klar ausgeführt: „Bei Erwachsenen wird der Leistungsanspruch auf zwingend medizinisch notwendige Ausnahmefälle begrenzt.“ Weiter heißt es: „Über die genannten Personenkreise hinaus besteht für Versicherte im Rahmen der gesetzlichen Krankenversicherung kein Leistungsanspruch auf die Versorgung mit Sehhilfen.“ Ich wiederhole: „… im Rahmen der gesetzlichen Krankenversicherung“. Isoliert betrachtet könnte man den Eindruck gewinnen, dass der Bund hier bewusst eine Regelungslücke offengelassen und damit die konkurrierende Kompetenz des Landes verbraucht hat. Aber dem ist nicht so; denn die Begründung bezieht sich ausdrücklich auf die gesetzliche Krankenversicherung.
Da sich unser Gesetzentwurf allerdings nicht in den Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenversicherung einmischt
und lediglich von einem normativ sehr hoch angesiedelten Budgetrecht des Parlaments zur Unterstützung einer sozial vernachlässigten Gruppierung Gebrauch macht, kann darin kein Widerspruch zum Bundesgesetz ausgemacht werden. Ich freue mich auf die zweite Runde.
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Lieber Herr Wendt, ich nehme an, der Himmel ist schwarz – zumindest interpretieren Sie das so. Für mich ist und bleibt er blau. Aber ich komme zu dem, was Sie vorgelegt haben.
Der vorliegende Gesetzentwurf der AfD-Fraktion erscheint beim ersten Lesen durchaus überlegenswert; denn er hat zum Ziel, eine scheinbare Lücke der Leistungen der gesetzlichen Krankenversicherung zu schließen. Leistungen für Menschen mit nicht unerheblichen Sehbehinderungen zu erbringen lässt sich politisch sehr gut verkaufen. Leider bleibt nahezu immer unerwähnt, dass diese Mehrleistungen von allen Bürgerinnen und Bürgern zu erbringen sind, die die Werte erarbeiten und Steuern und Beiträge zahlen, von denen wir alle tagtäglich leben. Wir, meine sehr geehrten Damen und Herren, verteilen nur um.
Nun zum eigentlichen Sachverhalt: Die gesetzliche Krankenversicherung zahlt Zuschüsse bei Sehbehinderung bis zum 18. Lebensjahr. Das heißt, Kinder und Jugendliche, die noch nicht für ihren eigenen Lebensunterhalt sorgen können, sind nicht betroffen. Tatsächlich besteht danach nur noch ein Leistungsanspruch auf Sehhilfe, wenn aufgrund einer Sehschwäche auf beiden Augen eine schwere Sehbeeinträchtigung mindestens der Stufe 1 vorliegt. Das heißt, die Sehleistung bei bestmöglicher Korrektur ist kleiner oder gleich 0,3 auf beiden Augen.
Die Intention der AfD-Fraktion ist es nun, für relativ finanzschwache Betroffene eine Unterstützung zu gewähren. Zu diesem Gesetzentwurf hat es selbstverständlich im zuständigen Ausschuss eine Anhörung gegeben. Herr Wendt erwähnte das. In dieser Anhörung wurde deutlich, warum dieser Vorstoß der AfD zurückzuweisen ist.
Die Gesetzgebungskompetenz – ich denke, das hat Ihr Sachverständiger sehr klar und eindeutig auch auf Ihre Nachfrage hin beantwortet – liegt ausschließlich beim Bund und nicht beim Land. Der § 33 Hilfsmittel des SGB V hat auch nicht versehentlich eine entsprechende Regelung nicht aufgenommen, sondern diese scheinbare Lücke bewusst im Gesetz etabliert. Es ist aus meiner Sicht heute müßig, hier und jetzt darüber zu spekulieren, welche Gründe es damals dafür gab. Dazu sollten wir die Damen und Herren Bundestagsabgeordneten fragen, die diesem Gesetz zugestimmt haben.
Warum Sie aber, meine Damen und Herren von der AfD, diesen Gesetzentwurf dennoch trotz Ihres Sachverständigen, der das zurückgewiesen hat, im Plenum zur Endabstimmung einbringen, obwohl die Anhörung klar die ausschließliche Gesetzkompetenz beim Bund festgestellt hat, bleibt Ihr Geheimnis. Leider komme ich nicht umhin, Populismus dahinter zu vermuten.
Der Vollständigkeit halber sei erwähnt, dass dennoch kein Betroffener auf entsprechende Sehhilfsmittel verzichten muss, weil mindestens – wie Sie es erwähnten – ein Darlehen entweder vom Jobcenter oder vom Sozialamt je nach Zuständigkeit gewährt wird. Ja, ein Darlehen ist zurückzuzahlen. Aber es muss tatsächlich keiner sein Leben mit erheblichen Seheinschränkungen meistern.
Ich darf einen anderen Sachverständigen, einen Praktiker zitieren, der in der oben erwähnten Anhörung zum Ausdruck brachte, dass es aus seiner Sicht bisher immer eine Lösung gab.
Nun die Fraktion DIE LINKE. Für den Abg. Wehner springt Frau Abg. Lauterbach ein. Vielen Dank, Frau Lauterbach. Sie haben das Wort.
Sehr geehrter Herr Präsident! Werte Damen und Herren Abgeordnete! Hilfsmittel wie Brillengestelle oder Brillengläser trägt die Krankenkasse – außer in Einzelfällen – nicht. Sie müssen selbst zahlen, auch wenn jemand Grundsicherungsleistungen erhält. Es gibt Ausnahmen für sehr stark sehbehinderte Menschen oder für Menschen unter 18 Jahren, die hier schon genannt wurden.
Bei stark sehbehinderten Menschen kommt die Übernahme der Kosten für eine Sehhilfe als Leistung zur Teilhabe am Arbeitsleben oder zur Teilhabe am Leben in einer Gemeinschaft in Betracht. Das sind § 33 Abs. 8 Nr. 4 und § 55 Abs. 2 Nr. 7 SGB IX. Hier ist das geregelt.
Werte Abgeordnete! Das Problem der Kostenübernahme von Brillen ist schon seit Langem bekannt. Der Gesetzgeber, die Bundesebene, belastet zum Beispiel die Regelsätze von Menschen im ALG-II-Bezug mit Anteilen einmaliger Leistungen der Krankenhilfe und hat dementsprechend keinerlei Regelungen über eine etwaige Anpassung der Regelsätze getroffen.
Bereits am 23. Juli 2014 reklamierte das Bundesverfassungsgericht hier Handlungsbedarf. Das ist schon über zwei Jahre her. Ich zitiere: „Es kann eine Unterdeckung entstehen, wenn Gesundheitsleistungen wie Sehhilfen weder im Rahmen des Regelungsbedarfes gedeckt werden können noch anderweitig gesichert sind.“ Bis jetzt gibt es auf Bundesebene keine Regelungen, die diese Probleme beseitigen.
Der Versuch, mit diesem Gesetzentwurf Änderungen herbeizuführen, ist sicherlich nachvollziehbar. Wir können dennoch nicht zustimmen, weil wir der Auffassung sind, dass durch Ihren Vorschlag das grundsätzliche Problem an sich nicht gelöst wird; denn die Leistungslücke im Sozialgesetzbuch V besteht unverändert weiter. Dieser Mangel ist nur zu beheben, wenn die Versorgung mit Brillen einschließlich Brillengläsern wieder in den Hilfsmittelkatalog aufgenommen und eine Leistung der Gesetzlichen Krankenversicherung wird. Selbstverständlich muss der Leistungsumfang dabei so bemessen sein, dass besonders Personen mit geringem Einkommen die Deckung der erforderlichen Gesundheitsleistung zu sichern ist.
Meine Damen und Herren! Die SPD-Fraktion ist an der Reihe. Frau Abg. Kliese hat als nächste Rednerin das Wort. Bitte sehr, Frau Kliese.
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Menschen unterstützen zu wollen, die sich aufgrund einer finanziell schwierigen Lage nicht die passenden oder geeigneten Sehhilfen
leisten können, ist ein Ansinnen, das ich durchaus nachvollziehen kann. Ganz ähnlich geht es zum Beispiel schwerhörigen Menschen. Schwerhörige Menschen
können aufgrund des Anrechts auf ein Hörgerät, welches ihnen die Kasse finanziert, ungefähr 40 oder 50 % dessen hören, was wir hören können. Es handelt sich sozusagen um ein Kassengerät. Es ist ein sehr großer Nachteil mit Blick auf die Lebensqualität. Sehen und Hören sind wichtige Sinne, sie tragen deutlich zur Lebensqualität bei. Es ist unsere Pflicht, diesen Menschen, die diese Sinne von Natur aus nicht oder nur eingeschränkt zur Verfügung haben, die Ersatzmöglichkeiten zur Benutzung dieser Sinne bestmöglich zu finanzieren.
Ich persönlich finde es sehr wichtig, dass wir immer wieder mit diesen Menschengruppen in Kontakt kommen und mit ihnen das Gespräch suchen, um uns in ihre Lage hineinzuversetzen. Es ist für jeden von uns gut, sofern sich im Freundes- oder Bekanntenkreis keine dieser Personengruppen befindet, sich einmal in das Leben eines blinden, sehbehinderten oder hörgeschädigten Menschen hineinzuversetzen. Man kann spüren, wie stark einen das von den Menschen oder von den Dingen trennt.