Protokoll der Sitzung vom 01.02.2017

Noch einmal zur Untermauerung der Forderung kurz die Zahlen; die Jagdstatistik belegt die wachsenden Zahlen. Ohne dass der gezielte Jagddruck auf Marderhund und Waschbär ansteigt, lassen sich ständig steigernde Strecken mit großer Wahrscheinlichkeit auch auf ansteigende Populationsdichten schließen: für den Waschbär zum Beispiel im letzten Jahr von 15 auf 16, ein Plus von 10 %, für den Marderhund von 15 auf 16, ein Plus von 16 %. Das potenziert sich dann immer schneller.

Geht man nur ein paar Jahre zurück, so fällt auf, dass der Zuwachs noch erschreckender ist. Im Jahr 2012/2013 wurden erstmals in Deutschland 100 000 Waschbären

erlegt, 47 % mehr als im Vorjahr. Innerhalb von zehn Jahren ist die Zahl der erlegten Tiere sogar um mehr als 3 000 Prozentpunkte gestiegen. Beim Marderhund ist die Entwicklung ähnlich.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, unser Antrag und die heutige Debatte sollen auf ein bestehendes Thema im Land aufmerksam machen und den Menschen bestehende Möglichkeiten zeigen und neue Wege anstoßen, die weitere Ausbreitung von Waschbär, Marderhund und Mink in der Stadt und auf dem Land zu verhindern.

Ich bitte um Zustimmung zu unserem Antrag.

(Beifall bei der CDU, der SPD und der Staatsregierung)

Meine Damen und Herren, nun die SPD-Fraktion, Frau Abg. Lang. Bitte sehr, Sie haben das Wort.

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Waschbär sieht zwar niedlich aus, aber seine rasche Ausbreitung und seine enorme Anpassungsfähigkeit machen ihn mittlerweile zum Problem in Sachsen. Etliche Bürger, Landwirte und Jäger haben mich dazu angeschrieben und ihre Beobachtungen und Sorgen geschildert. Dabei ist der Waschbär nicht nur für die Landwirtschaft und in Wohngebieten ein Problem – viele können sicher ein Lied davon singen –, sondern auch für unsere heimische Tierwelt und ganz besonders für die Vögel. Gleiches trifft auf Mink und Marderhund zu.

Es handelt sich bei allen drei Säugetierarten um Tiere, die in unseren Breitengraden nicht ihre ursprüngliche Heimat haben. Sie besitzen bei uns keine natürlichen Feinde – anders als in ihren Ursprungsländern. Dadurch breiten sie sich rasch aus und verdrängen einheimische Tierarten. Der Marderhund ist ursprünglich in Ostasien beheimatet. Der Waschbär stammt, ebenso wie der Mink, aus Nordamerika. Ja, es ist richtig, alle drei Tierarten kamen durch den Menschen für die Produktion von Pelzen nach Deutschland. Später wurden die Tiere entweder bewusst freigesetzt oder entkamen den Pelzfarmen.

Jene Probleme, die wir heute haben, sind also die Resultate unseres eigenen Handelns. Nein, ich möchte an dieser Stelle keine Moraldebatte führen, denn wir müssen jetzt mit der Problemlage umgehen können. Ausgehend von den Jagdstrecken kann man Rückschlüsse auf die Entwicklung der Population ziehen. Der Sächsische Jagdverband hat etwa im Rahmen der Wildtiererfassung 2013 auch den Waschbären und den Mink berücksichtigt. Die Population ist um mehr als 20 % angewachsen. Waren es im Jagdjahr 2010/2011 noch 2 241 Waschbären, so erhöhte sich die Zahl 2015/2016 auf 9 889. Deutschlandweit wird von einer Zahl von mehr als einer Million Individuen ausgegangen.

Der Waschbär hat sich in den vergangenen Jahren in seinem Verbreitungsgebiet nahezu verdoppelt. In Sachsen kommt er vor allem in den östlichen und nördlichen

Regionen vor, aber auch in anderen Regionen Sachsens ist der Waschbär mittlerweile heimisch geworden, und er wird sich weiter ausbreiten, da die Jungtiere neue Lebensräume erschließen.

Für den Mink sehen die Zahlen nicht viel anders aus. Er kommt in 19 % aller der in der Erfassung beteiligten Reviere vor. Das Tier verbreitet sich hauptsächlich entlang der Flüsse wie Elbe oder Mulde.

Sehr geehrte Kollegen, problematisch ist die Ansiedlung neuer Arten immer dann, wenn diese Arten ökonomischen und ökologischen Schaden anrichten. Bei Waschbär, Mink und Marderhund ist dies der Fall. Auch wenn es noch nicht sehr viele wissenschaftliche Untersuchungen gibt, so sind laut Beobachtungen von Jägern und Vogelschützern die Hinweise eindeutig. Als Beispiel möchte ich hier die Beobachtungen der Vogelschutzwarte Neschwitz nennen. Bei den Arten Mink und Marderhund sind es vor allem Auswirkungen auf Wasservögel und Koloniebrüter. Beim Waschbären kommt hinzu, dass er sehr gut klettern kann. Er kann sich also auch an Nestern auf den Bäumen zu schaffen machen. Dort frisst er die Eier und tötet die Jung- und Muttertiere.

Besonders verdrängt werden wohl die Arten Lachmöwe, Schwarzkopfmöwe und Flussseeschwanzschwalbe in Sachsen. Vom Teichgebiet in Moritzburg ist sogar zu beobachten, dass sich der Waschbär auch Kraniche und Eulen holt. Nicht ohne Grund findet sich der Waschbär daher auf der EU-Liste der invasiven Tierarten.

Auch der Waschbär verdrängt durch seine Beutezüge nicht nur einheimische Tiere, sondern richtet auch ökonomischen Schaden an. Er macht sich gern auf Feldern und in Gärten zu schaffen, plündert Obstplantagen und Weinberge. Die genaue Schadenshöhe ist schwer zu beziffern. Da der Waschbär sehr geschickt ist, kann er zudem Hasen- und Hühnerställe öffnen. Seine Anpassungsfähigkeit und Zudringlichkeit machen ihn in den bewohnten Gegenden zunehmend zu einer Plage. Dort findet er genügend Nahrung und als Allesfresser bedient er sich an allem, was er finden kann. Es gibt zum Beispiel Berichte über Waschbären, die durch Katzenklappen schlüpfen und dann im Haus randalieren, Nahrungsmittel anfressen und Müllbehälter umkippen, ja, sogar an Baustoffen nagt der Waschbär.

Deshalb ist es dringend notwendig, dass wir die Bevölkerung aufklären, was man tun kann, um den Waschbären fernzuhalten. Auf alle Fälle gilt: nicht füttern, so niedlich dieses Tier auch aussieht. Jeder muss wissen: Der Waschbär wird schnell durch offenstehende Nahrungsmittel oder Reste in der Biotonne angelockt, ebenso durch Hunde- und Katzenfutter.

Liebe Kollegen, mit unserem Antrag fordern wir die Staatsregierung auf, Maßnahmen zu prüfen und einzuleiten, die wirksam verhindern, dass sich der Waschbär und die beiden anderen Arten weiter ausbreiten. Ein besonderer Aspekt dabei ist die Sensibilisierung der Bevölkerung. Gemeinsam mit Wissenschaftlern und Wirtschaftsvertretern müssen geeignete Schutzregelungen gefunden wer

den. Ich denke dabei zum Beispiel an vermehrte Schutzvorkehrungen für Vögel, ebenso an spezielle Projekte, um Schäden auf Feldern möglichst gering zu halten. Wir werden in unseren Breitengraden mit Waschbär, Mink und Marderhund künftig leben müssen. Trotz ganzjähriger Jagdzeit wird es selbst mit großem Aufwand kaum möglich sein, die Entwicklung komplett rückgängig zu machen. Doch unser Ziel muss sein, die Population möglichst kleinzuhalten.

Vielen Dank.

(Beifall der SPD, der CDU und der Staatsregierung)

Meine Damen und Herren, nun die Fraktion DIE LINKE. Frau Abg. Kagelmann, bitte sehr.

Vielen Dank, Herr Präsident! Werte Damen und Herren Abgeordnete! Wenn wir uns in jeder Landtagssitzung um eine Tier- oder Pflanzenart kümmern würden, die sich – gewollt oder ungewollt – in unseren Gefilden wieder oder neu breitmacht und dadurch Konflikte auslöst, dann hätten wir für die nächsten Legislaturperioden genug Gesprächsstoff.

(Christian Piwarz, CDU: Dann schreiben Sie doch schon mal Anträge!)

Auf das dahinterliegende Dilemma, den fortgesetzten Regulierungskreislauf für die Auswüchse unserer egomanen Produktions- und Lebensweise, hatte ich bereits bei unserer Debatte um den Wolf im Dezember angespielt.

(Christian Piwarz, CDU: Sie können ja den Juchtenkäfer nehmen!)

Ich hatte auf die stetig wachsende Liste von problematisierten Arten verwiesen. Jetzt also Marder, Waschbär und Mink.

(Christian Piwarz, CDU: Marderhund!)

Auch diese drei pelzigen Gesellen sind Immigranten – nicht ganz freiwillige allerdings. Nun geht’s ans Integrieren, und da führen auftretende Konflikte schnell zu Extrempositionen, das kennen wir ja.

(Heiterkeit bei den LINKEN)

Allerdings ist der Frontverlauf in dieser Debatte etwas unübersichtlicher, weil auch Naturschützer noch keine einheitliche Position zum Umgang mit gebietsfremden, invasiven Arten gefunden haben.

(Lachen bei der AfD)

Die Kiste scheint tatsächlich festgefahren. Da wird beispielsweise in einer Radiosendung des MDR 2016 berichtet, dass der Waschbär den Fuchs aus seinem Lebensraum verdrängt – seinem Lebensraum Großstadt in diesem Fall.

Wenn man sich allerdings nur die Entwicklung der Jahresjagdstrecken 2014/2015 in der Bundesrepublik anschaut,

dann scheint übermäßige Sorge um Reineke unbegründet zu sein; denn allein in der genannten Jagdsaison wurden über 20 % mehr Füchse – übrigens in der gleichen Größenordnung auch mehr Waschbären – gegenüber dem Vorjahr erlegt. Die Population der Füchse scheint also nicht bedroht zu sein, auch nicht durch den Waschbären.

Ähnliches kann man herauslesen, wenn man sich die Jagdstreckenentwicklung für Raubtiere bis 2013/2014 in Sachsen anschaut. Seit Jahren steigt die Anzahl der gejagten Waschbären, Marderhunde und Minke, aber beispielsweise auch die des einheimischen Dachses. Rückläufig entwickelten sich dagegen die Jagdstrecken für Fuchs und Marder.

Im Vergleich ergibt sich für heimische Raubtiere wie für Neuankömmlinge zusammen trotz extremer Steigerungen auf der einen Seite eine relativ stabile Gesamtzahl von rund 27 000 erlegten Raubtieren. Die Anzahl der Prädatoren bleibt demnach offenbar annähernd gleich.

Im Jahr 2016 schlugen Meißner Ornithologen Alarm, nachdem der Waschbär eine Graureiherkolonie auf der Elbinsel Gauernitz ausgerottet hatte. Diese Tatsache will ich gar nicht leugnen. Waschbären plündern Nester heimischer Vögel. Aber nicht nur sie!

Jetzt sorgt man sich um weitere geschützte Vogelarten. Was aber wäre, wenn heimische – und möglicherweise ebenfalls seltene – Raubtiere diese Vogelnester ausgeräumt hätten, beispielsweise der Europäische Nerz? Dieser gilt allerdings als ausgerottet. Wäre dann der Aufschrei auch so groß gewesen?

In Sachsen-Anhalt wurde die Konfliktsituation Waschbär gegen Graureiher wissenschaftlich untersucht. Bei einer Graureiherkolonie im Salzlandkreis konnte man nachweisen, dass der Bestand an Brutpaaren proportional zur Ausbreitung des Waschbären kleinräumlich zurückgeht, aber der Gesamtbestand an Brutpaaren im Landkreis gleichgeblieben ist. Das Fazit für Sachsen-Anhalt: Der Waschbär führte zur Verdrängung des Graureihers aus einem konkreten Lebensraum, nicht aber zu seiner Ausrottung.

Diese Beispiele machen deutlich: Eine gebietsfremde Art kann schnell in Verruf geraten, wenn statt der Ursachen für ihre Ausbreitung zu stark auf isolierte Symptome von Artverlusten abgestellt wird. Anders gesagt: Es gibt nicht den einen Hauptfeind, sondern ein Zusammenspiel von vielen Faktoren, die Arten übermäßig bevorteilen oder benachteiligen und zu einer Bestandsgefährdung führen können.

Dem Graureiher – um bei dem Beispiel zu bleiben – wie Wildvögeln im Allgemeinen setzen eben Monokultur, Agrargifte und Überdüngung bis hin zu Infrastrukturanlagen mindestens genauso viel zu wie Nesträuber, von denen der Waschbär auch nur einer unter vielen ist. Der Ruf nach Entnahme von Pflanze oder Tier kommt schnell. Ein solcher Schritt muss aber sehr gut überlegt werden; denn eine Entnahme wirkt selten dauerhaft, häufig sogar kontraproduktiv. Manchmal ist der Vorgang auch rechtlich

umstritten. Die Fallenjagd kollidiert eben mit dem Tierschutz.

Andererseits bringt Schießen nicht viel. Bereits 2005 stellten die Wissenschaftler Langgemach und Bellebaum in einer Forschungsarbeit für das Landesamt für Umwelt Brandenburg zum Thema „Prädation und der Schutz bodenbrütender Vogelarten in Deutschland“ fest: „Die Ausbreitung und rapide Bestandszunahme von Marderhund und Waschbär wurden auch durch eine Bejagung ohne Schonzeit nicht ansatzweise verhindert, wahrscheinlich nicht einmal verlangsamt. Dasselbe ist für den Mink anzunehmen.“

Eines scheint jedoch sicher zu sein: Ökosysteme unterliegen dynamischen Veränderungen – heute mehr denn je, nicht zuletzt forciert durch Globalisierung und Klimawandel. Ein System, das nicht heimische Arten konsequent abgrenzt und bekämpft, kann es deshalb nicht geben. Und es ist auch unsinnig, weil sich die meisten dieser Invasoren ziemlich unspektakulär in den neuen Lebensraum einfügen und ihn sogar bereichern können, Stichwort: bienentrachtarme Landschaft.

In Europa geht man aktuell von über 12 000 nicht heimischen Arten aus. Lediglich 37 davon – Herr von Breitenbuch, Sie sagten es – attestiert die EU akute Gefahren für die biologische Vielfalt, aber zum Beispiel auch für die menschliche Gesundheit.

Zumindest unseren Waschbären finden wir auf dieser Liste. Hier kann es unter Umständen notwendig werden, steuernd einzugreifen. „Steuern“ heißt allerdings längst nicht zwingend schießen oder fangen. Das Spektrum an Maßnahmen ist breit.

Noch einmal zitiere ich aus der Forschungsarbeit von Langgemach und Bellebaum: „Auch gut begründete Schutzmaßnahmen können demnach schwer vorhersehbare Nebeneffekte haben, die den Erfolg dieser Maßnahmen infrage stellen. Die besondere Verantwortung des Naturschutzes besteht darin, die Lebensräume durch geeignetes Management so zu gestalten, dass sie den Zielarten günstige Reproduktionsbedingungen bieten und Prädation auf ein nicht bestandsgefährdendes Ausmaß verringert ist.“

Es geht also um intakte Lebensräume und weniger um die Ausrottung ausgewählter Arten.

Frau Kagelmann, gestatten Sie eine Zwischenfrage?