Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Wir haben heute von Ihnen, Herr Staatsminister Gemkow, eine klare Fehleranalyse erhalten. Zugutehalten muss ich Ihnen, dass Sie bereits vor der Veröffentlichung des Berichts Maßnahmen in Ihrem Haus eingeleitet haben. Aber der Reihe nach:
Es fing schon mit der erschütternden mangelhaften Kommunikation zwischen dem Ministerium, dem Amtsgericht und der Staatsanwaltschaft Dresden an. Nach dem Erlass des Haftbefehls, als klar war, dass al-Bakr nach Leipzig kommt, wussten allein die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in der JVA Leipzig davon nichts. Sie hatten keine Gelegenheit, keine Chance, sich darauf vorzubereiten, wer demnächst an ihrem Hafttor steht. Spezielle Maßnahmen konnten nicht ergriffen und ein Dolmetscher konnte nicht organisiert werden.
Ausgeführt haben Sie auch, dass die sächsischen Justizvollzugsanstalten über vorbildliche Suizidpräventionskonzepte verfügen. Dafür muss man auf jeden Fall noch einmal der Bundesarbeitsgemeinschaft und der Landesarbeitsgruppe Suizidprävention danken.
Doch alle Konzepte, alle Suizidpräventions- und besonderen Hafträume und Screeningbögen dieser Welt nützen nichts, wenn sie nicht umgesetzt werden und wenn sie nicht verfügbar sind. Ich war wirklich geschockt, als ich in der Zeitung lesen musste, dass drei von vier besonders gesicherten Hafträumen in der JVA überhaupt nicht nutzbar waren, weil sie sich im Bau befanden. Der Suizidpräventionsraum, der schon Ende letzten Jahres in Betrieb genommen werden sollte, ist es bis heute nicht. Ich frage mich: Was sind denn das für Zustände?
In der JVA selbst wurden Entscheidungen getroffen, die ich nicht nachvollziehen kann. Es erfolgte entgegen der Anweisung der Ermittlungsrichterin keine unverzügliche Untersuchung des Gefangenen. Obwohl sie vermerkt hat, dass hier eine Suizidgefahr besteht, wurde der Screeningbogen „Aufnahme“ nicht ausgefüllt. Die Bemühungen, einen Dolmetscher zu organisieren, wurden schnell aufgegeben. Zu dem Zeitpunkt, als al-Bakr im Gefängnis angekommen ist, befand sich im Haftkrankenhaus eine Mitarbeiterin mit psychologischen Kenntnissen. Allein sie wurde nicht zu al-Bakr geführt – nein, das hat aus unerfindlichen Gründen nicht stattgefunden.
Ich bin davon überzeugt, dass die Fehler Einzelner hier nicht im Mittelpunkt stehen, dass es kein individuelles Unvermögen ist. Vielmehr sind es strukturelle Probleme und Fehlplanungen, die das Ministerium zu verantworten hat. Es geht hier nicht nur um mangelndes Personal, es geht vor allem um unzureichende Strukturen, die jetzt analysiert und korrigiert werden müssen. Es geht aber auch um die Frage, ob die verbindlichen Vorgaben und Weisungen von den Bediensteten tatsächlich umgesetzt werden.
Anders kann ich mir die Versäumnisse nicht erklären, nicht nur im Fall al-Bakr, sondern auch jetzt bei dem Suizid, der sich am 12.01. in der JVA Leipzig zugetragen hat; denn in beiden Fällen entsprach die Aufnahme in der JVA nicht den Vorgaben und Standards. Al-Bakr wurde trotz richterlicher Anordnung und in Kenntnis seines Hungerstreiks nicht unverzüglich einem Arzt vorgeführt, obwohl sich in der Station ein Arzt befand. – Aber genug der Auflistung der Fehler.
Als Konsequenz haben Sie jetzt eine vierköpfige Stabsstelle im Justizministerium eingesetzt, die die von der Expertenkommission vorgeschlagenen Maßnahmen
umsetzen soll. Außerdem soll sie weitere Untersuchungen anstellen. Für mich ist die Einsetzung dieser Stabsstelle ganz klar ein Eingeständnis von schwerwiegenden Versäumnissen seitens des Ministeriums. Aber damit nicht genug. Die Einrichtung der Stabsstelle kommt einer faktischen Entmachtung und Desavouierung des Abteilungsleiters gleich. Oder wie soll ich das sonst verstehen?
Ist er nun für die Versäumnisse verantwortlich oder nicht? Mit der Stabsstelle allein werden Sie meiner Meinung nach die strukturellen Schieflagen im Ministerium jedenfalls nicht beheben.
Zusammengefasst wird vor allem dreierlei deutlich: Es ist erschütternd, aber es ist wahr; offenbar musste erst der Suizid eines mutmaßlichen Terrorverdächtigen in einer sächsischen Justizvollzugsanstalt geschehen, dass der Strafvollzug hier in Sachsen insgesamt auf den Prüfstand gestellt wird. Die von uns GRÜNEN geforderte Expertenkommission hat in ihrem schonungslosen Bericht die Missstände im Strafvollzug klar genannt. Den Befund, dass es zu wenig Personal gibt, diskutieren wir doch nicht erst seit dem Haushalt im Dezember, sondern schon seit Jahren hier in diesem Landtag. Aber offensichtlich braucht es den Befund von außen oder die klare Botschaft von außen, dass hier endlich etwas passiert.
Damit komme ich zu meinem zweiten Punkt: Die Fehler, die gemacht wurden, sind für mich kein Beweis dafür, dass es zu wenig Regeln oder Vorgaben gibt. Das Problem ist doch eher der Vollzug selbiger. Was nun ansteht, ist die Überprüfung von Abläufen und Vorgängen, und zwar nicht allein in der JVA Leipzig, sondern in allen Haftanstalten.
Punkt drei: Es wurde heute schon mehrfach genannt, dass die Vorschläge, die die Kommission gemacht hat, jetzt durch Ihr Ministerium geprüft werden, allen voran die Video-Dolmetscher-Systeme. Ich finde es richtig und gut, dass Sie jetzt überprüfen, inwiefern das hier in Sachsen eingesetzt werden kann. Wo ich wirklich skeptisch bin, Herr Modschiedler, das ist in der Tat die Einsetzung von Videoüberwachung in Hafträumen. Sie sagten gerade, es wäre einhellig gewesen. Nein, so einhellig war es eben nicht bei der Pressekonferenz. Frau Bennefeld-Kersten hat durchaus Bedenken angemeldet. Damals hat sich der sächsische Gesetzgeber ganz bewusst dagegen entschieden. Ich glaube, dass es damals wie heute richtig ist, es nicht zu machen. Aber ich bin gespannt auf Ihre Überprüfung.
Wir werden als GRÜNEN-Fraktion die Vorschläge, die jetzt im Raum stehen, kritisch begleiten, und wir werden auch selbst Vorschläge machen, nämlich heute Abend schon mit unserer Personalkommission. Herr Modschiedler, wir werden das noch gemeinsam diskutieren, und ich bin mir sicher, ich werde Sie davon überzeugen, –
Meine Damen und Herren! Gibt es noch weiteren Redebedarf vonseiten der Fraktionen? – Das scheint nicht der Fall zu sein. Damit ist die Aussprache zur Fachregierungserklärung beendet. Ich schließe den Tagesordnungspunkt.
Die Redner in der Reihenfolge: CDU, SPD, DIE LINKE, AfD, GRÜNE und die Staatsregierung, wenn sie es wünscht. Ich rufe jetzt die CDU-Fraktion, den ersten Redner auf. Herr Abg. Schiemann, bitte.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Als ich am Sonntag in Prag war und anlässlich der Überreichung des Deutsch-Tschechischen Journalistenpreises in dem Theater saß, konnte ich etwas erleben, was zum ersten Mal geschehen ist: dass der Deutsch-Tschechische Zukunftsfonds für die deutschen und tschechischen Journalisten mehrere Preise für journalistische Tätigkeit offeriert hat – jeweils mit dem Blick in das Nachbarland.
Ich habe mir dann gedacht, das ist, als ob ich mit den Augen des Nachbarn sehen lerne: respektvoll zu sehen, was im Nachbarland geschieht, und respektvoll darauf zu achten, was unsere Nachbarn tun – die tschechische Seite in Deutschland und die deutsche Seite in der Tschechischen Republik –, gleichsam Vertrauen und Verantwortung.
Nach der Veranstaltung gab es dann einen wie immer sehr, sehr angenehmen Empfang, sehr gastfreundlich, wie wir es in der Tschechischen Republik gewöhnt sind. Das Interessante war, dass unter den 200 geladenen Gästen knapp die Hälfte junge Leute unter 30 Jahren waren, die weit weg von den Erlebnisgenerationen sind, die Krieg und Vertreibung erlebt haben.
Interessant war die Debatte, die die jungen Leute geführt haben. Die Debatte zeigte wiederum diesen Blick in das
Nachbarland und die Diskussion über Themen, die sich für diese junge Generation ergeben. Ich war sehr berührt, als ich das eine oder andere Gespräch besonders der jungen Leute erlebt habe.
Nun werden Sie fragen: Was hat das mit der DeutschTschechischen Erklärung zu tun? Ich denke, es hat damit sehr viel zu tun, denn das ist erlebte Erklärung im tatsächlichen Leben – von einer Generation, die einen sehr großen Abstand zur Erlebnisgeneration hat. Ich glaube, das ist ein Zeichen dafür, dass ein Projekt von über 9 500 Projekten in den letzten Jahren durch Initiativen und Gespräche auf den Weg gebracht worden ist.
Die Initiatoren, die 1997 die Deutsch-Tschechische Erklärung vorbereitet haben, sind auch bei denjenigen zu suchen, die 1989 die Samtene Revolution und in unserem Land die Friedliche Revolution vorbereitet haben, denn dort ist das Fundament für ein besseres Verständnis unserer Nachbarländer gelegt worden. Natürlich ist es ganz normal, dass Vaclav Havel neben Bundeskanzler Helmut Kohl einer der Unterstützer gewesen ist, die sich auf diesen Weg begeben haben. Auch Verheugen und Weisskirchen von der SPD sind Namen, die ganz deutlich zu benennen sind.
Die Deutsch-Tschechische Erklärung von 1997 zeichnet quasi einen Neubeginn zwischen Deutschland und der Tschechischen Republik. Zum ersten Mal konnte über Krieg, die Okkupation der Tschechoslowakei, Zwangsarbeit und die Opfer des Nationalsozialismus, aber auch über die Vertreibung der Sudetendeutschen auf Augenhöhe gesprochen werden. Bei der Unterzeichnung der
Erklärung sagte Bundeskanzler Helmut Kohl 1997: „Unsere gemeinsame Erklärung soll helfen, den Teufelskreis gegenseitiger Aufrechnung und Schuldzuweisungen zu durchbrechen. Wir dürfen nicht Gefangene der Vergangenheit bleiben.“
Beide Seiten haben sich klar festgelegt: „Die deutsche Seite würdigt die Opfer nationalsozialistischer Gewaltherrschaft und diejenigen, die dieser Gewaltherrschaft Widerstand geleistet haben.“ „Die deutsche Seite bekennt sich zu ihrer Verpflichtung und Verantwortung gegenüber all jenen, die Opfer nationalsozialistischer Gewalt geworden sind.“ „Die tschechische Seite bedauert, dass durch die nach dem Kriegsende erfolgte Vertreibung sowie zwangsweise Aussiedlung der Sudetendeutschen aus der damaligen Tschechoslowakei, die Enteignung und Ausbürgerung unschuldigen Menschen viel Leid und Unrecht zugefügt wurde, und dies auch angesichts des kollektiven Charakters der Schuldzuweisung.“
Dieses Schuldbekenntnis hat den Weg zur Versöhnung zwischen Deutschen und Tschechen freigemacht und ist damit ein Fundament für Vertrauen und gute Nachbarschaft für alle nachfolgenden Generationen.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Lieber Herr Schiemann, ich war nicht am Wochenende, sondern gestern in Prag und habe mich gewundert, war überrascht, dass die Tatsache, dass wir heute im Landtag dieser Erklärung gedenken, dort bekannt war und ich darauf angesprochen wurde. Das heißt, es wird also sehr wohl vermerkt, gerade auch in Prag, dass wir uns mit der gemeinsamen Geschichte beschäftigen und uns auch Gedanken darüber machen, was sich in den vergangenen Jahren verändert hat, was besser geworden ist und was vielleicht noch besser werden muss.
Nach meiner Überzeugung wäre es falsch, die Erklärung als Ausgangspunkt des deutsch-tschechischen Verhältnisses zu bezeichnen. Dieses Verhältnis gab es zuvor natürlich längst. Es gab die lange, jahrhundertealte gemeinsame Kulturgeschichte.