Protokoll der Sitzung vom 01.02.2017

Nach meiner Überzeugung wäre es falsch, die Erklärung als Ausgangspunkt des deutsch-tschechischen Verhältnisses zu bezeichnen. Dieses Verhältnis gab es zuvor natürlich längst. Es gab die lange, jahrhundertealte gemeinsame Kulturgeschichte.

Es gab traumatische Erfahrungen wie den deutschen NSStaat, der seine Nachbarn 1939 überrollte und eine tödliche Schreckensherrschaft errichtete. Wie die DDR war die Tschechoslowakei ein Satellitenstaat der Sowjetunion geworden. Die Tschechoslowakei spielte eine wichtige Rolle bei dem Fall des Eisernen Vorhangs und der Wiedervereinigung Deutschlands. Bereits 1992 gab es den Vertrag über gute Nachbarschaft, der fortgalt, als sich der

Staat am 31.12.1992 in die Tschechische Republik und die Slowakische Republik trennte.

Die Umbrüche der Neunzigerjahre haben den Menschen in der Tschechischen Republik wie in Deutschland, namentlich auch in Sachsen, viel abverlangt. Aber es war in diesen Jahren mehr verdrängt als darum gerungen worden, wie man mit den Dramen der gemeinsamen Geschichte, dem Einmarsch Deutschlands in der Tschechoslowakei am 15. März 1939, der Zeit von Verfolgung und Holocaust und der daraus folgenden Flucht und Vertreibung nach 1945 umgehen sollte.

Meine Damen und Herren! Der eigentliche Gegenstand der Erklärung war es, die Wahrheit zu sagen. Deutsche und Tschechen sollten von den wechselseitigen Vorbehalten dadurch befreit werden, dass die Vorwürfe nicht im Ungefähren blieben, sondern offen ausgesprochen und aufgeschrieben wurden. Beide Seiten bekannten sich zu dem, was geschehen war, was ihre Nationen verursacht und erlitten hatten.

Vaclav Havel formulierte es am 24. April 1997 in seiner Rede vor dem Bundestag in Bonn folgendermaßen: „Die Deutsch-Tschechische Erklärung schafft, indem sie uns alle von der Angst vor der Wahrheit befreit, sowohl für die Entwicklung unseres nachbarschaftlichen Zusammenlebens als auch für die Zusammenarbeit auf der europäischen Bühne ein außerordentlich günstiges Klima.“ Präsident Havel spannte diesen Bogen also weiter. Er übertrug die erhoffte Erfahrung eines solchen heilsamen Prozesses auf das Zusammenleben aller Völker in Europa.

Meine Damen und Herren, der 20. Jahrestag dieser Erklärung ist eine Gelegenheit, eine Zwischenbilanz zu ziehen, welche Hoffnungen sich erfüllt haben und wohin dieser gemeinsame Weg geführt hat.

Den Medien entnehme ich, dass trotz eines erkennbaren Rechtsradikalismus bei uns und in anderen Teilen Europas sich das Feindbild bisher nicht gegen die Nachbarn in Europa, sondern gegen Flüchtende aus anderen Teilen der Welt richtet, die angeblich unsere Sicherheit einschränken. Das Muster entspricht den alten Vorbehalten gegen das Fremde, aber die Nachbarn mit der anderen Sprache scheinen bisher nicht darunter zu fallen.

In der persönlichen politischen Erfahrung kann ich sagen, dass ich in den letzten zwei Jahrzehnten viele neue Kontakte auch in der Tschechischen Republik gefunden habe und dass es einfach ist, sie zu pflegen. Es gibt wenig Vorbehalte. Im täglichen Umgang sind sogar Ironie und Selbstironie möglich. Das gilt auch für die Bühne und das Kabarett, wo Deutsche immer noch gerne als Preußen mit Pickelhaube, Tschechen weiterhin als schlitzohriger, braver Soldat Schwejk karikiert werden. Beide Seiten können darüber inzwischen lachen. Insofern scheint die Therapie, die Wahrheit auszusprechen und mit ihr umzugehen, durchaus wirksam zu sein. Wenn man kollektive Vorbehalte verschiedener Völker gegen persönliche Erfahrungen im Umgang miteinander eintauschen kann, bleibt von Feindseligkeit und Vorurteilen wenig übrig.

Lassen Sie mich mit einem Zitat von Vladimír Špidla schließen, dem ehemaligen Ministerpräsidenten der Tschechischen Republik und EU-Kommissar. Er sagte: Dank der Deklaration wurde aus einem korrekten Umgang eine gute Nachbarschaft und aus der guten Nachbarschaft eine freundliche Beziehung.

Bitte kommen Sie zum Ende.

Dem ist nichts hinzuzufügen.

Ich danke Ihnen.

(Beifall bei der SPD, der CDU und der Staatsregierung)

Für die Fraktion DIE LINKE spricht Herr Abg. Kosel; bitte.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Eine Aktuelle Debatte zu einem zwischenstaatlichen Dokument zu führen, das 20 Jahre alt ist, ist gelinde gesagt bemerkenswert. Da ich nicht weiß, liebe Kolleginnen und Kollegen von CDU und SPD, in welchem Umfang die hier angesprochene Selbstironie in Ihren Reihen zu Hause ist, erspare ich Ihnen die Frage, wie es denn sein kann, dass es so lange gedauert hat, bis Sie von dieser Deutsch-Tschechischen Erklärung Kenntnis nehmen.

Ich hätte es für sinnvoller gehalten, wir hätten uns zum aktuellen Deutsch-Tschechischen Strategischen Dialog verständigt, der gegenwärtig durch beide Außenministerien ins Werk gesetzt wird und zu dem die Bundesländer, die Parlamente und die Gebietskörperschaften auch hier bei uns zu Lande ausdrücklich eingeladen sind. Gleichwohl, gerade für uns im Freistaat Sachsen ist es – nicht nur, aber nicht zuletzt auch aufgrund unserer geografischen Lage – immer sinnvoll, sich zur aktuellen Politik und zur aktuellen Partnerschaft mit unseren tschechischen Nachbarn zu verständigen.

Schauen wir uns also die Deutsch-Tschechische Erklärung etwas näher an! In der Politik ist ja oft von Chancen und Risiken die Rede. Diese Deutsch-Tschechische Erklärung hat wie keine oder wie wenige andere gerade bei ihrem Zustandekommen Risiken und Chancen in sich vereint. Das zeigte sich schon bei der damaligen Debatte in den beiden Parlamenten. Im Deutschen Bundestag stimmten nach dreistündiger Debatte 577 Abgeordnete mit Ja – auch die Mehrheit der CDU/CSU-Fraktion. 20 Abgeordnete stimmten mit Nein, diese kamen alle aus der CDU/CSU-Fraktion. 23 Abgeordnete enthielten sich, davon auch einige aus der damaligen PDS-Fraktion. Im tschechischen Parlament war die Debatte viel intensiver. Sie reichte bis tief in die Nacht hinein. Schließlich stimmten 131 Abgeordnete zu, 59 Abgeordnete sahen sich dazu nicht in der Lage.

Die EU und der Europarat begrüßten die Erklärung. Die Sudetendeutsche Landsmannschaft lehnte sie ab; da, wie

es damals hieß, der Rechtsanspruch auf Heimat und deren Wiedergewinnung gefährdet war. Das war damals noch in § 3 Abs. 1 Punkt c als Satzungslage der Sudetendeutschen Landsmannschaft festgelegt. Das ist, Gott sei Dank, im Februar 2015 aufgehoben worden. – Die Kritik der LINKEN bezog sich darauf, dass die Erklärung dem deutschen Revanchismus und Änderungen der Eigentumsverhältnisse in der tschechischen Republik den Weg bereiten könnte.

Wie war es vor diesem Hintergrund möglich, dass unser Außenminister Steinmeier heute erklärt: „Die deutschtschechischen Beziehungen waren noch nie so gut“? – Lag es an der Erklärung? War sie genial? Oder hätte alles auch ganz anders kommen können?

Zwei Einrichtungen, die die Erklärung ins Werk gesetzt hat, haben auf jeden Fall Gutes geleistet: das DeutschTschechische Gesprächsforum und der Deutsch-Tschechische Zukunftsfonds. DIE LINKE hat sich im Sächsischen Landtag wie auch im Bundestag wiederholt für die Fortsetzung gerade dieses Deutsch-Tschechischen Zukunftsfonds eingesetzt.

Das Verdienst aber, dass wir heute die deutsch-tschechischen Beziehungen so analysieren können, wie es Minister Steinmeier getan hat, kommt zunächst den normalen Bürgerinnen und Bürgern beiderseits der Grenze zu. Wenn Bundeskanzlerin Merkel am 20. Januar 2017 erklärt hat, dass sie „mit Dankbarkeit und Stolz feststellen kann, dass der Geist der Erklärung gelebt wurde und wird“, dann trifft das auf die Bürgerinnen und Bürger uneingeschränkt zu; auf die damals Unterschrift leistende Regierung und die sie tragenden Fraktionen trifft es nicht in dem Maße zu. Zumindest sind Zweifel angebracht; denn selten ist ein zwischenstaatliches Dokument von Vertretern einer Vertragsseite – zumeist mit dem Parteibuch der CDU/CSU – so ignoriert und konterkariert worden wie die Deutsch-Tschechische Erklärung.

Aus Zeitgründen beschränke ich mich auf den Punkt IV. – Unter diesem Punkt ist die Aussage enthalten, dass sich beide Seiten bezüglich der tragischen Kapitel der Geschichte jeweils ihrer Rechtsordnung verpflichtet fühlen und respektieren, dass die andere Seite eine andere Rechtsauffassung hat. Beide Seiten erklären deshalb, die Beziehungen nicht mit aus der Vergangenheit herrührenden politischen und rechtlichen Fragen belasten zu wollen.

Schon Helmut Kohl hat in der Bundestagsdebatte zu dieser Erklärung gesagt: „Diese Erklärung stellt keinen Schlussstrich dar.“ – Ja, aber was dann? Theo Waigel hat gesagt: Sie ist nur ein „Zwischenschritt“. – Und da soll bei unseren tschechischen Partnern kein Misstrauen aufkommen? Theo Waigel erklärte, „am Ende des Weges soll die Anerkennung des Rechts auf Heimat stehen“. – Und das ist die Anerkennung der Rechtsauffassung der anderen Seite? Das ist das Nicht-Belasten mit Fragen der Vergangenheit?

Die Ablehnung der CDU/CSU-Bundestagsabgeordneten begründet sich unter anderem damit, dass – Zitat –: „Das

Heimatrecht der Sudetendeutschen müsse in der weiteren Ausgestaltung der deutsch-tschechischen Beziehung vor allem im Vorfeld der Mitgliedschaft der Tschechischen Republik in der Europäischen Union konkrete Möglichkeiten der Verwirklichung geschaffen werden.“ – Was ist das? Das ist die eklatante Missachtung der Rechtsauffassung der anderen Seite.

2002, 2003 gab es mehrere Anträge der Unionsfraktionen im Bundestag und einigen Landtagen, –

Bitte kommen Sie zum Ende.

– die darauf abzielten, unter anderem die Nachkriegseigentumsordnung in Tschechien – wie es hieß – „aus der Welt zu schaffen“.

Ich habe in der ersten Runde versucht, einige Fehler deutlich zu machen, die wir, wenn wir die deutschtschechischen Beziehungen wirklich positiv gestalten wollen, nicht wiederholen sollten.

Bitte kommen Sie zum Ende.

In der zweiten Runde werde ich zu den aktuellen und zukünftigen Herausforderungen Stellung nehmen.

Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.

(Beifall bei den LINKEN)

Die AfD-Fraktion, bitte; Frau Wilke.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Kollegen! Wir haben heute schon viel Lob für die intensiven Bemühungen um eine gute Nachbarschaft zu Tschechien gehört, viel Lob auch für wirtschaftliche Erfolge. Mit der Verlängerung des Zukunftsfonds um zehn Jahre und einer Aufstockung der Mittel um 35 Millionen Euro wird dafür wieder sehr viel Geld ausgegeben. – Wie uns Herr Schiemann berichtet hat, wurde erstmals ein Preis für eine ganz besondere Spezies verliehen, nämlich Journalisten, die differenziert und vorurteilsfrei über das jeweilige Nachbarland berichten.

Hier nun mein Blick auf diese Bemühungen: Die Vorgeschichte der deutsch-tschechischen Erklärung vom Januar 1997 beginnt schon in der Mitte des 19. Jahrhunderts, und Tschechien ist komplexer mit Mitteleuropa verflochten, als das bei anderen Nachbarschaftsverhältnissen der Fall ist. Deshalb trifft hier ganz besonders der Allgemeinplatz: Aller Anfang war – und ist – schwer, auch wenn er nun schon 20 Jahre zurückliegt. Die deutsch-tschechische Erklärung war eine schwierige Geburt. Viele Zeitbeobachter fürchteten eine Quelle fortwährender Querelen. Gott sei Dank kam es besser als befürchtet. Man kam weg von belauernden Verhandlungen und landete schließlich und endlich bei Gesprächen. – Wie sagte es der Prager Kor

respondent Jörg Schmidt 20 Jahre später treffend?

„… meine tiefe Skepsis am 21. Januar 1997 war der wohl schönste Irrtum meiner Prager Korrespondentenlaufbahn.“

Wir sind angekommen im Alltag guter Nachbarschaft. Die Autobahn nach Prag ist eröffnet; wer will, kann nun zum Frühstück von Dresden nach Prag fahren.

(Ines Springer, CDU: Das konnte man früher auch schon!)

Auch die Eisenbahnmagistrale Berlin – Dresden – Prag über Wien auf den Balkan nimmt konkretere Formen an. Von Beginn an hat sich die Euroregion Neiße mächtig ins Zeug gelegt, um das Dreiländereck attraktiv zu machen. Höhepunkt ist nun die gemeinsame Bewerbung von Polen, Tschechien und Deutschland für die Olympischen Winterspiele 2030.

Wie in allen Familien gibt es aber auch einmal Streit. So führen die GRÜNEN einen Glaubenskrieg gegen die Elbe als internationalem Schifffahrtsweg. Bei allem Für und Wider sollten wir aber den Wunsch Tschechiens auf einen ungehinderten Zugang zu internationalen Gewässern respektieren und auf die Kunst der Wasserbauer setzen, die durchaus widersprüchlichen Ziele zwischen Natur und Hochwasserschutz mit der Schiffbarkeit in Einklang zu bringen.

Kurz und gut, es sind nicht die praktischen Aspekte des Vertrags, die damals für gemischte Gefühle gesorgt haben, sondern die papierne Vereinbarung, dass das begangene Unrecht der Vergangenheit angehören soll – und das ist zwar gut gemeint, aber nicht wirklich gut; denn es ist nur auf die Vergangenheit bezogen und nicht auf die von der Vergangenheit bestimmte Zukunft.

Wo also liegen die Gemeinsamkeiten zwischen Deutschen und Tschechen, die gemeinsamen Ziele? Die wirtschaftliche und touristische Praxis allein kann es ja nicht sein. Wie sagte Václav Klaus kürzlich so treffend: „Die bilateralen Beziehungen sind hervorragend, aber die deutschtschechischen Probleme existieren seit Jahrhunderten.“

Aus dieser Lage befreit uns auch nicht der Verweis auf ein Erfolgsmodell wie die Aussöhnung mit Frankreich. So sagte der ehemalige Sprecher des deutsch-tschechischen Zukunftsfonds Tomaš Kafka treffend: „Die Tschechen sind keine Franzosen.“ Außerdem fehlt uns zum Glück der Kalte Krieg, der die Aussöhnung zwischen Frankreich und Deutschland damals entscheidend befördert hatte.

Kommen wir zur Gegenwart. Zur Gegenwart gehört leider immer noch unser so typisch deutsches Sendungsbewusstsein, sich für hehre Ziele und Visionen einzusetzen, ja förmlich zu opfern. Was früher die Reichsidee war, feiert heute fröhliche Urstände in der fast schon bedingungslosen Beförderung eines europäischen Superstaates. Das macht unseren kleineren Nachbarn Angst, weil sie das nicht verstehen, weil sie es für einen Tick oder gar Trick halten und weil sie Angst haben, vereinnahmt zu werden. Erinnern wir uns in diesem Zusammenhang an die auftrumpfende Art der deutschen Europäer Pöttering,

Martin Schulz und vor allem an Cohn-Bendit, der dem tschechischen Staatspräsidenten bei seinem Besuch 2008 auf der Prager Burg neben anderen sehr groben Unverschämtheiten und Forderungen eine EU-Flagge vor die Nase pflanzte.

Bedenken wir: Schon damals ging es der Brüsseler Delegation wesentlich um die Rettung des Planeten, eben um den berühmten CO2-Fußabdruck.

Bitte zum Ende kommen.