Protokoll der Sitzung vom 01.02.2017

(Beifall bei der SPD und der CDU)

Für die AfDFraktion Herr Abg. Urban, bitte.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren Abgeordnete! Auf Antrag der Fraktion DIE LINKE führen wir heute eine Debatte zu dem Thema „Jahrelange Benachteiligung Ostdeutschlands bei den Strom-Netzentgelten beenden – Energiewende nicht länger gefährden. Strompreise runter“. Die Intention dieses Debattenantrages ist relativ durchsichtig: Die Strompreise steigen in Deutschland und DIE LINKE möchte sich natürlich als Anwalt der kleinen Leute präsentieren, obwohl sie die Hauptursache des Strompreisanstieges natürlich begrüßt. Halten Sie die Bürger für so naiv, dass sie das nicht durchschauen?

Worum geht es denn eigentlich? Bei den Netzentgelten bestehen tatsächlich erhebliche Unterschiede zwischen den Bundesländern. Insbesondere in den neuen Bundesländern gibt es meist höhere Entgelte als im Westen der Republik. Das hat aber auch Gründe, die nicht nur in der Bevölkerungsdichte liegen. Die ostdeutschen Stromnetze wurden nach der Wende weitgehend erneuert und ausgebaut. Wir haben heute hier die moderneren Netze, aber auch höhere Abschreibungskosten. Auch in den alten Bundesländern müssen die Netze in den nächsten Jahren saniert werden, und auch dort werden die Netzgebühren mittelfristig steigen müssen. Schon deshalb halte ich die Debatte um bundeseinheitliche Netzentgelte für reine Symbolpolitik.

(Zuruf des Abg. Sebastian Scheel, DIE LINKE)

Sie wollen die ostdeutschen Haushalte für ein paar Jahre um ein paar Euro entlasten und gleichzeitig die westdeutschen Haushalte belasten. Glauben Sie, der kleine Mann in Westdeutschland merkt nicht, was Sie für Anträge im Sächsischen Landtag stellen?

(Zuruf des Abg. Sebastian Scheel, DIE LINKE)

Oder gehen Sie davon aus, dass im Westen sowieso niemand DIE LINKE wählen wird?

Der zweite Kostentreiber bei den Netzentgelten ist der Umbau der Stromnetze zur Aufnahme und Verteilung von Strom aus erneuerbaren Energien; je mehr Ausbau, desto mehr Kosten. Auch hier muss man sich fragen, ob die Gleichverteilung dieser Kosten auf alle Bundesländer wirklich gerecht wäre. Je mehr erneuerbare Energieanlagen in einem Bundesland gebaut werden, umso mehr Umsatz wird auch in diesem Bundesland getätigt und umso mehr Gewerbesteuern und Gewinnsteuern fallen in diesem Bundesland an.

Hier nähern wir uns schon dem Kern der Verlogenheit dieser Debatte.

(Zuruf der Abg. Luise Neuhaus-Wartenberg, DIE LINKE)

Die Energiewende ist nämlich eine gigantische Umverteilung von Milliarden Euro von den sozial Schwächeren unserer Gesellschaft zu den Reichen. Die Menschen, die Sie als LINKE angeblich vor den finanziellen Lasten der Energiewende schützen wollen, zahlen die Zeche dafür, dass sich wohlhabende Eigentümer von Windparks und Solarparks eine goldene Nase verdienen können.

(Zuruf der Abg. Luise Neuhaus-Wartenberg, DIE LINKE)

DIE LINKE fordert nicht, dass diese Anlagenbetreiber, die eigentlichen Profiteure, die höheren Netzentgelte bezahlen sollen. Nein, Sie möchten die Preissteigerung gleichmäßig auf alle verteilen, damit der kleine Mann mitbezahlt. DIE LINKE fordert kein Ende der Energiewende. Sie diskutieren hier über wenige Euro Netzentgeltausgleich, obwohl der Anteil der erneuerbaren Energien am Strompreis ganze 27 % beträgt. Privatisierung der Gewinne und Sozialisierung der Kosten – das hätte hier Ihr Debattenthema sein müssen.

(Beifall bei der AfD)

Ich sage Ihnen noch etwas: Ich selbst habe über viele Jahre Ihre Partei gewählt, weil sie glaubwürdig die Interessen der kleinen Leute vertreten hat, viel glaubwürdiger als die SPD.

(Luise Neuhaus-Wartenberg, DIE LINKE: Oh Gott!)

Aber heute ist DIE LINKE keine Partei der kleinen Leute mehr.

(Zuruf des Abg. Sebastian Scheel, DIE LINKE)

Sie sind eine Partei der ideologischen Weltverbesserer, und die haben wir schon.

Danke schön.

(Beifall bei der AfD – Sebastian Scheel, DIE LINKE: Bitte alle melden, die schon mal DIE LINKE gewählt haben!)

Fraktion GRÜNE, Herr Dr. Lippold, bitte.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! In den letzten Wochen wurde zwischen Bund und Ländern um die Vereinheitlichung von Übertragungsnetzentgelten gestritten sowie über Ursachen für regional unterschiedliche Netzentgelte diskutiert. Das ist auch der Auslöser für die heutige Debatte.

Von Gerechtigkeit war in der Debatte die Rede und von Kosten der Energiewende. Schauen wir uns das mal konkret für die letzte große Übertragungsnetzinvestition in Sachsen an, den Neubau einer 380-kV-Leitung von Bärwalde nach Schmölln, die im November 2014 eingeweiht wurde.

Während es beim Netzbetreiber 50Hertz heißt, die Trasse Bärwalde – Schmölln diene der Anbindung des Kraftwerks Boxberg an das deutsche Stromnetz, liest man bei der Bundesnetzagentur, das Vorhaben diene dem Abtransport zunehmender Mengen erneuerbarer Energien. – Ja, was denn nun?

Ein wenig klarer wird diese Diskrepanz beim Blick in den Netzentwicklungsplan. Dort steht: „Könnten wesentliche Teile dieses Projektes bis 2014 nicht realisiert werden, muss, unabhängig von bestehenden Lastverhältnissen, bei Windkrafteinspeisung mit erheblicher Einschränkung der Kraftwerksleistung am Standort Boxberg und darüber hinaus in der Lausitz gerechnet werden. Insofern trägt das Projekt dazu bei, temporäre Einsenkungen der Kraftwerksleistung möglichst zu meiden.“

Übertragungsnetzausbau für die erneuerbaren Energien? In diesem Fall ging es darum, genau die Kraftwerke vor den Effekten der Energiewende zu schützen, die durch die Energiewende ersetzt werden sollen. Zusätzliche Netzausbaukosten in unserer Netzregion also, um selbst bei weitgehender Versorgung aus Wind und Sonne unter Ignoranz von Klima- und Umweltschutzzielen weiter Kohlestrom in den Export zu fahren.

Um das klarzustellen: Wer bei den erneuerbaren Energien im gesamtgesellschaftlichen Interesse vorangeht, soll keine Nachteile haben. Nicht nur im Übertragungsnetz, sondern auch in den Verteilnetzen wäre das wichtig. Deshalb Ja zur Vereinheitlichung der dadurch bedingten Netzausbaukosten, auch wenn es um demografische Effekte geht. Doch für eine klare Abgrenzung fehlt die nötige Transparenz auf allen Netzebenen, auch dort, wo in den Verteilnetzen Aufsicht und Regulierung beim SMWA liegen.

Eine hinreichend scharfe Abgrenzung zwischen durch erneuerbare Energien bedingten und sonstigen Verteilnetzkosten lässt sich in der Praxis kaum vornehmen, wie es in einer diesbezüglichen Studie der TU Dresden aus 2015 heißt – ich zitiere –: „Es dürfte der Anreiz bestehen, Kosten im Zweifelsfall als durch erneuerbare Energien bedingt auszuweisen und so auf die Allgemeinheit abzuwälzen.“ – Das ist genau das, was wir beobachten. Auf jeden Fall muss verantwortungsvolle Energiepolitik auch und besonders im Energiemarkt anstelle von Schnellschüssen sehr gründlich hinschauen, woher heute und

künftig welcher Teil der Netzentgelte kommt und welche Wirkungen welches Instrument für welche Kunden hat. Denn sonst läuft man nach großer Gerechtigkeitsdebatte bei der Umsetzung wieder einmal Gefahr, politisches Vertrauen zu verspielen.

Nehmen wir doch einmal an, es gelänge, die heiß diskutierte bundesweite Vereinheitlichung der Übertragungsnetzentgelte nach einem Riesenbohei bald durchzusetzen. Millionen Haushaltskunden in unserer Netzregion würden dann erwarten, dass die verkündete Gerechtigkeit finanziell über sie käme. Doch würden sie sich verdutzt die Augen reiben, wenn sie dann feststellen, dass das für sie monatlich einen Unterschied von 0,60 bis 1,20 Euro ausmacht. Diese Bandbreite können Sie der schon genannten Studie der TU Dresden und einer EWI-Studie von Ende 2016 entnehmen. Für energieintensive Unternehmen – Herr Rohwer, Sie sagten es –, die unmittelbar an der Hochspannungsebene hängen, ist der Unterschied deutlicher. Doch das ist ein eigenes Thema, und ich kann mir nicht vorstellen, dass DIE LINKE ihre Gerechtigkeitsdebatte, die sie hier und heute, auf Millionen Haushaltskundinnen und -kunden, Wählerinnen und Wähler gemünzt, für diese Unternehmen führt. Oder?

(Sebastian Scheel, DIE LINKE: Gerechtigkeit bei den Kosten!)

Fazit: Das Thema eignet sich nicht für Wahlkampfspielchen und „Haltet-den-Dieb!“-Geschrei. Wer das Thema Netzentgelte wirklich grundhaft neustrukturieren will, muss sich zunächst einmal die Mühe machen, für die nötige Transparenz der Kostenstruktur zu sorgen. Dann sollte man im eigenen Verantwortungsbereich ehrlich das Zustandekommen der heute unterschiedlichen Netzentgeltsockel diskutieren, und man sollte eine Energiepolitik betreiben, die überdimensionierten Netzausbau, fossile Überkapazitäten und massive Redispatchmaßnahmen vermeidet, die allesamt die Netzentgelte treiben. Diesen Beitrag sollte man geleistet haben, meine Damen und Herren, bevor man nach bundesweiter Solidarität ruft,

(Beifall bei den GRÜNEN)

besonders, wenn es im Namen einer Energiewende erfolgt, an der sich Sachsen bislang vor allem als nörgelnder Zuschauer beteiligt hat.

Ich danke Ihnen.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Wir beginnen die zweite Runde. Die Linksfraktion, bitte; Herr Brünler.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich wollte ja ursprünglich damit beginnen, dass wir uns hier im Saal wahrscheinlich einig sind und alle begrüßen, dass die ostdeutschen Ministerpräsidenten zum Jahreswechsel gemeinsam noch einmal einen Vorstoß in diese Richtung gewagt haben. Inzwischen bin ich mir gar nicht mehr so richtig sicher, ob es tatsächlich angebracht ist, dies hier zu

sagen. Kollege Rohwer, Sie sagten, die Initiative aus Thüringen braucht es nicht, denn dann könnte Sachsen vielleicht nicht mehr ganz so toll glänzen.

Kollege Vieweg, Sie haben gesagt, wir sollten nicht anfangen, herumzujammern, sondern – was auch immer – machen; keine Ahnung, was Sie sich darunter vorstellen. Eigentlich haben Sie es hier ein klein wenig verspielt, denn genau dies ist zu tun: selbstbewusst aufzutreten und gemeinsam zu sagen: Ja, wir müssen hier tatsächlich etwas schaffen, und wir müssen das Problem angehen, dass die Netzentgelte – damit sind wir wieder bei einem Ost-West-Problem – in den ostdeutschen Bundesländern – Sie sprachen Schleswig-Holstein an, dort gilt das Gleiche – im Schnitt doppelt so hoch wie in Bayern und in Nordrhein-Westfalen sind, und dies sind nun einmal im föderalen System meinungsstarke Länder im Westen unseres Landes.

Es ist wahr: Zwölf von 16 Bundesländern würden davon profitieren, wenn wir hier zu einer einheitlichen Lösung kämen; aber gerade an den Ländern, die ich jetzt genannt habe, Bayern und Nordrhein-Westfalen, ist es letztendlich immer wieder gescheitert. Böse Zungen behaupten ja, dass der ehemalige SPD-Wirtschaftsminister Gabriel es mit Rücksicht auf die Wahl in Nordrhein-Westfalen erst einmal wieder von der Tagesordnung genommen hat.

(Staatsminister Martin Dulig: Böse Unterstellung!)

Ganz so böse ist die Unterstellung wahrscheinlich gar nicht; das wissen Sie, glaube ich, genauso gut wie ich.

Das Problem ist – und das ist es, was aufhören muss –: Der Netzausbau darf nicht ausschließlich dort bezahlt werden, wo er passiert, sondern er muss auch dort bezahlt werden, wo jene sitzen, die davon profitieren, und dies sollte nicht erst dann geschehen, wenn man beginnt, die relativ älteren Netze im Westen zu modernisieren; denn ich denke, dann gibt es noch einmal eine ganz andere Diskussion, vorangetrieben von NRW, was die Solidarität unter den Ländern betrifft.

Vielleicht noch einmal etwas polemisch zugespitzt: Die Situation, die wir hier haben, das regionale Überangebot an Strom im Osten, auch hier in Sachsen, führt eben nicht nur dazu, dass wir Strom aus Sachsen exportieren, sondern auch dazu, dass wir hier einen beinharten wirtschaftlichen Standortnachteil haben.

Nun können wir noch einmal über die Kohlepolitik diskutieren; das wurde bereits mehrfach angesprochen. Was wir allerdings nicht tun sollten: es einseitig auf die erneuerbaren Energien zu schieben; denn aus welcher Quelle die Energie kommt, ist letztlich egal. Das Zuviel bleibt unterm Strich trotzdem vorhanden. Es ist, betriebswirtschaftlich gesehen, tatsächlich ein Unterschied in der Bilanz, ob der Bäcker in Sachsen 3 000 Euro mehr an Energiekosten hat als sein Kollege in NordrheinWestfalen. Bei Industrieunternehmen sind wir dann schnell bei Unterschieden, die in der Kostenstruktur in Millionenhöhe zu Buche schlagen. Dort, Kollege Vieweg, hat es dann nichts mehr mit Jammern zu tun, sondern es

geht ganz konkret um Standortvorteile. Ihre SPDKollegen in Nordrhein-Westfalen wissen sehr genau, dass es darum geht, deshalb stemmen sie sich mit Vehemenz dagegen.

Auch Regelungen zur Befreiung oder zur Reduktion für einzelne Industrieunternehmen, die besonders energieintensiv sind, sind hier in mehrfacher Hinsicht keine Lösung; denn zum Ersten sind diese an spezifische Bedingungen gebunden, die nicht so ohne Weiteres von jedem Unternehmen erfüllt werden. Sie führen zu weiteren Verzerrungen im Wettbewerb und verschärfen letztlich auch die Schieflage, wenn sich weiterhin Einzelne heraushalten können.