Protokoll der Sitzung vom 02.02.2017

starben in der vergangenen Woche in Moria auf Lesbos. Im Hotspot-Camp auf Samos gab es zahlreiche Suizidversuche; seit Dienstag sind Geflüchtete dort in Hungerstreik getreten. Insgesamt sitzen auf den Ägäis-Inseln derzeit 15 000 Menschen fest. Die Hotspots sind damit doppelt überbelegt. Zahlreiche Menschen – wir können draußen sehen, wie das Wetter ist – harren in der Kälte aus.

So viele Menschen, wie derzeit allein auf den griechischen Inseln festsitzen – auf dem Festland ist es noch einmal ein Vielfaches davon –, sind etwa im vergangenen

Jahr in Sachsen angekommen, knapp 15 000. Dies ist ein Bruchteil im Vergleich zum Vorjahr, und diese Zahl lässt vor allem konservative Kräfte jubeln. Die Maßnahmen der Abschottung wie die Schließung der Balkanroute und der fragwürdige EU-Türkei-Deal werden gefeiert und als funktionierende Mechanismen idealisiert. Doch wir können ganz deutlich sehen: Diese Politik kostet Menschenleben.

Die Gründe, die Menschen zur Flucht zwingen, sind in den letzten beiden Jahren nicht weniger geworden, im Gegenteil. Die Zahl der weltweit Flüchtenden steigt immer weiter an, und es ist bekannt: Die am wenigsten entwickelten Staaten dieser Welt nehmen die mit Abstand größte Zahl an Flüchtlingen auf.

Der UN-Flüchtlingskommissar macht immer wieder deutlich, dass Europa endlich mehr tun muss, nicht nur bei der Unterstützung der Primäraufnahmeländer, sondern auch durch größere Aufnahmekontingente. Aber die reiche EU schottet sich weiter ab. Eine verschärfte Variante der gescheiterten Dublin-Verordnung wird derzeit verhandelt. Sogenannte Migrationspartnerschaften mit zweifelhaften Staatschefs sind in der Pipeline, und die Grenzen werden weiter hochgerüstet.

5 022 Menschen sind im Jahr 2016 allein bei der Überfahrt über das Mittelmeer ums Leben gekommen. Es braucht – und das steht fest – eine humanitäre Wende, sichere Wege, um in Europa Schutz zu finden, und innerhalb der EU solidarische Verteilungsmechanismen.

(Beifall bei den LINKEN und der Abg. Petra Zais, GRÜNE)

Wir als LINKE sind uns durchaus bewusst, dass Angela Merkel im Jahr 2015 Maßstäbe für eine gemeinsame europäische Asylpolitik setzen wollte, als sie die Grenzen nicht schloss. Wir wissen aber auch zu gut, dass dieser Ansatz lange begraben ist. Innenpolitisch jagt eine Asylrechtsverschärfung die andere, und mit dem EU-TürkeiDeal werden Geflüchtete in ein Land zurückgeführt, das ein rigoroses Demokratieabbauprogramm vorantreibt und die Todesstrafe wieder einführen will. Der Deal – wenn man ihn unkritisch betrachtet – funktioniert nicht einmal. Gerade einmal 800 Menschen sind seit dem Abschluss des Deals in die Türkei zurückgeschoben worden, davon mehr als die Hälfte in den ersten zwei Monaten der Laufzeit dieses Deals.

Mit dem vorliegenden Antrag wollen wir die Sächsische Staatsregierung einerseits auffordern, weiter auf eine europäische Lösung und eine gemeinsame europäische Migrations- und Asylpolitik zu drängen, die sich den Menschenrechten und der Humanität verpflichtet sieht. Wir knüpfen ganz bewusst an den Antrag der Koalition an, der hier im September 2015 eingebracht und diskutiert wurde, und wollen Sie beim Wort nehmen. So wurde die Staatsregierung seinerzeit aufgefordert, sich auf allen Ebenen dafür einzusetzen, dass humanitäre Hilfe für Menschen in Not geleistet werden muss.

Wenden wir jetzt den Blick auf Griechenland, auf Italien oder derzeit auch Serbien – das ist dieser Tage medial groß gespiegelt –, dann sehen wir genau diesen Handlungsbedarf, der durch ein fehlendes Umsteuern in der EU-Migrations- und Asylpolitik, durch falsche Deals und Nichthandeln zustande gekommen ist. Zehntausende Geflüchtete sitzen im Süden und Südosten Europas fest. Waren die Bedingungen in den provisorischen Lagern seit jeher schlecht – es fehlte am Zugang zum Nötigsten, die hygienischen Bedingungen waren unterirdisch –, so hat der Winter die Situation in eine neue humanitäre Katastrophe verwandelt. Darauf weisen NGOs wie Ärzte ohne Grenzen usw. usf. hin.

Wir müssen uns bei all dem vergegenwärtigen, dass sich das alles in einer der reichsten Regionen der Welt abspielt. Die Schuld allein den Aufnahmestaaten Griechenland, Italien usw. zuzuschieben reicht dabei nicht aus. Der griechische Politiker Giorgos Chondros sagte vor Kurzem sehr treffend in einem Interview im Deutschlandfunk: „Diese wirklich sehr katastrophale Lage bringt eigentlich die europäische Flüchtlingspolitik wieder auf die Tagesordnung.“ Er verweist dabei auch auf die Nichteinhaltung von minimalen Verpflichtungen bei der Umverteilung von Menschen aus Griechenland und Italien auf andere EUStaaten. Hier liegt ein weiteres, wenn nicht das Kernanliegen des vorliegenden Antrages.

Noch einmal zur Erinnerung: Auf dem EU-Gipfel im September 2015 kam es zwar nicht zur Vereinbarung eines regulären Verteilungsmechanismus von Geflüchteten innerhalb der EU, wie es manche Kräfte dort wollten, immerhin setzten aber die EU-Minister ein RelocationProgramm durch. Innerhalb von zwei Jahren sollen demnach 160 000 Geflüchtete aus Griechenland und Italien und durch einen Nachbeschluss auch aus der Türkei auf die Mitgliedsstaaten verteilt werden. Die Bundesrepublik, die im Rahmen dieses Aufnahmeprogramms etwas mehr als 27 000 Geflüchtete aufnehmen soll, hat bis Ende Januar lediglich 1 831 Personen aufgenommen. EU-weit sind es etwa 11 000. Seit September 2016 stellt die Bundesregierung zwar nominell monatlich 500 Plätze bereit, aber selbst unter diesen Voraussetzungen, selbst wenn diese Plätze wirklich mit Menschen aufgefüllt werden würden, was nicht getan wird, würde es immer noch mehr als vier Jahre dauern, bis die Aufnahme der zugesagten Zahl durch die Bundesrepublik vollzogen wäre.

Gerade vor dem Hintergrund der in den letzten beiden Jahren aufgebauten Kapazitäten in der Erstaufnahme und auch bei den kommunalen Einrichtungen wäre es für uns in Sachsen ein Leichtes, ein Sonderkontingent an Geflüchteten aufzunehmen, ein Kontingent, das sich im Rahmen dieses sowieso vereinbarten Kontingentes bewegt. Rechnete man die Gesamtzahl der RelocationPlätze nach dem Königsteiner Schlüssel auf Sachsen herunter, so ergäbe dies eine Gesamtzahl von 1 350 Geflüchteten. Sagen Sie nicht, dass der Freistaat nicht in der Lage wäre, diese Menschen aufzunehmen.

7 500 Erstaufnahmeplätze wurden zum Jahreswechsel „vom Netz“ genommen. Meine Kleine Anfrage zur Auslastung der kommunalen Unterkünfte hat im September letzten Jahres ergeben, dass von 21 000 Plätzen gerade einmal 14 000 belegt waren. Das ist nur eine Momentaufnahme. Wie die Situation jetzt ist, können bestimmt alle aus ihren Landkreisen und Herkunftsstädten selbst einschätzen. In Leipzig zum Beispiel wächst der Leerstand.

Sehr geehrte Damen und Herren! Der Auftrag, den wir mit unserem Antrag an die Staatsregierung richten wollen, ist nichts Revolutionäres oder irgendwie Verrücktes. Wir drängen auf nichts anderes als die fristgemäße Erfüllung einer Selbstverpflichtung zum Wohle der Menschen, um die es dabei geht und die in den europäischen Mittelmeeranrainerstaaten vor sich hinvegetieren. Gleichsam machen wir mit unserem Antrag einen Ansatz stark, der prägend für das Europa der Zukunft sein muss: das Agieren aus den Regionen heraus.

(Unruhe im Saal)

Wie bereits gestern in der Debatte um das Sächsische Flüchtlingsaufnahmegesetz in Bezug auf die landesgesetzliche Implementierung der Normen der EU-Aufnahmerichtlinie in Landesrecht vorgeschlagen,

(Glocke des Präsidenten)

wollen wir auch hier – und ich komme gleich zum Ende – unsere eigene Verantwortung als Bundesland deutlich machen und zum Handeln kommen. Vergleichbares ist in zahlreichen Städten, nicht nur in der Bundesrepublik, sondern auch europaweit zu bemerken. Städte und Bundesländer machen sich dafür stark. Europaweit geben große Städte wie Athen, auch Leipzig ein Signal, dass sie bereit sind, Flüchtlinge aufzunehmen. Auf der anderen Seite plädieren wir auch für ein grundsätzliches Umsteuern in der Flüchtlingspolitik.

Schließen wir uns diesem Ruf an, der schon durch Europa hallt. Setzen Sie heute mit der Zustimmung zu unserem Antrag ein Zeichen für Menschenrechte und Humanität in ganz Europa.

Vielen Dank.

(Beifall bei den LINKEN)

Meine Damen und Herren! Für die CDU-Fraktion Herr Abg. Ursu. Bitte sehr, Herr Ursu, Sie haben das Wort.

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Um es ganz klar zu sagen: Deutschland und Sachsen handeln humanitär und solidarisch. Der jüngsten Statistik von Eurostat vom 15. Dezember 2016 zufolge hat Deutschland im III. Quartal 2016 so viele Schutzsuchende aufgenommen wie die übrigen 27 Staaten gemeinsam. Nach den Daten von Eurostat wurden in den ersten drei Quartalen 2016 in der EU insgesamt 988 000 Asylanträge gestellt. Davon entfielen rund zwei Drittel allein auf Deutschland. Allein

Sachsen hat im Jahr 2016 knapp 15 000 Menschen aufgenommen.

Den zweiten Platz in der Europäischen Union hinter Deutschland nimmt mit deutlichem Abstand Italien mit 68 000 Entscheidungen ein. Danach folgt Frankreich. In Griechenland gab es laut Eurostat hingegen in den drei Quartalen nur 7 600 Asylentscheidungen bei 30 000 Anträgen. Diese niedrige Zahl an Asylverfahren in Griechenland lässt viele Fragen offen. Fest steht, dass Griechenland aus dem Mehrjahresprogramm des Asyl-, Migrations- und Integrationsfonds sowie des Fonds für Innere Sicherheit bereits 70 Millionen Euro und aus den Notfallmaßnahmen der beiden Fonds bisher 225 Millionen Euro erhalten hat. Was macht die griechische Regierung mit diesen Geldern?

Die Flüchtlinge sollen im Rahmen des EuropäischTürkischen Vertrages zurück in die Türkei geschickt werden. Der Vertrag stellt einen wesentlichen Bestandteil zur Stabilisierung der Gesamtlage in der Europäischen Union dar. Es steht außer Frage, dass dieser einzuhalten ist. Es ist deshalb wichtig, vor Ort in Griechenland konkrete Lösungen zu finden.

Sehen wir uns die Lage dort einmal genau an. Auf den Inseln Lesbos, Leros, Samos, Kos und Chios leben derzeit rund 16 000 Flüchtlinge, obwohl die Kapazität dort nur für die Hälfte reicht. Laut UNHCR sind jedoch die Kapazitäten in den Unterkünften auf dem griechischen Festland nicht ausgenutzt.

Die griechische Regierung hatte Ende vergangenen Jahres angekündigt, Zeltlager aufzulösen und Asylbewerber in Wohnungen unterzubringen. Vor zwei Wochen kritisierte die EU-Kommission allerdings, dass trotz des kalten Wetters auf dem Festland und auf den Inseln immer noch viele Menschen in Zelten untergebracht seien. Die Verantwortung dafür liege bei der griechischen Regierung. Das griechische Ministerium für Integrationspolitik räumte daraufhin ein, dass es ein echtes Problem gebe, schob die Verantwortung aber an die kommunalen Verwaltungen weiter.

Das alles liegt jedoch nicht in der Zuständigkeit des Freistaates Sachsen. Das betrifft auch die auf dem EUGipfel im September 2015 getroffenen Vereinbarungen zur Umverteilung von Flüchtlingen. Das Bundesministerium des Innern koordiniert und steuert in Abstimmung mit den betroffenen Ressorts, insbesondere dem Auswärtigen Amt, den Umverteilungsprozess, der durch das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge praktisch umgesetzt wird. Eine Umverteilung findet also bereits statt. Flüchtlinge, deren Anträge auf Umverteilung bewilligt werden, werden nach der zentralen Einreise über den Flughafen München und den entsprechenden gesundheitlichen und sicherheitstechnischen Überprüfungen

deutschlandweit nach dem Königsteiner Schlüssel verteilt, auch nach Sachsen. Das setzt verschiedene Abstimmungsprozesse zwischen den Behörden der beteiligten Länder voraus, die Zeit in Anspruch nehmen.

Noch einmal: Der Vorwurf, Europa schiebe seine Verantwortung für die Flüchtlingsaufnahme auf die Südländer ab, wird durch diese Asylzahlen widerlegt. Deutschland nimmt nach wie vor viel mehr Flüchtlinge und Migranten als die übrigen EU-Staaten auf. Allein das EU-Instrument der Umverteilung herauszugreifen und stärkeres Handeln Deutschlands und Sachsens zu fordern, verkennt die Gesamtlage und ist reiner Populismus.

Sehr geehrte Kollegen von der Fraktion DIE LINKE, worum geht es Ihnen denn hier wirklich? Wer entscheidet darüber, wer als besonders schutzbedürftig gilt? Und an welche Verwandten denken Sie, die besonders berücksichtigt werden sollen? Wer soll deren sichere Anreise finanzieren? Und wie genau soll das Sachsen, noch dazu vor Ort in Griechenland, steuern?

Zu den Zielen der europäischen Asylpolitik gehört, die irreguläre Migration zu reduzieren, Menschenleben zu retten und Außengrenzen zu sichern. Wir sprechen hier von einer starken gemeinsamen Asylpolitik und einer neuen Politik der legalen Migration.

Die Europäische Kommission verfolgt mit Hochdruck die Europäische Migrationsagenda, zu der sich auch Deutschland und Sachsen bekennen, und hat bereits verschiedene Legislativpakete vorgelegt. Auch in diesem Kalenderjahr gehört das Thema zu ihren Top-Prioritäten.

Entscheidend für die CDU-Fraktion ist, abgestimmt und koordiniert vorzugehen mit der Maßgabe, dass alle EUMitgliedsstaaten ihren Anteil zur Lösung beitragen. Alleingänge haben sich als kontraproduktiv erwiesen. Die Bundesrepublik engagiert sich maßgeblich. Dazu trägt der Freistaat Sachsen seinen Anteil bei.

Ihrem Antrag wird meine Fraktion aus den vielen genannten Gründen nicht zustimmen.

(Beifall bei der CDU und der Staatsregierung)

Für die SPD Herr Baumann-Hasske, bitte.

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Dieser Antrag verfolgt erneut das grundsätzlich begrüßenswerte Ziel, die Misere der Flüchtlingsaufnahme in Europa zu verändern und zu verbessern. Die Situation in den Aufnahmelagern in Griechenland und Italien ist hinlänglich dargestellt worden. Der Landtag wird sie nicht feststellen müssen.

Der Freistaat ist verpflichtet, seinen Anteil an den in Europa zu verteilenden Flüchtlingen zu übernehmen. Er wird dies im Rahmen des bundesweit geltenden Verteilungsschlüssels zweifellos tun.

Weder der Bundesrepublik Deutschland noch dem Freistaat Sachsen kann man vorwerfen, ihren Verpflichtungen im Rahmen der Genfer Flüchtlingskonvention und der europäischen Regeln nicht nachgekommen zu sein. Herr Ursu schilderte es gerade sehr ausführlich. Deutschland

tut mehr als alle anderen Mitgliedsstaaten in der Europäischen Union.

Für die solidarische und gerechte Verteilung bedarf es weniger der Initiativen von regionaler Ebene als des Zusammenwirkens und der Mithilfe auch der Staaten, die sich bisher – freundlich formuliert – deutlich zurückhalten.

Angesichts vorhandener Aufnahmekapazitäten der Bundesrepublik Deutschland unterliegt es keinem Zweifel, dass im Laufe des Jahres bundesweit 26 437 RelocationPlätze zur Verfügung gestellt werden können. Wir gehen davon aus, dass der Freistaat ein angemessenes Kontingent von Flüchtlingen dann aufnehmen wird, wenn die Bundesrepublik Deutschland die Aufnahme von Flüchtlingen aus Italien und Griechenland beschließt. Da liegt die Zuständigkeit.

Wir sollten bei den bestehenden Zuständigkeiten bleiben. Ein Ausscheren des Freistaates aus den auf Bundesebene bestehenden Mechanismen wird kaum die Signalwirkung auf andere Länder oder europäische Mitgliedsstaaten haben, die sich die Antragsteller versprechen. Was haben wir denn in den letzten zwei Jahren erlebt? Es ist doch nicht so gewesen, dass das, was Deutschland und auch Sachsen getan haben, dazu geführt hätte, dass international mit einem Mal der große Beifall ausgebrochen wäre und alle sich unseren Bemühungen angeschlossen hätten. Die Signale scheinen also nicht zu wirken, so schön es auch wäre, wenn dem so wäre. Ich glaube nicht, dass diese Signalwirkung entstehen wird.

Deshalb werden wir, wenn auch schweren Herzens, diesen Antrag ablehnen.

(Beifall bei der SPD)

Für die AfD Frau Dr. Petry, bitte.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Die AfD-Fraktion wird den Antrag der LINKEN ebenfalls ablehnen. Er besteht aus zwei Teilen, einem Feststellungsantrag und einer Aufforderung an die Staatsregierung.

Dazu ist Folgendes zu sagen: