Wie sieht es nun mit Abschiebungen nach Afghanistan aus? Die Nachrichten aus diesem Land begründen Zweifel an der Sicherheitslage dort, die durchaus nachvollziehbar erscheinen. Kollege Wendt, der Versuch der Relativierung mit Blick auf Brasilien und andere Länder, in denen die Kriminalität hoch ist, hilft da überhaupt nicht weiter.
Nach der Beurteilung der Bundesregierung sind Teile dieses Landes insbesondere für Zivilisten sicher. Die Gerichte bis hin zum Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte haben diese Auffassung bestätigt.
Wer aber soll die Sicherheitslage letztendlich verbindlich beurteilen? Die Bundesregierung, Nichtregierungsorganisationen, die Flüchtlinge selbst, die Menschen vor Ort, wir, die Abgeordneten hier im Hohen Hause, im Sächsischen Landtag? Auf welche eigenen Erkenntnisse, auf
Ich zitiere den Ministerpräsidenten aus Baden-Württemberg, Winfried Kretschmann: „Der Bund ist für die Beurteilung der Zielländer zuständig. Der Bund hat dafür die Instrumente, die Kompetenz und die Verantwortung. Niemandem ist gedient, wenn sich die Verantwortlichkeiten ständig vermischen.“
Der Antrag, über den wir heute zu entscheiden haben, und Ihre Ausführungen, Frau Kollegin Nagel, suggerieren mindestens zwischen den Zeilen, dass Menschen, die wir nach Afghanistan zurückschieben, sehenden Auges in den sicheren Tod geschickt werden.
Bedenken Sie bitte auch, dass andere, zweifelsfrei rechtsstaatliche Länder wie Schweden, Dänemark, Norwegen, Finnland und die Niederlande abgelehnte Asylbewerber ebenfalls nach Afghanistan abschieben.
Wir haben auch schon gehört, dass viele Afghanen freiwillig in ihr Heimatland zurückkehren. Im Jahr 2016 wurden durch humanitäre Förderprogramme über
3 300 Afghanen finanziell unterstützt, die aus Deutschland freiwillig in ihr Heimatland zurückgekehrt sind. Frau Kollegin Nagel, von psychischem Druck, von faktischem Zwang kann da wohl wenig die Rede sein. Sie gingen nicht, wenn sie sich dort unsicher fühlten. Schon gar nicht gingen sie in den sicheren Tod.
Ebenso sind im Jahr 2016 allein aus Pakistan und Iran laut Angaben der Internationalen Organisation für Migration fast 700 000 Menschen nach Afghanistan zurückgekehrt.
Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Formal halte ich Alleingänge auf Landesebene nicht für den richtigen Weg. Der Verfassungsgrundsatz der Bundestreue, auch bundesfreundliches Verhalten genannt, gebietet, dass sich Bund und Länder untereinander abzustimmen haben. Gerade im Bereich des Aufenthalts- und Asylrechts scheint mir eine einheitliche Handhabung mehr als wünschenswert. Folgte man Ihrem Antrag, wäre es nämlich schlussendlich von der Wohnsitzzuweisung und damit vom Zufall abhängig, ob nach Afghanistan zurückgeschoben wird oder nicht. Eine zufällige Ungleichbehandlung ist in hohem Maße rechtsstaatswidrig.
Der letzte Teil Ihres Antrages, verehrte Kolleginnen und Kollegen von den LINKEN, der eine Neubewertung der Sicherheitslage in Afghanistan fordert, greift mir allerdings deutlich zu kurz. Die Sicherheitslage in einem Land
ist nie statisch. Sie verändert sich oft täglich und immer dynamisch. Ich erwarte und vertraue auch darauf, dass die zuständigen Behörden auf Bundesebene diese dynamische Sicherheitslage fortlaufend analysieren, auch regional differenziert, und ihre Bewertungen und Folgerungen dementsprechend anpassen und fortschreiben. Ebenso bin ich davon überzeugt, Frau Nagel, dass die zuständigen Behörden ihre humanitären Handlungsspielräume nutzen und diese Erkenntnisse verantwortungsvoll in ihre Prüfungen einbeziehen und das individuelle Ergebnis immer am Einzelfall ausrichten.
Kollege Pallas, in der Tat, einige Bundesländer stellen derzeit Abschiebungen nach Afghanistan zurück. Einige unter ihnen lassen diese Maßnahme jedoch nicht für Straftäter gelten. Diese wollen sie zurückführen. Das halte ich für ziemlich zynisch. Wenn man schon argumentiert, dass das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit Abschiebungen nach Afghanistan derzeit verbietet,
dann frage ich mich: Gilt dieses Recht eigentlich für Straftäter nicht, oder wird nach dieser Logik ein unsicheres Land für Straftäter sicherer?
Wie dem auch sei: Lassen Sie mich abschließend dafür plädieren, keine ideologischen Debatten zu führen, sondern im Rahmen des geltenden Rechts der Humanität im Einzelfall zum Sieg zu verhelfen. Das geltende Recht gibt dafür Möglichkeiten.
Meine Damen und Herren! Ich frage nun die Staatsregierung: Wird das Wort gewünscht? – Herr Staatsminister Gemkow, bitte sehr.
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren Abgeordneten! Mein Kollege Markus Ulbig hat mich gebeten, heute seinen Debattenbeitrag zu übernehmen. Er kann wegen seiner Anwesenheit bei einer Innenministerkonferenz heute nicht hier sein.
Wir haben gerade wieder sehr emotionale Beiträge gehört. Das ist völlig selbstverständlich, denn es ist letztendlich ein emotionales Thema, das keinen unberührt lässt. Bei all dem wissen wir aber auch: Beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge prüft man sehr genau, was vertretbar ist und was nicht, ob ein Asylantrag positiv oder negativ beschieden werden soll. Bei den Ausländerbehörden gibt es die notwendige Expertise, um zu entscheiden, ob eine Abschiebung durchgeführt oder ausgesetzt werden soll,
zumal in besonders schwierigen Fällen unsere Gerichte und auch die Härtefallkommission bereitstehen.
Damit sind wir auch schon bei einem ganz entscheidenden Punkt, denn gerade in so emotionalen Fragen ist es umso wichtiger, das Rechtsstaatsprinzip hochzuhalten. Demokratie und Humanität können nur bestehen, wenn Recht und Gesetz sie schützen. Dazu gehört, Entscheidungen unserer legitimierten Institution zu respektieren und umzusetzen.
Zu diesem Prinzip steht die Sächsische Staatsregierung, und es ist die Pflicht des Innenministers, als zuständiger Ressortleiter geltendes Recht durchzusetzen.
Meine sehr geehrten Damen und Herren! Deutschland führt, im Gegensatz zu vielen anderen EU-Staaten, weit weniger Personen nach Afghanistan zurück, und die Bundesregierung bemüht sich intensiv in Abstimmung mit den afghanischen Behörden darum, dass die Rückgeführten bei ihrer Ankunft angemessen empfangen, versorgt und betreut werden. Es gibt eine enge Zusammenarbeit mit dem afghanischen Flüchtlingsministerium, den ION-Mitarbeitern vor Ort und gemeinnützigen Organisationen. Wir sehen also, dass Deutschland mit der Durchsetzung des Rechts maßvoll umgeht und immer auch humanitäre Aspekte berücksichtigt.
Auch ein Blick auf die Zahlen hilft bei der Einordnung des Themas, denn die Schutzquote für Flüchtlinge aus Afghanistan liegt bei uns mit fast 56 % deutlich über dem EU-Durchschnitt von 32 %. Der Bundesrepublik moralisches Versagen vorzuwerfen ist absolut unangemessen. Wer aus Afghanistan kommt und Anspruch auf Asyl hat, der wird auch aufgenommen. Aber seit 2001 hat sich auch in Afghanistan einiges zum Positiven verändert. Das sehen auch viele Afghanen so. Über 3 000 freiwillige Rückkehrer – der Herr Ausländerbeauftragte hat die Zahl bereits genannt – im Jahr 2016 belegen das.
Noch einige Worte zur unterschiedlichen Handhabung und zur Abschiebepraxis in den einzelnen Bundesländern; vor allem Schleswig-Holstein steht hier im Raum. Eine „Abschiebelotterie“, wie im „SPIEGEL“ tituliert, kann und darf nicht der Anspruch unseres Landes sein. Abschiebestopps in einzelnen Bundesländern führen zu Ungleichbehandlung und Unsicherheit, gerade auch bei den Betroffenen selbst.
Was wir deshalb in Deutschland brauchen, sind Einheitlichkeit, Verbindlichkeit und Vertrauen in den Rechtsstaat. Dafür wird sich Sachsen im Rahmen seines IMKVorsitzes auch weiterhin einsetzen.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, die Staatsregierung empfiehlt aus den genannten Gründen, den vorliegenden Antrag abzulehnen.
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Vielen Dank für die Debatte. Ich kann jetzt leider nur noch einige Aspekte anreißen.
Es wurde zu Recht darauf verwiesen, dass in den letzten Jahren kaum nach Afghanistan abgeschoben wurde. Aber wir befinden uns in einer Situation des Paradigmenwechsels. Es soll abgeschoben werden, obwohl sich die Situation verschlechtert hat. Darauf weisen wir hin, und das wollen wir politisch beeinflussen.
Zum Thema Anerkennungsquote ist zu sagen: Der Kollege Pallas hat das UNHCR richtig zitiert. Das UNHCR ist verwundert, dass die Anerkennungsquote in Deutschland sinkt. Das ist ein Hinweis darauf, dass es hier auch politisch motivierte Einflussnahmen gibt. Ich verweise dazu vergleichend auf die Anerkennungspraxis in Bezug auf syrische Geflüchtete. Es ist bekannt, dass der subsidiäre Schutzstatus vermehrt gegeben wird. Vor einigen Jahren war es noch der ordentliche Flüchtlingsstatus, der die Menschen in die Lage versetzt hat, ihre Familien nachzuholen. Insofern können wir hier schon eine politische Motivation für eine sinkende Anerkennungsquote erkennen.
Auf einen weiteren Aspekt möchte ich noch hinweisen: Die Anerkennungsquote ist im europäischen Vergleich, Herr Mackenroth, wahrscheinlich auch so groß, weil viele Afghanen der Deutschen Bundeswehr unterstützend zur Seite standen, dort gearbeitet haben und jetzt von dort fliehen müssen, weil sie als Kollaborateure und Kollaborateurinnen bezeichnet wurden.
Zum Thema Bundesländerkompetenzen. Unser Antrag ist ganz klar mit dem geltenden Recht und Gesetz vereinbar. Wir stützen uns dabei auf einen geltenden Passus des Aufenthaltsgesetzes, § 60 a, und wir wollen noch einmal stimulieren, dass andere Paragrafen des Aufenthaltsgesetzes, wie § 25 a und b, stärker genutzt werden, weil die Ausländerbehörden aus unserer Sicht und nach unserer Erfahrung sehr unterschiedlich mit der Vergabe der Aufenthaltstitel umgehen. Eine Wegweisung von der Landesebene könnte hierbei verändernd wirken.