Protokoll der Sitzung vom 11.04.2017

Wir, CDU und SPD, haben uns in dem parlamentarischen Verfahren intensiv damit beschäftigt. Ich glaube, Frau Friedel und Frau Kliese, am Ende sind wir sehr zufrieden damit, was dabei herausgekommen ist.

Was waren für uns die wichtigsten Leitlinien? Erstens. Wir haben gesetzliche Rahmenbedingungen zu beachten. Da gibt es die UN-BRK, die den Anspruch der Betroffenen regelt, und natürlich unsere Sächsische Verfassung, die das Mitbestimmungsrecht der Eltern beim Zugang zu den verschiedenen Schularten festschreibt.

Zweitens. Wir wollen Inklusion nicht um jeden Preis. Für uns gilt, für jedes einzelne Kind den richtigen Bildungsort

herauszufinden. Das kann eine inklusive Unterrichtung an einer Regelschule sein oder genauso gut die Förderschule. Das heißt, unsere Förderschulen werden neben den Regelschulen auch zukünftig Bestand haben.

Drittens. Inklusion geht nur mit den Pädagogen, den Erziehern, den Schulträgern und den Eltern. Nur wenn sie sich diesem Thema öffnen, wenn sie eine positive Haltung entwickeln und sich ausreichend qualifiziert fühlen, kann Inklusion gelingen. Es galt dabei ebenfalls, die Fülle der Aufgaben, die Lehrer an unseren Schulen derzeit zusätzlich zu leisten haben, zu berücksichtigen.

Viertens geht es natürlich auch um Ressourcen, um Personal und um Geld, was beides nicht unbegrenzt zur Verfügung steht. Wir wissen aber auch: Inklusion ist kein Sparmodell. Es braucht sowohl zusätzliches Personal als auch eine entsprechende sächliche Ausstattung.

Doch nun konkret zu den Inhalten des § 4 c. Was hat uns angetrieben? Rund 7,7 % der sächsischen Schülerinnen und Schüler haben einen sonderpädagogischen Förderbedarf, von denen etwa ein Drittel inklusiv an Regelschulen und zwei Drittel an Förderschulen unterrichtet werden. Damit steht der Freistaat Sachsen im Bundesvergleich nicht schlecht da, allerdings haben wir im Förderschwerpunkt Lernen großen Nachholbedarf. Dort lernen nämlich im Bundesdurchschnitt fast 40 % der Kinder an Regelschulen. Bei uns sind es lediglich 5 %. Das betrifft 10 600 Kinder. Ich glaube, das sind eindeutig zu viele.

(Vereinzelt Beifall bei der CDU)

Für diese Kinder stellt sich nämlich die Frage, wie es nach der Förderschule weitergeht und welche Ausbildungschancen ihnen offenstehen. Unser Ziel ist es, die Zahl der Schulabgänger ohne Schulabschluss deutlich zu senken, möglichst viele zu einem Schulabschluss zu führen und sie in einer beruflichen Ausbildung zu begleiten.

Diese Kinder sind auch für unsere Wirtschaft ein wichtiges Potenzial. Sie haben ihre Stärken, sind meistens handwerklich sehr geschickt oder sehr sozial veranlagt. Diese Kinder stehen für uns im besonderen Fokus des § 4 c.

Was ist nun neu an diesem Paragrafen? Es ist unser Ziel, ab dem Schuljahr 2023/2024 grundsätzlich – bis auf begründete Ausnahmen – alle Kinder in eine Regelgrundschule einzuschulen. Auf eine vorschulische Feststellung von sonderpädagogischem Förderbedarf in den Förderbereichen Lernen und emotional soziale Entwicklung wird verzichtet. Sollte ein Kind eine Feststellung von sonderpädagogischem Förderbedarf benötigen, so sollte das erst im Verlauf der 2. Klasse passieren und das 1. Schuljahr in die Beurteilung einbezogen werden.

In der Übergangszeit bis zum Schuljahr 2023/2024 läuft eine Pilotphase, in der Schulen, die das wollen, sich freiwillig schon eher auf den Weg machen können. Sie erhalten zur Unterstützung ab dem Jahr 2019 zusätzliche pauschalierte zweckgebundene Zuweisungen, die sie eigenverantwortlich einsetzen können. Frau Falken, das

steht bei den Übergangsregelungen in § 64 des Änderungsantrages unter den Ziffern 8 bis 10.

(Cornelia Falken, DIE LINKE: Aber es funktioniert nicht! Die können nicht einfach so Leute einstellen!)

Dazu kommen wir noch.

(Zuruf von der CDU)

Wir stärken die Elternmitbestimmung, denn den Anspruch auf sonderpädagogische Förderung erfüllen grundsätzlich alle Schularten. Zukünftig können auch Oberschulen lernzieldifferent unterrichten, aber mit dem Ziel, möglichst viele der Schülerinnen und Schüler zu einem Hauptschulabschluss zu führen. Wir wollen, dass Schulen aller Schularten in einer Region gut zusammenarbeiten. Dazu sollen sie sich zu Kooperationsverbünden zusammenschließen. Schulen in freier Trägerschaft sind eingeladen, freiwillig mitzuarbeiten.

Einen Rechtsanspruch auf die Aufnahme an einer konkreten Schule besteht nicht, weil nicht an jeder Schule für jeden Förderschwerpunkt die räumlichen und personellen Voraussetzungen vorgehalten werden können. Die Schulen sind darüber hinaus gehalten, auf eine ausgewogene Klassenbildung zu achten; denn wir wollen ausdrücklich keine Konzentration von Kindern mit sonderpädagogischem Förderbedarf im Bereich emotional-soziale Entwicklung an einer Schule.

Schulen, die Kinder mit sonderpädagogischem Förderbedarf unterrichten, erhalten je nach Bedarf zusätzliches Lehrerarbeitsvermögen unterstützend zur Verfügung

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Dieser § 4 c beschreibt die Situation, die wir bis zum Schuljahr 2023/2024 erreicht haben wollen. Ganz bewusst geben wir unseren Schulen diese Zeit, um Pädagogen, Erzieher, Eltern und Schulträger auf dem Weg in eine inklusive Gesellschaft mitzunehmen, wovon Schule zwar ein wichtiger, aber eben nur ein Teil ist.

Ich sage es noch einmal: Inklusion kann nur dann gelingen, wenn die handelnden Personen davon überzeugt sind und motiviert mitarbeiten, wenn die Rahmenbedingungen stimmen, das heißt, wenn ausreichend qualifiziertes Personal zur Verfügung steht und die Schulen über die notwendige Ausstattung verfügen. Da sind wir heute noch nicht, und das braucht Zeit. So ehrlich müssen wir miteinander sein.

(Beifall der Abg. Sabine Friedel, SPD)

Ein Blick nach Nordrhein-Westfalen ist hilfreich, um zu erkennen, welche Fehler wir nicht machen dürfen. Dort hat man ideologisch motiviert die Förderschulen abgeschafft und alle Kinder in die Regelschule geschickt, allerdings ohne die entsprechenden Rahmenbedingen zu schaffen und die notwendigen Ressourcen mitzugeben. Dieses Experiment ist gescheitert. Wir haben uns deshalb darauf verständigt, dass bis zum 30. September 2021 eine

Evaluation durchzuführen ist und uns deren Ergebnisse vorzulegen sind.

Wir werden dann nochmals draufschauen, ob sich unser Konzept in der Praxis bewährt oder welche Anpassungen gegebenenfalls notwendig sind. Vor der Verallgemeinerung für alle Schulen wird dieses Hohe Haus bis zum 30. Juni 2022 erneut über die verbindliche und flächendeckende Einführung entscheiden. Ich wünsche mir, dass wir dann guten Gewissens sagen können: Das Konzept funktioniert, und wir gehen gemeinsam auf diesem Weg weiter voran.

Um dies zu erreichen, haben wir unsere politischen Forderungen in einem sehr speziellen Entschließungsantrag festgeschrieben. Meine Kollegin Hanka Kliese wird noch erklären, was uns dazu bewogen hat.

Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit und bitte um Ihre Zustimmung zu unserem Gesetzentwurf.

(Beifall bei der CDU, der SPD und der Staatsregierung)

Die Linksfraktion, bitte. Wird das Wort gewünscht? – Nein. Dann bitte ich nun die SPD-Fraktion. – Auch nicht. Die AfD-Fraktion? – Frau Kersten, bitte.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Dass es mehr als lange gedauert hat, bis man heute das neue Schulgesetz beschließen wird, hat mein Kollege Uwe Wurlitzer in seinem Redebeitrag bereits dargelegt. Nun könnte man meinen: „Was lange währt, wird gut.“ Doch weit gefehlt!

(Christian Hartmann, CDU: Na!)

Das neue Schulgesetz passt sich dem politisch korrekten Zeitgeist im Bildungsbereich schon im § 1 an. Es atmet das Wort „Kompetenz“ – ein Begriff, der alles und nichts bedeutet, ein Begriff, welcher suggeriert, dass es nichts ausmacht, wenn man nichts weiß. Wichtig ist nur, dass es niemand merkt.

(Zuruf der Abg. Sabine Friedel, SPD)

Im neuen Schulgesetz geht es um Orientierungen, um Unverbindlichkeit, also eben um Kompetenzen – und das, ohne zu berücksichtigen, was Gesellschaften weiterentwickelt. Das nämlich sind nicht Gleichmacherei, Angst vor Bewertungen, Beurteilungen oder Leistungserhebungen. Es sind Kenntnisse, Fähigkeiten und Fertigkeiten, also Wissen – all jene Begriffe, die von der CDU und der SPD aus dem Schulgesetz verbannt wurden. Horst Köhler, ehemaliger Bundespräsident, hat einmal gesagt: „Wissen ist der einzige Rohstoff, der auf unserer Erde unbeschränkt zur Verfügung steht und der sich durch Gebrauch nicht abnutzt, sondern vermehrt.“

Doch von Wissen will das neue Schulgesetz nichts mehr wissen. Leistung – um Himmels willen! Vergleiche zwischen Schülern – aber nicht doch! Dann schon lieber lernzieldifferenter Unterricht. Explizite, bestmögliche

Förderung und Unterstützung bei Defiziten – nein, nein, nein! Stattdessen lieber Inklusion.

(Lachen bei der CDU – Zuruf des Abg. Patrick Schreiber, CDU)

Ergebnisse einer solchen Bildungspolitik können wir in den Bundesländern sehen, in denen es kein Sitzenbleiben mehr gibt oder die bei der Inklusion schon viel weiter sind als Sachsen: Bremen, Hamburg und Berlin. Mit diesen Ländern will Sachsen doch nicht wirklich in Zukunft um die letzten Plätze bei den Bildungstests konkurrieren?

Belege? Gern! In Hamburg wurde jüngst eine Vorab-AbiKlausur mit bundeseinheitlichen Mathematikaufgaben geschrieben. Das Ergebnis: katastrophal! Ein Notendurchschnitt von 4,1; 43 % der Schüler hatten die Note 5 oder schlechter, und damit dann doch nicht alles ganz so schlimm erscheint, wie es tatsächlich war, wurden kurzerhand alle Noten um eine Notenstufe heraufgesetzt. Eigentlich merkwürdig, denn noch im vergangenen Jahr verkündete Hamburg einen Rekord an Abiturienten. Kann man quasi über Nacht dümmer werden? Offensichtlich ja. Nicht zu vergessen sei, dass die Bildungspolitik in Hamburg von einem SPD-Mann verantwortet wird. Wir werden zukünftig also nicht so tun können, als hätten wir es nicht gewusst. Der neue § 1 weist also den neuen Weg des sogenannten Paradigmenwechsels von der Wissens- zur Kompetenzvermittlung – für uns der falsche Weg.

Gleichwohl enthält das neue Schulgesetz einzelne Regelungen, die auch wir begrüßen und die teilweise Vorschläge der AfD-Fraktion aufgreifen. So wurde unser bereits im Sommer 2015 in den Landtag eingebrachte Antrag „Moratorium zur Klassenzusammenlegung von

10. Klassen“ aufgegriffen und, modifiziert, im Gesetz verankert.

Gestatten Sie eine Zwischenfrage, bitte? – Herr Bienst.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Entschuldigen Sie, Frau Kersten, dass es so spät kommt, aber ich stehe schon eine Weile hier. – Ist Ihnen bekannt, dass die Wissensvermittlung, die ja Teil einer Kompetenzvermittlung ist, in den Lehrplänen eindeutig geregelt ist und dass das Schulgesetz die Rahmenbedingungen dafür klärt? Aber das hatten Sie, glaube ich, auch schon im Ausschuss nicht richtig beantwortet. – Danke schön.

(Christian Hartmann, CDU: Dann hat sie jetzt noch einmal die Chance!)

Versuchen Sie es einmal!

Warum schreiben Sie es dann nicht ins Gesetz hinein? Natürlich ist mir das klar. In den Lehrplänen steht vieles, aber wir müssen doch Prioritäten setzen: Was ist Schule? Was ist Schulziel? Was ist Schulaufgabe? Das kann doch nicht eine Kompetenz sein, sondern das muss doch in erster Linie Wissen sein. Kompetenzen, Herr Bienst, entwickeln sich aus Wissen, nur aus Wissen.

(Beifall bei der AfD – Lothar Bienst, CDU: „Rahmenbedingungen“ habe ich gesagt, Frau Kersten! – Patrick Schreiber, CDU: Im Gegensatz zu Ihrer Fraktion!)

Gut. – Ich war aber bei unserem Antrag „Moratorium zur Klassenzusammenlegung von 10. Klassen“ stehengeblieben und hatte gesagt, diese Thematik sei im Schulgesetz aufgegriffen und, entsprechend modifiziert, eingebracht worden. Wir haben also damals schon gefordert, dass keine 10. Klassen zusammengelegt werden sollen. So erfreulich die neuen Regelungen sind, so erstaunt sind wir doch über den Sinneswandel in der Koalition. Herr Bienst von der CDU schilderte damals in seinem Redebeitrag zu unserem Antrag sehr eindrucksvoll, wie gut die derzeitigen Regelungen funktionieren, und sah keinen Änderungsbedarf. Herr Bienst, woher kommt denn jetzt dieser Sinneswandel? Oder: Herr Mann von der SPD lehnte unseren Antrag ab, weil es dafür keine Notwendigkeit gebe. Herr Mann, warum gibt es jetzt diese Notwendigkeit?

Gleichwohl die AfD-Fraktion die neuen Regelungen hinsichtlich der Klassenzusammenlegungen begrüßt, gehen uns diese nicht weit genug, deshalb werden wir unseren Änderungsvorschlag später noch vorstellen.