Protokoll der Sitzung vom 17.05.2017

Auch die AWO Oberlausitz unterstützt grenzüberschreitende Kita-Kooperationen. Im Januar begann für die AWO Oberlausitz und drei ihrer Kindertagesstätten das mehrjährige Projekt „Gemeinsam spielen, voneinander lernen. – Společně si hrát a navzájem se učit“, welches durch Mittel der Europäischen Union gefördert wird. Hier kooperieren Einrichtungen aus Sachsen und Tschechien im grenznahen Raum

Ich könnte noch viele, viele weitere Beispiele nennen. Ständiger Austausch tschechischer bzw. polnischer und deutscher Pädagogen, aber eben auch von jungen Menschen und ihren Familien steht für erfolgreiche Kooperationsbeziehungen.

Aber all diese vielen positiven Ansätze reichen bei Weitem nicht aus. Ich bin der Meinung, dass eine grenzüberschreitende nachbarsprachliche Bildung den Ansprüchen von Humanismus, von Wertevermittlung – ja, Frau Wilke, von aktiver politischer Bildungsarbeit genügt. Wenn ich die Sprache meines Nachbarn spreche bzw. verstehe, kann ich auf die jeweiligen Probleme und Nöte meines Gegenübers eingehen; ich kann Freud und Leid teilen – wichtige Aspekte gerade in grenznahen Räumen. Es fällt den Sprachkundigen leicht, das Funktionieren von Wirtschaftssystemen der Nachbarn zu verstehen, politische Ansichten zu begreifen, Kulturen mit ihren Besonderheiten zu akzeptieren. Ja, familiäre Bindungen einzugehen fällt leichter und Freundschaften sind einfacher zu schließen und zu leben. Je eher man damit beginnt, umso nachhaltiger ist die Wirkung im Laufe des Lebens.

(Beifall des Abg. Marko Schiemann, CDU)

Danke, Herr Schiemann. – Ich möchte Ihnen einmal ganz kurz meine Erfahrungen zum Thema darlegen. Vor circa 46 Jahren gab es einen regen Jugendaustausch unserer evangelischen Kirchengemeinde mit Jugendlichen aus dem Raum Pardubice. Ich hatte Ferien – ich war damals noch ein Schulkind – und meine Eltern waren bereit, in den Ferien einen Tschechen bei uns aufzunehmen. Dieser gleichaltrige Junge – Luboš heißt er – sprach so gut wie kein Deutsch und ich natürlich kein Tschechisch. Um das Ergebnis vorwegzunehmen: Wir sind mit unseren Familien heute noch eng befreundet – er, seine Frau und die beiden Kinder sprechen vorzüglich Deutsch – ich eher miserabel Tschechisch; ich verstehe vielleicht mehr, als ich spreche. Aber durch die vielen Ferientage damals und in Kontakt mit meinen Freunden behaupte ich zumindest, die Mentalität der Menschen zu kennen; ja, meine Nachbarn in Tschechien als Freunde bezeichnen zu können.

Übrigens, gleicher Jugendaustausch fand mit polnischen Jugendlichen statt, da kamen die politischen Freiheitsaktivitäten der Polen dazwischen. Weitere christliche Jugendaustausche waren dann leider nicht mehr möglich; der sozialistische Staat DDR hat das verhindert. Vielleicht könnte ich sonst auf gleiche Erfahrungen mit polnischen Bürgern verweisen.

Ich möchte wieder zum Thema zurückkehren. Ja, wir müssen auf dem eingeschlagenen Weg weitergehen und diesen qualifizieren. Wir brauchen Fachkräfte aus unseren Nachbarländern in unseren Einrichtungen. Ebenso sollten auch unsere sächsischen Bürger die Möglichkeit ergreifen, in Nachbarländern fachlich-pädagogische Unterstützung zu geben. Wir brauchen tschechische Pädagogen, die muttersprachlich die sorbische Sprache in den Schulen im sorbischen Siedlungsgebiet vermitteln.

Berufsabschlüsse müssen anerkannt werden; vor allen Dingen sehe ich Reserven in einer unkomplizierten und einfachen Behördenbehandlung. Gerade am vergangenen Freitag waren wir in der sächsischen Vertretung in Prag, und da berichtete eine tschechische Lehrerin, die in einer Oberschule in Pirna unterrichtet, dass ihr Berufsanerkennungsverfahren über zwei Jahre gedauert hat.

Vielleicht ist das nur ein Einzelfall; ich hoffe es. Wenn wir aber auf dem Weg grenzüberschreitender nachbarsprachiger Bildung weitergehen wollen, müssen wir gerade im Anerkennungsverfahren direkte, schnelle und unbürokratische Wege gehen. Das gilt sowohl für die Pädagogen im schulischen Bereich als auch und vor allem für die Pädagogen im frühkindlichen Bereich.

Meine Damen und Herren, ohne der Haushaltsdebatte vorgreifen zu wollen, will ich doch darauf hinweisen, dass wir gemeinsam prüfen müssen, ob die zur Verfügung stehenden Haushaltsmittel angesichts der gestiegenen Ansprüche in diesem wichtigen Bildungsbereich noch angemessen sind.

Gestatten Sie eine Zwischenfrage, Herr Kollege Bienst?

Bitte, Frau Wilke.

Wir haben Freizügigkeit in Europa. Daher haben wir überhaupt kein Problem, auch heute schon, das heißt, ohne ein neues Gesetz zu schaffen, Erzieher, auch Kita-Erzieher, aus Polen oder aus Tschechien in unseren Kitas anzustellen. Das ist doch völlig unproblematisch.

Was ist jetzt Ihre Frage?

Andersherum können auch deutsche Erzieher, wenn sie es denn wollen, in polnischen oder tschechischen Kitas ohne Probleme tätig sein. Das ist doch so, oder nicht?

Das ist die Frage gewesen?

Ja, das ist die Frage.

Das ist sicherlich richtig.

Deshalb verstehe ich nicht, weshalb wir noch – –

(Christian Piwarz: Die Frage stellen!)

Okay, das war die Frage.

Ich wollte gerade darauf eingehen, dass wir kein Gesetz brauchen, wie es von den GRÜNEN gefordert wurde. Wir haben schon Möglichkeiten, auch die, die Sie geschildert haben. Aber was natürlich forciert werden muss, ist die Verkürzung der bürokratischen Wege, die man durchschreiten muss, um hier in Sachsen ständig arbeiten zu können. Das ist mein Ansinnen.

Um die notwendigen Antworten auf die gestellten Fragen zu bekommen, aber vor allen Dingen um die erforderlichen Schlussfolgerungen – auch in Vorbereitung der Haushaltsdebatte – ziehen zu können, brauchen wir diesen Antrag. Ich bitte Sie deshalb um Zustimmung.

Danke schön.

(Beifall bei der CDU und der SPD)

Kollege Bienst hat für die CDU und für uns alle eine zweite Rederunde eröffnet. Jetzt schaue ich in die Runde: Gibt es aus den Fraktionen weitere Kolleginnen oder Kollegen, die die zweite Runde bestreiten wollen? – Ich kann keinen Redewunsch zu erkennen.

Damit kommt die Staatsregierung zu Wort. Sie, Frau Staatsministerin Kurth, möchten es ergreifen.

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren Abgeordneten! Um es gleich vorweg zu sagen: Wir befürworten den Antrag der Fraktionen der CDU und der SPD, die grenzüberschreitende nachbarsprachige Bildung zu stärken.

(Marco Böhme, DIE LINKE: Wie überraschend!)

Ich begründe das gleich ausführlich. – Die Sächsische Staatsregierung misst der nachbarsprachigen Bildung seit vielen Jahren hohe Priorität zu. Wir konnten in den letzten Jahren auch gute Fortschritte erzielen.

Wir haben in den letzen Jahren die Bedingungen für das Angebot der Nachbarsprachen Polnisch und Tschechisch im vorschulischen und im schulischen Bereich geschaffen, insbesondere in den sächsischen Grenzregionen, und möchten dieses Angebot natürlich weiter ausbauen. Dass dies richtig und wichtig ist, kann tagtäglich und ganz praktisch in den Kommunen des sächsisch-tschechischen und des sächsisch-polnischen Grenzgebietes erlebt werden; denn die wechselseitige Nutzung kommunaler Infrastruktur – ob das die Kita oder die Schule ist, ob das Einkaufsgelegenheiten oder Freizeitangebote sind – ist Realität im Grenzgebiet. Dabei findet in diesen Regionen

ein wunderbarer europäischer Integrationsprozess statt: Grenzen verschwinden einfach. Nachbarsprachen werden auf diese Weise unkompliziert gelehrt. Sie verbinden die Menschen.

Einige Beispiele für den Bildungsbereich sollen das verdeutlichen: Mit Stand November 2016 wurden in 65 Kindertageseinrichtungen Sprachlernangebote in einer Nachbarsprache – Polnisch bzw. Tschechisch – vorgehalten und/oder eine Partnerschaft mit einer Kita aus dem Nachbarland gepflegt. Betrachtet man die Schulpartnerschaften in Sachsen, so stellt man fest, dass die Schulpartnerschaften mit Tschechien Rang 1 und die mit Polen Rang 2 belegen. Aktuell wird das Fach Tschechisch an 20, das Fach Polnisch an 29 allgemeinbildenden Schulen im Freistaat Sachsen unterrichtet.

Obwohl an unseren Oberschulen die Lehrersituation besonders kompliziert ist – das weiß auch ich –, wird dort Tschechisch bzw. Polnisch als zweite Fremdsprache angeboten, im Besonderen natürlich in den Grenzregionen.

An Gymnasien werden Tschechisch und Polnisch als zweite oder als dritte Fremdsprache angeboten. Darüber hinaus gibt es eine binationale/bilinguale Ausbildung ab Klassenstufe 7 – in Tschechisch am Schiller-Gymnasium in Pirna, in Polnisch am Annen-Gymnasium in Görlitz. Das, meine Damen und Herren, ist bundesweit einzigartig. Unsere Gymnasien in Pirna und in Görlitz weisen dieses Alleinstellungsmerkmal auf. Sie genießen einen hervorragenden Ruf in ganz Deutschland. An rund 30 Schulen werden Arbeitsgemeinschaften Polnisch oder Tschechisch angeboten.

Seit September 2014 fördert das SMK die Sächsische Landesstelle für frühe nachbarsprachige Bildung; das wurde bereits gesagt. Die LaNa ist in Trägerschaft des Landkreises Görlitz. Ihr Auftrag ist es, als Schnittstelle zu fungieren und alle Akteure, die für frühe nachbarsprachige Bildung in den Kitas des grenznahen Raumes wirken, zu vernetzen. Darin ist die LaNa sehr, sehr erfolgreich. Ein wissenschaftlich fundiertes Konzept zu entwickeln und zu erproben ist eine weitere Aufgabe. Die LaNa hat schließlich das Zusammenwirken fachlich zu begleiten und zu moderieren sowie den wechselseitigen Erfahrungs- und Erkenntnistransfer zwischen Wissenschaft, Praxis, Politik und Verwaltung sicherzustellen.

2016 beteiligte sich Sachsen erstmals an der Kofinanzierung des Programms „Von klein auf“ des Koordinierungszentrums Deutsch-Tschechischer Jugendaustausch TANDEM zur Unterstützung grenzüberschreitender deutschtschechischer Kita-Begegnungen.

Durch die INTERREG-Kooperationsprogramme „Freistaat Sachsen – Tschechische Republik 2014 – 2020“ und „Polen – Sachsen 2014 bis 2020“ werden grenzüberschreitende Projekte von Kitas, Schulen und anderen Bildungsträgern unterstützt, zum Beispiel im Schulbereich unter Leitung der Bildungsagentur das Projekt Regionalmanagement, mit dem die sächsischen und die polnischen Schulen nicht nur das Erlernen der Nachbar

sprache, sondern vor allem auch das interkulturelle Verständnis im Grenzraum vertiefen.

Auch zukünftig werden nachbarsprachige Bildung in Kita und Schule sowohl im Rahmen des Fremdsprachenerwerbs als auch durch die Vermittlung von interkulturellen und sozialen Kompetenzen als übergreifende Ziele gefördert, insbesondere durch Aus-, Fort- und Weiterbildung des pädagogischen Personals, indem polnische und tschechische Muttersprachler in sächsischen Bildungseinrichtungen eingesetzt werden. Dabei ist das SMK bestrebt, den Anteil von in Sachsen eingesetzten Lehrkräften und Erziehern aus Polen und Tschechien zu erhöhen. Über diesen Prozess sind wir gerade intensiv in Gesprächen. In weiterführenden Projekten zur frühen nachbarsprachigen Bildung im Kita-Bereich sowie in schulischen Fremdsprachenkonzepten werden Vorschläge erarbeitet, um die Rahmenbedingungen für die Umsetzung nachbarsprachiger Bildungsangebote zu sichern und die Angebote vor allem auch zu verzahnen.

Trotz der wunderbar positiven Entwicklung, die ich gerade skizziert habe, und des positiven Ausblicks darf ich einen Punkt nicht unerwähnt lassen: Dem weiteren Ausbau der fremdsprachigen Bildung in Polnisch und Tschechisch werden durch die personellen Ressourcen im Lehrerbereich natürlich objektive Grenzen gesetzt. Genau deshalb sind wir mit unseren Nachbarländern im Gespräch, um Lehrerinnen und Lehrer aus Tschechien und Polen für unsere Sprachausbildung und für den Unterricht zu gewinnen.

(Beifall bei der CDU)

Ungeachtet dieser Feststellung begrüße ich den Antrag zur Stärkung der nachbarschaftlichen Bildung. Ich empfehle dem Plenum die Annahme.

Ich bedanke mich bei all jenen, die diesen nicht einfach umzusetzenden Prozess aktiv unterstützen.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der CDU und der SPD)

Für die Staatsregierung war Frau Staatsministerin Kurth die Letzte in der Rederunde. Aber das Schlusswort haben natürlich die einbringenden Fraktionen von CDU und SPD. Wer möchte jetzt das Wort ergreifen? – Ich sehe den Abg. Lehmann. Es folgt das dreiminütige Schlusswort, das eigentliche Finale.

Herr Präsident! Liebe Kollegen! Frau Staatsministerin! Vielen Dank für die sehr konstruktive Debatte. Ich habe, wie Sie wissen, die Ehre, seit über sieben Jahren den Freistaat im Ausschuss der Regionen in Europa zu vertreten. Wir befassen uns mit komplizierten Überlegungen und Stellungnahmen, wie wir für die Zukunft das Projekt Europa mehr an die Herausforderungen des 21. Jahrhunderts heranführen können. Bei allen Dingen ist am Ende entscheidend, wie die Kohäsion zwischen den Mitgliedsländern, wie die Kohäsion zwischen den Regionen hält.

Wenn wir die kleinen Dinge fördern, also die Sprachfähigkeit über Grenzen hinweg möglich machen, stärken wir die Kohäsion, stärken wir die Standfestigkeit der Europäischen Union. Wir haben heute in diesem Hause ein sehr gutes Beispiel dafür geliefert, dass wir hier Schrittmacher sein wollen. Dafür bedanke ich mich und empfehle Ihnen die Annahme unseres gemeinsamen Antrags.