Protokoll der Sitzung vom 17.05.2017

(Beifall der Abg. Petra Zais, GRÜNE)

Ich hatte in der letzten Plenarsitzung schon gesagt, dass die EU-Normen uns nicht verpflichten, dieses Instrument zu nutzen. Die Rückführungsrichtlinie normiert nur, wann und wie wir das machen müssen.

Schlussendlich hat die SPD mit dem Gesetz, das den Ausreisegewahrsam geschaffen hat, und womöglich heute in dieser Plenarsitzung mitgeholfen, Inhaftierungen mit noch geringeren Hürden vorzunehmen. Das ist schon enttäuschend.

Besinnen zumindest Sie sich auf ein zentrales Element der Innenausschussreise in der letzten Woche. Migration und Flucht nicht als Problem und Migranten und Flüchtlinge nicht als Belastung zu sehen, sondern menschenrechtliche Aspekte in den Vordergrund zu stellen, das ist die Philosophie des Bürgermeisters von Palermo, Leoluca Orlando, den wir kennengelernt haben. In der von ihm publizierten Charta von Palermo, die er der Delegation des Landtags eindrücklich vorgestellt hat, heißt es – Zitat –: „Es ist notwendig, den Ansatz zu ändern in dem Sinn, dass das Problem Migration dem Recht auf Freizügigkeit Platz macht. Kein Mensch hat den Ort, an dem er geboren wird, ausgesucht oder sucht diesen aus; jeder Mensch hat den Anspruch darauf, den Ort, an dem er leben, besser leben und nicht sterben möchte, frei zu wählen.“ Das Aufenthaltsrecht – so Orlando ganz persönlich zu der Delegation von sächsischen Landtagsabgeordneten – sei moderne Sklaverei.

(Beifall bei den LINKEN)

Wenn wir uns nur ein Fünkchen dieser doch radikal anderen Sichtweise des Bürgermeisters von Palermo zu Herzen nehmen, kann das nur heißen, dass das Begehr zur Errichtung eines Abschiebeknastes mit dem euphemistischen Namen Ausreisegewahrsam heute zurückzuweisen ist.

Ich betone und wiederhole es gern: Wir lehnen diesen Gesetzentwurf ab!

Vielen Dank.

(Beifall bei den LINKEN und vereinzelt bei den GRÜNEN)

Für die SPDFraktion Herr Abg. Pallas, bitte.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren Abgeordneten! Wir behandeln heute in zweiter Lesung den Gesetzentwurf zum Ausreisegewahrsamsvollzugsgesetz.

Die Themen Flucht und Asyl, aber eben auch Abschiebung ausreisepflichtiger Menschen beschäftigen uns hier im Landtag immer wieder. In den letzten beiden Plenarrunden gab es jeweils Anträge dazu. Es wird immer wieder deutlich, dass es kein leichtes Thema ist, was sowohl auf einer sachlichen oder juristischen als auch auf

einer moralischen und emotionalen Ebene abläuft. Diese Ebenen kommen einfach nicht zusammen.

So wird es auch heute laufen; das ist der Charakter dieser Debatte. Ich denke, dass wir uns trotz aller Emotionen, die ich teile und nachvollziehen kann, bemühen sollten, sachlich zu bleiben.

Wir haben uns sehr intensiv mit dem Gesetzentwurf und auch der Kritik daran auseinandergesetzt. Die Kritik richtetete sich einerseits nicht nur generell gegen Abschiebungen und gegen Gewahrsam als solchen, sondern andererseits auch gegen die konkrete Ausgestaltung des Ausreisegewahrsams. Das wurde auch in der Anhörung am 25. November 2016 deutlich. Wir nehmen diese Bedenken sehr ernst. Das wird auch daran deutlich, dass wir erst heute, ein halbes Jahr nach dieser Anhörung, über den modifizierten Gesetzentwurf im Plenum beraten.

Ich persönlich verstehe, dass viele Menschen Abschiebungen ablehnen. Das gilt umso mehr für einen Ausreisegewahrsam, auch wenn er nur in absoluten Ausnahmefällen zur Anwendung kommen dürfte.

Tatsächlich gab es einige Probleme in dem Gesetzentwurf, die wir in die Gespräche mit dem Koalitionspartner einbezogen haben, und ich möchte kurz auf die einzelnen Punkte eingehen.

Frau Nagel hat es erwähnt: Es wird sehr intensiv mit der Verweisungstechnik in dem Gesetzentwurf gearbeitet. Das wurde von den Sachverständigen ebenfalls kritisiert. Es ist zwar formaljuristisch nicht falsch, es so zu tun, aber deshalb ist es problematisch für Anwender und auch Adressaten des Gesetzes, also für die potenziellen Menschen, die in der Einrichtung arbeiten, aber auch für diejenigen, die in Gewahrsam genommen werden könnten.

Der zweite wichtige Punkt war die Klarstellung, dass es sich um das letzte Mittel, die Ultima Ratio, handelt. Ich erinnere an die Debatte zum GRÜNEN-Antrag in der letzten Plenarsitzung, in der wir das hinreichend diskutiert haben. Ich will nur feststellen, dass im § 62 b des Aufenthaltsgesetzes ganz klar geregelt ist, dass der Ausreisegewahrsam das letzte Mittel sein muss. Das kommt durch die Verweisung in dem Gesetzentwurf nicht deutlich heraus, aber es ist enthalten.

Außerdem gibt es leider nur rudimentäre Regelungen hinsichtlich der Ausgestaltung und Durchführung der Gewahrsamsmaßnahmen. Bis auf Zuständigkeiten und Regelungen zur Unterbringung von Frauen und Männern sind im Entwurf selbst keine hinreichend konkreten Regelungen enthalten. Es fehlten auch völlig Aussagen zu besonders schutzbedürftigen Personen. Das war für uns besonders problematisch.

Auch deshalb haben wir uns noch damit beschäftigt, welches Personal in der Einrichtung arbeiten soll. Einerseits ging es uns darum, sicherzustellen, dass neben Verwaltungsangestellten auch soziale Dienstleister in der Einrichtung arbeiten sollen und auch eine äußere Bewachung stattfinden wird. Die zentrale Frage war aber: Was

sind es für Menschen bzw. welches Personal wird die Sicherungsaufgaben im Inneren durchführen? Aus dem Gesetzentwurf war nicht ersichtlich, welche Qualifikationen diese Personen haben müssen oder ob es sich um Beamte handeln muss, weil die Bediensteten in einem äußerst grundrechtssensiblen Bereich agieren müssen.

Mit der Regelung im Gesetzentwurf wäre es schlimmstenfalls sogar möglich gewesen, dass Mitarbeiter von Privatunternehmen als Beliehene diese Aufgaben wahrnehmen. Das war und ist für uns als SPD nicht akzeptabel. Deswegen haben wir uns um die entsprechende Klarstellung im Gesetz bemüht. Sichernde Aufgaben in einer Gewahrsamseinrichtung sind hoheitliche Aufgaben, und diese müssen von Staatsbediensteten wahrgenommen werden.

Allerdings handelt sich bei dem vorliegenden Gesetz um eine Interimslösung – Frau Nagel hatte es bereits ebenfalls erwähnt.

Damit komme ich zur Lösung der Probleme, die wir als SPD mit unserem Koalitionspartner im Gesetzentwurf gesehen haben.

Eine Frage ist, warum wir überhaupt ein Übergangsgesetz brauchen und nicht gleich in aller Ruhe ein vollständiges und richtiges Gesetz machen. Wir haben uns überzeugen lassen, dass – wenn man diese Einrichtung überhaupt vorbereiten und bauen will – eine gesetzliche Grundlage notwendig ist, damit Personalplanung, Baumaßnahmen und die dazu notwendigen Ausschreibungen begonnen werden können.

Deshalb war es das Ziel meiner Fraktion, dass wir dieses vorläufige Gesetz möglichst schnell durch ein umfassendes und klar verständliches Folgegesetz ersetzen, welches ohne derart umfassende Verweisungen auskommt. Wie wir gehört haben, ist dieses Gesetz bereits innerhalb der Staatsregierung in Arbeit und wird uns sicher noch im Laufe dieses Jahres hier im Parlament ereilen.

Um das zu dokumentieren, wollen wir den Gesetzentwurf definitiv befristen. Das findet sich in dem Änderungsantrag und in der Beschlussempfehlung des Innenausschusses wieder.

Trotz des Interimscharakters wollten wir bereits jetzt einige Änderungen oder Klarstellungen vornehmen, um auf die wichtigsten Kritikpunkte einzugehen.

(Außerhalb des Gebäudes wird ein Plakat vor die Glasfront des Plenarsaals gehalten. – Unruhe – Zurufe)

Frau Präsidentin – –

Ich sehe das und hoffe, dass unsere Sicherheitskräfte darauf reagieren.

Das Versammlungsrecht gilt ja außerhalb des Sächsischen Landtags. Vielleicht lassen wir uns davon nicht stören und führen die Debatte weiter, oder?

(Unruhe)

Wenn wieder Ruhe einziehen könnte, auch in den Reihen des Koalitionspartners, wäre ich sehr zufrieden.

Wir kümmern uns darum. Bitte, führen Sie Ihre Rede weiter.

Ich möchte kurz auf die Änderungen eingehen, die wir in dem Änderungsantrag eingebracht haben. Vielleicht als Wichtigstes schaffen wir – erstens – die Grundlage zur Einrichtung eines Beirates. Das ist deshalb wichtig, weil es eine probate Möglichkeit ist, Organisationen, Institutionen, die sehr kritisch sind, einzubinden in die Frage: Wie wird der Ausreisegewahrsam durchgeführt? Es sollen nicht nur Abgeordnete und der Sächsische Ausländerbeauftragte, sondern auch Vertreter der Zivilgesellschaft beteiligt sein. Das ist wichtig, um Transparenz herzustellen. Es ist aber auch wichtig, um ganz konkrete Probleme bei der Durchführung dieses Gewahrsams anzugehen und zu bereinigen.

Zweiter wichtiger Punkt ist die Klarstellung, dass derartige Aufgaben vorrangig durch Beamte, in jedem Fall aber durch Bedienstete des Freistaats Sachsen wahrgenommen werden. Es kommen keine privaten Sicherheitsleute zum Einsatz. Wichtig ist auch die dienstrechtliche Gleichstellung mit Justizvollzugsbeamten, da es vorgesehen ist, vornehmlich Justizvollzugsbeamte in dieser Ausreisegewahrsamseinrichtung einzusetzen.

Die weiteren Punkte sind ebenfalls bereits angesprochen worden. Es geht um die Klarstellung, dass wir neben der Trennung von Männern und Frauen bei Alleinreisenden einen besonderen Blick auf Familien, unbegleitete Minderjährige und auch auf den Personenkreis besonders Schutzwürdiger haben müssen. Konkret geht es um die Trennung dieser Gruppen von allein untergebrachten Personen.

Meine Damen und Herren, ich möchte vielleicht eines klarstellen: Ich bin davon überzeugt, dass die Ausreisegewahrsamseinrichtung nur in Ausnahmefällen zur Anwendung kommen wird. Ich bin auch davon überzeugt, dass die Ingewahrsamnahme von Familien oder gar von Minderjährigen nur absolute Einzelfälle sein werden, wenn es überhaupt dazu kommt.

Schließlich sind Eigenschaften und Lebensumstände einer Person bei der Verhältnismäßigkeitsprüfung und Abwägung solcher Maßnahmen immer mit zu betrachten. Das gilt umso mehr, als dass bei freiheitsentziehenden Maßnahmen noch viel sorgfältiger geprüft werden muss als bei anderen Maßnahmen.

Meine Damen und Herren! Ich denke, diese von mir skizzierten Änderungen beschreiben einen gangbaren Weg zur Umsetzung eines Ausreisegewahrsams im Freistaat Sachsen. Mit der grundsätzlichen Schaffung der Rechtsgrundlage bewegen wir uns auf dem Stand des Aufenthaltsrechts, welches vom Deutschen Bundestag geschaffen wurde und von den Bundesländern in Landesrecht umgesetzt wird.

(Juliane Nagel, DIE LINKE: Kann!)

Natürlich wird dieses Ergebnis nicht diejenigen zufriedenstellen, Frau Nagel, die Abschiebemaßnahmen prinzipiell grundsätzlich ablehnen und die Grenzen völlig öffnen wollen. Aber an dieser Stelle hat sich auch die Position der SPD-Fraktion nicht geändert, wie ich es auch in den letzten Plenarwochen immer wieder geäußert habe.

Ich halte es immer noch für wünschenswert, dass wir ohne Abschiebungen auskommen. Das Asylrecht beinhaltet die Gewährung ebenso wie die Ablehnung politischen Asyls. Letzteres geht eben mit einer freiwilligen Ausreise oder eben einer Durchsetzung durch Abschiebung als allerletztes Mittel einher. Andernfalls – das wissen Sie – geraten wir schnell in eine Schieflage, und unsere Integrationsbemühungen würden deutlich bei denjenigen mit Bleiberecht erschwert. Gegenwärtig kommen wir also leider nicht ohne das Instrument der Abschiebung aus.

Die Zahl der Abschiebungen, das wurde erwähnt, ist in Deutschland und in Sachsen in letzter Zeit gestiegen. Sie wird auch erst zurückgehen können, wenn wir moderne und klare Regeln für Zuwanderung haben, wonach sich mehr Menschen für Einwanderung und gegen einen Asylantrag entscheiden. Auch wenn wir uns der Tragik eines jedes Falls bewusst sind, insbesondere dann, wenn es sich um eigentlich schon gut integrierte Personen handelt, muss meine Fraktion akzeptieren, dass es gegenwärtig nicht ohne Abschiebungen geht.

Deshalb stimmen wir diesem Gesetzentwurf in der geänderten Fassung zu, und ich bitte auch Sie um Zustimmung.

Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD, der CDU und der Staatsregierung)

Für die AfDFraktion Herr Abg. Wippel, bitte.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Wir reden über das Ausreisegewahrsamsvollzugsgesetz und als AfDFraktion – ich mache es „unspannend“ – werden wir uns bei diesem enthalten.