(Beifall bei der AfD – Zurufe von den LINKEN – Carsten Hütter, AfD: Das ist die typische arrogante Reaktion der LINKEN! – Unruhe)
Meine Damen und Herren, ich denke, ich brauche Sie nicht zu einer Unterbrechung der Sitzung aufzufordern. – Okay. Wir setzen die Aussprache fort. Für die Fraktion BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN erhält Herr Abg. Zschocke das Wort. Bitte sehr, Herr Zschocke.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir sprechen heute erneut über Gesundheitsförderung und Prävention in Sachsen. Eines vorab: Dem Anliegen, dies voranzubringen, stimmen wir natürlich zu. Es ist, denke ich, auch deutlich geworden, dass keine Fraktion hier im Hause dies ablehnt. Ich kann aber wirklich nur schwer nachvollziehen, was der vorliegende Antrag im Moment bewirken soll.
Im Antrag wird beschrieben, wie das Präventionsgesetz durch die Landesrahmenvereinbarung umgesetzt werden sollte. Dies ist vor einem Jahr in Kraft getreten. Auf 13 Seiten sind dort ganz konkrete Ziele zwischen Sozialministerium, Kassen und Versicherungsträgern vereinbart. Jetzt habe ich mal die beschlossene Vereinbarung neben den Antrag gelegt. Dabei stelle ich fest, dass die meisten Antragsforderungen eigentlich ein Stück weit ins Leere laufen: Entweder sind sie schon Bestandteil der Vereinbarung oder sie können nicht über die Landesrahmenvereinbarung geregelt werden.
Zu Punkt 1: Ja, natürlich, das unterstütze ich. Wir sagen auch, dass Prävention nicht nur an individuellem Verhalten, sondern an den Lebensverhältnissen ansetzen muss; das ist ganz klar. Aber so klar ist es eben nicht im Bundesgesetz verankert. Deswegen beruft sich die Staatsregierung nun darauf, daran nicht gebunden zu sein.
Zum zweiten Punkt: Dieses Ziel ist ja bereits in der Präambel der Landesrahmenvereinbarung verankert. Das ist auch wichtig, denn es spricht den Kern des Problems an. Die Studien belegen, dass arme und ausgegrenzte Menschen häufig ungesünder und kürzer leben. Gesund sein und gesund bleiben darf eben nicht vom sozialen Status abhängen.
Zu Punkt 3: Wir haben in der Debatte immer betont, dass die Gesundheitsförderung die größten Chancen hat, wenn sie direkt bei den Menschen ankommt. Insofern ist es natürlich gut, dass sich die Bundesrahmenempfehlung zum Präventionsgesetz an Lebensphasen orientiert. Die Ziele hat Frau Neukirch ja genannt: gesund aufwachsen, gesund leben, gesund im Alter usw. In Sachsen gibt es zusätzlich noch die Gesundheitsförderung von Arbeitslosen, das steht im Fokus. Auch diesem Antragspunkt sollte bereits Rechnung getragen sein.
Zum vierten Punkt: Mit Blick auf die Landesrahmenvereinbarung steht der öffentliche Gesundheitsdienst nicht so im Zentrum. Partner sind vor allem die Kassen, die
Renten- und die Unfallversicherung. Bei der Umsetzung des Präventionsgesetzes sind die Träger der Sozialversicherung die Hauptakteure.
Der öffentliche Gesundheitsdienst kann das Anliegen natürlich durch regionale Arbeitsgemeinschaften zur Gesundheitsförderung unterstützen. Die Personalprobleme im öffentlichen Gesundheitsdienst müssen wir lösen. Wir lösen sie aber nicht über die Landesrahmenvereinbarung.
Zu Punkt 5: Die Ermittlung von Bedarfen zur qualifizierten Gesundheitsberichterstattung ist in der Landesrahmenvereinbarung verankert, allerdings sehr unkonkret. Ich stimme zu, dass es eine Aufgabe der Staatsregierung ist, dies nicht einfach an die Kostenträger abzuschieben.
Sachsen hat nur eine statistische Gesundheitsberichterstattung, die an Bundesindikatoren angelehnt ist, damit die Vergleichbarkeit gewährleistet ist. Was daraus aber konkret für Sachsen zu folgern ist, bleibt unklar. Deswegen hat der Landtag im Herbst letzten Jahres beschlossen, die Staatsregierung zu beauftragen, ein Konzept für eine kontinuierliche Landesgesundheitsberichterstattung zu erarbeiten, und zwar abgestimmt auf die sächsischen Gesundheitsziele.
Jetzt müssen wir doch darauf drängen, dass unsere Beschlüsse auch einmal umgesetzt werden, anstatt dies immer wieder neu zu beschließen. Seit Beginn der Legislatur reden wir darüber, bisher aber ohne Ergebnis.
Zu Punkt 6: Die landesweiten öffentlichen Gesundheitskonferenzen sind in § 2 Abs. 4 der Rahmenvereinbarung geregelt.
Alle diese Antragspunkte sind nicht falsch, ich meine aber, sie bringen uns in der Sache kaum voran. Hinzu kommt, dass der Antrag schon ein paar Monate alt ist. Ebenso alt ist die Stellungnahme der Staatsregierung. Uns fehlt heute also ein Stück weit die Diskussionsgrundlage zur aktuellen Umsetzung der Landesrahmenvereinbarung. Jetzt ist der Zeitpunkt für eine kritische Prüfung: ob diese auch tatsächlich umgesetzt wird, was im Sinne der Prävention bereits erreicht wurde und wo es konkret Lücken und Probleme gibt.
Ich habe das gleich zum Anlass genommen, der Ministerin eine ganze Reihe Fragen zu schicken – auch dahin gehend, wie der Landtag bei der Umsetzung der Landerahmenvereinbarung in Zukunft einbezogen werden soll. Wir brauchen hier doch nicht ständig neue Aufforderungen, sondern mehr Transparenz und vor allem mehr Kontrolle bei der Umsetzung dessen, was bereits vereinbart und beschlossen wurde, meine Damen und Herren.
Meine Damen und Herren, das war die erste Runde. Es gibt Redebedarf für eine weitere Runde. Zunächst spricht für die Fraktion DIE LINKE Frau Abg. Pfau. Bitte sehr, Frau Pfau.
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Da wir heute von Prävention sprechen, ist es wichtig, hier einmal einen Blick auf unsere Kinder und Jugendlichen zu werfen, denn die Grundlagen für ein gesundes Leben werden bereits in der Kindheit und Jugend gelegt.
In einigen sächsischen Kitas werden schon verschiedene Projekte, beispielsweise zur gesunden Ernährung oder zur Verbesserung des psychischen Wohlbefindens, durchgeführt. Das ist aber leider noch zu wenig, denn allen unseren Kindern müssen die gleichen Voraussetzungen zur Verfügung gestellt werden. Dazu gehört auch, dass in allen Kitas beste Bedingungen geschaffen werden müssen, um den Kindern Möglichkeiten zu genügend Sport und Bewegung zu bieten und die Möglichkeit einer gesunden Ernährung. Das bedingt aber auch eine weitere Verbesserung des Betreuungsschlüssels in unseren Kitas und den daraus resultierenden Ausbau des benötigten Personals für Kinder mit besonderen Lern- und Lebenserschwernissen.
Besonders im Bereich der gesunden Ernährung stellt meine Fraktion schon seit vielen Jahren heraus – Frau Junge macht das immer wieder deutlich –, dass in den Kitas und an unseren Schulen ein gesundes Mittagessen wichtig ist. Hierzu zählen Prämissen wie frische und regionale Produkte ebenso wie eine ausgewogene und kindergerechte Ernährung – ein Essen, das nicht schon früh am Morgen in der Großküche gekocht wird und damit den Geschmack und den Nährwert verliert. Damit werden Kinder an eine gesunde Ernährung herangeführt und gleichzeitig werden regionale Wirtschaftskreisläufe unterstützt.
In unseren Schulen reicht es nicht aus, dass das Thema Gesundheitsförderung in den Lehrplänen aller Schularten verankert wurde. Auch die passenden Rahmenbedingungen gehören zur Gesundheit der Schülerinnen und Schüler dazu, ebenso ein gesundes Schulhaus. Von großer Bedeutung sind auch Möbel, die dem Wachstum der Kinder entsprechen, oder eine leichte Schultasche. Ersteres hängt jedoch an der Finanzkraft der Kommunen, was viele davon leider vor unlösbare Probleme stellt.
In den letzten Jahren konnte bei den Schülerinnen und Schülern eine Zunahme der psychischen Belastungen festgestellt werden. Hinzu kommt, dass das Problem des Mobbings an den Schulen leider zunimmt. Schulsozialarbeit leistet für die psychische Gesundheit der Schülerinnen und Schüler einen wichtigen präventiven Beitrag und muss deshalb an allen Schulen in Sachsen flächendeckend zur Verfügung stehen.
Einen Großteil ihrer Zeit verbringen die Kinder und Jugendlichen in der Kita bzw. in der Schule. Aus diesem
Grund erachten wir den Gedanken der Landesrahmenvereinbarung, bereits hier anzusetzen, für richtig. Allerdings dürfen niederschwellige Angebote nicht außen vor gelassen werden, da es sich beim Thema „Gesundes Aufwachsen“ um ein Querschnittsthema handelt. Deshalb sind neben Kitas und Schulen auch weitere Angebote für Eltern und Kinder bereitzustellen. Ein Beispiel dafür sind die frühen Hilfen, um auf Fehlentwicklungen frühzeitig reagieren zu können.
Auch die Schwangerschaftsberatungsstellen sind Teil der Gesamtbetrachtung, da in diesem Rahmen schon bei werdenden Müttern und jungen Familien frühzeitig bei Problemen angesetzt werden kann. Besonders in diesem Bereich ist eine ausreichende Finanzierung sehr wichtig. Die Schwangerschaftsberatungsstellen weisen bereits darauf hin, dass ein Eigenanteil von 20 % für sie fast unmöglich zu finanzieren ist.
Die Angebote der Prävention müssen darauf hinarbeiten, dass nicht nur die Lebenswelten der Kinder verändert werden, sondern auch die der Eltern, da diese natürlich großen Einfluss auf die Kinder haben.
Besonders die frühkindliche Entwicklung im Bereich des gesundheitlichen Verhaltens ist ausschlaggebend. Gerade im Kindesalter werden die Grundregeln für einen gesunden und aktiven Lebensstil gelegt. Beispielsweise konnte nachgewiesen werden, dass Kinder, die im Jugendalter nicht mit dem Rauchen beginnen, mit größerer Wahrscheinlichkeit auch im Erwachsenenalter dem Reiz des Rauchens widerstehen können.
Es ist erfreulich, dass die Zahl der trinkenden und rauchenden Jugendlichen in den letzten Jahren immer weiter abgenommen hat. Dafür zeigen sich aber neue Probleme, beispielsweise Übergewicht oder eine steigende psychische Belastung.
Gleichermaßen lässt sich in den letzten Jahren auch eine steigende Zahl an Allergien beobachten. Zusätzlich ist in Sachsen schon seit einigen Jahren festzustellen, dass die Zahl von Kindern mit Sprachauffälligkeiten und mit Störungen in der Fein- und Grobmotorik zunimmt. Es zeigt sich auch, dass dieses Problem in den Schulen weiter fortgesetzt wird, und da müssen wir ansetzen.
Besonders für Familien in prekären finanziellen Verhältnissen müssen Grundlagen für ein gesundes Aufwachsen der Kinder und Jugendlichen geschaffen werden. Die finanzielle Not und die damit verbundenen psychischen Belastungen wirken sich negativ auf die gesunde Entwicklung der Kinder aus. Dass die soziale Lage entscheidenden Einfluss auf die Gesundheit hat, wurde in meiner Fraktion schon oft thematisiert. Das ist wieder ein gutes Beispiel für die von uns geforderte Einführung einer Kindergrundsicherung; denn ein gesundes Aufwachsen der Kinder darf nicht vom Geldbeutel der Eltern abhängig sein.
Aber auch das Wohnen ist ein wichtiger Bestandteil der Prävention für Kinder und Jugendliche. Sie müssen in
ihrem Wohngebiet die Möglichkeit bekommen, draußen zu spielen. Es müssen genügend Spielplätze vorhanden sein und jungen Menschen beispielsweise Jugendklubs zur Verfügung stehen. Aus diesem Grund ist es wichtig, dass die Jugendarbeit vor Ort ausreichend finanziert wird; denn sie leistet einen wichtigen Beitrag zur Prävention.
Auch unsere Sportvereine sind bei der Prävention im Sport- und Bewegungsbereich. Deshalb ist es wichtig, dass die Übungsleiterinnen und Übungsleiter im Kinder- und Jugendbereich, aber auch die Kinder- und Jugendabteilungen in den Vereinen besser gefördert werden.
Bei der Prävention im Bereich unserer Kinder und Jugendlichen sind wie in allen anderen Präventionsbereichen flächendeckende und dauerhafte Angebote besonders wichtig, die an den Lebenswelten der Menschen ansetzen, die sie genau dort abholen, wo sie wohnen, spielen oder lernen. Projekte, die nach einigen Jahren auslaufen, sind hier nicht zielführend, und eine ausreichende Finanzierung durch das Land ist hier unverzichtbar.
Meine Damen und Herren! Gibt es weitere Wortmeldungen aus den Reihen der Fraktionen? – Das kann ich nicht feststellen. Ich frage die Staatsregierung: Wird das Wort gewünscht? – Heute von Herrn Staatsminister Schmidt. Bitte sehr.
Vielen Dank, Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Meine Kollegin, Staatsministerin Klepsch, ist zur Gesundheitsministerkonferenz in Bremen und hat mich gebeten, stellvertretend für sie an der Aussprache teilzunehmen.
Als drittes Bundesland unterzeichneten die Beteiligten – das sind die Krankenkassen, die Renten- und Unfallversicherungen sowie das Sozialministerium als zuständige Stelle – vor gut einem Jahr die zuvor ausgehandelte Landesrahmenvereinbarung für den Freistaat Sachsen. Basis hierfür ist § 20 f des V. Sozialgesetzbuches. Was die sächsische Rahmenvereinbarung von der anderer Bundesländer unterscheidet, ist die Tatsache, dass es uns gelungen ist, mehr Inhalte hineinzuverhandeln. Wir haben von dem erfolgreichen Prozess der „Gesundheitsziele Sachsen“ profitiert. Wir haben das Erreichte verlustfrei übertragen und können in einem neuen, stabilen rechtlichen Rahmen verlustfrei in den Lebensbereichen „Gesund aufwachsen“ und „Gesund im Alter“ darauf aufbauen. – Das nur als Stichworte.
Nach Unterzeichnung der Landesrahmenvereinbarung begann der strukturelle Aufbau, mithin die Schaffung der arbeitsfähigen Einheiten, was Sie, Frau Kollegin Schaper, gefordert haben. Das Entscheidergremium hat sich bereits
konstituiert und getagt. Die Geschäftsstelle zur Landesrahmenvereinbarung hat inzwischen Sitz und Mitarbeiter.
Sie wissen, die Erwartungen an das Landespräventionsgesetz waren und sind nach wie vor groß. Um Erwartungen zu kanalisieren und dem Informationsbedarf Rechnung zu tragen, war Sachsen das erste Bundesland, in dem sich Institutionen und Vereine online über Ansprechpartner, Ablaufverfahren und vor allem über Förderkriterien kundig machen konnten und weiterhin können.
Möchte ein Antragsteller Präventionsmittel der gesetzlichen Krankenkassen in Anspruch nehmen, muss er unter anderem sowohl die Verhaltens- als auch die Verhältnisebene, also das Lebensumfeld der Zielgruppe, in Augenschein nehmen. Das ist gute fachliche Praxis und Konsens bei den Beteiligten der Landesrahmenvereinbarung. Alle Beteiligten der Landesrahmenvereinbarung sind sich des hohen Anspruchs bewusst, den der Bundesgesetzgeber mit dem Präventionsgesetz formuliert hat. Ich zitiere: „Die Leistungen sollen insbesondere zur Verminderung sozial bedingter Ungleichheit von Gesundheitschancen beitragen.“ Vor diesem Hintergrund bringt die sächsische Landesrahmenvereinbarung dieses Querschnittsanliegen bereits in ihrer Präambel zum Ausdruck.