Sie sehen sicherlich, dass sich das Präventionsgesetz an die Hauptakteure, zum Beispiel die Krankenkassen, richtet. Wie sollen die Krankenkassen die Verhältnisse ändern? Wenn Sie zu der Einschätzung gelangen, zu viel Lärm ausgesetzt zu sein, dann wird Ihnen die Krankenkasse keine Lärmschutzwand aufbauen. Wenn Sie zu viel Feinstaub in der Luft haben, dann wird dies nicht dazu führen, dass die Krankenkassen Rußpartikelfilter in Autos einbauen. Die Frage ist einfach: Was ist von der Leistungsfähigkeit der Akteure her überhaupt möglich im System?
Es ist richtig und wichtig, dass soziale Unterschiede minimiert werden. Aber auch das kann man im Präventionsgesetz kaum regeln.
Ich fasse zusammen: Wir haben unterschiedliche Einschätzungen in Bezug auf die Frage, wo angesetzt werden sollte. Aus unserer Sicht ist das Verhalten sehr viel schneller und effektiver zu verbessern als die Verhältnisse. Ich spreche, wie gesagt, vom Präventionsgesetz. Andere Regelungen will ich nicht ausschließen.
Ich hatte Ihnen versprochen, den Spannungsbogen bis zum Schluss zu halten: Die Ergebnisse der Landesrahmenvereinbarung werden im November vorliegen. Wir werden diese Auswertung abwarten. Ich habe großes Vertrauen, dass das Gremium diese Auswertung korrekt vornimmt. Deswegen werden wir Ihren Antrag heute ablehnen.
(Beifall bei der CDU und vereinzelt bei der SPD – Rico Gebhardt, DIE LINKE: Sie hatten so harmonisch begonnen!)
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Auch ich will mit etwas Positivem anfangen, nämlich mit einem kleinen Rückblick: Vor 15 Jahren hat dieses Hohe Haus noch darüber diskutiert, ob es überhaupt einen Zusammenhang zwischen sozialer Lage und Gesundheit geben könne. Vor ungefähr 10 Jahren wurde darüber debattiert, wer denn dafür zuständig sei. Heute können wir anhand des LINKEN-Antrags darüber reden, wie ein Gesetz, in dem die gesellschaftspolitische Aufgabe dieser Gesundheitsprävention endlich festgeschrieben worden ist, gemeinsam umgesetzt werden kann.
Das zweite Positive ist: Wir reden in dieser Legislaturperiode zum dritten Mal über die Themen Gesundheit und Prävention. Ich finde, es ist deren Bedeutung außerordentlich angemessen.
Zur Umsetzung des Präventionsgesetzes in Sachsen ist schon einiges – viel Positives – gesagt worden. Viele Akteure haben die Landesrahmenvereinbarung unterschrieben und sind in diesem Bereich unterwegs. Immerhin 20 Akteure sind der Landesrahmenvereinbarung mittlerweile beigetreten: alle Kassen, der Rentenversicherungsträger, der Unfallversicherungsträger, die Bundesagentur für Arbeit, das Land, der Städte- und Gemeindetag und der Landkreistag.
Was sich so leicht dahinsagt, ist in der Umsetzung eine große Herausforderung; denn man muss mit diesen vielen Akteuren zu gemeinsamen Entscheidungen kommen. Die bisherige Zeit wurde dazu genutzt, Strukturen aufzubauen. Eine Koordinierungsstelle wurde eingerichtet. Die ersten Umsetzungsprojekte sind angenommen worden; die Ergebnisse liegen vor.
Erstens. In einer älter werdenden Gesellschaft wie der in Sachsen ist es wichtig, dass wir frühzeitig anfangen und versuchen, die Risiken für chronische Erkrankungen oder Gesundheitsgefährdungen bei Kindern und Jugendlichen zu senken, zu minimieren bzw. gar nicht erst aufkommen zu lassen.
Wir müssen – zweitens – die Stärkung der Menschen in den mittleren Lebensjahren vorantreiben. Diese Menschen sind noch nicht so im Fokus. Gesundheitsförderliche Arbeitsabläufe, gesundheitsbewusst leben – wie schwierig das im individuellen Fall ist, hat Frau Schaper schon beschrieben.
Drittens geht es um den Erhalt der Selbstständigkeit bis ins hohe Alter, das heißt um die Schaffung der Voraussetzungen, möglichst lange ein eigenständiges Leben zu
führen. Pflegebedürftigkeit bzw. Hilfsbedürftigkeit sollen nach hinten geschoben oder vermieden werden.
Auch nicht mehr neu ist glücklicherweise der Ansatz, dass es nicht nur um das individuelle Verhalten jedes Einzelnen geht. Ziel muss es sein, dass der Einzelne sein Gesundheitsbewusstsein auch leben kann. Er muss die Möglichkeit zur Umsetzung haben. Die Rahmenbedingungen, das heißt die Umwelt, in der ein Mensch lebt, hat Auswirkungen darauf, wie Prävention wirken kann. Darauf beziehen sich die ersten drei Punkte des vorliegenden Antrags der LINKEN.
Frau Schaper, ich muss auch ein bisschen Kritik üben: Es bedarf keiner Umsetzung im Gesetz. Es steht bereits in der Landesrahmenvereinbarung. Darin finden sich genau die drei Punkte. Ich zitiere aus § 3 Abs. 2: „Ziel dieser Rahmenvereinbarung ist es, die Menschen dabei zu stärken, ihre Gesundheitspotenziale auszuschöpfen
(Verhaltensprävention) sowie gesundheitsförderliche Strukturen aus- und aufzubauen (Verhältnisprävention).“
Dieser Punkt ist also im Prinzip schon in dieser Vereinbarung enthalten. Dass das Präventionsgesetz dazu dienen soll, soziale Ungleichheiten im Gesundheitsbereich möglichst zu minimieren, steht sogar schon im SGB V als Zielstellung dieser Landesrahmenvereinbarung. Es ist also auch dort nicht neu.
Ich will drei Beispiele bringen, warum diese Feststellung wichtig ist: Das theoretische Lernen, über gesundheitsbewusste Ernährung beispielsweise, ist das eine. Wenn ich diese Ernährung aber in der Praxis der Kita- und der Schulspeisung nicht vorfinde, dann bleibt es dem individuellen Vorhaben, sich gesundheitsbewusst zu verhalten; denn ich muss in der Schule das essen, was angeboten wird. Dann ist das Verhältnis unter Umständen nicht so gesundheitsbewusst, wie ich es gern hätte.
Auch das Einkaufen gesunder Lebensmittel im Supermarkt mag vielen Familien, die nicht so viel Geld im Portemonnaie haben, tatsächlich schwerfallen. An dieser Stelle ist dann das theoretische Ziel das eine, die praktische Umsetzung das andere.
Zweites Beispiel: Arbeitsplätze. Wir haben in unserem Land noch viele Arbeitsplätze mit hohen körperlichen Belastungen. Wir gestalten wir die Arbeitsplätze? Wie minimieren wir diese körperlichen oder psychischen Belastungen? Welchen Ausgleich schaffen wir? Auch deshalb wird zum Beispiel in der Landesrahmenvereinbarung auf Betriebe, auf Arbeitgeber Bezug genommen. Auch das ist eine sehr wichtige Funktion von Gesundheitsprävention.
Drittens. Wir müssen beachten, dass die Inanspruchnahme von individueller Gesundheitsförderung, dazu gehören auch Früherkennungsuntersuchungen, natürlich auch davon abhängt, ob ich vor Ort die medizinischen Angebote überhaupt noch vorfinde.
Bei der Ausdünnung des ärztlichen Netzes vor Ort ist es schwierig, für eine Früherkennungsuntersuchung oder die Inanspruchnahme eines Präventionsangebotes einen
Termin zu bekommen. Der öffentliche Gesundheitsdienst ist in dem Falle auch schon genannt worden. Wir haben allein aus sieben Landkreisen angezeigte Defizite, dass es bei der Besetzung von kinder- und jugendärztlichen Stellen Probleme bei der Umsetzung der Aufgaben gibt, zum Beispiel bei den Reihenuntersuchungen mit den entsprechenden Folgen für Kinder und Jugendliche.
Mit dem Präventionsgesetz und der Landesrahmenvereinbarung werden wir diese ganzen Probleme nicht aus der Welt schaffen können, aber das Präventionsgesetz und eben auch diese Landesrahmenvereinbarung bieten eine sehr gute Möglichkeit, um die vorhandenen Ressourcen wirklich zielgerichtet einsetzen zu können, zu bündeln und gemeinsam beschlossene Ziele zu verfolgen.
Der Freistaat hatte sich bereits vor dem Präventionsgesetz zu Gesundheitszielen auf den Weg gemacht, war also gut vorbereitet. In der Vereinbarung finden sich noch das gesunde Aufwachsen, das aktive Altern und auch das besondere Augenmerk auf Erwerbslose. Die Landesvereinigung für Gesundheitsförderung war in Sachsen schon immer mit verantwortlich bei der Umsetzung dieser Gesundheitsziele und ist deshalb jetzt als Koordinierungsstelle für die Umsetzung der Landesrahmenvereinbarung eine sehr gute Wahl.
Weil wir gerade über das Thema reden, würde ich gerne noch drei Punkte benennen, die aus meiner Sicht wichtig sind und die wir bei der weiteren Umsetzung miteinander, unabhängig vom Antrag, beachten sollten. Das ist einmal die in Punkt 5 des Antrags aufgegriffene Datensammlung. Wir haben eine Gesundheitsberichterstattung, die Daten schickt. Das Statistische Landesamt bereitet diese auf, man kann bundesweit Daten vergleichen. Es ist eine Ansammlung von ganz vielen Zahlen und Tabellen. Was ich mir wünsche und was wir als Koalition in unserem Antrag letztes Jahr hineingeschrieben haben, ist eine wirklich zielorientierte Gesundheitsberichterstattung, die sich an den Gesundheitszielen orientiert und die es uns erlaubt, irgendwann einmal zu sagen: Das haben wir geschafft, das haben wir noch nicht geschafft, was muss man verändern?
Zweitens müssen wir immer bedenken, dass wir mit diesem Präventionsgesetz in Bereichen agieren, in denen aktuell Personalmangel besteht. Nicht nur beim ÖGD, sondern auch im niedergelassenen ärztlichen Bereich ist es so, dass wir vor Ort Probleme bekommen, die ärztliche Versorgung sicherzustellen. Wir haben aber mit der Verhältnisprävention auch die Aufgabe, in Kitas, Schulen und im Pflegebereich zu agieren. Auch der Bereich, wenn ich an Erzieher, Lehrer und Pflegepersonal denke, ist nicht unbedingt luxuriös ausgestattet. Das heißt, bei allen Maßnahmen muss es uns gelingen, das als sinnvolle Ergänzung und Entlastung in die Strukturen zu bringen. Es muss möglichst in den Strukturen weiterleben, ohne dass wir jedes Jahr neu mit kurzfristig aufploppenden Projekten ankommen und die Mitarbeiter in den System eher noch belasten als entlasten.
Wir müssen verstärkt die Lebenswelten der Menschen jenseits von Kita und Schulen erreichen und die Kommunen in den Blick nehmen. Ich meine die Quartiere in den Kommunen, die kleinen Gemeinden mit ihren Problemen mit der Mobilität. Wie komme ich an Vorsorgeangebote heran? Deshalb bin ich froh, dass die kommunale Ebene dieser Landesrahmenvereinbarung beigetreten ist. Die regionalen Arbeitsgemeinschaften zur Gesundheitsförderung sind ein guter Ansatz. Ich halte nichts davon, ihnen vorzuschreiben, was sie machen müssen, sondern ich würde gern die Akteure motivieren, mehr zu tun.
Von daher abschließend zum Antrag. Aus unserer Sicht sind die Punkte 1 bis 3 schon Inhalt der bestehenden Vereinbarung. Den Punkt 5 hatten wir als Koalition schon beauftragt. Er ist sozusagen schon in der Umsetzung. Punkt 4 betrifft eine wichtige Angelegenheit, ist aber leider in der personellen und finanziellen Ausstattung nicht über das Präventionsgesetz zu heilen, weil das Präventionsgesetz die Gelder ausdrücklich nicht für Bereiche ausgeben darf, die wie der öffentliche Gesundheitsdienst institutionell strukturiert sind.
Von daher werden wir den Antrag ablehnen. Ich bedanke mich trotzdem für die Möglichkeit, zu dem wichtigen Thema sprechen zu dürfen.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Heutiges Thema ist die Stärkung der Gesundheitsförderung und der Prävention im Freistaat Sachsen, Antrag der Fraktion DIE LINKE.
Werte Linksfraktion! Ich kann Sie beruhigen, dieses Mal bringe ich Ihren Antrag nicht mit Erich Honecker in Verbindung, aber mit der Bundesdrucksache 18/5267, einem Antrag der Linksfraktion im Deutschen Bundestag.
Ja, in Teilen, denn wenn man Ihre Antragsbegründung betrachtet und mit der eben erwähnten Bundesdrucksache vergleicht, so ist zu erkennen, dass Sie die Textpassagen aus der Begründung eins zu eins übernommen haben.
Sei es drum, das ist nicht der Grund, warum wir uns bei Ihrem Antrag, der durchaus sinnvolle Ansätze erkennen lässt, enthalten werden. Warum wir uns enthalten werden, möchte ich nur an einem Punkt festmachen, denn die
anderen Punkte sind bereits von anderen Fraktionen benannt worden. Ich verweise auf Ihren Punkt 6. Hier fordern Sie die Staatsregierung auf, regelmäßig öffentliche Gesundheitskonferenzen auf Landes- und regionaler Ebene durchführen zu lassen. Dazu hätte ich mir ein paar Informationen mehr gewünscht, wer die Beteiligten sein sollen. Ich hätte mir gewünscht, dass Sie die Krankenkassen und den öffentlichen Gesundheitsdienst benennen, dass Sie beispielsweise die Arbeitgeber- und Arbeitnehmervertretungen sowie die Politik nennen. Das haben Sie leider nicht getan.
Des Weiteren hätte ich gern gewusst, was Sie unter regelmäßig verstehen. Halbjährlich, vierteljährlich, alle zwei Jahre, einmal im Jahr? Das ist in diesem Antrag leider auch nicht enthalten. Auf die Punkte 1 bis 5 gehe ich nicht ein, sie wurden bereits ausreichend besprochen. Man muss Ihnen zugute halten, dass der Antrag auch Positives enthält. Sie wollen nämlich die Verhältnisprävention noch mehr in den Fokus rücken. Sie wollen bei den Arbeitsbedingungen der Arbeitnehmer ansetzen. Das ist ohne Zweifel ein Schritt in die richtige Richtung und ein durchaus wichtiges Thema. Warum das wichtig ist, werde ich anhand einer kleinen Geschichte erzählen. Ich habe einen Freund – ich erzähle sehr gern Geschichten – –
(Valentin Lippmann, GRÜNE: Märchen! – Carsten Hütter, AfD: Das grüne Märchen ist bald zu Ende, Herr Lippmann!)
Er hat zwei Kinder, ist Altenpfleger und arbeitet 40 Stunden im Pflegeheim. Diese Arbeit ist schwer, das dürfte jedem bekannt sein. Da er dort jedoch schlecht bezahlt wird, muss er sich zusätzlich und gezwungenermaßen in der wichtigen Regenerationsphase, also seiner Freizeit, als Kellner verdingen, damit er seine Familie und sich selbst über die Runden bringen kann. Verhältnisprävention wäre hier, ihn gerecht zu bezahlen und die Steuerlast für Familien herabzusetzen; denn bei dieser Belastung sind Stress, Burn-out und damit Arbeitsausfall vorprogrammiert und lassen eine Verhaltensprävention gar nicht erst zu.
Hier, meine sehr verehrten Damen und Herren, müssen wir ansetzen. Das dürfen wir nicht aus dem Blick verlieren. Dennoch gebe ich zu bedenken, dass Verhältnisprävention wichtig ist, aber ihre Grenzen hat, wo nicht genügend Personal vorhanden ist – Frau Neukirch hat das bereits angesprochen –, wo Arbeitsabläufe behindert werden sowie Kosten, Aufwand und Nutzen nicht mehr im gesunden Verhältnis zueinander stehen. Diese Aussagen habe ich in Ihrem Antrag ebenfalls vermisst. Deshalb werden wir uns bei Ihrem Antrag, der – und das betone ich noch einmal – durchaus sinnvolle Ansätze beinhaltet, der Stimme enthalten. Ein Angebot an die Linksfraktion und in persona an Herrn Gebhardt: Wir können in Zukunft bei diesen Themen zusammenarbeiten. Dann können wir Ihren Anträgen auch zustimmen.
(Beifall bei der AfD – Zurufe von den LINKEN – Carsten Hütter, AfD: Das ist die typische arrogante Reaktion der LINKEN! – Unruhe)