Gibt es noch Redebedarf bei der SPD-Fraktion? – Das scheint nicht der Fall zu sein. Die AfD? – GRÜNE? – Es gibt insgesamt keinen Redebedarf mehr. – Doch, Herr Stange. Bitte schön.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Um es kurz zu machen: Kollege Hartmann, die Geschichte Anis Amri, die Geschichte des jungen Marokkaners, die Geschichte al-Bakr – das ist alles nicht an Gesetzen gescheitert. Der Fall Anis Amri – weil Sie es angesprochen haben, Breitscheidplatz – ist daran gescheitert, dass die Einschätzungen unterschiedlich waren – nun haben wir in NRW noch ein wenig Tohuwabohu – und weil die Informationen im gemeinsamen Terrorabwehrzentrum nicht entsprechend übertragen wurden. Punkt.
Noch etwas: Den jungen Marokkaner schiebt man ab; großspurige Pressemitteilung: Wir haben toll zusammengearbeitet. Es war ein riesiger Erfolg, dass wir ihn abschieben konnten. Aber haben wir ihn in Marokko den Strafverfolgungsbehörden übergeben? Wird denn weiter ermittelt? Es kann nicht weiter ermittelt werden, weil vorgeschrieben ist, dass die Ermittlungen einzustellen sind, wenn abgeschoben wird. Das ist das Problem!
Dann sagen Sie mir: Wir sind erfolgreich, wenn wir Gesetze umstricken. Nein, nein! Wir sind erfolgreich,
wenn wir ausermitteln, wenn wir feststellen, ob Komplizen dabei waren. Hat er wirklich etwas vorgehabt? Sind Hintermänner dabei gewesen? Sie schwafeln von internationalem Terrorismus, und dann schieben Sie ihn ab. Wir haben eine Deutsche Botschaft, wir haben auch deutsche Touristen in Marokko. Sie wollen für Sicherheit stehen? Sie machen Kokolores! Das ist Wahlkampf! Das ist Populismus schlimmster Art!
Herr Stange, es ist schön, wenn Sie vom Schwafeln schwafeln. Aber zurück zum Thema: Das ist hier kein Kokolores.
Ihr Versuch – das begann schon mit der Debatte an sich –, das Thema in ein Angstszenario zu verwandeln, zu versuchen, Kritik an Innenministern zu üben,
ist der Kern des Ganzen, um das es geht. Ich bin bei Ihnen, wenn es um die Frage geht, wie Zusammenarbeit, Informationsaustausch und Beurteilung von Behörden an verschiedenen Stellen – beispielsweise auch am Breitscheidplatz – funktioniert haben und dass das Bewertungsfragen sind. Genau deshalb brauchen wir weitere Qualifikation, Schulung, Fortbildung, auch gemeinsame Koordinierungs- und Trainingsmaßnahmen. Das ist im Übrigen etwas, was unser Innenminister für den Freistaat Sachsen schon in Ansatz gebracht hat. Dass wir in der Beurteilung und der Bewertung Handlungsbedarfe haben, dass wir auch im Vollzug Bedarfe haben, hat Kollege Pallas zu Recht angesprochen. Das steht nicht zur Diskussion. Das ist die eine Seite der Medaille.
Vielen Dank, Frau Präsidentin! Kollege Hartmann, vielen Dank. Können Sie mir explizit sagen, an welchen fehlenden gesetzlichen Regelungen oder Übereinstimmungen eine vorherige Festnahme Anis Amris gescheitert ist?
Aber, Herr Stange, hören Sie doch bitte weiter zu! Ich sage Ihnen, das hat etwas mit Verantwortung und nicht mit Windmachen zu tun. Wir müssen nicht darauf warten,
dass das Nächste passiert, wo es dann an Befugnissen scheitert. Wir brauchen keine Diskussion zu führen, dass Sachsen, Deutschland das Land der ewigen Glückseligkeit ist und wir keine Terroranschläge erleben werden.
Insoweit ist das alles nicht notwendig und dass wir eine Debatte beginnen, um Vollzugsfragen zu klären, wenn wir die ersten Terrorsituationen haben. Nein, meine sehr geehrten Damen und Herren! Vollzugsfragen, Informationsaustausch, Übung und Koordinierung sind das eine. Die Frage der Befugnisnormen ist das andere. Internationaler Terrorismus kann nur bekämpft werden, wenn die Ermächtigung, und zwar nicht als Allgemeinbefugnis, sondern als chirurgischer Besteckkasten des Gefahrenabwehrrechts in einer konkreten Gefahrensituation, gegeben ist.
Denn der Terrorist wird sich nicht darum scheren, was die Rechts- und Befugnisnorm der Polizei und der Staatsanwaltschaft in Deutschland ist, der wird einfach gefährlich. Deshalb ist es die Verantwortung des Staates, darauf zu reagieren, weil Maßstäbe unserer Gesellschaft im Zweifel bei diesen Terroristen nicht funktionieren. Das bedarf entsprechender Befugnisnormen – diese müssen harmonisiert sein und sie müssen kontrollierbar sein, meine sehr geehrten Damen und Herren.
Sie müssen auch einer entsprechenden Transparenz und Nachvollziehbarkeit unterliegen, damit es genau nicht der totalitäre Überwachungsstaat wird. Insoweit konzentrieren Sie sich doch – dieses Talent sollten Sie doch haben, Herr Stange, ich unterstelle es Ihnen zumindest – nicht nur auf eine Seite der Medaille, sondern sehen Sie das Sowohl-als-auch bei diesem Thema. Dann kommen wir auch wieder zusammen.
Herr Hartmann, ich danke Ihnen ausdrücklich dafür, dass Sie mir soeben anhand Anis Amris ausdrücklich nicht darstellen konnten, welche gesetzlichen Befugnisse hier hemmend waren oder in Abgleich gebracht werden müssen.
Ihr chirurgischer Besteckkasten, also Ihr medizintechnischer Ausflug, war zwar recht nett, nur es wäre viel besser gewesen, Sie hätten sehr konkret gesagt, welche Befugnisse hemmend sind oder welche fehlenden Befugnisse die Polizei nach Ihrer Ansicht bräuchte, um erfolgreich Terrorismus zu bekämpfen. Das haben Sie jedoch unterlassen.
Da Sie versuchen, die eine Seite der Medaille zu bedienen, dürfen Sie uns durchaus überlassen, die andere deutlich hervorzuheben.
Auch ich möchte nach dem Redebeitrag des Kollegen Hartmann vom Instrument der Kurzintervention Gebrauch machen.
Herr Hartmann, ich bin immer wieder verwundert über Sie, aber auch über große Teile der Union sowie über den Innenminister, wenn es um die Frage geht, was hier eigentlich über uns hereingebrochen sein soll, was die Bedrohung durch den islamischen Terrorismus angeht. Die Erklärung, dass wir im Fadenkreuz – nicht nur abstrakt, sondern konkret – des internationalen Terrorismus stehen, gibt es doch in der Bundesrepublik Deutschland spätestens seit 2001! Jetzt wird so getan, als hätten wir seit 2016 plötzlich eine fundamental geänderte Sicherheitslage. Wenn dem so ist, dann haben wir diese nur, weil seit 2001 Innenminister und Bundesregierung mit dem Arsch an der Wand geschlafen haben, um das einmal deutlich zu sagen.
Zweitens: Ich warne vor Ihrer Metapher der chirurgischen Präzision im Zusammenhang mit Freiheits- und Bürgerrechtseingriffen. Diese Behauptung ist ein Euphemismus, den Sie auch gern bei den Militärs der Welt finden, wenn es um ihre Angriffsstrategien geht. Ich warne sprachlich davor, dass auch noch in den hochheiklen Bereich der Grund- und Bürgerrechte auszuweiten.
Zwei Dinge dazu: Erstens ist uns die Terrorlage seit 2001 bewusst. Sie hat sich – das dürften Sie alle wahrgenommen haben – konkretisiert und in schrecklichen Ereignissen in den letzten zwei Jahren auch deutlich manifestiert. Sie bedarf damit einer neuen, permanenten Beurteilung. Der internationale Terrorismus hat sich ebenfalls geändert, beispielsweise von al-Qaida zu IS sowie zu anderen Strukturen.
Noch etwas hat sich seit 2001 geändert – Herr Lippmann, da müssten Sie vielleicht einmal aus Ihrem Wald heraustreten –, was damit zu tun hat, dass mittlerweile soziale Netzwerke existieren, dass Medien- und Kommunikationsverhalten sowie Strukturen und Lebenswirklichkeit
der Menschen sich immer mehr im Internet und dessen Kommunikationsstrukturen abspielen, die sich in den letzten Jahren mit teilweise besorgniserregender Geschwindigkeit breitmachen und zur Realität gehören. Sie haben weder eine Kontokarte noch sonstwas; Sie können sich noch nicht einmal medizinisch behandeln lassen ohne Datenabgleich mit Ihrer Chipkarte. Das heißt, die elektronische Welt ist mittlerweile nichts Abstraktes mehr, sondern ein wesentlicher Bestandteil unserer gesellschaftlichen Lebenswelt – ob es Ihnen schmeckt oder nicht.
Da können Sie mit Ihrem Wimpel der Freiheitsrechte permanent um die Fichte kommen. Wir halten die Freiheitsrechte für genauso wesentlich. Aber da müssen sich bitte alle einmal der Realität stellen, dass diese veränderte Situation und Kommunikation, die übrigens auch für Terroristen ganz andere Möglichkeiten der Kommunikation und Vernetzung bietet, auch Teil einer Beurteilung einer Sicherheitsarchitektur sowie der Eingriffsbefugnisse bei der Abwägung sein muss, nämlich Freiheit versus Sicherheit. Da können Sie nicht so tun, als ob das alles nicht stattfindet – das ist verantwortungslos, meine sehr geehrten Damen und Herren!
(Vereinzelt Beifall bei der CDU und der SPD – Valentin Lippmann, GRÜNE: Sie sind verantwortungslos!)
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren Abgeordneten! Debatten zur inneren Sicherheit sind erfahrungsgemäß Debatten von unterschiedlicher Positionierung und deutlicher Auseinandersetzung.
Deshalb bin ich froh, dass wir in dieser Sitzung des Sächsischen Landtages Gelegenheit haben, nicht nur über die innere Sicherheit zu sprechen, sondern auch das eine oder andere zu den Ergebnissen der Innenministerkonferenz auszutauschen. Ich möchte für mich und meine Kollegen am Anfang deutlich sagen, dass wir als Innenminister gemeinsam aufgrund der Veränderungen, die sich in unserer Gesellschaft ergeben, entsprechend handeln müssen. Das haben wir in der Vergangenheit getan und das haben wir auch auf dieser Innenministerkonferenz in Dresden getan, meine sehr verehrten Damen und Herren.