Wenn man sich die Ärztegewinnung anschaut, kann man das in zwei Punkte unterteilen. Das ist einmal die Nachwuchsgewinnung und einmal die Lenkungs- bzw. die Steuerungsfunktion. Bei der Nachwuchsgewinnung ist das Netzwerk „Ärzte für Sachsen“ in besonderer Weise zu nennen. Wir haben über 500 Medizinstudenten in Sachsen. Wir haben auf den Studienplätzen auch ausländische Ärzte, und wir haben – wenn man einmal die Ärzte ein Stück weit außen vor lässt – auch die arztentlastende Leistung für die Nachwuchsgewinnung bzw. für die Entlastung der Ärzte.
Neben der Nachwuchsgewinnung gibt es die Lenkungs- und die Steuerungsfunktion. Das ist in erster Linie der KV-Sicherstellungsauftrag. Das ist Ihnen bekannt. Wir haben hier bei der Lenkungsfunktion immer wieder den Wunsch von Ärzten – gerade im ländlichen Raum –, dass sie sich mit flexiblen Arbeitszeiten oder mit der angesprochenen Work-Life-Balance in Sachsen niederlassen könnten. Das haben wir heute schon in den Versorgungszentren, die Ihnen bekannt sein dürften.
Weiterhin haben wir bei der Lenkungsfunktion noch zu nennen, dass es eine Verpflichtung auf sieben Jahre im ländlichen Raum zu praktizieren gibt, wenn sie das geförderte Studium des Freistaates entsprechend in Anspruch nehmen.
Es gibt weiterhin die Möglichkeit, dass die Studenten in ihrem Praktikum im ländlichen Raum den Hausärzten über die Schulter schauen. Es gibt die große Forderung und den Wunsch, die Attraktivität des Lehrkrankenhauses zu steigern, damit eben auch im ländlichen Raum ausgebildet wird. Ein wichtiger Punkt in der Diskussion ist die Öffnung der ambulanten Versorgung in der Krankenhausstruktur, dass also die ambulante Versorgung nicht nur die Hausarztpraxis, sondern eben auch entlastend das Krankenhaus übernimmt.
Speziell bei den Fachärzten ist noch zu nennen, dass es die Weiterbildung für den ländlichen Raum gibt. Das Krankenhaus bekommt Geld für die Ausbildung, um gezielt Fachärzte auszubilden. Um es noch einmal zu unterstreichen: Wie oft haben Sie selbst schon erlebt, dass der Augenarzt oder ein anderer Facharzt im ländlichen
Raum dringend gebraucht wird? Hierfür steht Geld zur Verfügung, um speziell diese Fachärzte auszubilden.
Sie sehen, wir haben einen Antrag für Sie zum Angebot. Wir bitten Sie um Unterstützung und um Zustimmung unseres Antrags „Medizinische Versorgung in Sachsen stärken“.
Für die einbringende Fraktion CDU sprach Herr Kollege Wehner. Jetzt spricht für die einbringende SPD Frau Kollegin Lang.
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Im Juni bekam ich einen Brief von Frau W. – sie wohnt in Grünhainichen, einem Städtchen im Erzgebirge bei Zschopau. Frau W. hat sich an ihre Schreibmaschine gesetzt und eine Seite mit freundlichen Worten, aber vor allem mit Anregungen an uns verfasst – Anregungen aus ihrem Leben. Sie schildert Probleme, die sie und Bekannte aus ihrem Umkreis haben. Frau W. schreibt: „Ein Problem vermisse ich allerdings, und das ist die Betreuung alleinstehender Senioren, die auf dem Lande wohnen. Oft ist kein Hausarzt mehr vor Ort; kommt dann Krankheit oder Gehunfähigkeit dazu, wird es noch problematischer, da die Ärzte infolge Überlastung kaum noch Hausbesuche durchführen.“
Es sind die Ärzte und hauptsächlich Fachärzte, die zunehmend in Sachsen fehlen, selten in den großen Städten, aber vor allem in der ländlichen Region. Ein Gutachten aus den letzten Jahren hat das bestätigt. Frau W. weiß durchaus, dass wir uns in Sachsen schon seit Jahren in diesem Bereich bemühen, Lösungen zu schaffen. Sie schreibt uns von der Unterstützung, die Medizinstudenten bekommen können, aber genauso richtig erkennt sie: So ein Studium dauert, es braucht Zeit, bis junge Menschen vielleicht tatsächlich einmal eine Praxis übernehmen oder eröffnen.
Doch wir sollten offen sprechen. Wir als Politiker können allein den Ärztemangel nicht lösen, denn für viele Bereiche sind wir schlichtweg nicht zuständig.
Die Kassenärztliche Vereinigung hat den Auftrag, sicherzustellen, dass genügend Ärztinnen und Ärzte da sind. Gemeinsam mit den Krankenkassen hat sie verschiedene Fördermaßnahmen für Gebiete mit festgelegten Unterversorgungen, drohender Unterversorgung oder festgestelltem zusätzlichem lokalem Versorgungsbedarf aufgelegt. Dazu gehört beispielsweise, dass Praxisübernahmen oder Praxisneugründungen mit bis zu 60 000 Euro unterstützt werden oder dass ein Mindestumsatz der Praxis gewährt wird.
In Sachsen haben die Akteure schon zeitig – noch vor vielen anderen Bundesländern – das Problem kommen sehen und manches auf den Weg gebracht. Besonders die Landesärztekammer, die Krankenkassen und die Kassenärztliche Vereinigung haben einiges ausprobiert. Das 20
Punkte-Programm nahm vor gut fünf Jahren manches von dem bereits Erprobten auf und ergriff neue Initiativen. Es wäre unfair, wenn ich behaupten würde, in diesem Bereich sei nichts passiert. Es wurde schon viel angeschoben – einiges noch nicht so wirksam wie erhofft, anderes wird erst in Zukunft noch Wirkung zeigen. Aber wir müssen auch ehrlich anerkennen: All diese Maßnahmen reichen längst nicht mehr aus.
Das bereits angesprochene Gutachten zum Versorgungs- und Ärztebedarf in Sachsen aus den vergangenen Jahren gibt uns eine sehr gute statistische Grundlage. Dort wurde in Mittelregionen untersucht, wie sich die Ärztedichte insbesondere bei Fachärzten entwickelt hat. Frau W. aus Grünhainichen gehört noch zum Bereich Chemnitz. Auch wenn im Vergleich zu vielen anderen Regionen besonders in Ostsachsen der Chemnitzer Bereich noch recht vernünftige Prognosen hat, kommt doch aus dem Brief von Frau W. ein Problem deutlich zum Vorschein – ein Problem, das schnell übersehen wird, wenn Planungen entstehen. Frau W. schreibt: „Ein weiteres Problem ist, dass man als älterer Mensch hin und wieder Untersuchungen und Behandlungen von Fachärzten benötigt, die ja bekanntlich in größeren Orten praktizieren. Doch wie kommt man als älterer, gehbehinderter Mensch zu ihnen, wenn man nicht in der Lage ist, öffentliche Transportmittel zu benutzen?“
Gewiss ist sie kein Einzelfall. Alleinlebende Seniorinnen und Senioren im ländlichen Raum haben denselben Anspruch darauf, zu ihrem Arzt oder ihrer Ärztin zu kommen, wie Stadtmenschen. Darauf müssen wir dringend Antworten finden. Der 20-Punkte-Plan war einmal ein Anstoß, bei dem übrigens auch Vorschläge von Ärzteseite kritisch gesehen wurden, etwa die mobilen Arztpraxen. Diese haben bisher bei verschiedenen Tests in Deutschland keinen großen Erfolg gehabt. Als mögliches Instrument sollten wir sie trotzdem auf dem Schirm haben.
Doch wir müssen auch weiterdenken: Wie können wir die Digitalisierung technisch vorantreiben und besser nutzen? Wie können mobile Strukturen geschaffen und effizienter genutzt werden? Wie kann man vielleicht auch besser delegieren? Wie kann man über die verschiedenen Sektoren sinnvoll eine Zusammenarbeit erwirken? Das sind eigentlich keine neuen Fragen; an diesen Themen müssen wir weiter arbeiten und dazu das ursprüngliche 20Punkte-Programm weiterentwickeln; denn es fehlen tatsächlich in Sachsen immer öfter Ärztinnen und Ärzte, sodass plötzlich viele Menschen ohne Hausarzt dastehen. Stellen Sie sich die Situation vor, wenn plötzlich zwei Mediziner, die in unmittelbarer Nähe praktizieren, gleichzeitig in den Ruhestand gehen?
Ich denke, wir müssen mehr sensibilisieren und die richtigen Maßeinheiten entwickeln, wenn die bislang üblichen Planungsbereiche mit der tatsächlichen oder gefühlten Entfernung der Menschen zu ihren Ärzten nicht mehr übereinstimmen. Meinetwegen können wir gern viel offener als bisher das 20-Punkte-Programm weiterentwi
ckeln, natürlich mit den von uns benannten Schwerpunkten. Dass hier etwas passiert, dass etwas versucht wird, sollte nicht unbemerkt bleiben. Es ist eine Forderung der Bevölkerung. Nach dem Gutachten vom vorigen Jahr hat sich ein Beirat gegründet, der sich mit den nötigen Schlussfolgerungen beschäftigen soll. Nur wirklich mitbekommen haben wir davon bislang nichts.
Am Ende muss auch klar sein, es geht dabei nicht nur ums Geld. Eine Lösung müssen wir auch strukturell in vielen anderen Bereichen finden, weil die kleinen Städte und Dörfer neben den Ärzten nicht auch noch ihre Schulen, ihre Polizeistationen und ihre Kulturangebote verlieren dürfen.
Die große Frage, die sich zukünftigen Ärztinnen und Ärzten stellt, ist: Warum soll ich aufs Land ziehen? Ist die Region lebenswert? Gibt es Kindertagesstätten und Schulen, sodass ich dort eine Familie gründen kann? Komme ich auch einmal schnell und problemlos in die nächstgrößere Stadt? Das alles sind letztlich Fragen, die nicht nur künftige Ärzte betreffen, sondern auch andere Berufsgruppen und vor allem jene Menschen, die vielleicht seit Generationen im ländlichen Raum leben, so wie Frau W. aus Grünhainichen.
Erst kürzlich habe ich als Vorsitzende der Arbeitsgemeinschaft der Sozialdemokraten im Gesundheitswesen in Annaberg Einwohner, Ärzte, Technikentwickler und Vertreter von Krankenkassen sowie der Kassenärztlichen Vereinigung zur Diskussionsrunde zum Thema „Drohender Ärztemangel und Digitalisierung“ zu einem Gedankenaustausch eingeladen. Das Interesse war größer als vermutet. Wir haben dort sechs Aufgabenstellungen herausgearbeitet, die ich hier noch einmal zusammenfassen möchte:
Die Datenstabilität muss gesichert sein. Wir benötigen Mittel für eine funktionierende Telekommunikation; das heißt, das Krankenhaus muss in die Lage versetzt werden, dies auch zu tun. Wir müssen eine bedarfsgerechte Verteilung schon bei der Vergabe von Praktika an Medizinstudenten anregen, damit sie in den ländlichen Raum implementiert werden können. Wir sollten vorhandene Informationssysteme besser nutzen. Wir müssen viel mehr Fachkräfte für den Bereich Pflege ausbilden und besser bezahlen und wir müssen für eine bessere Infrastruktur im ländlichen Raum sorgen, um Anreize zu schaffen, damit auch wieder junge Fachärzte aufs Land ziehen.
Nach den beiden einbringenden Fraktionen CDU und SPD spricht jetzt für die Fraktion DIE LINKE Frau Kollegin Schaper. – Oh, Entschuldigung, ich sehe eine Kurzintervention von Herrn Kollegen Prof. Schneider.
ich recht gut, Frau Kollegin Lang, ich wohne dort –: Die Gemeinde verfügt über einen Hausarzt, über eine Zahnärztin; wir haben eine Apotheke. Und wir haben sogar eine kreisübergreifende Kooperation mit der Nachbargemeinde Leubsdorf hinsichtlich unter anderem medizinischer und zahnmedizinischer Versorgung; das funktioniert also dort ganz gut.
Ich denke, das Anliegen unseres Antrags ist richtig. Wir müssen die medizinische Versorgung in Sachsen stärken, vor allen Dingen im ländlichen Raum. Wir müssen uns allerdings die jeweiligen Gegebenheiten vor Ort genau anschauen, um zu erfahren, wo wir mit konkreten Maßnahmen ansetzen müssen. Insofern sind wir am Ende mit unseren Anliegen beisammen.
Ich glaube, der Dame aus Grünhainichen ging es weniger um die Behauptung, dass generell keine Ärzte vor Ort seien, sondern mehr um die Darlegung ihres Problems, wie sie zum nächsten Facharzt kommt. Diese sind natürlich nur in den größeren Städten angesiedelt. Es ist klar – das wissen wir alle –, dass nicht überall ein Orthopäde, ein Augenarzt usw. vorgehalten werden kann. Aber ich glaube, das Anliegen der Bürger ist trotzdem zu verstehen. Wir wollen kommunizieren, dass wir es verstanden haben.
Danke, sehr geehrter Herr Präsident! Es ist ein Novum, dass die CDU eine Kurzintervention vor meiner Rede macht; bisher war es immer danach der Fall.
Es kommen noch welche? Gut. – Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Zunächst einmal beglückwünsche ich die Koalition zu ihrer – wenn auch viel zu späten – Einsicht, dass wir im Sinne der medizinischen Versorgung dringend etwas unternehmen müssen. Ich frage mich, warum die Koalition trotz der Bestandsaufnahme, die hier vorgetragen worden ist – in der üblichen
theatralischen Art und Weise –, nur einen Berichtsantrag vorgelegt hat. Sie von der Koalition haben immerhin die Mehrheit im Landtag und könnten tatsächlich etwas unternehmen.
Aber Ihnen geht es offensichtlich vor allem um Ankündigungen. Das 20-Punkte-Programm, das die Grundlage Ihres sogenannten Vorstoßes ist – ich komme noch einmal darauf zurück –, wurde schon 2012 vorgestellt, also, wie Frau Lang schon sagte, bereits vor fünf Jahren.
Doch die Idee dazu ist schon viel älter. So wurde im „Ärzteblatt“ vom 3. September 2010 verkündet, dass bis zum März 2011 insgesamt 20 Maßnahmen geprüft werden sollten. Die Kassenärztliche Vereinigung Sachsen begrüßte diese Ankündigung so: „Wir freuen uns, dass das Thema Ärztemangel in Sachsen auch politisch zur Chefsache gemacht wird.“ Die Punkte sind dankenswerterweise im „Ärzteblatt“ 12/2010 einzeln vorgestellt worden.
Legt man jetzt den Maßnahmenkatalog daneben, fallen sofort – das wird Sie jetzt überraschen – die kompletten Übereinstimmungen auf. Das heißt, die Punkte im Maßnahmenkatalog sind sogar schon sieben Jahre alt. Ihre Versprechen im Koalitionsvertrag sind übrigens auch schon drei Jahre alt. Passiert ist bislang wenig. Und passieren soll? Ein Bericht. Wie praktisch! Wollen Sie wirklich in diesem Tempo weiterregieren?
Schon Punkt I Ihres Antrags hat bei mir einige Fragen hinterlassen. So ist von einem 20-Punkte-Programm die Rede, welches durch das Sozialministerium mit Beteiligung der Ressorts erarbeitet und beschlossen wurde. Davon habe ich hier im Landtag noch nichts gehört und auch nichts gelesen.
Eigene Recherchen führten mich schließlich zu besagtem Maßnahmenkatalog für eine bedarfsgerechte hausärztliche Versorgung in ländlichen Gebieten im Freistaat Sachsen, erarbeitet noch unter der damaligen Gesundheitsministerin Christine Clauß.
Ich zitiere den CDU-Abgeordneten Oliver Wehner aus der Landtagssitzung vom 20. November 2015: „Eine weitere Stärkung der sektionsübergreifenden Versorgung ist uns ein wichtiges Anliegen. Wir haben dazu in den Koalitionsverträgen auf Bundes- und Landesebene entsprechende Formulierungen getroffen, sodass wir uns damit auch beschäftigen wollen.“
Leider ist es beim Wollen geblieben; denn tatsächlich passiert ist bis heute wenig. Das zeigt deutlich, dass es Ihnen, so glaube ich, eigentlich egal ist, ob die medizinische Versorgung abseits der Großstädte funktioniert – Hauptsache, wir reden alles schön.