Protokoll der Sitzung vom 16.11.2017

Wer möchte gern noch eine Frage stellen? Ich schaue zur CDU. – Herr Wehner, bitte.

Frau Ministerin, es geht mir noch einmal um die Versorgung im ländlichen Raum, und zwar um die sogenannten Rückbaumittel aus dem Krankenhausstrukturfonds. Wie können die Mittel aus diesem Strukturfonds direkt in den ländlichen Raum fließen? Welche Projekte haben Sie da angedacht?

Der Krankenhausstrukturfonds war so ziemlich das erste Thema, das ich auf Bundesebene in einer Arbeitsgruppe mitberaten durfte. Dort durfte ich erleben, wie man aus den alten Bundesländern bei den Krankenhausstrukturmitteln darum gekämpft hat, die Regelung 50 % Bund, 50 % Land ein Stück weit aufzuweichen, weil einzelne alte Bundesländer nicht in der Lage waren, diese 50 % aufzubringen.

Warum erzähle ich das? Es war deutlich zu sehen, wie gut wir mit unserer Krankenhauslandschaft aufgestellt sind. Wir haben 78 Krankenhäuser mit einem gut abgestuften Versorgungsauftrag. Im Vergleich dazu sind andere Bundesländer schlechter aufgestellt.

Wir haben bei uns kein Problem gesehen, in unserem Haushalt diese 50 % an Landesmitteln zur Verfügung zu stellen. Aber wir haben bei der Umsetzung in der Tat gemerkt, dass – manch einer hat das scherzhaft, wohl vor allem auf die alten Bundesländer abzielend, als Abwrackprämie bezeichnet – sich die Umsetzung auf unser Bundesland heruntergebrochen schwieriger gestaltet hat als ursprünglich angenommen.

Wir haben drei Projekte im Land herausarbeiten können. Diese drei Projekte liegen beim Bundesversicherungsamt zur Prüfung. Dort wird die Entscheidung gefällt.

Ein Projekt ist die Umwandlung des Standortes Rochlitz zum Ambulanten Gesundheits- und Altenpflegezentrum und die Anpassung des Standortes Mittweida. Das zeigt, dass wir im ländlichen Raum die Krankenhäuser in Richtung Versorgungszentrum entwickeln.

Weiter haben wir die Konzentration der Klinik für Neurologie am Klinikum in Chemnitz – das ist ein wesentlicher Punkt – und die Konzentration der Neonatologie am Städtischen Klinikum in Dresden beantragt.

Das sind die drei Schwerpunkte, die wir einreichen konnten. Wir haben den Blick in den ländlichen Raum gerichtet. Ziel des Krankenhausstrukturgesetzes ist es aber, die Krankenhausstruktur im Ganzen zu betrachten, also den ländlichen und den städtischen Raum, und dort die Veränderung von Strukturen zu fördern.

Gestatten Sie mir, an dieser Stelle noch eine klare Forderung aufzuzeigen, die die Gesundheitsminister auf der letzten Gesundheitsministerkonferenz formuliert haben. Wir halten dieses Krankenhausstrukturgesetz für ein sehr wichtiges Instrument, um unsere Krankenhäuser zukunftsfähig zu halten. Das ist eine Forderung, die von allen Bundesländern gekommen ist. Wir haben aber einen weiteren Schwerpunkt formuliert. Wir wollen nicht nur strukturelle und räumliche Veränderungen, sondern wir haben das Thema IT-Sicherheit noch in den Vordergrund gerückt. Das Krankenhausstrukturgesetz soll fortgeschrieben werden. Es sollen weiter Gelder zur Verfügung gestellt werden. Stärker soll das Thema IT-Sicherheit in den Blick kommen.

So viel zum Strukturgesetz in Bezug auf den ländlichen Raum.

Die Zeit ist leider abgelaufen. Ich kann keine Frage mehr zulassen. Deshalb erinnere ich noch einmal daran: Kurze Fragen, kurze Antworten, damit alle Fraktionen noch eine Chance haben.

Meine Damen und Herren! Ich bedanke mich bei Frau Staatsministerin Klepsch für die Beantwortung der Fragen.

(Beifall bei der CDU, der SPD und den LINKEN)

Ich rufe auf

Tagesordnungspunkt 3

Politische Bildung in Schulen erneuern –

Gemeinschaftskunde modernisieren und ausweiten

Drucksache 6/8876, Prioritätenantrag der Fraktion DIE LINKE,

mit Stellungnahme der Staatsregierung

Die Fraktionen können hierzu Stellung nehmen. Die Reihenfolge in der ersten Runde: DIE LINKE, CDU, SPD, AfD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und die Staatsregierung, wenn sie es wünscht.

Ich erteile der Linksfraktion, Frau Abg. Falken, das Wort.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Auf Antrag der Fraktion DIE LINKE steht heute die politische Bildung in den Schulen zur Debatte. In Sachsen heißt das entsprechende Schulfach Gemeinschaftskunde, Rechtserziehung, Wirtschaft.

DIE LINKE will die politische Bildung in den Schulen erneuern und die Gemeinschaftsschulen modernisieren und ausweiten. Der konkrete Anlass für die Behandlung unseres Antrages in der heutigen Plenarsitzung ist die Vorlage des Handlungskonzeptes zur Stärkung der demokratischen Schulentwicklung und politischen Bildung an sächsischen Schulen. Im Auftrag des Kultusministeriums wurde einem Expertengremium der Auftrag erteilt, dieses Papier zu erarbeiten. Es steht unter dem Motto „W wie Werte“.

Entstanden ist das Konzept in Reaktion auf den Sachsenmonitor aus dem Jahre 2016. Die repräsentative Umfrage im Auftrag der Staatsregierung brachte erschreckende Ergebnisse zutage. So waren 46 % der 18- bis 29-Jährigen der Meinung, Juden versuchen heute Vorteile daraus zu ziehen, dass sie während der Nazizeit die Opfer gewesen sind, und 49 % stimmten der Aussage zu, Muslimen sollte die Zuwanderung nach Deutschland untersagt werden.

Dass es um die Demokratie in Sachsen nicht gut bestellt ist, wird wohl in diesem Saal keiner bestreiten. Nach zwei Jahrzehnten CDU-Regierung befindet sich das Land in

einer schweren politischen Krise. Große Teile der Bevölkerung fühlen sich von der Landespolitik nicht mehr repräsentiert und wenden sich deshalb von ihr ab. Der Unmut über die herrschende Politik artikuliert sich in Wahlenthaltungen, Wahlveränderungen und öffentlichen Protesten, nicht selten in aggressiver Form, wie wir es in den letzten Wochen, Monaten und Jahren erlebt haben.

Nach den fremdenfeindlichen Ausschreitungen, die sich an der Flüchtlingspolitik entzündet hatten, sahen sich die Regierungsparteien gezwungen, politische Handlungsfähigkeit zu demonstrieren. In einer Sondersitzung des Landtags am 29.02.2016 musste der Ministerpräsident in einer Regierungserklärung einräumen: Sachsen hat ein Problem mit Rechtsextremismus.

Abhilfe schaffen sollte ein sogenanntes Maßnahmenpaket – immer ein neues Maßnahmenpaket; ich weiß nicht, ob es wirklich Sinn macht – mit der Bezeichnung „Für ein starkes Sachsen“. Anfang März 2016 vom Regierungskabinett verabschiedet, soll es das Verständnis für politische, demokratische und rechtliche Prozesse im Rahmen bestehender Schulfächer verbessern. Eigens dafür wurde ein neues Referat im Kultusministerium eingerichtet – das hätte man bereits viel früher durchführen sollen –, das sich mit Demokratieförderung und politischer Bildung befasst. Am 1. Februar 2017 nahm es seine Arbeit auf. Es wurde sehr zeitnah eine Expertenkommission einberufen, damit ein entsprechendes Konzept zur Stärkung der demokratischen Schulentwicklung erstellt werden konnte. Das Handlungskonzept liegt inzwischen vor und steht für uns heute zur Diskussion.

Nachdem sich die Kultusministerin sehr lange gegen die öffentliche Kritik an der mangelnden politischen Bildung in den sächsischen Schulen gesträubt hat, nahm die Staatsregierung damit eine Kurskorrektur vor. Vielleicht

haben wir mit dem Kurswechsel für die politische Bildung an den Schulen zu lange gewartet, diese Maßnahmen endlich durchzuführen, begründete damals die Kultusministerin ihren Kurswechsel. Eine späte Einsicht der Kultusministerin. Inzwischen ist sie nicht mehr im Amt. Wir begrüßen das trotzdem und stimmen ihrer Einsicht zu.

Auch der Ministerpräsident, Herr Tillich, hat kürzlich, am 14.11.2017, in einer Veranstaltung zur politischen Bildung sehr klar erkannt: „Wir haben uns zu wenig um die politische Bildung gekümmert.“ – Zitat Herr Tillich.

DIE LINKE hat die politische Bildung in jeder Legislaturperiode im Parlament behandelt. Bereits im Oktober 2004 – es war einer meiner ersten Anträge im Parlament – haben wir auf Defizite in der politischen Bildung aufmerksam gemacht und eine Steigerung der Qualität zur politischen Bildung in den Schulen und Volkshochschulen gefordert. Dazu hatten wir damals einen Antrag mit der Drucksachennummer 4/70.

Noch im Dezember 2015, als Sachsen überregional wegen mangelnder politischer Bildung in die Kritik geraten ist, haben CDU und SPD die Anträge der LINKEN abgelehnt, zum Beispiel die Anträge, Demokratie politisch zu stärken und auch die politische Bildung an den Schulen zu stärken. Ein weiterer Antrag der LINKEN, bei dem es um die politische Erwachsenenbildung ging, wurde im Mai 2016 in diesem Parlament abgelehnt.

DIE LINKE hat in ihrem nun vorliegenden Antrag einige Mindestanforderungen an eine Erneuerung der politischen Bildung in sächsischen Schulen gestellt. Ich möchte auf einige eingehen.

Das von der Expertenkommission vorgelegte Handlungskonzept formuliert Ansprüche an die politische Bildung und unterbreitet Vorschläge für die Umsetzung. Vieles ist nicht neu und kann längst an den Schulen umgesetzt und durchgeführt werden. Es sind auch Vorschläge dabei, die bereits vor vielen Jahren wieder abgesetzt worden sind und möglicherweise jetzt wieder neu auferlegt werden.

Vieles, was die Expertenkommission vorschlägt, ist begrüßenswert. Angesichts der Mehrheitsverhältnisse hier im Parlament ist allerdings abzuwarten, was die Vorschläge für die CDU und die SPD bedeuten und wie sie entsprechend umgesetzt werden.

Auf einige Punkte möchte ich kurz eingehen, ich hatte es gerade erwähnt. Eine Ausweitung des Gemeinschaftskundeunterrichtes ist aus unserer Sicht zwingend notwendig. Das Expertengremium schlägt eine Klassenleiterstunde vor. Unter den jetzigen Bedingungen, die wir zurzeit in den sächsischen Schulen haben, ist es mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit nicht möglich, eine solche Klassenleiterstunde einzuführen. Ich bin mir auch nicht sicher, ob der Vorschlag des Expertengremiums, den Gemeinschaftskundeunterricht bereits ab Klasse 7 einzurichten, von der CDU und von der SPD wirklich umgesetzt wird. Das ist eine noch geringere Forderung, als wir sie stellen. Dabei hatte die Frage, ob es an Sachsens Schulen zu

wenig politische Bildung gibt, den öffentlichen Streit vor zwei Jahren sehr stark entzündet.

Thomas Krüger, der Präsident der Bundeszentrale für politische Bildung, hat so argumentiert. Er kritisiert in Sachsen eine Bevorzugung der Naturwissenschaft gegenüber der politischen Bildung. Ich denke, das ist eindeutig und richtig so. Auch der Landesschülerrat erklärte, dass der politische Unterricht in Sachsens Schulen zu kurz kommt.

In Bundesländern wie Baden-Württemberg oder Nordrhein-Westfalen beginnt die politische Bildung bereits in der Klasse 6 bzw. in der Klasse 5. Die Schülervertretung wünscht sich eine Ausweitung der politischen Bildung und des Gemeinschaftskundeunterrichts im Freistaat Sachsen. In Sachsen – vielleicht noch einmal für alle, die es nicht wissen oder die es vielleicht doch wissen – wird nur in der 9. und 10. Klasse an der Oberschule sowie am Gymnasium Gemeinschaftskunde unterrichtet. Wenn die sächsischen Schülerinnen und Schüler die Schule verlassen, dann haben sie 50 Stunden Gemeinschaftskunde erhalten – sofern nichts ausgefallen ist. In NordrheinWestfalen haben die Schüler dagegen 250 Unterrichtsstunden – um einmal ein Bild aufzuzeigen, wie in anderen Bundesländern mit diesem Thema umgegangen wird.

Wir fordern in unserem Antrag – übrigens auch die SPD –, die politische Bildung ab Klasse 5 durchgängig zu erteilen und das Fach in der Stundentafel als ZweiStunden-Fach auszuzeichnen.

Eine Analyse des Istzustandes fordern wir in unserem Antrag. Die Diskussion über die politische Bildung an den Schulen krankt vor allem daran, dass wir keine empirische wissenschaftliche Untersuchung haben, die belastbar Aussagen über die Qualität bzw. über den Erfolg der politischen Bildung in den sächsischen Schulen erlaubt. Deshalb fordern wir als LINKE, dazu eine Analyse anzufertigen, um zu wissen, wo wir stehen, um dann vielleicht auch die entsprechenden Maßnahmen zu begründen.

Gemeinschaftskunde oder politische Bildung – Sie haben es in unserem Antrag gesehen, dass wir dieses Fach umbenennen wollen. DIE LINKE fordert eine Modernisierung des Unterrichtsfachs Gemeinschaftskunde, das bedeutet, den Unterricht inhaltlich und methodisch auf den neuesten Stand der politikwissenschaftlichen und soziologischen Erkenntnisse zu bringen. Das ist zurzeit nicht der Fall. Theorie allein reicht nicht. Die Schülerinnen und Schüler in den Schulen müssen vor allen Dingen auch Praxis erleben.

(Beifall bei den LINKEN)

Die Modernisierung des Faches – ich hatte es gerade angedeutet – soll sich auch in dem Namen verfestigen. Wir wollen das Fach statt „Gemeinschaftskunde“ künftig „Politische Bildung“ benennen.

(Frank Kupfer, CDU: Staatsbürgerkunde!)

Mit der Umbenennung soll es nicht um einen Namenskonflikt gehen, Herr Kupfer, sondern es soll darum gehen, dass der Begriff „Gemeinschaftskunde“ – vielleicht kann ich Ihnen das nachher noch etwas erläutern; ich habe jetzt nicht genügend Zeit – ein total veralteter Begriff und überhaupt nicht mehr zeitgemäß ist. Ich würde Ihnen das gern nachher ausführlich darlegen, Herr Kupfer.

Die Analyse der Gesellschaft fehlt in diesem Papier, diesem Konzept, das wir jetzt auf dem Tisch liegen haben. Das führt mich dazu, einen weiteren Kritikpunkt an dem Handlungskonzept des Kultusministeriums zu benennen: Die Gesellschaft, das heißt die gesellschaftliche Grundlage von Politik, bleibt völlig außen vor. Das betrifft auch die Schule. Sie ist eine Einrichtung, die zur Freiheit, Gerechtigkeit und Solidarität sowie zu Toleranz erziehen soll. So sieht es der Beschluss der Kultusministerkonferenz vor.

Schule soll das jedoch in einer Gesellschaft leisten, die aus Konkurrenz besteht und soziale Ungleichheit produziert. Dies, glaube ich, kann niemand hier bestreiten. Die Kluft zwischen Arm und Reich war hierzulande noch nie so groß wie heute. Für Demokratien, die sich von der sozialen Gleichheit verabschiedet haben, wie das hierzulande der Fall ist, heißt das, dass sie den Zusammenhalt der Gesellschaft untergraben. Darüber sollten Sie vielleicht alle einmal nachdenken.

Die Schule hat es als Institution mit einem grundlegenden Widerspruch zu tun, den sie, glaube ich, allein nicht handeln kann.