Protokoll der Sitzung vom 16.11.2017

(Rico Gebhardt, DIE LINKE: Das hat die FDP aber gemacht! – Zuruf des Abg. Valentin Lippmann, GRÜNE)

Ich weiß. Das Kultusministerium macht 31 Vorschläge und Sie machen einen Vorschlag als Oppositionsfraktion im Sächsischen Landtag. Ganz ehrlich, ich verstehe Sie da nicht. Normalerweise machen Sie doch immer Anträge, die über das, was die Koalition diskutiert, hinausgehen.

(Rico Gebhardt, DIE LINKE: Das wollen Sie doch immer!)

Ich will es noch einmal ernsthaft sagen: Ihr Antrag springt zu kurz. Ihren Antrag als einen qualifizierten Beitrag zur Debatte darzustellen empfinde ich als eine Überhöhung dieses Antrages.

Erstens. Sie konzentrieren sich auf ein Fach. Den evolutionären Sprung, aus „W wie Werte“ Demokratie erfahrbar zu machen und nicht nur Tafelbilder abzumalen, den vollziehen Sie selbst gar nicht. Eine „Denke“ von Gesamtkonzept findet in Ihrem Antrag auch nicht statt. Liebe LINKE, Ihr Antrag vom 27. März dieses Jahres ist nicht mehr auf der Höhe der Zeit, Entschuldigung! Die Debatte in Sachsen ist weiter.

Deshalb werden wir diesen Antrag ablehnen, meine sehr geehrten Damen und Herren.

(Beifall bei der SPD und der CDU – Zuruf der Abg. Sarah Buddeberg, DIE LINKE)

Es gibt eine Kurzintervention; bitte.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Mich rupft das jetzt hier ein bisschen. Natürlich ist der Antrag vom März. Die Debatte ist weiter. Das sehe ich persönlich nicht so.

Es hat keine öffentliche Debatte zu diesem Thema gegeben. Wenn wir die Stellungnahme der Staatsregierung zum Antrag der Linksfraktion sehen, da wäre gute Gelegenheit gewesen, auf den aktuellen Stand aufmerksam zu machen. Das hat man versäumt. Ich muss die LINKE hier nicht in Schutz nehmen, aber für mich gibt es irgendwo eine Grenze der Seriosität.

(Beifall bei den LINKEN und des Abg. Valentin Lippmann, GRÜNE)

Herr Homann.

Es stimmt nicht, dass es keine Debatte gegeben hätte. Dieses Konzept ist im Rahmen einer Veranstaltung der Landeszentrale für politische Bildung vorgestellt worden, auf der im Übrigen auch der Direktor eingeführt wurde. Von daher stimmt es nicht, dass es diesen Raum nicht gegeben hätte. Deshalb weise ich das zurück und hoffe, dass wir vielleicht zu einer richtigen Debatte zu diesem Thema kommen. – Danke schön.

Frau Abg. Wilke, bitte.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren Abgeordnete! Den vorliegenden Antrag vom März 2017 begründet DIE LINKE im letzten Absatz wie folgt: „Ohne den Ergebnissen der Expertenkommission vorgreifen zu wollen, hält die einreichende Fraktion DIE LINKE die im Antrag aufgeführten Forderungen für unabdingbar, um die politische Bildung in Sachsen zu erneuern.“

Liebe LINKE, die genannte Expertenkommission hat längst getagt. Das Handlungskonzept „W wie Werte“ liegt uns allen vor. Der Antrag ist damit überholt. Er hat sich erledigt. Die AfD-Fraktion wird diesen Antrag ablehnen.

Ich nutze trotzdem die Gelegenheit, über zwei Punkte des Antrages zu sprechen. Zum Schluss gehe ich kurz auf das Konzept „W wie Werte“ ein, weil es sich in diesem Kontext anbietet.

Zu Punkt 1 des Antrages, der geforderten Analyse über den Istzustand der politischen Bildung an sächsischen Schulen. Wie die Staatsregierung in ihrer Stellungnahme zum Antrag ausgeführt hat, ist diese Forderung viel zu unbestimmt. Im Übrigen muss den sächsischen Schülern

eine vernünftige politische Bildung attestiert werden. Als Beispiel möchte ich die Jugendwahl U 18 anführen, die im Rahmen der Bundestagswahl 2017 stattgefunden hat. 15,5 % der teilnehmenden Kinder und Jugendlichen aus Sachsen wählten bei der U-18-Wahl die Alternative für Deutschland.

(Valentin Lippmann, GRÜNE: Schön! – Lachen des Abg. Hennig Homann, SPD)

Das war der zweite Platz für eine Politik der Vernunft, weit vor den gegenteiligen Angeboten von SPD, LINKEN und GRÜNEN. Es zeigt: Unsere Kinder und Jugendlichen sind durchaus in der Lage, sich eine eigenständige politische Meinung zu bilden.

Die von den etablierten Parteien gewünschte politische Einbahnstraße, die in Sachsen unter dem Namen „politische Bildung“ firmieren soll, ist eine Sackgasse. Sogar Herr Homann erkannte politische Bildung als Querschnittsaufgabe für die Schule. Ziel der politischen Bildung kann und muss der selbstständig denkende, mündige Bürger sein. Die Schule soll Fakten und keine ideologisch verbrämten Vorurteile vermitteln. Nur so ist ein pluraler und toleranter Unterricht in demokratischer Form möglich. Wir möchten, dass das so bleibt.

Zu Punkt 3 des Antrags. Die antragstellende Fraktion möchte die Modernisierung des Unterrichtsfachs Gemeinschaftskunde durch die Umbenennung in „Politische Bildung“ dokumentiert wissen. Das ist ein sehr guter Vorschlag, aber ich glaube, Sie denken dabei an etwas anderes. Liebe LINKE, nennen Sie das Kind doch beim Namen. Sie sagen politische Bildung, meinen aber eigentlich Staatsbürgerkunde.

(Kerstin Köditz, DIE LINKE: Das ist doch Unfug!)

Solch eine Staatsbürgerkunde hatten wir schon mal. Noch einmal wollen wir sie nicht.

Zum Schluss noch ein paar Worte zum Handlungskonzept zur Stärkung der demokratischen Schulentwicklung und politischen Bildung an sächsischen Schulen „W wie Werte“. Ich spare mir an dieser Stelle inhaltliche Kritik; denn zur Umsetzung des Konzeptes fehlt es an einer wesentlichen Bedingung: Sachsen hat kein tragfähiges Schulsystem mehr.

Dazu ein paar Stichworte: hoher Unterrichtsausfall durch Lehrermangel und hohe Krankenstände, mehr neu eingestellte Seiteneinsteiger als grundständig ausgebildete Lehrer. Sachsen belegt hierbei bundesweit den Spitzenplatz. Zum zweiten Schulhalbjahr sollen 660 Lehrer eingestellt werden. Wir lassen uns überraschen. Hinzu kommen marode Schulgebäude und Eltern, die freiwillig vor den Klassen stehen, damit Unterricht überhaupt stattfinden kann.

Und Sie alle halten die Defizite in der politischen Bildung für das drängendste Problem sächsischer Schüler, Eltern und Lehrer? Ein Problem, das eigentlich gar keines ist – siehe die U-18-Wahl.

Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der AfD)

Herr Hösl, eine Kurzintervention wäre möglich.

(Stephan Hösl, CDU: Nein!)

Gut. Wir fahren fort mit Frau Abg. Zais.

Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Ich habe nun von zwei Seiten – von Frau Wilke, AfD, und Henning Homann, SPD – gehört, was das Ziel demokratischer oder politischer Bildung ist. Ich habe es mir aufgeschrieben. Beide verweisen darauf, dass es Ziel sei, dass wir selbstständige, mündige und eigenständige Bürgerinnen und Bürger haben, die in der Lage sind, sich an demokratischen Willensbildungsprozessen zu beteiligen.

Das reicht aber nicht. Wir müssen wirklich einmal in uns gehen und fragen: Was haben wir denn aus den Ereignissen in Sachsen – Clausnitz, Bautzen – gelernt?

(Zuruf von der CDU)

Es sind doch keine unmündigen Bürger, die dort Fensterscheiben eingeschmissen, Brandsätze gelegt und Geflüchtete beleidigt haben. Es sind Bürger, die der Überzeugung gewesen sind, dass sie sehr eigenständig und selbstbestimmt gehandelt haben. Deshalb fehlt die zweite Stelle ganz entscheidend, und deshalb ist es wichtig, dass wir hier im Sächsischen Landtag über politische Bildung reden.

Es geht auch darum zu fragen: Was sind die unverhandelbaren Positionen in unserer Demokratie?

(Beifall bei den GRÜNEN, den LINKEN und des Abg. Henning Homann, SPD)

Welche sind das? Das habe ich von Ihnen überhaupt noch nicht gehört.

Wenn ich an die Rede des Ministerpräsidenten vom 29. Februar 2016 denke – Kollegin Falken hat es gesagt –, dann haben wir ein Problem mit Rechtsextremismus. Ja, das haben wir. Was folgt daraus? Den mündigen Bürger zu stärken? Das Fach Geschichte in der 10. Klasse wieder zum Pflichtfach zu machen? Der Landeszentrale für politische Bildung etwas mehr Geld zu geben? Das kann es doch nicht gewesen sein. Dazu muss ich sagen: Lieber Henning Homann, das reicht doch bei Weitem nicht.

(Henning Homann, SPD: Hast du das Konzept einmal gelesen?)

Natürlich habe ich das Konzept gelesen. Es gibt eine Reihe von Empfehlungen. Im Konzept zur politischen Bildung – das kann man auch nachlesen – steht ziemlich weit vorn, dass es eine Informationsgrundlage ist.

(Carsten Hütter, AfD, steht am Mikrofon.)

Es steht drin: Es ist eine Informationsgrundlage. Es dient als Rahmen, als Orientierung für Lehrerinnen und Lehrer,

für Schulleiterinnen und Schulleiter. Dann gibt es eine Reihe von Empfehlungen.

Gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Nein. – Dass DIE LINKE heute hier diesen Antrag zur Diskussion stellt, ist richtig. Unsere Fraktion teilt bei Weitem nicht alle Punkte in diesem Antrag. Für uns ist es auch keine Modernisierung, wenn man ein Fach umbenennt. Aber es ist richtig, in diesem Hohen Haus eine Debatte über die politische Bildung und über das Konzept „W wie Werte“ zu führen; denn es bleibt völlig im Unklaren, was davon mit welchen Ressourcen tatsächlich umgesetzt wird.

Das Thema Klassenleiterstunde hat Cornelia Falken angesprochen. Die Empfehlung lautet: Klassenleiterstunde von der 1. bis zur 6. Klasse. Was machen wir damit? Wie gehen wir damit um? Die Empfehlung lautet, dass zum Beispiel die Schüler- und Elternvertretungen entsprechend ausgestattet werden. Nebulös steht in diesem Konzept, man wolle sich mit den Schulträgern in Verbindung setzen. Es gibt sachsenweit Schülervertretungen, die eben nicht über eigenständige Räume und einen PCAnschluss verfügen und die kein ausreichendes Budget für Veranstaltungen und Sachkunde haben.

Wir müssen doch irgendwann einmal reden und sagen, was wir jetzt eigentlich konkret umsetzen wollen. Wir haben Vorstellungen von dem, was wir unter politischer Bildung verstehen. Unsere Fraktion hat im März ihr Konzept vorgelegt. Wir haben seitdem an der Umsetzung unserer Vorstellungen gearbeitet. Die meisten davon sind durch die Koalitionsregierung abgelehnt worden.

Wir geben nicht auf. Wir greifen viele dieser Empfehlungen in unserem Lehrerbildungsgesetz erneut auf. Sie haben die Möglichkeit, sich dazu positiv zu positionieren. Wir greifen das Thema politische Bildung im Kontext mit unserem Bildungsfreistellungsgesetz auf. Auch dort haben Sie die Möglichkeit, endlich einmal ernst zu machen und sich mit diesem Thema nicht nur rhetorisch auseinanderzusetzen. Ich denke, das ist ganz wichtig.