Protokoll der Sitzung vom 01.02.2018

Gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Nein. – Wie ich finde, ist das ein schönes Zeichen der Würdigung in der Öffentlichkeit. Der MDR, die „Süddeutsche Zeitung“ und der „Focus“ berichteten. Und auch das hat dieser Besuch gezeigt, nämlich, dass es sich auszahlt, wenn Schülerinnen und Schüler sich intensiver mit diesen dunklen Zeiten unserer Geschichte auseinandersetzen.

Wir durften zwei großartige Reden von Schülern des Bilingualen Gymnasiums in Pirna erleben, welche zu der Quintessenz kamen: Wir versprechen, das Vermächtnis der Zeitzeugen zu bewahren und an künftige Generationen weiterzugeben. Wir versprechen dafür zu sorgen, dass Tschechen und Deutsche gemeinsam eine glückliche Zukunft für ihre Länder und Europa gestalten.

Wenn wir, die wir hier sitzen, uns von den Bürgerinnen und Bürgern dieses Landes moralisches Verhalten, Großzügigkeit und Toleranz im Umgang wünschen, so sollten doch wir als ihre gewählten Vertreterinnen und Vertreter mit gutem Beispiel vorangehen. Darum stelle ich die Bitte in diesen Raum, so wie in diesem Jahr auch in den folgenden zu verfahren, den 27. Januar als Gedenktag außerhalb des Landtages zu ehren. Orte dafür finden sich zahlreiche: Dachau, Buchenwald, Sachsenhausen, Flossenbürg, Neuengamme, Majdanek, Groß-Rosen, Mittelbau-Dora und nicht zuletzt Auschwitz als Vernichtungs- und Stammlager.

Doch so weit müssen wir und die Schülerinnen und Schüler des Landes gar nicht fahren, und zwar dann, wenn man endlich den Mut aufbringt, die Augen für die Vergangenheit in Sachsen zu öffnen, und nach 28 Jahren endlich die richtigen erinnerungspolitischen Prioritäten setzt. Allein das soeben genannte KZ Flossenbürg hatte 39 Außenlager in Sachsen, 10 davon direkt in Dresden. Genauso viele, also 10 Außenlager, hatten das KZ GroßRosen und das KZ Buchenwald 13 – alle in Sachsen. Das Netz der sogenannten frühen Konzentrationslager lag mit 103 Lagern in 80 Städten nirgends so dicht wie auf sächsischem Gebiet.

Diese Fakten sind das Ergebnis jahrelanger Recherchearbeit der Gruppe Brenner, die in den vergangen Jahren dabei vom Freistaat und seiner Stiftung Gedenkstätten nicht gerade wohlwollend unterstützt wurde. Eigentlich mussten sie um Unterstützung kämpfen, um jetzt ihr Buch „NS-Terror und Verfolgung in Sachsen – Von den frühen Konzentrationslagern bis hin zu den Todesmärschen“ nach jahrzehntelanger Forschungsarbeit unter der Flagge der Landeszentrale für politische Bildung zu veröffentlichen, von dem die „Freie Presse“ schreibt, dass dieses Buch in jede sächsische Schule und in den Geschichtsunterricht gehört.

(Beifall bei den LINKEN)

Seit Jahren verschleppt man den Ausbau einer Gedenkstätte Konzentrationslager Sachsenburg, eines der ersten sogenannten frühen Konzentrationslager. All das, was dort noch zu sehen ist, ist letztendlich nur dem ehrenamtlichen Engagement vor Ort zu danken, und auch heuer wurden

die von der Stadt Frankenberg beantragten Fördermittel nur beschnitten bewilligt.

All dies kollidiert mit der Aussage in der Anhörung zum Thema „Erinnerungskultur in Sachsen weiterentwickeln“ von Herrn Dr. Jürgen Morré: „In der bundesweiten Wahrnehmung sind die sächsischen Gedenkstätten leider verschwunden.“

Wer so mit der eigenen Geschichte umgeht, muss sich über die derzeitigen Tendenzen zu Rassismus, Diskriminierung bis hin zu fremdenfeindlichen Übergriffen nicht wundern. Sie sind auch Folge einer fehlgeleiteten Gedenk- und Erinnerungskultur im Lande. Wer so mit der Vermittlung von Geschichte umgeht, muss sich nicht wundern, dass laut einer repräsentativen Umfrage der Körber-Stiftung weniger als die Hälfte der 14- bis 16jährigen Jugendlichen wissen, was Auschwitz-Birkenau war. Daher ist unser immer noch aktueller Antrag in der heutigen Zeit umso wichtiger. Wir wollen gar keine verpflichtenden Besuche und Klassenfahrten zu KZGedenkstätten; wir wollen passende Rahmenbedingungen. Da nehme ich Sie, meine Damen und Herren von der Staatsregierung, beim Wort.

Herr Ministerpräsident Kretschmer sagte: „Sachsen unterstützt die Forderung nach Besuchen älterer Schüler in KZ-Gedenkstätten.“ Er hat in seiner Regierungserklärung bekräftigt: „Wir stehen zu unserer Geschichte, zu der dunklen Zeit.“ Na bitte! Dann können Sie doch unserem Antrag ohne Reue und schlechtes Gewissen zustimmen, Kolleginnen und Kollegen der Koalition.

(Zuruf der Abg. Ines Springer, CDU)

Und weiter: „Das macht uns glaubwürdig gegenüber Freunden und Partnern und stärkt uns im Inneren unserer Gesellschaft.“ Recht hat er.

Frau Ministerin Köpping: „Die Wirkung des authentischen Ortes, an dem das Grauen, das den Menschen dort widerfahren ist, spürbar ist, kann in kein Klassenzimmer, in kein Betrieb transferiert werden. Geschichte wird dort am besten erlebbar, wo sie stattgefunden hat.“ Wie wahr! „Aus diesem Grund fördern wir über das Landesprogramm ‚Weltoffenes Sachsen für Demokratie und Toleranz‘ seit vergangenem Jahr Bildungsfahrten zu den Gedenkstätten. In diesem Jahr stehen rund 100 000 Euro bereit. Anträge für Bildungsfahrten können stetig bei der Sächsischen Aufbaubank eingereicht werden.“

Nun einmal ehrlich, meine Damen und Herren: Welche Lehrerin und welcher Lehrer, welche Direktorin und welcher Direktor kommt auf die Idee, wenn sie oder er mit ihren Schülerinnen und Schülern eine Fahrt zum Beispiel in das Konzentrationslager nach AuschwitzBirkenau plant, als Erstes bei der Förderbank für Wirtschaft, Technologie, Wohnungs- und Städtebau anzufragen? Ich meine, da gehört das doch gar nicht hin.

Da hilft es auch nichts, darauf zu verweisen, meine Damen und Herren von der Koalition, dass die Zentrale für politische Bildung auch fördert, bis das Töpfchen alle ist, und die Stiftung Sächsische Gedenkstätten auch noch

ein bisschen Geld hat. Zum Beispiel für Klassenfahrten zum Ehrenhain Zeithain waren dort im Zeitraum 2016/17 genau 5 000 Euro eingeplant. Ich meine, dass Ihnen das nicht peinlich ist?

(Beifall bei den LINKEN)

Unser Antrag steht dafür, diese Kleinteiligkeit und Undurchschaubarkeit zu beheben und die Förderung an einem Ort, nämlich beim Landesamt für Schule und Bildung, zu bündeln, um die Voraussetzungen zu schaffen, dass es eben jeder Schülerin und jedem Schüler möglich ist, ungeachtet des privaten Geldbeutels und der Entfernung, eine Bildungsfahrt zu einer KZ-Gedenkstätte – insbesondere auch nach Auschwitz – zu unternehmen. Wenn dies von einer Sächsischen Staatsregierung wirklich gewollt ist, dann muss sie auch dafür Sorge tragen, dass jede Lehrerin, jeder Lehrer, jede Direktorin und jeder Direktor von dieser Möglichkeit weiß, dann muss sie ergo dafür werben. Keine Angst, andere Bundesländer sind da schon weiter.

Jörg Skriebeleit, Leiter der Gedenkstätte Flossenbürg in Bayern, möchte laut der „Süddeutschen“ vom 12. Januar 2018 das Wort Pflicht vermeiden, äußerte aber – Zitat –: „Aber eine stark in die Verantwortung nehmende Empfehlung finde ich sehr gut.“ Im gymnasialen Lehrplan ist der Besuch einer KZ-Gedenkstätte – wir reden von Bayern – sowieso verpflichtend. Wir machen gute Erfahrungen; da lobe ich tatsächlich gerne die bayrische Bildungspolitik mit einer ausdrücklich starken Empfehlung für alle Schularten. Diese ist eingebettet in das Thema Nationalsozialismus, das ja überall fest im Lehrplan verankert ist.

Übrigens: Gefördert werden diese Fahrten ausschließlich durch die Landeszentrale für politische Bildung Bayern. Beantragt werden die Gelder mit einem knapp zweiseitigen Formular; so kann es gehen.

Kommen auch wir in Sachsen ein Stück weiter und gehen in die richtige Richtung. Ich werbe noch einmal: Korrigieren Sie Ihre Gedenk- und Erinnerungspolitik in Sachsen und stimmen Sie unserem Antrag zu.

Vielen Dank.

(Beifall bei den LINKEN)

Eine Kurzintervention. Bitte, Frau Kliese.

Ja, vielen Dank. Ich möchte mich auf den Beitrag des Kollegen Sodann beziehen. Ich finde es ganz schade, nachdem die Debatte hier sehr differenziert durch die einzelnen Wortbeiträge begonnen hat, dass am Ende dann doch einige Zuspitzungen dazu führen könnten, dass Dinge falsch in Erinnerung bleiben.

Deswegen möchte ich zwei Punkte herausgreifen: Das eine ist das Zitat aus der Anhörung von Herrn Dr. Morré, die sächsische Gedenkstättenlandschaft finde im bundesweiten Vergleich oder Kontext nicht statt. Ich bin auch in dieser Anhörung gewesen. Dieses Zitat entstand in dem Kontext, dass es momentan so ist, dass es den Mitarbeite

rinnen und Mitarbeitern der Gedenkstätten sehr selten oder gar nicht ermöglicht wird, zum Beispiel an wissenschaftlichen Fachtagungen im Bundesgebiet teilzunehmen. Das ist ein sehr bedauerlicher Umstand. Wir arbeiten auch gerade an einem Antrag mit dem Ziel, das zu ändern. Das ändert aber nichts daran, dass sich das Zitat nicht explizit darauf bezog, dass die Gedenkstätten im bundesdeutschen Kontext nicht stattfänden; vielmehr ging es um die Präsenz bei Tagungen. Das ist ein wichtiger Unterschied; denn meines Erachtens müssen wir hier auch die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Gedenkstätten würdigen, die täglich viel leisten, und können deren Arbeit hier nicht in Abrede stellen, nur weil es besser in die Debatte passt. Das ist der erste Punkt.

Der zweite Punkt bezieht sich darauf, dass es 5 000 Euro für Reisen nach Zeithain gegeben hat und wir uns dafür schämen sollten. Wir haben in den letzten Jahren kontinuierlich die Mittel für die Gedenkstätten um mehrere Hunderttausend Euro erhöht. Dafür schäme ich mich überhaupt nicht; darauf bin ich stolz.

(Beifall bei der SPD und der CDU)

Herr Sodann.

Sehr geehrte Frau Kliese, Herr Dr. Jörg Morré hat das sicherlich auch in diesem Kontext gesagt. Aber er ging auch noch weiter, dass das Land auch von sich aus keinerlei Konferenzen etc. dafür plant und etwas dafür unternimmt, dass sich daran etwas ändert, dafür, dass Sachsen eben auch nach außen leuchtet.

Was die Gedenkstättenmitarbeiterinnen und -mitarbeiter betrifft, so nehme ich sie natürlich sehr unter Schutz. Ich kenne die Probleme in den einzelnen Gedenkstätten und weiß auch, womit das zu tun hat, nämlich mit der Stiftung Sächsische Gedenkstätten in diesem Lande. Ich versuche immer wieder, auch diesbezüglich Druck auf die Staatsregierung auszuüben, dass sie dort auch zum Handeln kommt. Das ist meine Aussage.

Was die Fahrten zum Ehrenhain Zeithain und die 5 000 Euro betrifft, so ist dies Antwort der Staatsregierung auf eine Kleine Anfrage meinerseits, und das ist, wie ich empfinde, lächerlich. Wenn Sie jetzt mehr Geld für die Gedenkstätten bereitstellen, heißt das doch noch lange nicht, dass diese Mittel explizit auch für Fahrten dahin genutzt werden und genutzt werden können. Diesen Ihren Einwand habe ich nicht verstanden, um ehrlich zu sein.

(Beifall bei den LINKEN)

Gibt es jetzt weiteren Redebedarf vonseiten der Fraktionen zu diesem Thema? – Herr Wurlitzer, Sie haben noch Redezeit.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrter Herr Sodann! Sie können wunderbar reden, Sie können wunderbar betonen. Aber das hier ist keine Schauspielbühne, auf der Sie sich abarbeiten können.

(Heiterkeit bei der AfD und vereinzelt bei der CDU)

Wir haben gerade eine wunderbare Debatte geführt, die Sie gerade mit Ihrem Beitrag so richtig schön kaputtgespielt haben.

(Widerspruch der Abg. Sarah Buddeberg, DIE LINKE)

Ich frage Sie: Ab wie vielen Toten wird aus Recht Unrecht? – Das können Sie mir nicht sagen.

(Beifall bei der AfD)

Wie kommen Sie dazu, zu kategorisieren, ganz klar und deutlich zu sagen, das SED-Unrecht, die Verbrechen der Russen nach dem Zweiten Weltkrieg und die Verbrechen des Nationalsozialismus dürfe man nicht in einem Satz nennen, dafür dürfe es keine Gedenkstätten geben?

(Sarah Buddeberg, DIE LINKE: Das hat niemand gesagt! Es geht um die Singularität des Holocausts!)

Na klar haben Sie das gesagt. Genauso ist es.

(Widerspruch der Abg. Sarah Buddeberg, DIE LINKE)

Wissen Sie, wie viele Lager es gegeben hat, ähnlich wie die Wismut oder in Russland, wo Hunderttausende Menschen umgebracht worden sind, über die überhaupt kein Mensch spricht?

Herr Wurlitzer, Ihre Redezeit ist vorbei.

Ja, ich weiß, leider Gottes.

Das tut mir leid, aber – –