Protokoll der Sitzung vom 15.03.2018

Die Statistiken spiegeln sehr deutlich wider, wie es in Sachsen um die Gleichstellung von Frauen und Männern und vor allem um die Chancengerechtigkeit bestellt ist. Das Signal ist eindeutig: Frauen sind im öffentlichen Dienst sehr gern gesehen. Sie machen sogar die Mehrheit aus. Allerdings betrifft das eben nicht die Führungsebene. Das, meine sehr verehrten Damen und Herren, muss sich ändern!

Vor dem Hintergrund von Fachkräftemangel, massenhaften Altersabgängen im öffentlichen Dienst und den sich ändernden Ansprüchen der Beschäftigten aller Geschlechter an ihre Arbeit haben Sie, liebe Staatsregierung, gar keine andere Wahl, als endlich aktiv zu werden. Es geht dabei nicht nur darum, konkrete und vor allem effektive Frauenförderung in den Leitungsebenen des öffentlichen Dienstes zu betreiben. Es geht auch darum, Signale in die Gesellschaft zu senden. Es geht um Chancengerechtigkeit, um gleichberechtigte Teilhabe am Berufsleben für alle Beschäftigten des öffentlichen Dienstes.

Um dieses Ziel zu erreichen, haben wir ein modernes, ein progressives Gleichstellungsgesetz für die öffentlichen Dienst im Freistaat Sachsen vorgelegt. Dieses soll das wirklich sehr überkommene Frauenfördergesetz von 1994 ablösen. Das Frauenfördergesetz hat offensichtlich nicht nur sein Ziel verfehlt, wenn ich mir die Statistiken ansehe.

Es hat sich in den vergangenen 24 Jahren vor allem gesellschaftlich viel verändert. Männer wollen mehr Zeit mit ihren Kindern, mit ihrer Familie verbringen oder auch partnerschaftlich die Haushaltsaufgaben in Angriff nehmen. Darauf stellt sich unser Gesetzentwurf ein. Er nimmt alle Beschäftigten in den Blick: Frauen, Männer und auch Personen mit einer hiervon abweichenden Geschlechtsidentität.

Das grüne Gleichstellungsgesetz geht von dem Grundkonzept aus, dass die Gleichstellung der Geschlechter nur durch gemeinsame Anstrengungen aller Beteiligten erreicht werden kann. Deshalb schließen die Rechte und Pflichten des Gesetzes grundsätzlich alle Beschäftigten ein. Instrumentarien zur Vereinbarung von Familie und Beruf und zur gleichberechtigten beruflichen Entwicklung sprechen grundsätzlich Frauen und Männer an.

Dennoch ist nach wie vor eine gezielte Frauenförderung vor allem in den höheren Positionen zwingend erforderlich. Der Gesetzentwurf sieht daher bewusst unter bestimmten Voraussetzungen die Bevorzugung von Bewerberinnen bei Personalentscheidungen vor. Selbstverständlich liegt das grundgesetzliche Leistungsprinzip unserem Gesetzentwurf zugrunde. Nur bei objektiv vergleichbarer Qualifikation und einer Unterrepräsentanz von Frauen in der jeweiligen Dienststelle kommt das Geschlecht ins Spiel.

Wodurch zeichnet sich Leistung überhaupt aus: durch längst mögliche Anwesenheit im Büro, egal ob währenddessen tatsächlich gearbeitet wird, durch möglichst viele Überstunden, durch körperliche Anwesenheit bei Dienstbesprechungen nach 16 Uhr, kurz gesagt, durch Präsenz? Berufliche Leistungen erkennt man an Arbeitsergebnissen, erworbenen Qualifikationen, Kenntnissen und Fähigkeiten. In den meisten Fällen ist es schlicht egal, zu welcher Tageszeit und in wie vielen Stunden die Ergebnisse erzielt und Fähigkeiten angewandt wurden. Daran knüpft unser Gesetzentwurf an.

Wir wollen die Abkehr von der Präsenzkultur, in der jene befördert werden, die am meisten im Büro gesehen werden. Wir wollen dort, wo es möglich ist, flexible Arbeitsbedingungen, die zur besseren Vereinbarkeit von Berufstätigkeit und Familienaufgaben für alle Beschäftigten führen. Anträge auf Teilzeitarbeit und Beurlaubung aus familiären Gründen müssen grundsätzlich von den Dienststellen bewilligt werden.

Eine Besonderheit ist dabei unsere Definition des Begriffs Angehörige. Hierunter verstehen wir auch emotionale Angehörige, also zum Beispiel lebenslange Freundinnen oder Freunde, die keine Familie haben und während einer schweren Krankheit oder auf ihrem letzten Weg Beistand brauchen. Vor dem Hintergrund der zunehmenden gesellschaftlichen Vereinzelung rücken soziale Beziehungen außerhalb der Familie immer weiter in den Fokus.

Kehrt jemand aus einer Eltern- oder Pflegezeit zurück, muss sichergestellt sein, dass sie oder er karrieretechnisch an dem Punkt vor der Auszeit anknüpfen kann. Das ist

aktuell für Frauen, die in der Regel länger aus dem Beruf aussteigen, ein großes Problem.

Eigentlich gibt es schon genügend eindeutige rechtliche Regelungen zur gleichberechtigten Teilhabe von Frauen und Männern am Berufsleben. Es hapert allerdings an der konkreten Umsetzung dieser Vorgaben. Deshalb wollen wir mit unserem Gleichstellungsgesetz die Gleichstellungsbeauftragten in den Dienststellen, die die bisherigen Frauenbeauftragten ablösen sollen, sowie die kommunalen Gleichstellungsbeauftragten, die sachsenweit unterschiedlichste Voraussetzungen und Möglichkeiten haben, stärken. Die Gleichstellungsbeauftragten in den Dienststellen sollen nunmehr von allen Beschäftigten, also Frauen und Männern, gewählt werden können. Dementsprechend können sich Frauen und Männer um diese Position bewerben.

Wir gehen immer von einem Team aus Gleichstellungsbeauftragter und Stellvertretung aus. Natürlich gibt es die besonderen Interessen der weiblichen Beschäftigten. Dem wollen wir nachkommen, dass es immer ein paritätisches Team fifty-fifty sein muss. Das ist unser Verständnis von Geschlechtergerechtigkeit. Dazu gehört auch die Akzeptanz der Gleichstellungsarbeit in den Dienststellen.

Die kommunalen Gleichstellungsbeauftragten haben die Aufgabe, die Gleichberechtigung in der kommunalen Gesellschaft zu verwirklichen. Dafür müssen sie über die hinreichenden Ressourcen verfügen. Wir wollen auch die Grenzen senken. Bisher ist es so, dass bei 20 000 Einwohnerinnen und Einwohnern hauptamtliche Gleichstellungsbeauftragte bestellt werden können. Wir wollen die Grenze auf 10 000 heruntersetzen.

Der Gesetzentwurf legt zum ersten Mal fest, in welchem Umfang die hauptamtliche Tätigkeit erfolgen soll. Alle Gleichstellungsbeauftragten – also in den Dienststellen und in den Kommunen – erhalten umfassende Beteiligungsrechte und auch ein Initiativrecht. Vorstöße gegen gleichstellungsrechtliche Regelungen können sie beanstanden und gegebenenfalls auch gerichtlich bewerten lassen; denn die Zeiten der Stumpfes-Schwert- oder Proforma-Frauenbeauftragten sollen vorbei sein, sehr verehrte Damen und Herren.

Ich freue mich auf die Diskussion im Ausschuss, und ich hoffe sehr – Frau Köpping ist jetzt leider nicht hier –, dass dann vielleicht auch der Gleichstellungsgesetzentwurf der Regierung, nachdem er bereits 2016 angekündigt wurde, endlich vorliegt. Dann können wir beide Gesetzentwürfe gemeinsam in einer Anhörung behandeln, und es soll sich der Gesetzentwurf durchsetzen, der besser ist.

Vielen Dank.

(Beifall bei den GRÜNEN und vereinzelt bei den LINKEN)

Meine Damen und Herren, das Präsidium schlägt Ihnen vor, den Entwurf Gesetz zur Gleichstellung von Frauen und Männern im öffentlichen Dienst im Freistaat Sachsen an den Aus

schuss für Soziales und Verbraucherschutz, Gleichstellung und Integration – federführend –, an den Innenausschuss und an den Haushalts- und Finanzausschuss zu überweisen. Wer dieser Überweisung zustimmt, den bitte ich um

das Handzeichen. – Gibt es Gegenstimmen? – Stimmenthaltungen? – Ich sehe Einstimmigkeit. Damit ist der Überweisung zugestimmt.

Ich beende den Tagesordnungspunkt und rufe auf

Tagesordnungspunkt 5

Umsetzung 10-Punkte-Plan zur Prävention und

Bekämpfung des Crystal-Konsums

Drucksache 6/11188, Große Anfrage der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN,

und die Antwort der Staatsregierung

Als Einbringer spricht zuerst für die Fraktion GRÜNE der Abg. Zschocke, danach folgen CDU, DIE LINKE, SPD, AfD und die Staatsregierung, wenn sie es wünscht.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Crystal dominiert die Beratungsnachfragen der Suchtberatung im Bereich illegaler Drogen seit Jahren. Die Droge wird in allen gesellschaftlichen Schichten, überwiegend von jungen Menschen konsumiert. Es ist auch dem jahrelangen Drängen unserer im Dezember letzten Jahres verstorbenen GRÜNEN-Abgeordneten Elke Herrmann zu verdanken, dass sich die Staatsregierung mit dem hohen Crystal-Konsum in Sachsen intensiver auseinandergesetzt hat. Ich weiß noch sehr genau, wie Elke Herrmann hier eindrücklich auf den Anstieg gerade der Zahl der jungen Crystal-Konsumentinnen und -Konsumenten aufmerksam gemacht hat.

Die GRÜNE-Fraktion hat bereits 2011 ein Sofortprogramm zur Stärkung der Suchthilfe gefordert und darauf gedrängt, dass die Staatsregierung auf die besorgniserregende Entwicklung reagiert. 2014 wurde daraufhin vom damaligen Innenminister ein 10-Punkte-Plan zur Prävention und Bekämpfung des Crystal-Konsums vorgestellt.

Wir haben dessen Wirksamkeit einmal umfassend hinterfragt. Die Antworten der Staatsregierung ermöglichen eine Zwischenbilanz zur Umsetzung der angekündigten Maßnahmen in den Bereichen Prävention, Suchthilfe und Repression. Aber wir haben auch neue Herausforderungen in den Blick gekommen, die im 10-Punkte-Plan noch nicht erwähnt sind: im Bereich Jugendarbeit und Jugendhilfe, für das gesamte Thema Hilfen für von Crystal abhängige Eltern und Kinderschutz, die Suchttherapieangebote in den Justizvollzugsanstalten und Maßnahmen zur Schadensminderung.

Die Zwischenbilanz, meine Damen und Herren, fällt aus unserer Sicht durchwachsen aus. Ja, der 10-Punkte-Plan hat in den vergangenen dreieinhalb Jahren in bestimmten Teilbereichen durchaus Wirkung entfaltet. Es sind neue Arbeitsstrukturen zwischen den Ministerien entstanden. Im Landesfachausschuss gibt es jetzt eine Arbeitsgemeinschaft Crystal. Es gab vielfältige Fachtagungen und Weiterbildungen, die Öffentlichkeitsarbeit wurde ausgebaut, auch die Datenlage hat sich seit 2014 teilweise verbessert, und die Personalausstattung, Frau Ministerin,

in der Suchtberatung hat sich seit 2016 positiv entwickelt. Die Wartezeiten für eine Erstberatung haben sich verkürzt. In einigen Beratungsstellen gibt es zusätzliche Sprechstunden zur akuten Krisenintervention. Zumindest in der Justizvollzugsanstalt Zeithain und in der Jugendhaftanstalt Regis-Breitingen gibt es für Crystal-Konsumentinnen und –Konsumenten ein stationäres Therapieangebot.

Die grenzüberschreitende Zusammenarbeit mit Tschechien und Polen wurde ebenfalls ausgebaut. Für all diese Fortschritte haben wir GRÜNEN jahrelang mit Anträgen in den Haushaltsberatungen, aber auch durch viele kritische Nachfragen gekämpft.

Ich muss aber auch sehr deutlich sagen: Der 10-PunktePlan ist insgesamt noch keine Erfolgsgeschichte. Viele der 2014 angekündigten Maßnahmen sind bei Weitem nicht erfüllt. Zudem stellen sich neue Aufgaben, die dringend angegangen werden müssen.

Erstens. Die Zahl der Crystal-Abhängigen stagniert auf hohem Niveau. In ganz Sachsen haben seit 2014 durchschnittlich weit über 4 800 Personen jährlich Hilfe gesucht. Die meisten in Leipzig, in Dresden, aber auch im Erzgebirge und im Vogtland. Besonders junge Frauen sind betroffen. Weit über 30 % der konsumierenden Frauen tun dies erstmals im Alter von 15 bis 17 Jahren.

Zweitens. Die Fälle von geschädigten Neugeborenen steigen an, die Fälle von geschädigten Feten und Neugeborenen sind 2016 auf 185 Fälle angestiegen. Neugeborene kommen mit akuten Entzugssymptomen auf die Welt. Auch diese Fälle werden in den sächsischen Geburtskliniken immer häufiger diagnostiziert. Die Entwicklung beunruhigt sehr; denn neben Alkohol ist die Substanz Crystal mit schwerwiegenden Gefährdungen sowohl für das vorgeburtliche als auch für das geborene Leben verbunden.

Drittens. Die Verstetigung der in den Landkreisen entwickelten Crystal-Suchthilfeprojekte steht infrage. Frau Ministerin, eine reine Aufzählung der erfolgten Trägeraktivitäten reicht mir nicht. Ich erwarte von Ihnen eine kritische Evaluation, was die Projekte erbracht haben und wie es nach dem Auslaufen der Landesförderung weitergeht. Die zusätzlich geschaffenen Stellen müssen von den Landkreisen künftig stabil kofinanziert werden. Es ist

nach meiner Sicht derzeit noch völlig offen, ob dies bei der Haushaltslage der Kommunen und in den Landkreisen gelingt.

Viertens. Wir haben es mehrfach deutlich gemacht: Es fehlen stationäre Therapieplätze, insbesondere für Eltern mit Kind. Zur Rehabilitation werden gerade einmal 258 Betten in sächsischen Krankenhäusern bereitgestellt. Das ist zu wenig. Die Motivation für die Arbeit an der eigenen Suchterkrankung bei Müttern sind eben oft die Kinder. Sie möchten eine gute Mutter sein. Sie wollen, dass es ihre Kinder besser haben. Doch in Sachsen gibt es nur eine stationäre Einrichtung für Eltern mit Kindern: die Evangelische Fachkliniken Heidehof in Weinböhla. Dort werden jedoch nur Kinder im Alter von drei bis sechs Jahren aufgenommen.

Das Ziel der Staatsregierung, den Familien erhaltenden Ansatz zu fördern und die Eltern-Kind-Beziehung zu stärken, meine Damen und Herren, wird so nicht erreicht. Fehlende Eltern-Kind-Angebote sind eben ein Grund dafür, dass Kinder Crystal-Abhängiger immer öfter ins Heim müssen. Das kritisiert auch der Landesrechnungshof in seinem Bericht 2017. Die Kosten der Heimerziehung und sonstiger betreuter Wohnformen sind stark angestiegen, von rund 94 Millionen Euro 2008 auf rund 184 Millionen Euro im Jahr 2015. Als wesentliche Ursache wird dafür der Crystal-Konsum genannt.

Fünftens. Es fehlen stationäre Therapieplätze in den Justizvollzugsanstalten. Die stationären Suchttherapieangebote in der JVA Zeithain und in der Jugendhaftanstalt Regis-Breitingen reichen bei Weitem nicht. Die ursprünglich vorgesehenen 20 Plätze für Männer in Zeithain haben sich bezüglich der Gruppengröße aus therapeutischer Sicht nicht bewährt. Aktuell werden lediglich zwei Gruppen mit jeweils acht Teilnehmern behandelt. Für die aktuelle Entwöhnungsgruppe lagen aber 30 Bewerbungen aus ganz Sachsen für diese acht Plätze vor.

Wir haben wiederholt kritisiert, dass die neue Haftanstalt in Zwickau ohne Suchttherapiestation gebaut wird. Wir haben – Frau Meier hat es mehrfach deutlich angesprochen – eine Aufstockung im Haushalt 2017/2018 gefordert, insbesondere für Frauen und weibliche Jugendstrafgefangene, für die es bis heute gar keine stationären Angebote gibt.

Sechstens. Die Polizeidirektionen verfügen über keine ausreichende personelle und technische Ausstattung, um Drogenlabore, Quellen und Verbringungswege aufzudecken und den Handel mit der Substanz zurückzudrängen.

Meine Damen und Herren! Hierbei brauchen die Beamtinnen und Beamten im Kampf gegen Crystal deutlich mehr Unterstützung. Im Jahr 2013 – sie können sich alle noch an die Pressemitteilungen erinnern – wurde die Einrichtung einer Sonderkommission „Crystal“ öffentlich angekündigt. Wir haben nachgefragt. Sie ist offenbar bis heute noch nicht umgesetzt worden.

Auch die technische Ausstattung der sächsischen Polizei im Kampf gegen Crystal erscheint mangelhaft. Zum

Beispiel gibt es in ganz Sachsen nur drei mobile Analysegeräte zum schnellen Drogenscreening.

Wir haben eine ganze Reihe von Lösungsvorschlägen für all die Probleme erarbeitet, auf die ich bei der Einbringung unseres Entschließungsantrages noch eingehen werde. Wir wollen, dass Kinder sicher ins Leben kommen, dass Familien erhalten werden können und dass Beratungsstellen und Polizei bei ihrer wichtigen Arbeit nicht hängengelassen werden.

Vielen Dank.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Für die CDU- Fraktion Herr Abg. Wehner, bitte.