Jetzt hat die Staatsregierung übernommen und ein ganz normales Gesetzgebungsverfahren eröffnet, in dessen relativ früher Phase wir uns befinden. Ich würde aber diese Debatte gern nutzen, um darzulegen, welche Ziele die SPD als Teil dieser Koalition verfolgt hat. Da ist als Erstes zu nennen, dass wir natürlich ein Interesse daran haben, dass Sachsen ein sicheres Land bleibt und dass wir dort, wo gegebenenfalls Sicherheitslücken existieren, auch das entsprechende Instrumentarium für die Polizei und andere Behörden schaffen. Dazu gehört auch die Debatte um mehr sichtbare Sicherheit, aber auch die Debatte um ein modernes Handwerkszeug für die Polizei, nämlich das Polizeirecht.
Wir haben Interesse an einem handlungsfähigen Staat und einer handlungsfähigen Polizei, denn wenn man ehrlich ist, können sich nur die reichsten zehn Prozent der Bevölkerung einen schwachen Staat leisten, indem sie Sicherheit kaufen. Alle anderen 90 Prozent sind angewiesen auf eine handlungsfähige Polizei, auf einen handlungsfähigen Staat. Darauf habe ich weder von Ihnen, Herr Lippmann, noch von Herrn Bartl irgendeine Antwort in dieser Debatte gehört.
Wir haben uns als SPD auseinandergesetzt mit aktuellen Entwicklungen und mit aktuellen Phänomenen. Dazu zähle ich Gewaltkriminalität, Eigentumskriminalität; dazu zähle ich auch die Entwicklungen im Bereich politisch motivierter Kriminalität bis hin zu Terrorismus. Ich finde es richtig, ja sogar notwendig, dass wir uns damit auseinandersetzen, ob wir nicht nur bessere Möglichkeiten der Strafverfolgung finden, sondern indem wir verdammt noch mal auch dafür sorgen – es zumindest versuchen –,
auch schwerste Straftaten zu verhindern. Es kann dabei im Extremfall um Menschenleben gehen, meine Damen und Herren. Auch darauf habe ich weder eine Antwort von den GRÜNEN noch von den LINKEN gehört.
Das zweite Leitmotiv, das uns bis heute bewegt, ist natürlich das notwendige Ringen darum, Sicherheitsinteressen mit den Freiheitsinteressen der Bürgerinnen und Bürger in Einklang und ein möglichst ausgewogenes Verhältnis zu bringen. Auch das ist wichtig angesichts der Tatsache, dass Menschen, die sich unsicher fühlen, selbst in ihrer Freiheit beschneiden. Sie stellen das immer als absolutes Gegensatzpaar dar, das es jedoch nicht ist. Es sind zwei Seiten der gleichen Medaille, um einmal das Bild des Kollegen Hartmann zu bemühen. Es kommt aber auch darauf an, wie diese beiden Interessen in ein Gleichgewicht gebracht werden können.
Natürlich ist es für uns als SPD logisch: Nicht alles, was technisch geht, und nicht alles, was beispielsweise die Polizei als State of the Art bezeichnet und für ihre Arbeit gern haben möchte, wird am Ende durch die Politik in ein Gesetz gegossen werden. Dass Innenministerium und Polizei zunächst 100 % der Möglichkeiten haben wollen, ist logisch und nachvollziehbar; das entspricht deren Rolle. Wir als Landtagsabgeordnete müssen am Ende des Tages darüber entscheiden, welche dieser Wünsche wir selbst für notwendig und gerechtfertigt halten oder was gegebenenfalls darüber hinaus geht, was sinnvoll ist. Insbesondere ist das wichtig, wenn man über das Vorfeld von Gefahren spricht. Auch das klang schon an.
Was mich aber wirklich nervt ist, dass hier das Bild gezeichnet wird, dass automatisch jeder Grundrechtseingriff, der einem legitimen Zweck folgen kann, automatisch in einen Polizeistaat führt. Das ist doch nicht der Fall, liebe Kolleginnen und Kollegen!
Ich würde mir hier wünschen, dass sowohl GRÜNE als auch LINKE etwas mehr Realismus zeigen würden und auch mehr Verständnis dafür aufbringen würden, dass es natürlich legitim ist, Sicherheitsinteressen zu verfolgen, die aber mit Freiheitsinteressen abgeglichen werden.
Der letzte Punkt, den ich ansprechen möchte, ist der, dass Polizeiarbeit als eingriffsschwerste staatliche Aufgabe – das ergibt sich aus der Rolle und dem Gewaltmonopol – natürlich einer erhöhten Transparenz ausgesetzt sein sollte. Das ist für uns als SPD auch ein wichtiger Punkt und eine wichtige Richtschnur, die wir in den Vorgesprächen angelegt haben. Diese Richtschnur werden wir auch in den weiteren Gesprächen anlegen. Ich werde mich jetzt nicht an wilden Spekulationen beteiligen über Punkte, die in den geleakten Referentenentwurf hineininterpretiert wurden. Ich würde uns wünschen, dass wir in Ruhe die Debatte führen, sobald ein Gesetzentwurf vom Kabinett beschlossen wird und hier im Landtag liegt. Ich freue mich, zu den einzelnen Punkten dann hier noch einmal sprechen zu können.
Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Kollegen Abgeordnete! „Ausverkauf der Bürgerrechte als Preis für die Sicherheit?“ So lautet der Titel des Antrages der GRÜNEN. Der Antrag ist schon 14 Monate alt; eigentlich war es ein reiner Berichtsantrag. Daher konnte man davon ausgehen, dass wir heute über das künftige Polizeigesetz sprechen wollen. Außer den Allgemeinplätzen, die dazu in der Pressekonferenz gefallen sind, kann ich dazu gar nichts sagen, weil ich den Entwurf im Detail gar nicht kenne.
Woher soll ich ihn kennen? Auf welcher Basis sollen wir miteinander reden? Er ist ja gar nicht im Parlament. Wenn wir über Gesetze und Gesetzentwürfe reden, dann kommt es eben doch auf jedes Wort, jeden Punkt und jedes Komma an.
Insofern können wir uns hier nur in Allgemeinem ergehen. Nun habe ich bei meiner Vorbereitung den Fehler gemacht, dass ich tatsächlich versucht habe, mich mit Ihrem Antrag auseinanderzusetzen. Dabei ist es schon einmal ganz hilfreich, wenn es eine Stellungnahme der Staatsregierung gibt. Es gab eine Stellungnahme der Staatsregierung, und diese war unheimlich aufschlussreich. Sie von den GRÜNEN haben dabei ja konkret gefragt, was Sie wissen wollten. Man kann eigentlich sagen, dass die Antwort der Staatsregierung ein reines Geschwurbel und Gesülze war, jedoch keine brauchbare Antwort – nicht einmal im Ansatz.
Jetzt übernehme ich einmal den Job, den ich eigentlich von jemandem von der Regierungsbank erwartet hätte, und werde zumindest versuchen, Teile des Antrages so zu beantworten, dass man das vielleicht sogar auch als sicherheitspolitischer Laie verstehen kann; denn manchmal muss man es einfach ein wenig herunterbrechen.
Fangen wir also an: Das Thema „elektronische Fußfessel“ können wir eigentlich abkürzen, da die AfD-Fraktion hierzu einen eigenen Gesetzentwurf in den Sächsischen Landtag eingebracht hat. Dazu gab es auch eine schriftliche Anhörung. Nun wissen wir von Ihnen, dass Sie diesbezüglich Bedarf haben, zu diesem Thema etwas wissen zu wollen. Nur leider kann ich nicht nachvollziehen, dass Sie irgendeinen Referenten oder Fachmann zu dieser Thematik befragt hätten. Sie haben offensichtlich bei dieser Anhörung nicht mitgemacht, was mir natürlich sehr leidtut.
Zweitens, zur Quellen-TKÜ: Hier geht es um das Auslesen von WhatsApp. Da stellt sich zum Beispiel die Frage: Was ist eigentlich häufiger? Was wird öfter verwendet? Sind es zum Beispiel WhatsApp oder andere Instantmessanger? Sind es Telefone mit Wählscheibe? Ich habe intensiv darüber nachgedacht. Mein Eindruck ist, dass die Fräuleins vom Telegrafenamt zunehmend seltener zu erreichen sind. Auch Wählscheiben an Telefonen scheinen mir ziemlich aus der Mode gekommen zu sein. Wer mit der Zeit gehen will und auch zum Zwecke der Gefahrenabwehr wissen möchte, was eine Person macht, von der eine Gefahr ausgehen kann, der muss auch bei Instantmessangern hineinlesen können. Das geht eben nur mit der Quellen-TKÜ. Wir brauchen sie schlicht und ergreifend, wenn wir unsere Aufgabe machen wollen.
Drittens. Automatisierte Kennzeichenerfassungssysteme sind eigentlich reine Kontrollsysteme. Da sage ich: Ja, die brauchen wir. Die brauchen wir sogar ganz dringend. Nehmen wir doch einmal folgendes Bild: Wir haben einen Räuber oder Attentäter, der steigt – –
Ja, ein Räuber oder Attentäter. Natürlich! Raub ist ein Straftatbestand und der, der raubt, ist der Räuber. Gut, Herr Lippmann, dass Sie das jetzt nicht wissen, okay. Der steigt in ein Auto, zum Beispiel in Thüringen,
und fährt dann hierher. Wenn es dort ein Zeuge gesehen hat, das Kennzeichen in das System eingespeist wird und er fährt hier über die Landesgrenze, dann würde ich jetzt schon ganz gerne wissen, dass der jetzt bei uns ist. Dann kann unsere Polizei sich schon einmal darauf einstellen, diese Person aus dem Verkehr zu ziehen. Da helfen solche Systeme
unheimlich weiter. Genauso ist es auch mit Attentätern. Selbst wenn Sie sagen, Pflichtversicherungsverstöße seien alle Mist und das sei Kokolores, sage ich, Nein. Auch Pflichtversicherungsverstöße sind wichtig, weil sie die potenziellen Opfer mit den Geschädigten bei Verkehrsunfällen schützen. Deswegen haben wir das Pflichtversicherungsgesetz im Bereich der Kraftfahrzeuge. Wir wollen also wissen, wer nach Sachsen hereinkommt und wer aus Sachsen hinausfährt. Da kann man eben auch einmal die Kennzeichen abgleichen. Das ist gar kein Problem.
Viertens. Die Sinnhaftigkeit von Bodycams. Hier verweise ich auf unsere Debatte von heute Morgen bezüglich der Polizeilichen Kriminalstatistik. Da kann man ein paar Dinge herauslesen. Wir hatten im Jahr 2017 1 133 Widerstandsdelikte gegen die Staatsgewalt. Das meiste ging gegen Polizisten. Dann könnte man sagen, wenn man das
mit dem aktivem Polizistenbestand abgleicht, dass es ungefähr jeden zehnten Polizisten erwischt hat. Jeder zehnte Polizist ist im vergangenen Jahr zumindest einmal Opfer eines Widerstandsdelikts geworden. Bodycams, das zeigen die Erfahrungen aus ziemlich allen Bundesländern, haben die Eigenschaft, dass sie den Täter aus seiner Anonymität herausholen. Dann überlegt er sich dreimal, ob er das macht. Das heißt, Bodycams führen dazu, dass Polizisten im Dienst geschützt sind. Dadurch, dass man mit den Kameras auch aufzeichnen kann, kann es passieren, dass man plötzlich Beweismaterial hat, um sich auch vor Gericht gegen ungerechtfertigte Beschuldigungen – vielleicht von Antifa-Demonstranten – wehren zu können. Man kann beweisen, dass es eben nicht so gewesen ist. Das ist also auch ein Schutz gegen Behauptungen überzogener Polizeigewalt. Insofern ist das eine sinnvolle Sache. Leider hat sich das bis zur Staatsregierung offensichtlich nicht herumgesprochen; denn die Bodycams sucht man nach Auskunft der Staatsregierung in dem neuen Gesetzentwurf leider vergeblich.
Man weiß gar nicht, was man dazu sagen soll. Aber Sie haben ja noch etwas Zeit, darüber nachzudenken und die Dinge noch hineinzubringen. Vielleicht werden Sie sich in der Koalition irgendwann einmal einig. Wir können es nur hoffen. Wir freuen uns auf einen Gesetzentwurf, über den wir dann ganz seriös und in aller Tiefe diskutieren können mit den verschiedenen Maßnahmen. Ich denke einmal, das Ganze wird uns bis zum Wahltag des Jahres 2019 begleiten. Die Zeitleiste ist vorgegeben. Insofern wird uns auch nicht langweilig. Das Thema rennt uns nicht weg.
Meine Damen und Herren! Das war die erste Runde in der Aussprache. Gibt es Redebedarf für eine weitere Runde aus den Reihen der Fraktionen? – Das kann ich nicht erkennen. Ich frage die Staatsregierung: Wird das Wort gewünscht? – Herr Staatsminister Prof. Dr. Wöller, Sie haben das Wort.
Herzlichen Dank, Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren Abgeordneten! Ich bin schon etwas erstaunt über den Antrag der GRÜNEN.
Auch Sie wissen, wir haben vor einer Woche den ersten Referentenentwurf zum neuen Polizeigesetz ins Kabinett eingebracht. Das heißt nichts weniger, als dass auf dieser Grundlage in den weiteren Gremien an den Details des Gesetzes gearbeitet wird. Nach meinem Verständnis ist eine sinnvolle Diskussion über Einzelheiten und bestimmte Maßnahmen hier im Landtag auch erst dann sinnvoll. Ich halte den vorliegenden Antrag deshalb für verfrüht. Davon aber einmal abgesehen, frage ich mich schon, auf welcher Grundlage wir hier eigentlich diskutieren.
Erstens. Was für Sie, meine werten Damen und Herren von den GRÜNEN, Märchen sind, dass ist für uns nichts anderes als Realität. Allein die Anschläge von Paris,
London und Berlin beweisen es: Es ist besonders ein Typ, mit dem wir es zu tun haben, der keine Opfer mehr kennt, sondern nur Ziele, und diese Ziele auch vernichten will um den Preis des eigenen Lebens. In meinen Augen ist es vor diesem Hintergrund politisch verantwortungslos, die Möglichkeit zu leugnen, die etwa die Telekommunikationsüberwachung bietet, und zwar nicht nur für die Aufklärung von Straftaten, sondern auch für die Gefahrenabwehr und die Rettung von Menschenleben.
Ja, aber nicht mit Instrumenten der digitalen Welt. Denn mit Mitteln aus dem 20. Jahrhundert allein werden wir den Kampf gegen diese Form nicht gewinnen.