Protokoll der Sitzung vom 30.05.2018

die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie Frau Abg. Kersten. Dann spricht die Staatsregierung, wenn sie das Wort wünscht.

Meine Damen und Herren! Ich erteile nun für die Fraktion die LINKE Frau Abg. Buddeberg das Wort. Bitte sehr.

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! 15 000 Menschen waren am letzten Samstag beim Christopher Street Day in Dresden und haben für die Rechte von Lesben, Schwulen, Bisexuellen, Transgender und Intergeschlechtlichen demonstriert. Für viele ist das ein ganz wichtiger Tag, weil es eben der Tag ist, an dem sie sich nicht verstecken müssen, sondern offen und frei so sein können, wie sie sind.

Aber was ist an den anderen 364 Tagen im Jahr? Was bewegt diese Menschen? Wie sieht ihr Alltag aus und womit schlagen sie sich herum?

Blicken wir zum Beispiel auf Rebecca, Jens und Claudia, deren Lebenssituation ich zumindest zum Teil kenne.

Rebecca ist trans. Sie will endlich ihren Personenstand auch formal ändern. Das Verfahren ist mühsam und zermürbend. Sie muss dem Amtsgericht psychologische Gutachten vorlegen, wie es das Transsexuellengesetz vorschreibt. Diese muss sie aus eigener Tasche bezahlen. Das kostet einen drei- oder vierstelligen Betrag.

Anders als in regulären Verfahren geschieht es aber jetzt, dass der Richter am Amtsgericht nicht nur zwei, sondern plötzlich drei Gutachten von ihr verlangt. Das will sich Rebecca nicht gefallen lassen. Sie wehrt sich monatelang dagegen, geht mit ihrem Fall an die Öffentlichkeit und schreibt sogar einen Offenen Brief an den Justizminister. Sie findet aber kein Gehör. Nach über einem Jahr gibt sie erschöpft und frustriert auf und bezahlt das dritte Gutachten, um endlich ihren Personenstand ändern zu können.

Jens ist schwul und Jens ist Christ. Er arbeitet seit fast 20 Jahren als Jugendwart in einer evangelischen Gemeinde. Lange Zeit scheint das gut zu gehen. Dann nehmen die Anfeindungen und die Diskriminierungen zu. Die Auseinandersetzung endet für Jens mit einem Predigtverbot, das gegen ihn verhängt wird. Auch er geht damit an die Öffentlichkeit. Die Presse berichtet über seinen Fall. Auch die Ministerin für Gleichstellung wird auf ihn aufmerksam und trifft sich mit ihm.

Dann wird es wieder ruhig um Jens, bis vor einigen Wochen in der Zeitung steht, dass er seinen Vertrag aufgelöst und die Kirche verlassen hat. Offenbar hat er es nicht mehr ausgehalten. Auch er hat aufgegeben.

Claudia ist in einer glücklichen Beziehung und sie ist lesbisch. Die beiden Frauen freuen sich über die Öffnung der Ehe und lassen ihre Lebenspartnerschaft, sobald es geht, in eine Ehe umtragen.

Es ist das zweite Kind unterwegs und als es da ist, könnte alles so schön sein, aber dann verweigert die Krankenkasse die Familienversicherung. Claudia soll das Kind freiwillig versichern. Das geht aber nicht so einfach, weil das Adoptionsverfahren noch aussteht – Sukzessivadoption. Das wäre nie passiert, wenn sie hetero wären. Das sind sie aber nicht.

Der Fall ist sehr kompliziert und die Eltern bekommen es mit der Angst zu tun. Schließlich wollen sie ihr Kind versichern. Sie suchen Beratungsstellen auf und wenden sich schließlich an mich als Abgeordnete. Die Krankenkasse lenkt dann überraschend ein. Dies ist eine Geschichte mit Happyend.

Diese Beispiele von Rebecca, Jens und Claudia sind nicht erfunden, sondern es sind Fälle, die tatsächlich so passiert sind, hier in Sachsen. Sie sind nur deshalb bekannt geworden, weil die Betroffenen an die Öffentlichkeit gegangen sind, weil sie sich mit ihren Anliegen direkt an die Politik gewandt haben.

Nur deswegen haben wir überhaupt gemerkt, dass es Probleme gibt, in der Auseinandersetzung mit Behörden, in der Arbeitswelt, in der Gesundheitsversorgung von Familien.

Das sind nur drei Fälle; aber was ist mit den vielen anderen Tausend Menschen, die auf dem CSD waren? Immerhin waren auch in diesem Jahr wieder einige sächsische Abgeordnete auf dem Altmarkt in Dresden. Wir haben uns in der Diskussion den Fragen der Interessierten gestellt und haben am Infostand mit Menschen geredet.

Durch Abwesenheit geglänzt haben in Dresden auch in diesem Jahr die Abgeordneten der CDU-Fraktion,

(Zuruf von der CDU: Richtig!)

ebenso übrigens wie eine Woche zuvor bei der Kundgebung zum Internationalen Tag gegen Homo-, Trans- und Interfeindlichkeit.

(Svend-Gunnar Kirmes, CDU: Das ist nicht unser Thema!)

Dass Sie, was die Belange von LSBTTIQ* angeht, ignorant und desinteressiert sind, ist nichts Neues. Das bringen Sie auch gerade wieder zum Ausdruck. Das haben wir in den vergangenen Jahren in dieser Legislaturperiode immer wieder erlebt, wenn wir hier Debatten zu diesem Thema hatten. Aber dass es nicht neu ist, macht es nicht besser.

Vor einigen Wochen hatten wir eine öffentliche Anhörung zu einem Antrag von uns als LINKE-Fraktion zu den Belangen intergeschlechtlicher Menschen in Sachsen. Zwei Stunden lang haben Sachverständige eindrucksvoll und bewegend von den Problemlagen berichtet, hier im Saal: von Zwangsoperationen an Säuglingen ohne medizinische Notwendigkeit, von den lebenslangen Folgen, von der schlechten gesundheitlichen Versorgung.

Den Abgeordneten der CDU-Fraktion fällt nichts, aber auch gar nichts anderes ein, als die Frage zu stellen: Ja, wie viele betrifft es denn? Als wäre es das einzige Kriterium.

Ich sage es Ihnen noch einmal: Es geht hier um Menschenrechte, um die Verletzung von Menschenrechten, und Menschenrechte sind nicht teilbar.

(Beifall bei den LINKEN und vereinzelt bei den GRÜNEN)

Es geht um Missstände in der Gesellschaft. Es ist Ihre Pflicht als Regierung, diese Missstände abzustellen. Sind Sie wirklich ernsthaft der Meinung, dass Sie sich diesem Problem erst zuwenden müssen, wenn eine gewisse Prozentzahl erreicht wird?

(Daniela Kuge, CDU: Ja! – Svend-Gunnar Kirmes, CDU: Das ist nicht schlimm!)

Gut. Sind Sie wirklich der Meinung, dann lassen Sie uns einmal darüber reden. Vielleicht müssen wir eine bisschen feilschen. Wie viel Prozent müssen es denn sein? 4 %? Sind 4 % zu wenig? – Wahrscheinlich. Ich gehe einmal davon aus. 4 % sind nicht viel, aber 4 % der sächsischen Bevölkerung sind katholisch,

(Oh-Rufe von der CDU – Svend-Gunnar Kirmes, CDU: Das ist ja nun ein böser Vergleich!)

und trotzdem eröffnet der sächsische Ministerpräsident den Deutschen Katholikentag in Leipzig.

(Svend-Gunnar Kirmes, CDU: Wow!)

Ich warte auf den Tag, an dem der Ministerpräsident den CSD in Dresden eröffnet.

Auch als wir über das Landesblindengeldgesetz im Landtag diskutiert haben, hat niemand aus den Reihen der CDU-Fraktion gefragt, wie viele Menschen es denn betreffe. Es sind übrigens laut Blinden- und Sehbehindertenverband ca. 35 000 Menschen in Sachsen. Also, diese Frage zu stellen, erscheint nicht nur absurd, nein, es ist auch absurd.

(Carsten Hütter, AfD: Das eine ist eine Behinderung! Das andere auch, oder habe ich das falsch verstanden?)

Im Zusammenhang mit LSBTTIQ* ist diese Frage noch abwegiger. Hier beißt sich die sprichwörtliche Katze in den Schwanz; denn es ist nicht bekannt, wie viele Leute in Sachsen es betrifft, weil es darüber keine Untersuchung gibt. Wir wissen nicht, wie die Lebenslagen von Lesben, Schwulen, Bisexuellen, Transgender, Transsexuellen und Intergeschlechtlichen sind.

Wer darauf hinwirken will, dass jeglicher Form von Diskriminierung auch aufgrund sexueller Identität entgegengewirkt wird, der oder die sollte die Form von Diskriminierung auch kennen.

Dieses Ziel, das ich sehr lobenswert finde, habe nicht ich formuliert, sondern die Staatsregierung hat es sich selbst gesteckt. Es ist nämlich im Koalitionsvertrag festgeschrieben. Deshalb brauchen wir eine Studie, um eine Datengrundlage zu schaffen. Genau das ist das Anliegen unseres Antrags.

Die drei Beispiele, die ich kurz umrissen habe, machen deutlich, wie unterschiedlich und komplex die Lebenssituationen von LSBTTIQ* in Sachsen sind. Es reicht nicht,

ganz allgemein von Vielfalt zu sprechen und dabei gar nicht zu wissen, was damit gemeint sein könnte.

Deswegen mein Appell: Nehmen Sie sich und Ihre selbst gesteckten Ziele ernst, damit Ihr Koalitionsvertrag und Ihr Landesaktionsplan noch ernst zu nehmen sind.

Vielen Dank.

(Beifall bei den LINKEN und vereinzelt bei den GRÜNEN)

Meine Damen und Herren, für die CDU-Fraktion spricht Frau Abg. Kuge. Bitte sehr, Frau Kuge, Sie haben das Wort.

Sehr verehrter Herr Präsident! Geschätzte Kollegen! Liebe Frau Buddeberg! Ich mache es kurz, weil es wichtigere Themen in diesem Hohen Hause gibt.

(Vereinzelt Beifall bei der CDU – Rico Gebhardt, DIE LINKE: Ah!)

Lassen Sie uns die Menschen als Menschen betrachten und einfach einmal dankbar sein,

(Rico Gebhardt, DIE LINKE: Hä?)

dankbar dafür, dass es uns in Deutschland so gut geht und jeder so leben und lieben kann, wie er will.

(Beifall bei der CDU – Sarah Buddeberg, DIE LINKE: Nein, „wie er will“ eben nicht! Wenn es mal so wäre!)

Seien Sie Frau Ministerin Petra Köpping und Herrn Frank-Peter Wieth als Landesbeauftragtem für die Belange von Lesben, Schwulen, Bisexuellen, Trans- und Intersexuellen, transidenter und queerer Menschen einfach einmal dankbar für die Erarbeitung des Landesaktionsplans.

(Rico Gebhardt, DIE LINKE: Da haben Sie es gut abgewälzt!)

Sie haben sich selbst, Frau Buddeberg, wie kein anderer Abgeordneter bei diesem Thema in verschiedenen Arbeitsgruppen, bei Interessenverbänden und bei Beiräten eingebracht.