Protokoll der Sitzung vom 30.05.2018

(Beifall bei der SPD, der CDU und der Staatsregierung)

Für die Fraktion DIE LINKE Herr Brünler, bitte.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! In der Nacht vom 7. zum 8. Mai haben die Unternehmensführungen und der Gesamtbetriebsrat von Siemens gemeinsam mit der IG Metall einen Zukunftspakt vorgelegt. Das wurde schon mehrfach gesagt. Inhalt des Ganzen: Görlitz bleibt als Standort nicht nur erhalten, sondern wird die weltweite Zentrale für Industrie- und Dampfdruck. Eine bemerkenswerte Entwicklung für einen Standort, der kurz vorher noch angeblich nicht zukunftsfähig war. Das Werk in Leipzig wird zwar verkauft, bleibt aber ebenfalls erhalten. Wenn man einmal über den sächsischen Teller

rand hinausschaut, soll auch das Generatorenwerk in Erfurt erhalten bleiben. Was nun noch aussteht, sind Konzepte für die vereinbarten Restrukturierungsmaßnahmen, damit wir dann tatsächlich wissen, von wie vielen Arbeitsplätzen wir in Zukunft vor Ort reden werden.

Aber – und das ist eine Frage, die sich ein Stück weit jenseits des konkreten Falles von Siemens stellt – warum sind es eigentlich immer die ostdeutschen Standorte? Kollege Heidan, Sie wissen, wovon ich rede: Neoplan in Plauen, Bombardier, jetzt aktuell Siemens. Warum sind es immer die ostdeutschen Standorte, die letztendlich nur verlängerte Werkbänke sind? Warum sind es immer die ostdeutschen Standorte, die von den Konzernen zur Disposition gestellt werden?

Ich sage es Ihnen: Sie sind im gesamten Konzerngeflecht oftmals strategisch nicht relevant. Zumindest werden sie nicht als strategisch relevant angeschaut. Das hängt auch damit zusammen, dass wir im Siemens-Vorstand – wie in beinahe allen anderen DAX-Vorständen – keinen einzigen Ostdeutschen haben. Nun haben wir die Situation, dass die Unternehmen zwar eine Ankerfunktion hier in der Region haben, aber keine strategische Bedeutung im Unternehmen, und man erwartet sich deshalb oftmals keinen großen Widerstand, wenn sie geschlossen werden sollen.

Das war hier Gott sei Dank anders. Die Region hat gekämpft. Wir haben – und das muss man tatsächlich sagen – parteiübergreifend, auch länderübergreifend im Osten – die Stadt, die Regierungen, die Parlamente – dafür gestritten, dass die ostdeutschen Siemens-Standorte erhalten bleiben und, ja, der Konzern ist hier auf eine Geschlossenheit und Entschiedenheit gestoßen, was so offenkundig nicht erwartet wurde. Das wahrscheinlich Allerwichtigste daran: Diese Geschlossenheit hat es auch in der Belegschaft gegeben. Das heißt, die Mitarbeiter in Ost und West haben sich nicht auseinanderdividieren lassen, so nach dem Motto: Lass das mal die Ossis ausbaden! Nun würde ich mir persönlich wünschen, dass die gleiche Solidarität auch die Mitarbeiter in Offenbach in Hessen erfahren, deren Werk nach wie vor zur Disposition steht.

Aber über den ganz konkreten Siemens-Fall hinaus stellt sich schon die Frage nach der Struktur hier vor Ort, nach der Wirtschaftsstruktur im Osten. Wir haben das gestern auf der Veranstaltung der IHK wieder gesehen, wo es unter dem Slogan diskutiert wurde: Warum hat denn kein DAX-Konzern seinen Sitz im Osten? Nun ist das Ganze sicherlich kein Selbstzweck, dass hier ein DAX-Konzern sitzt, aber es geht schon darum, welche volkswirtschaftlichen Nachteile es gibt, wenn wir hier eine sehr kleinteilige Wirtschaftsstruktur haben und Großunternehmen schlichtweg fehlen, Großunternehmen, die Kaufkraft bringen, Großunternehmen, die Auftraggeber für kleine Betriebe sind, und Großunternehmen, die letztlich auch ein Potenzial für Forschung und Entwicklung haben.

Wir haben in Sachsen die eigentlich bizarre Situation: Wir haben vor Ort Spitzenforschung. Ich erinnere nur an die

sächsischen Universitäten, an die Fraunhofer-Institute, die, auch was die Patente anbelangt, bundesweit in der ersten Liga mitspielen. Aber wir haben auf der anderen Seite die Situation: Ein Großteil dieser Patente bleibt ungenutzt liegen, weil in der sächsischen Wirtschaft das Eigenkapital fehlt. Oder wenn sie genutzt werden, werden sie nicht hier in Sachsen genutzt, sondern zum Beispiel in Bayern, Baden-Württemberg und Hessen. Kollege

Heidan, ich muss Ihnen schon widersprechen, wenn Sie sagen, der Technologietransfer hier in Sachsen funktioniert. Es wäre ja schön, wenn er funktionieren würde. Allzu oft macht er das eben nicht. Da, glaube ich, kann in der Tat die Politik etwas tun. Da kann sie nicht nur etwas tun, sondern da muss sie etwas tun.

So lobenswert es ist, dass die Staatsregierung eine Kommission zur Entschlackung und Evaluation von Förderprogrammen ins Leben gerufen hat, frage ich mich allerdings: Warum soll sich die Kommission vorrangig auf Förderprogramme für öffentliche Empfänger beschränken, warum nicht auch für die Wirtschaft? Da geht, glaube ich, tatsächlich ein ganzer Teil am Bedarf vor Ort vorbei. Nehmen Sie die einzelbetriebliche Projektförderung für Forschung und Entwicklung bzw. Produktinnovation. Auf meine Nachfrage hin wurde mir mitgeteilt, dass im letzten Jahr lediglich ein Viertel der Mittel überhaupt angefragt wurde. Schauen Sie zum Technologietransfer, das heißt die Überführung von Erkenntnissen bzw. Patenten in die wirtschaftliche Praxis. Da war es nur ein Drittel des Programmvolumens, das zur Verfügung stand, das tatsächlich abgerufen wurde.

(Staatsminister Martin Dulig: Sagen Sie jetzt bitte auch die Laufzeit dazu!)

Es geht darum, für welche Mittel, die im Jahr zur Verfügung standen, es überhaupt Anträge gab. Da hat mir dann Ihr Haus etwas Falsches erzählt.

Ihre Redezeit ist um, Herr Brünler.

Wie schon gesagt, ich glaube, da können wir in der Tat noch etwas tun. Wir sollten uns hier nicht nur auf die Schulter klopfen, sondern dafür sorgen, dass unsere lokalen Unternehmen wachsen.

(Beifall bei den LINKEN)

Die AfD-Fraktion. Herr Beger, bitte.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Staatsregierung!

(Mario Beger, AfD, beginnt zu singen.)

Sie sind der hellste Punkt an Sachsens Horizont.

(Zurufe von der CDU und der SPD: Oh!)

Sie sind der Farbenklecks im Kohleabbau.

(Unruhe im Saal)

Sie sind das Hänschen Klein in einem Kinderlied. Merci, dass es Sie gibt.

Herr Beger, bitte!

(Mario Beger, AfD, singt weiter.)

Sie sind das Rettungsboot auf den Bärwalder Seen.

Herr Beger!

(Starke Unruhe)

Sie sind der Wirbelsturm in einem Wasserglas.

Herr Beger, darf ich Sie bitten, dass Sie aufhören zu singen.

Sie sind das Glasfaser beim Internetausbau. Merci – –

Das kann man nur abschalten.

(Das Mikrofon wird abgeschaltet. – Beifall bei der AfD – Mario Beger, AfD, spricht normal weiter.)

Auch nach dem hier Gesagten schreit die aktuelle Enwicklung bei Siemens zumindest aus Sicht von CDU und SPD geradezu nach tiefsten Glücksgefühlen und erkennbarer Dankbarkeit, und was hat die sächsische Politik im letzten halben Jahr nicht alles für die Arbeitsplätze bei Siemens getan:

Debatten im Landtag inklusive medienwirksamer Solidaritäts- und Mitleidsbekundungen,

(Zuruf von der CDU)

moralischer Appelle an die Unternehmensführung, Vorwürfen an die Innovationskraft des Unternehmens. Ich zitiere stellvertretend für die Standortunterstützungsleistungen der Regierungsparteien den amtierenden Ministerpräsidenten, Herrn Kretschmer: „Es muss am Ende so sein, dass, wenn ein Produkt nicht mehr wettbewerbsfähig ist, jeder andere mittelständische Unternehmer mit neuen Ideen, mit Forschung und Entwicklung angreift und versucht, sich wieder einen Wettbewerbsvorteil zu erkämpfen. Es kann doch nicht sein, dass man in einer Zeit wie heute, in der das wichtigste Gut Fachkräfte sind, einfach ein Werk schließt, sich vom Acker macht und meint: hinter mir die Sintflut!“

(Zuruf von den LINKEN)

Einem deutschen Technologieunternehmen, welches

weltweit erfolgreich agiert, die Innovationskraft abzusprechen, das muss ein sächsischer Ministerpräsident erst einmal bringen. Die Moralkeule zu schwingen hat noch nie geholfen. Und sich für heute dafür feiern zu lassen – mehr Realitätsferne geht gar nicht. Dem Wirtschaftsstandort Sachsen geht es relativ gut, aber nicht wegen

Ihrer politischen Entscheidungen, sondern trotz Ihrer politischen Entscheidungen.

Dazu später aber mehr.

Vielen Dank.

(Beifall bei der AfD)

Herr Dr. Lippold, bitte, für die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN.

Ich kann nicht singen.

(Rico Gebhardt, DIE LINKE: Sie stehen wenigstens dazu!)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Selbstverständlich waren wir alle erleichtert, als Anfang Mai die Nachricht kam, dass die baldige Schließung des Siemens-Werkes in Görlitz vom Tisch ist und das Werk in Leipzig gute Perspektiven unter einem neuen Eigentümer haben kann. Es ist unzweifelhaft eine sehr gute, geradezu erlösende Nachricht für die Menschen, die dort beschäftigt sind, für die Region und den Freistaat. Dass es in der heutigen Debatte auch darum gehen würde, wer sich welchen Anteil an diesem Erfolg auf die Fahnen schreibt, war zu vermuten. Denn bekannterweise hat der Erfolg viele Väter, nur der Misserfolg ist ein Waisenknabe. Deshalb wiesen jene, die die heutige Debatte beantragt haben, auch ganz und gar auf Entscheidungsprozesse im Siemens-Management hin, als es vor wenigen Wochen in der Debatte um die Hiobsbotschaften aus dem Hause Siemens ging.

Ich kann ja verstehen, meine Damen und Herren, dass Sie Ihr eigenes Tun lieber mit den positiven Nachrichten aus der sächsischen Wirtschaft verbinden als mit den Dingen, die in Sachsen nicht so laufen. Wenn man jedoch bei Dingen, die schiefzugehen drohen, reflexartig auf Dritte weist, wenn man über Dinge, die final schiefgegangen sind, lieber gar nicht mehr redet und wenn man jede positive Entwicklung als Beleg für richtiges und erfolgreiches eigenes Handeln identifiziert, dann analysiert man nicht in der nötigen Tiefe und verbaut sich wichtige Erkenntnisse.