Wir dürfen dabei nicht vergessen, dass nicht alle Schwerkriminelle sind. Wir dürfen nicht alle über einen Kamm scheren. Es gibt auch Menschen, die sich einfach perspektivlos fühlen. Auch diese brauchen unsere Unterstützung.
Zusammenfassend kann man sagen: In Bezug auf Hass, Gewalt und Straßenkriminalität braucht es neben dem Aufstand der Anständigen, den wir heute schon gehört haben, endlich auch einen Aufstand der Zuständigen im Freistaat Sachsen, meine Damen und Herren.
Auch wenn Chemnitz gerade im Fokus steht, gelten diese eben beschriebenen Punkte meiner Meinung nach für alle größeren und mittleren Städte im Freistaat Sachsen. Deshalb sollten wir im Rahmen der Haushaltsdiskussion schauen, ob wir nicht als Freistaat unsere Kommunen im Hinblick auf Ordnung und Sicherheit stärker unterstützen können. Wir müssen uns hier alle mehr mit den konkret zu lösenden Aufgaben befassen. Dazu wünsche ich mir, dass die Stadt Chemnitz bald zur Ruhe kommen kann.
Ich komme zum Schluss, Frau Präsidentin. Ich möchte mit einer erneuten Anleihe bei meiner Chemnitzer Kollegin Hanka Kliese schließen: Lassen Sie uns bitte gemeinsam dafür sorgen, dass die Ereignisse in Chemnitz einen positiven Wendepunkt auch in dieser Frage darstellen.
Genau, Sekunden. 30 Sekunden, Entschuldigung! – Herr Abg. Lippmann von der Fraktion BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN, bitte.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen! Wir müssen uns dieser Tage die Frage stellen, wie wir in einer zugespitzten Situation, in der wir erneut sehen, dass die Polizei nicht stets in der Lage ist, bei Demonstrationen das Gewaltmonopol durchzusetzen, oder wir erleben müssen, wie Staatsbedienstete durch die Veröffentlichung von Interna die Stimmung im Freistaat weiter anheizen, das angeknackste Vertrauen in den Rechtsstaat wieder herstellen können. Die Lage ist zu ernst, um herumzulavieren und sich in der mithin unionstypischen Wagenburg des „Alles richtig gemacht“ zu verschanzen.
Die Bilder aus Chemnitz sprechen eine klare Sprache. Wir brauchen jetzt ein Problembewusstsein in der Staatsregierung und keinen Innenminister, der unter Realitätsverweigerung leidet. Ich sage es ganz deutlich: Wenn Sie, Herr Prof. Wöller, immer noch glauben, am vorletzten Montag in Chemnitz alles im Griff gehabt zu haben, dann sind Sie in der aktuellen Situation schlicht der falsche Mann an dieser Stelle.
Denn der Montag in Chemnitz war ein planerisches Versagen. Wenn an einem solchen Abend Ausschreitungen nicht unterbunden,
Menschen nicht geschützt und Straftaten nicht verfolgt werden konnten, weil zu wenige Polizisten zu vielen Nazis gegenüberstanden, dann ist etwas gehörig schiefgelaufen.
Ich nehme niemandem ab, dass man über die Mobilisierung von Rechtsextremen überrascht sein kann, wenn man schon am Vortag erlebt hat, welche Zahl die Rechten innerhalb kürzester Zeit auf die Straße bringen können, und der Verfassungsschutz vor genau einer solchen Situation gewarnt hat. Ich erwarte in einer solchen Situation, dass sich alle – vom Innenminister bis zur Polizeiführung – bewusst sind, dass alles Erdenkliche zu tun ist, um ausreichend Polizeikräfte auf die Straße zu bringen nach dem Grundsatz: Lieber fünf Polizisten zu viel als am Ende 500 zu wenig. Das gelingt ja mithin auch bei jeder linken Kleinstdemo, selbst unter Aufbietung des SEK, nur immer dann nicht, wenn es wirklich einmal in diesem Freistaat notwendig gewesen wäre.
Werte Kolleginnen und Kollegen, es braucht jetzt Entschlossenheit und Mut, um den freiheitlichen Rechtsstaat zu stärken. Dazu gehört es, in der aktuellen Situation jede Hilfe anzunehmen und nicht in der Hybris eines falschen Sachsenstolzes Polizeikräfte anderer Bundesländer
abzulehnen. Dazu gehört ein Kulturwandel in der Polizeiführung. Wir brauchen eine Fehlerkultur – das wurde heute schon angesprochen –, die diesen Namen auch verdient, vom obersten Dienstherrn bis zum kleinsten Glied in der Kette.
Den größten Fehler, den eine Polizei, die um Vertrauen wirbt, machen kann, ist, zu glauben, keine Fehler zu machen.
Danke, Frau Präsidentin. Danke, Herr Lippmann. – Herr Lippmann, stimmen Sie mir zu, dass wir vorgestern im Innenausschuss Ausführungen gehört haben, nach denen dieses Angebot der Polizeikräfte eines anderen Bundeslandes zu einem Zeitpunkt vorgebracht wurde, als die Informationen des Landesamtes für Verfassungsschutz noch nicht bei der Polizei vorlagen?
Das Problem an dieser Feststellung ist, wenn man nach dem Modus operiert, dass man lieber in einer solchen Situation alles aufbietet, was man aufbieten kann, und das haben wir in der Vergangenheit im Freistaat Sachsen auch erlebt, dass das ein Grundsatz gerade bei schwierigen Versammlungslagen sein kann, dann verstehe ich nicht, warum man nicht gesagt hat, kommt lieber nach Sachsen. Wenn ihr da seid und wir brauchen euch nicht, ist das eine andere Situation als wenn wir euch dann – wie eingetreten – vermissen. Insoweit war das eine Fehlentscheidung, Herr Kollege.
(Albrecht Pallas, SPD: Das ist Verantwortung für Kollegen, die das ganze Wochenende gearbeitet haben, Herr Lippmann! – Beifall bei der SPD und der CDU)
Es geht hier um Verantwortung für den Rechtsstaat, und ich glaube, in einer solchen Situation muss man darüber nachdenken, wie man Dinge anders umsetzt, als sie vielleicht auf dem Papier richtig erschienen sind.
Aber, werte Kolleginnen und Kollegen – ich komme zurück zu meinem Redebeitrag –, um einen solchen Kulturwandel durchzusetzen, braucht es auch personelle Konsequenzen an der Spitze der sächsischen Polizei. Mehr Polizistinnen und Polizisten allein werden uns nicht viel bringen, wenn wir nicht auch in eine bestmögliche Ausbildung und vor allem eine neue Polizeikultur in Sachsen investieren.
Werte Kolleginnen und Kollegen, ich komme zum Schluss. Chemnitz ist eine erneute Zäsur für die Durchsetzung von Rechtsstaatlichkeit in Sachsen. Lassen Sie uns gemeinsam alles dafür tun, dass die große Idee des freiheitlichen Rechtsstaates in Sachsen die Oberhand behält. Dann wird dieses Land auch erfolgreich bleiben.
Sehr geehrter Herr Lippmann, ich fand das jetzt schon ein starkes Stück. Das muss ich Ihnen ganz ehrlich sagen. Im Innenausschuss wurde genau ausgeführt, wie die Kräfte angefordert wurden und warum sie nicht da waren. Ich kann das jetzt nicht näher ausführen, weil das eine nicht öffentliche Sitzung war.
Sich aber jetzt hier hinzustellen und so zu tun, als ob unsere Polizei in Gänze handlungsunfähig ist, das führt definitiv nicht zur Deeskalierung, zu der wir heute hier
eigentlich beitragen sollten. Auch Ihr Antrag, wenn wir jetzt schon bei dem Punkt sind – – Sie haben einen „wunderbaren“ Antrag an den Innenausschuss gestellt mit dem Titel „Nach den pogromartigen Szenen und Aufrufen zum Volkssturm in Chemnitz klare Haltung gegenüber dem Nazimob – Rechtsstaat verteidigen und Gewaltmonopol des Staates sichern“.
Ich habe es schon im Innenausschuss gesagt: Ich bitte einfach darum, dass alle ein klein wenig abrüsten, damit die Bürgerinnen und Bürger draußen nicht den Eindruck haben, dass wir es hier auch nicht im Griff haben. Seien wir ehrlich: Der Polizeipräsident hat es ganz klar ausgeführt, selbst die Presse hat es zum Teil ausgeführt, dass die Polizei vor Ort die Lage im Griff hatte. Der Polizeipräsident hat auch gesagt, in dem Moment, in dem die Lage in einer solchen Veranstaltung aus dem Ruder gerät, setzen die Wasserwerfer ein. Das ist alles nicht passiert.
Sich jetzt hier hinzustellen und zu sagen, die Polizei hatte es nicht im Griff, ist unredlich. Das muss ich Ihnen ehrlich sagen. Das führt nicht dazu, dass das Vertrauen in den Rechtsstaat erhalten wird.
Vielen Dank, Herr Wurlitzer. Zum einen: Eine nicht öffentliche Ausschusssitzung heißt nicht, dass Sie nicht daraus berichten können. Ich empfehle einen Blick in die Geschäftsordnung.