Protokoll der Sitzung vom 06.09.2018

(Lachen des Abg. Carsten Hütter, AfD)

haben wir als Koalition in den Doppelhaushalten 2015/2016 und 2017/2018 dafür gesorgt, den Stellenabbau zu stoppen und die Ausbildungszahlen von 300 auf 700 Personen pro Jahr zu steigern.

(Sebastian Wippel, AfD: Wir wollten 720! Schon 2014!)

Damit nutzen wir der Polizei und mittelbar auch den ermittelnden Stellen mehr als Sie mit Ihrem Datenfriedhof.

Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD)

Meine Damen und Herren, für die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN spricht Herr Abg. Lippmann. Herr Lippmann, Sie haben das Wort.

Vielen Dank, Herr Präsident. – Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Die AfD möchte uns mit Zahlen zur Organisierten Kriminalität erhellen und die Konsequenzen daraus diskutieren. Wir können an dieser Stelle froh sein, dass Sie sich überhaupt noch für Fakten interessieren. Gleichwohl ist gerade wieder deutlich geworden, dass Sie diese dann so lange verdrehen, bis die immerwährende Lüge der AfD gestrickt ist: An allem Unheil in diesem Land seien die Migranten schuld.

(Albrecht Pallas, SPD: Oder die EU! – Carsten Hütter, AfD: Zitieren Sie gerade Herrn Seehofer, Herr Lippmann?)

Schäbig, billig, aber eben typisch AfD.

(Widerspruch von der AfD)

Richtig schäbig geht es dann in der Kombination aus Lügen und Propaganda in der Öffentlichkeit. Erst vorgestern konnten wir wieder Zeuge bei der Verbreitung falscher Zahlen durch die AfD werden. Zur Erinnerung: Ihr Mitglied Maximilian Krah verbreitete seit Dienstag in

einer Kolumne die Nachricht, dass in Chemnitz seit Anfang des Jahres 60 Frauen vergewaltigt worden seien. Er führt aus, die Polizei habe gesagt, 56 dieser Vergewaltigungen seien von Migranten verübt worden, vier von Unbekannt. Die Polizei reagierte dankenswerter Weise schnell und stellte klar, dass es seit Anfang des Jahres in Chemnitz zu – immer noch tragischen – 14 Vergewaltigungen gekommen sei, dass 12 Tatverdächtige ermittelt worden seien, wovon lediglich drei nicht deutscher Herkunft waren.

(Zurufe von der SPD: Hört, hört!)

Verehrte Damen und Herren, sehr geehrte AfD, so schäbig hat man das selten erlebt – selbst aus Ihren Reihen. Jetzt versuchen Sie, das mit der Diskussion dieser Großen Anfrage noch weiterzutreiben, um die Mär zu stricken, die Kriminalität in Deutschland gehe einzig und allein von Ausländern aus. Das ist dieses Hohen Hauses nicht würdig.

(Beifall bei den GRÜNEN, der CDU, den LINKEN und der SPD)

Sie haben nicht einmal die Antwort auf die Fragestellungen abgewartet, denn Sie hatten Ihr Urteil schon gefällt, bevor Sie die Antwort der Staatsregierung überhaupt bekommen haben.

Sie haben in die Vorbemerkungen zu Ihrer Frage geschrieben – ich zitiere einschließlich aller Fehler im Original –: „Vor Deutschen stellen Personen mit ausländischer Staatsbürgerschaft die größte Tätergruppe im Bereich der Organisierten Kriminalität.“

Wenn das für Sie von vornherein schon feststand, dann frage ich mich, aus welchen Gründen Sie eine solche Anfrage überhaupt gestellt und damit die Arbeitskapazität sächsischer Behörden blockiert haben.

(Gelächter des Abg. Carsten Hütter, AfD)

Die Antwort gebe ich Ihnen auch gleich: Sie haben mit der Antwort bekanntermaßen nichts anderes vor, als hier weiter rassistische und fremdenfeindliche Ressentiments zu schüren. Sie versehen alle Ausländer mit dem Etikett „kriminell“. Und an den Stellen, wo Sie das nicht machen können, weil die Zahlen, die Ihnen das Ministerium geliefert hat, andere Schlussfolgerungen erfordern, erklären Sie die Zahlen für unglaubhaft. Herr Kollege Hartmann hat dazu schon alles gesagt, was zu sagen ist. Denn die Zahlen allein passen nämlich nicht zu Ihren Horrorgeschichten und Lügenmärchen.

Die Zahl der Verfahren im Zusammenhang mit OK – 79 bzw. 78 in den Jahren 2015 und 2016 – liegen weit unter denen der Jahre 2010, 2011 und 2013. Auch die Anzahl der Personen, gegen die ermittelt wurde, lag in den Jahren 2010, 2011 und 2013 deutlich höher als in den Jahren 2015 und 2016. Die Auskunft, dass die Gesamtzahl der Tatverdächtigen mit deutscher Staatsbürgerschaft zwischen den Jahren 2006 und 2016 bei 915 und die aller anderen Staatsbürgerschaften bei 1 208 lag, lässt allerhöchstens den Schluss zu, dass solche in den letzten zehn

Jahren weniger unterwegs waren, jedoch nicht mehr. Darüber hinaus hält sich der Erkenntniswert dieser aufgeblähten Großen Anfrage mit ihrer Scheinkomplexität in Grenzen, ebenso allerdings auch Ihre Vorschläge, dem Problem zu begegnen – auch das hat Kollege Hartmann schon ausgeführt.

Gänzlich vermisse ich in Ihrem Entschließungsantrag übrigens die Opferperspektive, obwohl die AfD gern so tut, dass Sie diejenigen seien, die sich für den Opferschutz einsetzten. Ich finde es ausdrücklich gut, wenn Sachsen – wie gestern vom Ministerpräsidenten angekündigt – einen Opferschutzbeauftragten bekommt. Mir fehlt die Opferperspektive schon viel zu lange, auch in der Polizeiarbeit. Ich finde, das ist noch ein viel stärkerer Anspruch an Polizei und Staatsanwaltschaften, zukünftig Straftaten zu verhindern, Täter zu ermitteln und auch zu verurteilen. Das Einzige, was Sie zum Umgang mit Opfern bieten können, sind angebliche Trauermärsche, wo Sie Seite an Seite mit Gewalttätern durch Chemnitz ziehen.

Sie gehen auch in keiner Ihrer zentralen Forderungen wirklich auf den Bereich der Organisierten Kriminalität sowie mögliche Maßnahmen ein. Dazu würde beispielsweise – fernab der Personalstärke, worin wir uns wahrscheinlich alle einig sind – eine Verschärfung des Waffenrechts gehören, aber auch die Bekämpfung der Geldwäsche und die Trockenlegung der Terrorismusfinanzierung. Dies ist ein großes Problem. Die Zahlungsflüsse dort zu stoppen wäre hilfreich. Nun, wer hat sich im vergangenen Jahr gegen die Geldwäschebekämpfung zur Wehr gesetzt? Richtig, es war die AfD. Herzlichen Glückwunsch! Das, was Sie hier machen, ist schlichte Heuchelei, weil Sie nichts tun wollen, um tatsächlich das Problem zu lösen. Es geht Ihnen nicht um die Kriminalitätsbekämpfung, sondern um das Schüren Ihrer Ressentiments.

Damit bliebe nur noch die zugespitzte Frage: Was wäre denn eigentlich, wenn in Sachsen keine einzige Straftat mehr von einem Ausländer begangen werden würde? Was bliebe dann an Themen für die AfD noch übrig? Wahrscheinlich nur noch der böse Wolf und nichts anderes mehr. Von daher lohnt es sich nicht weiter, noch darüber zu diskutieren.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der SPD und den LINKEN sowie vereinzelt bei den GRÜNEN)

Meine Damen und Herren, das war die erste Runde. Gibt es Redebedarf für eine zweite Runde? Herr Wippel steht schon bereit; Sie haben das Wort.

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Kollegen Abgeordnete! Ich habe den Eindruck, dass Sie sich vielleicht wieder einmal mit Pippi Langstrumpf zusammen auf die Schaukel setzen sollten oder eine Runde um die Villa Kunterbunt reiten – dann können Sie sich die Welt wirklich machen, wie sie Ihnen gefällt.

(Zurufe und vereinzelt Gelächter von den LINKEN und der SPD)

Es ist völlig klar, dass der Personaleinsatz zu gering ist und dass die Organisierte Kriminalität ein Bereich ist, der zur Kontrollkriminalität gehört – insoweit also richtig, Herr Stange. Dann passt jedoch Ihre Arbeitshypothese überhaupt nicht, wonach Sie mit den niedrigen Zahlen, die ich nur deswegen ermitteln konnte, weil ich wenige Leute habe, uns hier erklären wollen, dass das Problem gar nicht besteht. Das wäre, als wenn ich die Augen zumachen und dann sagen würde: Sind die alle weg?

(Vereinzelt Beifall bei der AfD)

Das ist Ihre Art und Weise, an dieses Thema heranzugehen. Im Übrigen versuchen Sie die ganze Zeit, uns von der AfD zu unterstellen, dass wir rassistisch seien. Vielleicht kommen Sie mit der Materie einmal wieder klar!

(Zuruf von der SPD: Denken Sie an das Glashaus, Herr Wippel! – Weitere Zurufe von der SPD und den LINKEN)

Es gibt genau zwei Möglichkeiten: Hätten wir einmal alle Täter der Organisierten Kriminalität in einen Topf geworfen, dann hätten Sie uns vorgeworfen, dass wir nicht differenzieren würden.

(Heiterkeit des Abg. Carsten Hütter, AfD)

Nun haben wir differenziert nach verschiedenen Herkunftsbereichen – Stichwort Russenmafia, italienische Mafia usw. Das kennt man ja alles.

(Dirk Panter, SPD: Das bringt doch aber phänomenologisch nichts!)

Man kann es natürlich auch regional-global aufteilen. Das heißt, wir differenzieren, weil wir wissen wollen, welche Gruppierung der Organisierten Kriminalität hier in Sachsen wo ihre Finger im Spiel hat. Es ist auch sinnvoll, das zu tun; das hat überhaupt nichts mit Rassismus zu tun.

Ich darf einmal zitieren aus Punkt 2.2 der gemeinsamen Richtlinie der Justizminister und -senatoren sowie der Innenminister und -senatoren der Länder über die Zusammenarbeit von Staatsanwaltschaft und Polizei bei der Verfolgung der Organisierten Kriminalität. Dort heißt es: „Die Erscheinungsformen der Organisierten Kriminalität sind vielgestaltig.“ Richtig! „Neben strukturierten, hierarchisch aufgebauten Organisationsformen – häufig zusätzlich abgestützt durch ethnische Solidarität, Sprache, Sitten, sozialen und familiären Hintergrund …“

Es wissen also selbst die Fachleute, dass es notwendig ist zu differenzieren. Jetzt differenzieren wir hier und Sie werfen uns das als Rassismus vor! Ganz ehrlich: Sie haben sie ja wohl nicht mehr alle!

Das war‘s.

(Beifall bei der AfD – Zuruf des Abg. Dirk Panter, SPD)

Meine Damen und Herren! Gibt es noch weiteren Redebedarf aus den Reihen der Fraktionen? Das kann ich nicht erkennen. Ich frage die Staatsregierung: Wird das Wort gewünscht? – Herr Staatsminister Gemkow, bitte.

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Mein Kollege Prof. Dr. Roland Wöller ist heute nicht anwesend und hat mich gebeten, ihn zu vertreten, was ich sehr gern tue. Meine Damen und Herren! Die Organisierte Kriminalität ist ein globales Phänomen. Wer darauf einen rein sächsischen Blick richten will, bekommt nur ein Zerrbild. Nationalstaaten und föderal verfasste Länder allein sind inzwischen außerstande, die Organisierte Kriminalität vollumfänglich zu bekämpfen. Trotz Globalisierung, Digitalisierung sowie Verschärfung der Energie- und Ressourcenlage zeigt das Bundeslagebild zu diesem Phänomen keine großartigen Veränderungen über die Jahre hinweg.

Die Anzahl der Ermittlungsverfahren sowie der registrierten Tatverdächtigen bleibt relativ konstant. Das Spektrum der Organisierten Kriminalität ist breit. Es reicht von Kleinkriminellen, gewalttätigen Räubern, Rockern,

russisch-eurasischen Dieben im Gesetz und Mafiapaten bis hin zu ehemaligen Mitarbeitern ausländischer Nachrichtendienste. Die Maxime ihres Handeln lautet Gewinnmaximierung. Rund ein Drittel der Organisierten Kriminellen ist in der Rauschgiftkriminalität aktiv, gefolgt von Eigentums- und Wirtschaftskriminalität. Immer öfter agieren Gruppierungen, die früher ausschließlich im Bereich der Organisierten Kriminalität aktiv waren, jetzt im Bereich Cybercrime. Hier hat sich die sogenannte Underground Economy etabliert. Gewöhnliche Kriminelle können die Dienste, die sie für ihre Straftaten benötigen, im Internet erwerben. Solche Entwicklungen gehen auf Megatrends zurück, wie Globalisierung, Digitalisierung sowie Verschärfung der Energie- und Ressourcenlage – wie schon erwähnt. Diese generieren immer neue globale Wertschöpfungsketten – hoch attraktiv für die Organisierte Kriminalität.

Die Statistik, die das polizeiliche Hellfeld abbildet, erfasst nur einen Ausschnitt der Organisierten Kriminalität, denn diese meidet die Aufmerksamkeit. Sie agiert im Dunkeln und darin liegt auch die Gefahr, Organisierte Kriminalität letzten Endes zu unterschätzen. Die Folgen sind aber sichtbar und betreffen viele Bürgerinnen und Bürger unmittelbar. Trotz anderer Bedrohungen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung, wie durch den islamistischen Terrorismus, politisch-extremistische Gewalt, globale Krisenherde, Probleme im Zusammenhang mit der Zuwanderung oder Verknappung von Ressourcen, dürfen wir die im Vergleich weniger wahrnehmbare Organisierte Kriminalität nicht aus dem Blick lassen.

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Organisierte Kriminalität muss vor allem europäisch bzw. international bekämpft werden. Die Ansätze dazu wurden neu justiert. Daher beschloss die Konferenz der Innenminister und

-senatoren im Juli 2015 folgenden Ansatz beim Kampf gegen die Organisierte Kriminalität. In der Kommission „Organisierte Kriminalität“ der Arbeitsgruppe Kripo, in der alle Landeskriminalämter, das BKA, die Bundespolizei und der Zoll vertreten sind, tauschen sich die Experten zu aktuellen Lageentwicklungen aus, gleichen die gegenwärtigen Trends ab, beraten sich und beschließen gemeinsam, wo anschließend die Schwerpunkte gesetzt werden sollen. Die Bekämpfung der Organisierten Kriminalität ist ein gemeinsames Unternehmen der Polizeien von Bund und Ländern sowie des Zolls. Kriminalitätsschwerpunkte werden von den betroffenen Polizeien aus Bund und Ländern ausgewertet und sie werden arbeitsteilig bekämpft. Dabei nimmt das Bundeskriminalamt seine zentrale Funktion wahr.