Protokoll der Sitzung vom 07.11.2018

Eine Familie mit zwei Kindern, wo beide Eltern Vollzeit im Mindestlohn arbeiten, ist eben nur knapp über Hartz IV. Das heißt, das ist eine Familie, bei der die Altersarmut vorprogrammiert ist. Sie kann eben nicht privat vorsorgen und – was noch viel schlimmer ist – sie kann so manches Angebot, um die Chancen der Kinder zu erhöhen, nicht nutzen. Das, meine Damen und Herren, sind keine Einzelfälle. Trotz erfreulich guter Konjunktur hier im Freistaat bekommen 16 % der Beschäftigten Mindestlohn. Trotz Gerede vom Fachkräftemangel – im Niedriglohnbereich gibt es keine Lohndynamik jenseits der Vorgaben des Mindestlohns, und damit ist der Freistaat trauriger Spitzenreiter.

Da, meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen, wird es dann zynisch. Die Staatsregierung feiert wirtschaftliche Erfolge, nimmt jedoch taten- und interesselos hin, dass die Früchte dieses Erfolges an einem Teil der Menschen, die ihn täglich erarbeiten, spurlos vorbeigehen.

Vielen Dank.

(Beifall bei den LINKEN)

Meine Damen und Herren! Für die CDU-Fraktion Herr Abg. Heidan. Herr Heidan, Sie haben das Wort.

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Frau Schaper und Herr Brünler, es ist schon interessant, was Sie so vortragen. Von Frau Schaper habe ich nichts von Tarifautonomie gehört. Das, was unser Wirtschaftssystem über 60, 70 Jahre in dieser

Bundesrepublik Deutschland gestärkt hat, gerade auch die wirtschaftlichen Entwicklungen, die dieses Land gegangen ist und die wir nun auch bald 30 Jahre im Freistaat gehen durften, haben Sie völlig außer Kraft gesetzt. Sie haben das überhaupt nicht in Ihrem Redebeitrag beachtet, dass die Tarifautonomie, nämlich die ausgleichenden Kräfte zwischen Unternehmen und Gewerkschaften, ein wirtschaftlicher Faktor ist.

(Susanne Schaper, DIE LINKE: Ich kann Ihnen doch das Thema nicht wegnehmen! – Unruhe bei den LINKEN)

Können Sie mich vielleicht mal ausreden lassen? Dann würde ich es Ihnen ja gern erklären, wie das so läuft.

(Zuruf der Abg. Susanne Schaper, DIE LINKE)

Ja, weil Sie nicht zuhören können und weil Sie sich in Ihrer Ideologie gefangen fühlen. Es ist ja Ihr Problem, dass Wirtschaftspolitik anders in diesem Land funktioniert. Ich habe auch aufmerksam zugehört, wie Frau Dr. Petry Wirtschaftspolitik kundtut. Ich glaube, es ist ein wichtiger Punkt, dass wir uns über Wirtschaftspolitik in diesem Hohen Haus noch einmal verständigen müssen.

(Rico Gebhardt, DIE LINKE: Dazu könnte man ja mal eine Aktuelle Debatte beantragen!)

Die Überschrift ist schon eine Zumutung, meine Damen und Herren von der Linkspartei, denn der Wirtschaftsminister wird keine Lohnhöhen festlegen. Das wird er aber sicherlich in seinem eigenen Redebeitrag hier vortragen. Ich denke, die Aufgabe eines Wirtschaftsministers ist es, ordentliche Bedingungen für die Unternehmen zu realisieren, damit sie ihre Arbeit hier machen können, gute Bedingungen in der Infrastruktur herzustellen und das Unternehmertum zu fördern. Denn nur die Unternehmer, die das in Sachsen mit den Arbeitnehmern jeden Tag gemeinsam tun und auch dafür kämpfen, schaffen die Erfolge unserer Wirtschaftspolitik. Da kommen auch die gegenseitigen Kräfte, die ausgleichenden Kräfte und die sich gegenseitig bedingenden Kräfte wieder zu Tage.

Es ist nicht gut, wenn staatlicherseits Mindestlöhne festgelegt werden. Wir haben jetzt dieses Gremium. Es ist ein unabhängiges Gremium, und es ist auch gut so, dass es weiterhin unabhängig arbeitet. Ich denke, es ist wichtig, dass wir gute Argumente für den Mindestlohn haben, aber auch gute Argumente gegen den Mindestlohn. Diesen Ausgleich, von dem Gremium zu sagen, wie hoch denn jetzt der Mindestlohn sei, um ihn auch staatlich verordnen zu können, muss man erst mal hinbekommen. Dabei können Sie schreien und gackern, wie Sie wollen.

Eine Festlegung – Sie sind ja mal bei 10 Euro gestartet, kann ich mich im Übrigen noch gut erinnern – ist heute schon längst überholt. Sie fordern jetzt 12 oder 15 Euro, von mir aus können wir auch 20 Euro pro Stunde verlangen. Letztendlich schlägt es auf die Preise, und wir haben mit dem Mindestlohn auch eine Preisentwicklung angeschoben. Das sehen wir im Dienstleistungsgewerbe, wie sich das verändert. Es ist sehr wichtig, das immer wieder

zu betonen. Wer Mindestlöhne fordert, müsste auch Mindestpreise fordern. Das haben Sie bei Ihren Überlegungen vergessen.

Herr Heidan, gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Ja, gern.

Herr Heidan, wann gedenkt denn die CDU mal die Lohnnebenkosten zu senken – das wird schon jahrelang versprochen –, damit die Arbeitnehmer wirklich mal mehr Netto von ihrem Brutto in der Tasche haben?

Die CDU hat sich immer für die Senkung der Lohnnebenkosten eingesetzt. Das wissen Sie. Es gibt auch Koalitionspartner, die das deutlich zum Positiven beeinflussen. Wir haben auf Bundesebene beispielsweise auch für die Abschaffung der kalten Progression geworben, aber die politischen Verhältnisse sind so, wie sie sind, und da brauche ich Ihnen das nicht zu erklären.

Wir als CDU-Wirtschaftspartei haben auch mal verkündet – das wird sich ja auch im Bundesparteitag der CDU festlegen –, wer letztendlich wieder die Nase vorn hat. Wir haben auch schon einmal verkündet, dass wir eine Steuererklärung auf einem Bierdeckel wollen. Davon sind wir noch weit entfernt. Ich sage hier an dieser Stelle: Es ist richtig, dass wir die Bürokratie abbauen müssen und die Lohnnebenkostentabellen gleich mit.

Herr Heidan, gestatten Sie noch eine weitere Zwischenfrage?

Ja, gern.

Herr Heidan, geben Sie mir recht, dass zum 1. Januar die Krankenkassenbeiträge wieder halbiert von Arbeitgeber und Arbeitnehmer bezahlt werden, das heißt, die Arbeitnehmer erhalten dort eine Entlastung, während die Arbeitgeber eine Belastung zugeschoben bekommen haben?

(Beifall bei den GRÜNEN und des Staatsministers Martin Dulig)

Das ist keine Erfindung der CDU. Das ist in den Koalitionsverhandlungen der neuen Bundesregierung vereinbart worden. Ich sehe es schon als schwierig, weil die Unternehmer die Lohnnebenkosten tragen müssen und weil sich das letztendlich im Preis widerspiegelt. Das sind doch die Dinge, die wir bei unseren Überlegungen betrachten müssen.

Meine Damen und Herren! Ich glaube, es ist richtig und wichtig, sich diesen Themen zu widmen, aber wir sollten nicht ganz das Wirtschaftssystem aus dem Auge verlieren, denn unser Wirtschaftssystem ist auf Preise und auf Lohnhöhen angewiesen. Diese kann die Politik nicht festlegen, sondern das sollen die Unternehmen und der Markt letztendlich regeln sowie die Tarifparteien, die

sicherlich gute Gründe haben, dies mit den Unternehmen gemeinsam zu vereinbaren.

Herr Heidan, gestatten Sie noch eine Zwischenfrage? – Nein, Sie waren fertig. Herr Stange, es tut mir leid. Sie möchten jetzt intervenieren?

Herr Präsident! Etwas anderes bleibt mir ja nicht übrig, wenn Herr Heidan so schnell ist.

(Allgemeine Heiterkeit)

Vielen Dank, Herr Präsident! Kollege Heidan, wenn ich mich richtig erinnere, ist die solidarische – nein, damals hieß sie nicht solidarische, sondern paritätische – Finanzierung der Sozialversicherung kein sozialdemokratisches Projekt gewesen.

(Zuruf: Bismarck!)

Nein, Bismarck nicht. Das ist doch aber im Westen von der CDU eingeführt worden. Oder? War das nicht so?

(Zuruf von den LINKEN)

Also, das war die Kurzintervention. Herr Heidan, Sie möchten darauf erwidern?

Dagegen gibt es ja auch nichts einzuwenden. Wir haben jetzt wieder ein System entwickelt, das diese Lohnnebenkosten – und das war ja die Zwischenfrage von Kollegin Grimm –, die Lohnnebenkosten senkt. Das senkt es aber mit Sicherheit nicht.

(Zurufe von den LINKEN)

Meine Damen und Herren! Wünscht noch jemand das Wort? – Herr Abg. Homann, bitte sehr.

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich finde es erst einmal richtig, dass wir über das Thema Arbeitsmarktpolitik, über das Thema gute Löhne sprechen. Ich hatte in meinem ersten Beitrag klargestellt, dass ich das für eine absolute Zukunftsfrage in diesem Land halte, und ich finde es auch schön, dass wir neben dem Mindestlohn auch weitere Erfolge, wie die Parität bei der Krankenversicherung, aufzählen.

Eines gefällt mir in der Debatte nicht, und zwar die Frage: Wer hat es erfunden? Die betroffenen Menschen im Niedriglohnbereich interessiert das herzlich wenig.

Als die SPD den Mindestlohn von 7,50 Euro gefordert hat, hat DIE LINKE gesagt: Wir wollen den Mindestlohn von 8,50 Euro. Da haben wir den Mindestlohn von 8,50 Euro eingeführt. Dann haben Sie gesagt, wir fordern jetzt den Mindestlohn von 10 Euro.

(Zuruf der Abg. Susanne Schaper, DIE LINKE – Allgemeine Unruhe)

Ja, warten Sie doch kurz. Ich finde, man sollte so einfach nicht diskutieren. Sie müssen sich einmal die Frage stellen: Zählt das Erreichte oder reicht das Erzählte? Zählt das Erreichte, nämlich die praktische Einführung des Mindestlohns, oder reicht es in Dutzenden von Anträgen, sich vor die Leute zu stellen und immer nur zu reden? Wir Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten haben den Mindestlohn durchgesetzt. Das ist unser Erfolg. Wir gestehen gern ein, dass Sie auch dafür waren, aber lassen Sie doch bitte dieses „Wir hatten mehr, sie hatten weniger“. Es ist ein großer Erfolg, von dem wir aber nicht so tun dürfen, als wenn er alle Probleme löst.

(Susanne Schaper, DIE LINKE: Nein!)

Das ist Punkt 1.

Punkt 2: Es ist ein großer Erfolg, aber wir sollten nicht so tun, als sei er in Stein gemeißelt. Wir haben hier in der Debatte gemerkt, dass es auch in diesem Land politische Kräfte gibt, die am liebsten den Mindestlohn wieder abschaffen würden.

(Zuruf des Abg. Rico Gebhardt, DIE LINKE)

Deshalb lassen Sie uns alles dafür tun, dass das nicht passiert, sondern dass wir weiter sehr vernünftig darüber diskutieren, wie der Mindestlohn, wie generell die Stärkung von Löhnen in Deutschland verbessert werden kann. Ich finde dabei den einfachen Grundsatz, dass jemand, der Vollzeit arbeiten geht, nicht weniger als 2 000 Euro Brutto verdienen sollte, als eine wichtige Orientierung. Das geht zum Teil mit Mindestlöhnen, es geht aber auch in jedem Fall durch die Stärkung der Tarifbindung in diesem Land. Deshalb lassen Sie uns diese Debatte in den Mittelpunkt stellen und nicht irgendwelche Debatten „Wer hat es erfunden?“

Bitte zum Schluss kommen.

Ich bin zum Schluss gekommen.