Protokoll der Sitzung vom 30.01.2019

Wirtschaftsförderung in Sachsen – AGVO“, Allgemeine Gruppenfreistellungsverordnung, „sinnvoll weiterentwickeln“. Der vorliegende Antrag spricht nach meinem Dafürhalten Bände. Ich frage Sie, meine sehr verehrten Damen und Herren von der AfD: Was wollen Sie denn überhaupt? Auf der einen Seite haben Sie Schaum vor dem Mund, wenn es um die EU geht,

(André Barth, AfD: Wir haben keine Tollwut, Herr Heidan, keine Sorge!)

und wollen sie am liebsten abschaffen. Sie sind die Partei, die sich bei der EU-Kritik nie zurückhält. Auf der anderen Seite wollen Sie sinnvolle Regelungen, die in der EU Gültigkeit haben, verändern. Was wollen Sie denn nun? Das sollten Sie in diesem Hohen Haus vielleicht noch einmal vortragen. Ich kann es so nicht nachvollziehen.

(André Barth, AfD: Es steht alles im Antrag, was wir wollen!)

Ja. Das hätten Sie aber auch mit einer Kleinen Anfrage klären können, dann hätten Sie uns sehr viel Zeit gespart. Es ist auch in der Antwort der Staatsregierung, die sehr umfangreich ist – vielen herzlichen Dank dafür! –, deutlich zu sehen.

(Vereinzelt Beifall bei der CDU – Beifall des Abg. Thomas Baum, SPD – Carsten Hütter, AfD: Wenn Sie das nicht verstehen, können Sie einfach mal nachfragen!)

Aber zum Inhaltlichen. Um Wettbewerbsverfälschung und Begünstigung einzelner Unternehmen und Produktionszweige vorzubeugen, gilt in der EU – das haben Sie vielleicht auch noch nicht mitbekommen – ein generelles Subventionsverbot. Diese beihilferechtlichen Regelungen gelten für alle Staaten der Europäischen Union, auch

für Frankreich, Herr Beger, unabhängig davon, wie zentralistisch oder föderal die einzelnen Länder in der EU regiert werden. Es geht hierbei um Beihilfegruppen und einzelne Unternehmenszweige. Beihilfen müssen bei der EU-Kommission angemeldet und von ihr genehmigt werden. Einige Beihilfegruppen sind jedoch von dieser Regelung ausgenommen. Welche Gruppen das sind, steht in der Allgemeinen Gruppenfreistellungsverordnung, kurz AGVO genannt.

Die Allgemeine Gruppenfreistellungsverordnung bietet den Mitgliedsstaaten die Möglichkeit, ganz unterschiedliche Beihilfemaßnahmen ohne vorherige Genehmigung der Kommission durchzuführen, da durch diese Maßnahmen keine Wettbewerbsverfälschungen zu befürchten sind, und – hören Sie gut zu – nach diesen Vorschriften sind derzeit rund 95 % der von den Mitgliedsstaaten durchgeführten staatlichen Beihilfen – das ist immerhin eine jährliche Ausgabe von insgesamt 28 Milliarden Euro, nicht Millionen! – freigestellt.

Die Zahl der Beihilfeanmeldungen ist seit 2014 in den Bereichen Forschung, Entwicklung und Innovation stark zurückgegangen. Beispielsweise werden nur noch halb so viele Beihilfen zur Genehmigung angemeldet. Damit

werden Erleichterungen in der Investitionsförderung durch Bürokratieabbau für Behörden und Unternehmen und zur Schaffung von mehr Rechtssicherheit für die Empfänger staatlicher Beihilfen und ihre Wettbewerbe ermöglicht. Eigenverantwortlich über lokale Beihilfemaßnahmen zu entscheiden und die Konzentration der Ressourcen der Kommission auf beihilferechtliche Untersuchungen von Maßnahmen – das muss das Ziel unserer Bemühungen sein. Ich hatte bereits gesagt: Die Fragen, die Sie in Ihrem Antrag gestellt haben – ich denke, das hätte auch mit Kleinen Anfragen oder einer Großen Anfrage möglich sein können –, hat die Staatsregierung ausführlich beantwortet.

(Zuruf des Abg. André Wendt, AfD)

Die Kommission hat im Anschluss an zwei öffentliche Konsultationen – es ist ebenfalls wichtig, dies festzustellen – den Anwendungsbereich zur Allgemeinen Gruppenfreistellungsverordnung auf Häfen und Flughäfen ausgeweitet. Es ist also nicht so, wie Sie es hier vorgetragen haben, Herr Beger, dass es kleine Firmen sind, sondern es sind regional bedeutende Infrastrukturprojekte wie Häfen oder Flughäfen. Die Ausweitung auf weitere Infrastrukturmaßnahmen wie Bahn oder Binnenwasserstraßen ist ebenfalls integriert.

Warum wurde die Beihilfegruppenfreistellungsver

ordnung aber geändert? Im Rahmen der Änderung der AGVO und innerhalb des Programms zur Gewährleistung der Effizienz und der Leistungsfähigkeit der Rechtsetzung soll der Verwaltungsaufwand von Behörden und anderen Interessenträgern verringert und nicht erhöht werden. Dabei besteht ein Teil der Bemühungen der Kommission darin, die Beihilfekontrolle im Interesse der Verbraucher auf größere Fälle zu konzentrieren, die den Wettbewerb auf dem Binnenmarkt spürbar beeinträchtigen. Wir sprechen hier also von großen Unternehmen, und Sie haben es auch der Antwort der Staatsregierung entnommen: Ich habe dort keinen mittelständischen Betrieb gefunden, sondern es sind Betriebe, die schon in Richtung Konzerngröße gehen.

Zudem ergänzt sie mehrere Maßnahmen, die die Kommission in den vergangenen zwei Jahren zur Modernisierung des Beihilferechts ergriffen hat. Auf diese Weise sollen öffentliche Investitionen weiter erleichtert werden, die Europa seinen Zielen – Beschäftigung, Wachstum, Klima, Innovation und sozialer Zusammenhalt – näherbringt und diese nicht auseinanderdividiert, wie Sie es hier vorgetragen haben.

Die aktualisierte Verordnung ist ein weiterer Meilenstein der kontinuierlichen Bemühungen der sogenannten Juncker-Kommission, um eine möglichst effiziente Anwendung des EU-Beihilferechts zu gewährleisten. Durch die bereits eingeleiteten Vereinfachungen ist Ihr Antrag letztendlich

(André Barth, AfD: Entbehrlich!)

hinfällig geworden. Er ist abzulehnen, und er ist auch zeitlich überholt. Sie wollten das auch in Ihrem Ände

rungsantrag deutlich machen, aber die Staatsregierung ist Ihnen – in diesem Fall sowohl der Wirtschaftsminister als auch der Chef der Staatskanzlei, der auch für Europa zuständig ist – zuvorgekommen. Daher sind beide Anträge, sowohl der Änderungsantrag als auch Ihr Antrag, hinfällig und von der Zeit überholt. Wir werden beide ablehnen.

Vielen herzlichen Dank.

(Beifall bei der CDU und der SPD)

Amt. Präsident Thomas Colditz: Es folgt Herr Kollege Brünler von der Fraktion DIE LINKE; bitte schön.

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir haben an dieser Stelle vor einem Monat den neuen Doppelhaushalt beschlossen. Dabei haben wir bis spät in die Nacht um Ausgaben gerungen. Die Haushaltsplanung umfasst jedoch auch eine zweite Seite: Das sind die geschätzten bzw. prognostizierten Einnahmen, die den möglichen Ausgaben zugrunde liegen. Da die sächsischen Pro-KopfSteuereinnahmen entgegen allen Jubelmeldungen seitens der Staatsregierung konstant weit unter dem deutschen Durchschnitt liegen, ist Sachsen auf Zuweisungen von außen angewiesen. Dies geschieht sowohl innerdeutsch über Bundesprogramme und den Länderfinanzausgleich als auch über die Bereitstellung von Geldern durch die EU.

Von den im aktuellen Doppelhaushalt eingeplanten Ausgaben werden jährlich fast 450 Millionen Euro über EU-Gelder finanziert. Schaut man sich den Einzelplan des Wirtschaftsministeriums an – Beispiele aus diesem Ressort wurden im Antrag namentlich aufgezählt –, so sprechen wir von fast 30 % des Gesamtbudgets. Beim Landwirtschaftsministerium sind es sogar noch mehr. Daher ist es auch im Interesse des Landes geboten, dass sich der Freistaat an die rechtlichen Rahmenbedingungen der Förderprogramme hält.

Zusätzlich zu beachten ist der Artikel 107 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union, der grundsätzlich festschreibt, dass Beihilfen aus staatlichen Mitteln unzulässig sind, sofern sie zur einseitigen und wettbewerbsverzerrenden Begünstigung einzelner Unternehmen oder Produktionszweige führen, die sich wiederum marktverzerrend zwischen den Mitgliedsstaaten der EU auswirken würde. Und ja, in diesem Zusammenhang gab es in der Vergangenheit durchaus Differenzen zwischen Dresden und Brüssel bei der Wertung einzelner Sachverhalte, die letztlich auf dem Rechtsweg geklärt werden mussten. Die Ergebnisse waren dabei aus der Sicht des Freistaates durchwachsen. Das Grundproblem ist jedoch, dass es im Kern oftmals genau der Anlass von Subventionen ist, zu einem Ergebnis zu kommen, das durch freies Wirken der Marktkräfte nicht eintreten würde.

Nicht alle Beihilfeentscheidungen sind sinnvoll, aber die Praxis zeigt eben auch immer wieder, dass der freie Markt

nicht zwangsläufig zur Maximierung des Gemeinwohls führt.

Hier kommt nun die im Antrag benannte Allgemeine Gruppenfreistellungsverordnung, AGVO, ins Spiel. Die AGVO erklärt bestimmte staatliche Beihilfemaßnahmen als mit dem Binnenmarkt vereinbar und stellt sie von der Anmeldungs- und Genehmigungspflicht frei.

Im Grunde ist sie also eine Art Ausnahmeregelung vom eigentlich festgeschriebenen Prinzip der strikten Marktneutralität und des Verbots von staatlichen Eingriffen. Oder anders formuliert: Die AGVO ist ein Eingeständnis der Europäischen Kommission, dass es sich bei der allumfassenden Deregulierung und Liberalisierung und dem hochgehaltenen Marktfetisch um nichts anderes handelt, als einen zum Glaubensbekenntnis überhöhten Fetisch. Ausnahmen werden in der AGVO inzwischen für zahlreiche Wirtschaftsfelder definiert. Das reicht von Investitionsbeihilfen für kleine und mittlere Unternehmen über Umweltschutzbeihilfen, Beihilfen für Forschung und Entwicklung bis hin zu Beihilfen für Breitbandinfrastrukturen. Dabei ist die Aufzählung wirklich nur exemplarisch und keineswegs vollständig.

Die Frage, die sich dann allerdings doch stellt, ist die, ob es sinnvoll ist, immer weitere Ausnahmetatbestände zu definieren und so das grundsätzliche Verbot marktbeeinflussender staatlicher Beihilfen zu unterminieren, oder ob man der Ehrlichkeit halber nicht doch über das Grundprinzip reden muss.

Aber zurück zur AGVO. Die Europäische Kommission ist hier der Antragstellerin unfreiwillig entgegengekommen, indem sie am 17. Mai 2017 neue Beihilfevorschriften genehmigt hat. Das war wenige Monate vor der Einreichung des vorliegenden Antrages, denn dieser ist inzwischen nicht mehr taufrisch, sondern im wahrsten Sinne des Wortes verjährt bzw. erledigt, wie die AfD-Fraktion bei der Einbringung selbst eingeräumt hat.

Allgemein ist es schon ein bemerkenswertes Kuriosum, dass die AfD dafür ist, wie erst vor wenigen Tagen in Riesa diskutiert, die EU abzuwickeln und gleichzeitig nach einer Optimierung europäischer Beihilfen ruft,

(Carsten Hütter, AfD: Was sollen wir denn in der Zwischenzeit machen, Herr Kollege?)

wobei die Betroffenen in der Regel nicht die von der AfD in der Einbringung benannten Kleinunternehmer sind – damit streuen Sie den Betroffenen Sand in die Augen bzw. lügen bewusst –, sondern die Beihilfen – das können Sie auch der Antwort der Staatsregierung entnehmen – richten sich im Wesentlichen an Großunternehmen bzw. Betreiber von Großinfrastrukturen.

Schauen wir uns kurz an, was vor fast zwei Jahren in Brüssel unter anderem beschlossen wurde. Danach sind inzwischen öffentliche Investitionen von bis zu

50 Millionen Euro in Binnenhäfen und in die Ausbaggerung von Zugangswasserstraßen ohne vorherige Kontrolle seitens der Kommission zulässig. Ebenso sind öffentliche Investitionen in Flughäfen mit rein regionaler Bedeutung

und maximal drei Millionen Passagieren mit voller Rechtssicherheit möglich.

Wenn man sich nun vor Augen führt, dass es immer wieder die großen öffentlichen Infrastruktureinrichtungen und staatlichen Beteiligungen waren und sind, an denen sich förderrechtliche Auseinandersetzungen festgemacht haben, wie eben die sächsischen Flughäfen, mag das für Sachsen auf den ersten Blick eine gute Entscheidung gewesen sein; aber eben nur auf den ersten Blick. Daran ändert auch eine weitere Optimierung der AGVO im sächsischen Sinne nichts. Besonders in diesen Fällen liegen die Aufgaben oftmals beim Freistaat. Die EU hat hierbei lediglich klargestellt, dass es sich in ihren Augen um Kleinbeihilfen handelt, die im gesamteuropäischen Rahmen keine große Rolle spielen. Über ihre Sinnhaftigkeit im Einzelfall sagt das nichts.

Im Haushalts- und Finanzausschuss stellen CDU und SPD allerdings regelrechte Verrenkungen an, um zu verhindern, dass sich der Landtag mit der Beteiligung des Freistaates befasst. Geredet wird allenfalls, wenn das Kind in den Brunnen gefallen ist. Vor diesen Hintergründen befürchte ich, dass auch solche rechtlichen Unbedenklichkeitsbescheinigungen von der Koalition als weiteres Argument missbraucht werden, um nicht über die strategische Ausrichtung und Bedeutung von Landesbeteiligungen zu sprechen. Das ist aber nicht die Schuld einer Verordnung der EU, sondern der Unwilligkeit der Koalition. Um das zu beheben, muss niemand Brüssel die Schuld in die Schuhe schieben, das müssen wir selbst tun.

Vielen Dank.

(Beifall bei den LINKEN)

Amt. Präsident Thomas Colditz: Für die SPD-Fraktion erhält nun Herr Kollege Baum das Wort. Bitte, Herr Baum.

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir beschäftigen uns hier mit einem Antrag der AfD-Fraktion vom Oktober 2017, welcher sich auf eine Änderung der Allgemeinen Gruppenfreistellungsverordnung, AGVO, der EU vom Mai 2017 bezieht.

Mit der Änderungsverordnung wurden die Verfahren für öffentliche Investitionen in Häfen, Flughäfen, Kultur, multifunktionale Sportanlagen und Gebiete in äußerster Randlage der EU vereinfacht. Wie das Hohe Haus sicherlich bereits vernommen hat, bietet die Verordnung ihren Mitgliedsstaaten die Möglichkeit, geringfügige Beihilfemaßnahmen ohne vorherige Anmeldung bei der EUKommission durchzuführen.

Insofern sind nur noch solche Beihilfeverfahren mit dem größten Potenzial, den Wettbewerb im Binnenmarkt zu verfälschen, nach wie vor bei der Europäischen Kommission anzumelden.

Es liegt dazu nunmehr eine ausführliche Stellungnahme des Sächsischen Wirtschaftsministeriums vom November 2017 vor, die alle Fragen weitestgehend beantwortet hat.

In der Antwort wird klargestellt, dass uns die AGVO im Freistaat Sachsen nicht über ein Normalmaß hinaus tangiert; zumal auch die EU-Kommission jüngst angekündigt hat, beihilferechtliche Vorschriften, darunter auch die AGVO, bis zum Jahr 2022 einer erneuten Revision zu unterziehen.

Das Thema an sich beinhaltet keinerlei politische Aufregung größeren Ausmaßes, liebe Kolleginnen und Kollegen. Warum die AfD-Fraktion nun diesen Antrag noch ins Plenum eingebracht hat, ist für uns nicht nachvollziehbar. Vermutlich gehen Ihnen von der AfD die Themen aus, und sie nutzen dies für ein weiteres EU-Bashing im Hinblick auf den Europawahlkampf.

Die AfD-Fraktion hat sich zunächst eine Reform sowie eine Entbürokratisierung der EU und ihres Verwaltungsapparates auf die Fahnen geschrieben. Nach unserer Einschätzung verkämpfen Sie sich aber hierbei an der falschen Stelle.

Die letzten Beihilferechtsmodernisierungen der EU waren durchaus weitreichend, auch was die AGVO betrifft. So sind nach diesen Vorschriften derzeit rund 95 % der staatlichen Beihilfen in den EU-Staaten von einer Vorabgenehmigung freigestellt. Sie haben es in der Begründung Ihres Antrages quasi selbst festgehalten, dass – ich zitiere – „... die AGVO grundsätzlich ein sinnvolles Instrument ist, um Rechtssicherheit zu schaffen und bürokratischen Aufwand zu senken.“