Protokoll der Sitzung vom 31.01.2019

Hier noch ein Detail, über das man reden sollte. Die bisher geltende absolute Obergrenze von 10 000 Euro sollte aus unserer Sicht weiterhin im Gesetz stehen. Das wäre ein deutliches Signal und würde psychologisch wirken. Im Moment gibt es einen Berechnungsschlüssel. In der Summe ist die Maximalgrenze nach aktueller Berechnung nur 10 Euro höher, aber es ist psychologisch wichtig, allen Leuten zu sagen: Ihr könnt BAföG beantragen, ihr überschuldet euch nicht, macht das! Es ist unser Beitrag zur Studienfinanzierung.

Alles Weitere in Runde zwei, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der SPD und vereinzelt bei der CDU und der Staatsregierung)

Als Nächstes spricht für die Fraktion DIE LINKE Herr Kollege Jalaß. Es folgen die AfD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und Kollege Wurlitzer.

Bitte.

Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren und AfD! BAföG-Reform, das ist eine nette Debatte über Bundesrecht. Das finde ich grundsätzlich gut, weil in Sachsen viele Menschen potenziell davon betroffen sein können. Vielleicht sollten Sie sich das für Ihre nächsten spöttischen Bemerkungen aufheben, wenn wir über Hartz-IV-Beantragung oder Krieg und Frieden reden. Aber reden wir mal über die BAföG-Novelle.

Ad 1, der Bedarfssatz. Geplant ist die Anhebung um 20 Euro und ein Jahr später noch einmal um 8 Euro. Das holt nicht einmal im Ansatz den bisherigen Rückstand zu den Lebenshaltungskosten auf. Dieser Punkt ist schon mal ein Rohrkrepierer für sich.

Ad 2, die geplanten Freibeträge, Eltern, Partner, Kinderfreibeträge etc. Zum Beispiel sollen die Elternfreibeträge von 1 835 auf 2 000 Euro steigen. Das ist nett gemeint, aber leider keine tatsächliche Trendwende. Eine sofortige Anhebung und gleichzeitig dynamisierte Anpassung an die Inflationsrate wäre vielleicht ein bisschen was gewesen. So wird sich der Kreis der Profiteure nicht erheblich weiten.

Ad 3, die Wohnpauschale. Kopf braucht Dach, aber das Dach muss bezahlbar bleiben. Eine Anhebung der Pauschale auf 325 Euro ist vorgesehen. Nun ist das Bundesrecht. Möglicherweise mag man sich in Greifswald darüber freuen und in ein paar Teilen von Sachsen vielleicht auch noch, aber Sie bekommen in vielen Teilen Deutschlands nicht einmal ein einzelnes der günstigsten Zimmer für diesen Preis. Das ist eine Situation, auf die wir beispielsweise in Leipzig schnurstracks zusteuern. Das deutsche Studentenwerk hat erhoben, dass der Durchschnitt für alleinlebende Studierende in dem Bereich bereits bei 368 Euro liegt. Das ist geförderte wirtschaftliche Selektion im Bildungssektor: die Top-Unistädte den Reichen, und der Pöbel darf dann in die günstigen Rand

gebiete. Das ist die Entwicklung, die Ihre Kolleginnen und Kollegen im Bund damit fördern. Das ist die neoliberale Denke, die dahintersteckt.

Ad 4, die Förderhöchstdauer. Der Fixpunkt für die Förderungsdauer ist nach wie vor die Regelstudienzeit. Das sollte höchstens als Empfehlung für die Studierbarkeit eines Studiengangs gelten und alles, was darüber hinausgeht, ist lediglich Druckmittel gegen Studierende. Die Regelstudienzeit ist im Grunde Gängelung ohne Beachtung von besonderen Lebenslagen. Wir reden allein in Sachsen von über 100 000 besonderen Lebenslagen.

Ad 5, die Rückzahlung oder auch Darlehensrückführung. Da wird es etwas kompliziert. Man könnte in dem Bereich kurz den Eindruck bekommen, dass es hier um eine wirkliche Reform geht. Für Schuldner ändert sich aber de facto unter dem Strich wenig. Ein Schuldenschnitt nach 20 Jahren ist grundsätzlich nicht verkehrt, aber die monatliche Mindestrate für Rückzahlung auf 130 Euro zu erhöhen finde ich gelinde gesagt frech. Die Voraussetzungen für geringere Raten sind zu schwierig, als dass sie noch einen größeren Empfängerinnen- und Empfängerkreis erschließen würden.

Man soll nun 77 Raten à 130 Euro zahlen, das macht summa summarum 10 010 Euro. Damit hat man quasi im Vorbeigehen – Herr Mann hat es schon erwähnt – die heilige Kuh des 10 000-Euro-Schuldenlimits notgeschlachtet. Unterm Strich bleiben vor der Beantragung immer noch die Überlegung und die Angst, dass man am Ende vor einem erheblichen Schuldenberg steht – dafür, dass man studiert, einen Beruf erlernt, sich kritisch mit der Entwicklung der Gesellschaft auseinandergesetzt, geforscht und möglicherweise Dinge entwickelt hat; also dafür, dass man Teil des gesellschaftlichen Fortschritts war.

(Oh-Rufe von der CDU)

Ad 6. Der Förderbeginn ist auf den Studienbeginn festgenagelt. Wer im Vorfeld Kosten hat, hat nach wie vor Pech. Die Wohnungskaution, die erste fällige Miete, Lernmaterial, ÖPNV-Tickets, Nahrung, der Semesterbeitrag oder einfach nur saubere Schlüppi. Das fällt vor dem ersten Semestertag an. Das ist so.

(Dr. Stephan Meyer, CDU, steht am Mikrofon.)

Gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Na ja, gut.

Bitte, Herr Kollege Dr. Meyer.

Vielen Dank, Herr Präsident! Herr Jalaß, geben Sie mir recht, dass es sich beim BAföG um eine gesellschaftliche solidarische Leistung handelt, die steuerfinanziert ist, und dass Steuermittel auch von der Kassiererin im Supermarkt erwirtschaftet und dann zur Verfügung gestellt werden, damit Studenten studieren

können? Haben Sie das in Ihren Ausführungen berücksichtigt?

Das habe ich berücksichtigt. Ich würde aber in der zweiten Runde noch einmal darauf eingehen, was wir wirklich dufte finden.

Ad 7. Ich hätte tatsächlich noch drei, vier Punkte, aber die Zeit sitzt mir gewissermaßen im Nacken. Ich komme – wie gesagt – in der zweiten Runde nochmal darauf zurück und erzähle Ihnen, was wir tatsächlich dufte gefunden hätten, dass wir vielleicht über eine wirkliche Reform reden können. Sie, Herr Mann, hatten sich das gewünscht; Sie können dann gern ein bisschen mitmeißeln.

Vielen Dank.

(Beifall bei den LINKEN)

Es folgt jetzt Herr Kollege Dr. Weigand für die AfD-Fraktion.

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich habe mich bei dem Thema ein bisschen in meinen Studienbeginn zurückversetzt. Ich komme aus einer klassischen Arbeiterfamilie. Ich habe damals keinen BAföG-Anspruch gehabt und neben meinem Ingenieurstudium arbeiten gehen müssen, um mein Studium zu finanzieren.

Herr Fritzsche, Sie haben es gesagt: Es hat uns nicht schlechtgetan, weil wir in diesem Land eine Leistungsgesellschaft sind.

(Zuruf des Abg. Patrick Schreiber, CDU)

Deshalb kann man es begrüßen, dass Studenten auch ein bisschen nebenbei tätig sind. Ein Studium im Ingenieurbereich beginnt um 07:30 Uhr und dauert bis abends. Es ist für mich, für denjenigen, der BAföG erhält, ein Unterschied, ob er erst zum Mittag in der Mensa aufschlägt und sagt, ich konnte bis jetzt schlafen, habe Zeit gehabt, oder ob er von früh bis abends studiert.

(Heiterkeit bei der AfD)

Das müsste man differenzieren, damit wir die Leistungsträger, die später auch Wertschöpfungsketten in diesem Land schaffen, berücksichtigen und nicht das Studium für alle bis lebenslang fordern. Herr Jalaß, das ist unglaublich, was Sie hier gefordert haben.

(Beifall bei der AfD)

Es gab auch viele meiner Kommilitonen, die BAföG erhalten haben und auch tätig waren. Wenn sie den Höchstsatz bekommen würden, der 861 Euro beträgt, und sie bekommen das Geld fünf Jahre mal 12 Monate, dann bekommen sie 52 000 Euro, um ihr Studium zu finanzieren. Das ist eine große Summe, und sie müssen am Ende nur 10 000 Euro zurückzahlen. Das müssen sie auch einmal ins Verhältnis setzen, was sie für eine Leistung bekommen. Dafür geht auch der Handwerker arbeiten. Wir sind eine Gemeinschaft, in der alle etwas dazu beitragen, damit der Student studieren kann. Er ist dann

auch verpflichtet, das wieder zurückzuzahlen. Das ist doch ganz normal.

(Beifall bei der AfD und den fraktionslosen Abgeordneten – Zuruf des Abg. René Jalaß, DIE LINKE)

Deshalb begrüßen wir, dass die BAföG-Sätze steigen. Damit wird auch die Mittelschicht stärker erreicht, was früher nicht möglich war. Wir würden uns wünschen, dass wir noch mehr für Familien tun. Es gibt mittlerweile starke Nachlässe.

Wir sind eine Partei, die sich für Familien einsetzt. Wer im Studium Kinder bekommt, der soll entlastet werden. Wer in der Regelstudienzeit fertig wird, der soll von der Rückzahlung entlastet werden. Wer das schneller zurückzahlt, soll dafür einen Bonus erhalten, weil sie fünf Jahre Zeit haben, arbeiten zu gehen, und sich etwas ansparen können. Man muss das von diesen Menschen auch erwarten, bevor sie ein Studium oder eine Ausbildung beginnen. Sie sagen auch, dass Leute mit 16 Jahren wählen können, weil sie schon mündig sind. Dann erwarte ich auch von denen, dass sie sich vorher überlegen, welchen Berufsweg sie einschlagen. Das ist eine Waage, die sie zwischen dem, was Spaß macht, und dem, wie sie sich in diesem Land finanzieren und wo sie überleben können, halten müssen. Wenn man diese Entscheidung richtig trifft, dann ist man auch in der Lage, das BAföG zurückzuzahlen.

Vielen Dank.

(Beifall bei der AfD – Zuruf von den LINKEN)

Als Nächste spricht zu uns Frau Dr. Maicher für die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN.

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich war sehr gespannt auf die heutige Debatte zu diesem Thema. Nachdem wir gestern Abend erst über tatsächliche Maßnahmen diskutiert haben, die wir hier in Sachsen in der Hand hätten, um für Studierende Verbesserungen zu erreichen, haben wir nun ein Thema, das reine Bundesangelegenheit ist, das zu 100 % finanziert wird und das noch gar nicht in Gang gekommen ist. Es ist gestern erst die Novelle auf den Tische gekommen.

Ich habe vom Kollegen Mann gehört, warum die Debatte heute hier geführt wird. Offenbar braucht die SPD im Bund ein paar Anregungen, diese Novelle ein Stück weit zu verbessern, damit die Studierenden davon wirklich etwas haben. Diesen Wunsch werden wir gern erfüllen.

(Heiterkeit des Abg. Holger Mann, SPD)

Auf die Rückgänge in den letzten Jahren gehe ich nicht noch einmal ein. Das haben meine Vorredner schon gesagt. Aber ich möchte auf die Gründe zurückkommen, warum wir diese Rückläufe bei den geförderten Studierenden und Schülerinnen und Schülern haben. Diese Entwicklung hat einen einfachen Grund: Das ist das

Bundesausbildungsförderungsgesetz. Es ist auch die Behäbigkeit der SPD und CDU im Bund, endlich Reformen anzupacken. Es ist die Behäbigkeit, die Sie bei diesem Thema an den Tag legen. Deshalb verstehe ich nicht, warum Sie sich heute dafür feiern.

Die letzte Novelle ist im Jahr 2016 nach langem Zögern beschlossen worden und sollte damals – das war das Ziel – 110 000 zusätzlich Geförderte bringen. Schauen wir uns an, was gekommen ist – mein Kollege Kai Gehring hat das im Bundestag gerade abgefragt: 180 000 Schülerinnen und Schüler und Studierende sind statt dessen aus der Förderung gefallen. Es ist also viel liegengeblieben. Das liegt zum einen daran – das hat mein Kollege Fritzsche schon gesagt –, dass die Einkommensgrenzen des Elternhauses starr geblieben sind und es eine Weiterentwicklung gab. Allein deshalb sind viele aus der Förderung herausgefallen, obwohl die Eltern nicht automatisch vermögend sind.

Der zweite Grund ist sicherlich, dass viele Studierende das BAföG bis zur Regelstudienzeit erhalten. Aber viele studieren darüber hinaus – auch in Sachsen –; nur 37 % schaffen das in der Regelstudienzeit. Es liegt an den starren Altersgrenzen – bis zum 30. bzw. 35. Lebensjahr wird BAföG gezahlt –, und es liegt aus meiner Sicht auch immer noch daran, dass ein Teilzeitstudiengang nicht BAföG-berechtigt ist. Auch das spiegelt nicht die Situation wider. Lebensläufe werden vielfältiger. Da muss man rangehen.

Aber auch diejenigen, die BAföG erhalten, können nicht sicher sein, dass das Geld zum Leben reicht. Das Stichwort Mietkostenpauschale ist ein sehr wichtiges. 250 Euro als Pauschale reichen nicht mehr. Für Sachsen habe ich im letzten Jahr mehrfach abgefragt, was das für die Wohnheimplätze der Studierenden heißt. Sie liegen in hoher Zahl über dieser Pauschale, was auch damit zu tun hat, dass Sachsen sich seit vielen Jahren aus den Investitionen im Wohnheimbau zurückgezogen hat und in diesem nicht mehr neue Wohnheimplätze für diese Pauschale angeboten werden können. Es ist bezeichnend, dass Sie sich hier dafür feiern, im letzten Doppelhaushalt etwas für neue Wohnheimplätze zu tun. Nein, Sie haben Geld der Studierendenwerke daran gekoppelt, dass, wenn der Bund ein Programm auflegt, –

(Zuruf von der CDU: Studentenwerke!)

Ja, für Sie Studentenwerke. Wenn also der Bund ein Programm auflegt, dann kann auch das Land Sachsen einsteigen – aber wir haben doch die Möglichkeit als Freistaat Sachsen, auch ein Landesprogramm aufzulegen. Wir haben das vorgeschlagen. Das haben Sie von der SPD und der CDU abgelehnt. Damit könnte man vorangehen. Wenn man Frau Karliczek gestern zugehört und die Antworten gesehen hat, dann merkt man auch, dass sie es doch in Landesverantwortung sieht. Es soll etwas kommen, aber wir wissen nicht, wann. Und das hilft unseren Studierenden hier im Moment gar nicht weiter.