Protokoll der Sitzung vom 10.04.2019

(Beifall bei der CDU und der SPD)

Meine Damen und Herren! Für die Fraktion DIE LINKE spricht Herr Abg. Stange. Bitte sehr, Herr Stange, Sie haben das Wort.

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Heute wollen Sie als Sächsische Staatsregierung das Projekt zum Abschluss bringen und als die Regierung tragende Koalition das Gesetz zur Neustrukturierung des Polizei

rechts des Freistaates Sachsen beschließen. Ich will es gleich von vornherein sagen: Wir lehnen dieses Gesetz aus mehreren Gründen ab.

(Beifall bei den LINKEN)

Es stellt sich zunächst die Frage, ob dieses Gesetz überhaupt notwendig ist – eine Frage, die für den Gesetzgeber durchaus von Belang ist.

Meine Damen und Herren! In der Begründung zum Gesetzentwurf heißt es unter anderem – ich zitiere –: „Die Landesregierung“ – offenbar haben Sie aus einem anderen Begründungstext abgeschrieben, aber okay – „verfolgt mit dem Gesetzentwurf das Ziel einer modernen und effizienten Neugestaltung des Polizeirechts, um die Sicherheit der Bürgerinnen und Bürger weiterhin auf hohem Niveau gewährleisten zu können.“

Weiter unter Punkt C, „Notwendigkeit der Regelungen“, heißt es: „Die Prüfung des Sächsischen Polizeigesetzes“ – also des jetzt geltenden – „hat zu dem Ergebnis geführt, dass zum Zweck der Gewährleistung der öffentlichen Sicherheit dem Polizeivollzugsdienst als Mittel der Aufgabenerfüllung neue Befugnisse zugewiesen werden müssen und unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichtes zu regeln sind.“

Bei der Einbringung des Gesetzes im Innenausschuss hat Herr Staatsminister Wöller ebenso auf die Kriminalitätsentwicklung abgestellt, wie es Kollege Anton soeben auch, zumindest zum Schluss, getan hat.

Am 3. April haben Sie, Herr Staatsminister, die Polizeiliche Kriminalstatistik veröffentlicht. In der Medieninformation des Innenministers heißt es: „Die Zahl der Straftaten im Freistaat Sachsen hat im Jahr 2018 den niedrigsten Stand der letzten zehn Jahre erreicht. Insgesamt wurden 278 796 Fälle registriert, 2017 waren es noch 323 136. Das ist ein Rückgang von 13,7 %. Gesunken sind die Anzahl der Wohnungseinbruchs- und Kraftwagendiebstähle sowie die Fälle von Grenz- und Gewaltkriminalität.“

Das, Herr Staatsminister, ist nur die halbe Wahrheit. Die Zahl der Straftaten hat den niedrigsten Stand seit 25 Jahren erreicht. Alle mir vorliegenden Zahlen bis zurück auf 1993 – hier ist ja, Herr Staatsminister, Ihr Haus bei Antworten auf Anfragen durchaus freimütig – sind höher als die von 2018. Selbst bei Mord und Totschlag liegen die jetzigen Zahlen deutlich unter dem langjährigen Trend – wie auch bei Raubüberfällen auf Straßen und Wegen.

Herr Jalaß möchte eine Zwischenfrage stellen. Herr Stange, gestatten Sie eine Zwischenfrage? – Bitte, Herr Jalaß.

Kollege Stange, kannst du mir vielleicht noch einmal darlegen, wenn die Kriminalstatistik rückläufig ist, welche tatsächliche Notwendigkeit für ein solch überzogenes Polizeigesetz im Raum steht?

(Zurufe von der CDU)

Vielen Dank für die Frage. Dazu wäre ich auch noch gekommen. Der Punkt ist, dass uns über lange Zeit immer gesagt wurde: Das Polizeirecht muss novelliert werden, um der Polizei Befugnisse zu geben, um – so wie es auch Herr Anton gesagt hat – „vor die Lage“ zu kommen.

Das Absinken der Zahlen in der Polizeilichen Kriminalstatistik, und zwar von über 400 000 im Jahr 1994 auf nunmehr 278 000, zeigt eindeutig, dass diese Kriminalstatistik möglich wird ohne neue Befugnisse, ohne einen tiefen Eingriff in die Grund- und Freiheitsrechte. Wenn ich noch einmal auf das zurückkomme, was Herr Anton vorhin in Bezug genommen hat, und den Fall Al Bakr nehmen darf, dann ist der Punkt: Selbst solche Straftaten sind vereitelt worden ohne dieses neue Polizeirecht, ohne diese Eingriffsbefugnisse, weil durch das Zusammenwirken von Länder- und Bundesbehörden über das Gemeinsame Terrorismusabwehrzentrum (GTAZ) eine stabile Zusammenarbeit gewährleistet war.

Das Problem bei Al-Bakr lag ganz woanders: Das lag daran, dass unsere sächsische Polizei nicht imstande war, die Festnahme in Chemnitz unter den Voraussetzungen auch technischer Art, die sie hatte, so zu gewährleisten, wie es erforderlich gewesen wäre.

Die Kriminalstatistik, die uns jetzt vorliegt – die neuesten Zahlen und im Übrigen auch schon die Zahlen des Vorjahres und jene von 2016 –, rechtfertigen ein Polizeirecht dieses Ausmaßes nach meinem Dafürhalten nicht im Ansatz. Die Polizeiliche Kriminalstatistik spricht eher dafür, dass wir das lieber so grundrechtsschonend belassen sollten, wie es derzeit ist.

Herr Stange, die Frage ist beantwortet?

(Vereinzelt Heiterkeit bei den LINKEN)

Das müssten Sie Herrn Jalaß fragen.

Nein, ich frage erst einmal Sie, ob Sie der Meinung sind, dass Ihre Antwort ausreichend ist.

Ach so, Entschuldigung. Aus meiner Warte: Ja.

Gut. Herr Jalaß steht trotzdem noch am Mikrofon. Herr Jalaß, bevor ich Sie frage, was Sie möchten, will ich Sie auf die gute Ordnung hinweisen und auf unsere Spielregeln hier. Sie können sich gern am Biertisch duzen und in der Fraktion oder bei einer Parteiversammlung, aber nicht in diesem Raum.

(Beifall bei der CDU sowie vereinzelt bei der SPD und der AfD)

Jetzt wünschen Sie noch eine Zwischenfrage zu stellen?

Ja, Herr Präsident. Mir stellen sich tatsächlich noch einige Nachfragen.

(Zuruf der Abg. Ines Springer, CDU)

Wenn die Kriminalstatistik das nicht hergibt, Herr Kollege Stange, gibt es aus der Anhörung dann wenigstens kriminologische Begründungen? Oder gibt es größere Bedenken, die hier tatsächlich nicht berücksichtigt werden?

(Ines Springer, CDU: Was ist das jetzt hier? – Unruhe)

Ist die Frage verstanden worden, obwohl es hier im Saal sehr laut ist?

Ja, die Frage ist verstanden worden, vielen Dank, Herr Präsident.

Aus der Anhörung ist nach unserem Dafürhalten klar hervorgegangen – – Dazu muss man noch sagen, dass in dieser Anhörung logischerweise hauptsächlich Rechtsanwenderinnen und Rechtsanwender befragt wurden, sprich Polizeibedienstete, die seitens der Koalition sicherlich eingeladen waren, um ihre Sicht der Dinge aus der praktischen Perspektive zu schildern. In der Anhörung ist dadurch ein durchaus geteiltes Bild entstanden.

Einerseits haben die Rechtsanwenderinnen und Rechtsanwender, also die Polizeibediensteten, einen Großteil der Befugnisse, die das Polizeigesetz jetzt beabsichtigt oder vorsieht, überwiegend als richtig dargestellt – bis hin zu dem Hinweis, man solle auch die Bodycam einführen.

Andererseits wurde vonseiten anderer Sachverständiger, beispielsweise durch Frau Dr. Scharlau von Amnesty International oder durch den ehemaligen Innensenator von Berlin – – Eberhard, Erhard?

(Zurufe von der CDU und des Abg. Sebastian Wippel, AfD: Ehrhart Körting!)

Vielen Dank. Ehrhart Körting hat beispielsweise auf die Befugnis zum Einsatz von Maschinengewehren und Handgranaten hingewiesen. Herr Dr. Körting sagte, dies erschließe sich ihm überhaupt nicht und er kenne auch keinen Fall, in dem in Sachsen bislang der Einsatz von Maschinengewehren oder Handgranaten erforderlich gewesen wäre. So etwas könne er sich relativ schwer vorstellen. Er hat diesen Teil also kritisiert.

Frau Scharlau von Amnesty International hat insbesondere auf die Frage abgestellt, was eigentlich passiere, wenn Eingriffsbefugnisse und Eingriffsschwellen der Polizei auf dieser gesetzlichen Grundlage so weit in das Vorfeld von konkreten Gefahren, das Vorfeld der Vorbereitung von Straftaten vorverlegt würden – im Hinblick auf die Verhältnismäßigkeit. Kann ein Bürger überhaupt noch darauf bauen, dass er auf gesetzlicher Grundlage wissen kann, wann er durch sein Verhalten Anlass dazu gibt, dass die Polizei ihn ins Visier nimmt?

Diese Fragen sind in der Anhörung sehr ausgiebig diskutiert worden, aufgrund der Zusammensetzung der geladenen Sachverständigen logischerweise durchaus kontrovers; ich habe es eben dargestellt. Nach meinem Dafür

halten – und diese Auffassung stützt, soweit ich mich erinnere, auch Herr Prof. Arzt, der als Sachverständiger dabei war –

(Valentin Lippmann, GRÜNE: Guter Mann!)

sind diese Grundrechtseingriffe, die hier ermöglicht werden, so weitreichend und so tief, dass sie bis in den Kernbereich privater Lebensgestaltung reichen. Sie sind unverhältnismäßig und stützen in diesem Sinne auch die Sichtweise, dass dieses Gesetz einer verfassungsrechtlichen Überprüfung durchaus nicht standhalten würde.

Herr Stange, die Frage ist beantwortet. Gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage?

(Vereinzelt Heiterkeit bei den LINKEN)

Bitte, Herr Wippel.

Vielen Dank, Herr Präsident, vielen Dank, Kollege Stange, dass Sie die Zwischenfrage gestatten. Sie haben gerade eine polizeiliche Eingangsstatistik für Ihre Argumentation bezüglich der Gefahrenabwehr bemüht, nämlich die Polizeiliche Kriminalstatistik. Stimmen Sie mir zu, dass dieses Argument nur wenig aussagekräftig ist, da wir hier über ein Gesetz der polizeilichen Gefahrenabwehr sprechen, das dazu geeignet sein soll, der Polizei im Einzelfall die Mittel an die Hand zu geben, um eine Gefahr nicht eintreten zu lassen? Diese Gefahr muss im Zweifel ja nicht einmal unbedingt eine Straftat sein.

Das Problem bei der ganzen Geschichte ist, dass wir in der Gefahrenabwehr – das haben die Sachverständigen, gerade Prof. Arzt und Frau Scharlau, aber auch der Rechtsanwalt Moini ausgeführt – eine weite Vorverlagerung dieser Eingriffsbefugnisse haben, und zwar – das ist der Punkt – weit vor eine konkreten Gefahr.

Das fußt auf der reinen Mutmaßung, dass die betreffende Person in überschaubarer Zukunft eine wie auch immer geartete Straftat begehen wird. Das ist der Grundsatz, der sich quer durch das gesamte Gesetz zieht, unabhängig davon, ob das allgemeine Straftaten oder terroristische Straftaten betrifft. Das ist im Übrigen noch einmal ein Sonderfall, auch in Bezug auf das Strafgesetzbuch und die Strafprozessordnung.

Das Problem hierbei ist, dass der Bürger, der durch ein Verhalten ins Visier gerät und nun sozusagen der Gefahrenabwehr unterfällt, sein Verhalten selbst nicht entsprechend regeln oder steuern kann, weil er nicht weiß, nach welchen Kriterien er ins Visier geraten kann.

Noch dazu haben die Sachverständigen, insbesondere Prof. Arzt, auch erörtert, ob es überhaupt zulässig ist, über dieses Polizeigesetz eine Verhaltensänderung erreichen oder herbeiführen zu wollen – ob also der Staat überhaupt ein Recht dazu hat, entsprechend zu beeinflussen.