Noch dazu haben die Sachverständigen, insbesondere Prof. Arzt, auch erörtert, ob es überhaupt zulässig ist, über dieses Polizeigesetz eine Verhaltensänderung erreichen oder herbeiführen zu wollen – ob also der Staat überhaupt ein Recht dazu hat, entsprechend zu beeinflussen.
(Sebastian Wippel, AfD: Der Begriff PKS ist bei ihm jetzt nicht gefallen! – Zuruf des Abg. Albrecht Pallas, SPD)
Ich fahre fort, Herr Präsident. In der „Leipziger Volkszeitung“, den „Dresdner Neuesten Nachrichten“ wird dazu, zur Polizeilichen Kriminalstatistik, am 3. April 2019 Folgendes ausgeführt, ich zitiere:
„Sachsen ist ein sicheres Bundesland“, sagte Innenminister Roland Wöller am Mittwoch bei der Vorstellung der Polizeilichen Kriminalstatistik (PKS) für das Jahr 2018. Die insgesamt positive Bilanz dürfe allerdings nicht darüber hinwegtäuschen, „dass die Lage nach wie vor angespannt“ sei. Es sei außerdem verfrüht, von einer Trendwende zu sprechen, so Wöller. Hinzu komme: „Die gefühlte Kriminalität“ sei „leicht gestiegen. Das nehmen wir ernst.“
Sehr geehrter Herr Staatsminister! Bei allem Dafürhalten und ganz im Ernst: Das kann, bitte, nicht Ihr Ernst sein. Das kann wirklich nicht Ihr Ernst sein, dass Sie „gefühlte Kriminalität“ ernst nehmen
und dann sagen, eine Trendwende sei noch nicht erreicht. Welchen Trend wollen Sie wenden? Den Trend der rückläufigen Kriminalitätszahlen? Geht es im Prinzip darum, zu erhoffen oder zu wünschen, dass die Kriminalitätszahlen nach oben gehen, um auf dieser Seite dieses Gesetz rechtfertigen zu können?
(Zuruf von der CDU: Das kann doch nicht wahr sein! – Carsten Hütter, AfD: Das ist schon fast auffällig! – Zuruf von der CDU: Redezeit! – Unruhe)
– mehrmals in Sachsen erfolglos demonstriert hatten, können Sie sich und mir vielleicht erklären und auch diesem Hause, warum es offensichtlich in Sachsen einfacher ist, politische Veränderungen durchzuführen, wenn ein paar Leute spazieren gehen, bisschen wirres Zeug herumschreien, Geflüchtetenwohnungen anzünden, anstatt wenn sie wohlbegründet, oft und zu vielen Tausenden spazieren oder demonstrieren gehen?
Das ist logischerweise eine politische Wertung. Ich gehe davon aus, dass angesichts der bislang prognostizierten Wahlergebnisse offenbar eine Seite des Hohen Hauses der Auffassung ist, ein solches Projekt, ein solches Gesetz auf jeden Fall noch vor der Landtagswahl durch das Hohe Haus zu bringen und damit die entsprechenden Befugnisse den Polizeibehörden an die Hand zu geben.
Zu der Frage, warum der Protest nicht gehört wird, gab es ja eine Petition von knapp 21 000 Petentinnen und Petenten, die sich gegen dieses Polizeigesetz gewandt und die Petition dem Sächsischen Landtag zugeleitet haben. Der Herr Präsident hat am 13. März diese Petition entgegengenommen, also vor nunmehr einem Monat zum Plenum.
Die Frage, sehr geehrter Kollege Jalaß, müssen einfach die beantworten, die für dieses Gesetz verantwortlich zeichnen, weshalb sie die Bedenken einerseits aus den Anhörungen und andererseits die Bedenken der Petentinnen und Petenten gegen dieses Gesetz und in Bezug auf die Verfassungsmäßigkeit dieses Gesetzes so ignorieren. Ich kann Ihnen die Beweggründe nur aus meiner Mutmaßung heraus formulieren. Ich gehe davon aus, dass man unbedingt will, dass diese Befugnisse der Polizei an die Hand gegeben werden, unabhängig von den Bedenken und unabhängig von den verfassungsrechtlichen Zweifeln, die nicht nur uns und nicht nur die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN umtreiben, sondern eben auch die Petentinnen und Petenten.
Schon von der allgemeinen Kriminalitätsentwicklung her ist das Gesetz nach unserer Auffassung unnötig. Die datenschutzrechtlichen Anpassungen, die aufgrund der Europäischen Datenschutzgrundverordnung und der EUDatenschutzrichtlinie der eigentliche Anlass für die Novellierung der Polizeigesetze sowohl in Sachsen als auch in anderen Ländern waren, hätten auch im bestehenden geltenden Sächsischen Polizeigesetz erfolgen können. Dafür ist das neue Gesetz nicht nötig.
Warum also dieses Gesetz? Die Hinweise auf mutmaßliche terroristische Straftaten und deren Verhütung ziehen sich quer durch das Gesetz. In der Sachverständigenanhörung hat die Sachverständige Pohlmeier vom Bundeskriminalamt dazu unter anderem ausgeführt: „Das BKA ist für die Gefahrenabwehr und Ermittlung zu terroristischen Straftaten und Vorbereitungshandlungen zuständig.“
Was sie aber dazu ausführt, weshalb Quellen-TKÜ und Online-Durchsuchung auch über die Befugnisse dieses vorliegenden Gesetzes hinaus jetzt auf Landesebene Einzug halten sollten, ist durchaus interessant. Ich zitiere: „Sehr viele der so konkreten und ernstzunehmenden Hinweise, die wir bearbeiten, kommen von ausländischen Nachrichtendiensten. Die ausländischen Nachrichtendienste übermitteln uns solche Hinweise. Nehmen Sie als Beispiel, dass wir den Hinweis bekommen, eine Person in Deutschland versucht, sich mit dem IS in Verbindung zu setzen und sich als Attentäter zur Verfügung zu stellen.
Solche Hinweise bekommen wir von den Nachrichtendiensten häufig mit einer Verwendungsbeschränkung, nämlich diese Information ausschließlich zur Gefahrenabwehr zu nutzen, nicht für die Strafverfolgung. Warum ist das so? Die ausländischen Nachrichtendienste fürchten das öffentliche Verfahren, das öffentliche Strafverfahren. Sie fürchten, dass in der öffentlichen Verhandlung publik wird über diese Information, welche Überwachungsmethoden sie haben, bzw. sie befürchten, wenn diese Informationen von einer menschlichen Quelle kommen, von einem Hinweisgeber, dass durch die öffentliche Verhandlung Details bekannt werden, die es erlauben, diesen Hinweisgeber zu identifizieren und damit in Gefahr zu bringen.“
Sicher, Quellenschutz ist durchaus ein ernstzunehmendes Interesse. Daran habe ich keinen Zweifel. Soll dieser aber tatsächlich herhalten, um die Befugnisverlagerung auf die Landespolizeien zu ermöglichen?
Es ist festzuhalten, dass sich die Zusammenarbeit und das Zusammenwirken der Bundesbehörden und der Länderbehörden auch polizeipräventiv bewährt hat. Das hat gerade – auch wenn es bei der Festnahme fehlgeschlagen ist – der Fall al-Bakr gezeigt. Diese Zusammenarbeit über das GTAZ sollte fortgesetzt werden, ohne die Befugnisse im Landespolizeigesetz zu öffnen.
Mit der Einführung des Instrumentariums aus dem Strafprozessrecht in das Gefahrenabwehrrecht hinein ver
schwimmen im Gesetz die Grenzen hinsichtlich der Befugnisse zwischen Prävention terroristischer Straftaten und allgemeiner Kriminalität. Die Eingriffsschwellen werden weit in das Gefahrenvorfeld verlegt. Dazu Frau Scharlau in der Sachverständigenanhörung – Zitat –: „Aus unserer Sicht liegt die Hauptgefahr in der nicht vorhandenen Definition dieser Vorfeldgefahr, in der fehlenden Bestimmtheit und fehlenden Rechtssicherheit. Die Menschen müssen in einem Rechtsstaat wissen, durch welches Verhalten sie ins Visier der Polizei geraten können.
Man sollte sich die Definition auf der Zunge zergehen lassen – ich zitiere beispielhaft § 21 Abs. 2 Nr. 2 –: ‚… wenn … das Verhalten der betroffenen Person die konkrete Wahrscheinlichkeit begründet, dass sie in überschaubarer Zukunft eine terroristische Straftat begehen wird.‘“ „Aus unserer Sicht“ – so Frau Scharlau weiter – „ist einfach nicht klar genug, und zwar weder im Gesetz noch in der Gesetzesbegründung, welche Anhaltspunkte, welches Verhalten denn diese Voraussetzungen erfüllen kann.“
Mit der Errichtung der Straftatbestände zu terroristischen Straftaten § 278 b terroristische Vereinigung, § 278 c terroristische Straftaten, § 278 d Terrorismusfinanzierung, § 278 e Ausbildung für terroristische Zwecke, § 278 f Anleitung zur Begehung einer terroristischen Straftat, § 278 g Reisen für terroristische Zwecke, § 279 bewaffnete Verbindungen, § 280 Ansammeln von Kampfmitteln, § 282 Aufforderung und Gutheißung im Strafgesetzbuch und mit den entsprechenden Instrumentarien der Strafprozessordnung sind jene Befugnisse für die Ermittlungs- und Strafverfolgungsbehörden gegeben, die dazu erforderlich sind. Das trifft für terrorverdächtige Rückkehrer aus IS-Gebieten ebenso zu wie für zum Terroristen Ausgebildete.
Nun soll sich dieser singulär im BKA-Gesetz für die Terrorismusbekämpfung gefasste Gefährderansatz über den Terrorbezug hinaus im polizeilichen Gefahrenabwehrrecht festsetzen, und zwar eben nicht mehr nur für terroristische Straftaten. Das greift einfach zu weit in die Grund- und Freiheitsrechte ein. Solche Formulierungen als Befugnisgrundlage finden sich zur längerfristigen Observation, zur Telekommunikationsüberwachung, zu Meldeauflagen, Aufenthaltsge- und -verboten, zu Kontaktverboten, zur Fußfessel sowie in weiteren Regelungen dieses Gesetzes. Das gilt zur allgemeinen Straftatenverhütung, nicht nur zur Verhütung terroristischer Straftaten.
Meine Damen und Herren! Lassen Sie mich darüber hinaus einige weitere fragwürdige Regelungen hier kursorisch diskutieren.
Das verfassungsrechtliche Trennungsgebot von polizeilicher Gefahrenabwehr und nachrichtendienstlicher Aufklärung aus Artikel 83 Abs. 3 der Sächsischen Verfassung ist hinsichtlich der längerfristigen Observation in § 63 und des Einsatzes von V-Personen in § 64 nach unserer Auffassung deutlich berührt.
Es ist auch eine Frage der Rechtssicherheit für die Bürgerinnen und Bürger, wie sich die §§ 20 Meldeauflagen und
21 Aufenthaltsge- und -verbote auf sie auswirken. Hier werden ohne begangene Verstöße – das ist der Punkt – rein auf die Mutmaßung zukünftiger Straftaten repressive Maßnahmen ermöglicht, und das zur Prävention. Auch hier gilt, was Frau Scharlau sagte: „Die Menschen müssen in einem Rechtsstaat wissen, durch welches Verhalten sie ins Visier der Polizei geraten können.“ Das aber bietet dieses Gesetz eben nicht.
Nicht nur der Sächsische Datenschutzbeauftragte bezweifelte, dass dieses Gesetz in wesentlichen Teilen einer verfassungsrechtlichen Überprüfung standhalten könnte. Allerdings ficht das die Koalition nicht an. Spätestens mit der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes zur automatisierten Kennzeichenerkennung hinsichtlich der Regelungen der Polizeigesetze in Bayern, Hessen und Baden-Württemberg stehen die Regelungen zur Kennzeichenerkennung sowie zur Videografie mit Gesichtserkennung ebenso auf wackeligen Füßen.
Lassen Sie mich noch kurz zur Bodycam ausführen. Es gibt bisher keinen wissenschaftlichen Beleg – ich wiederhole: es gibt keinen wissenschaftlichen Beleg – dafür, dass Bodycams präventiv wirken, im Gegenteil. Durch die Befragung der Polizeibeamtinnen und Polizeibeamten im Rahmen der Studie der Hochschule der sächsischen Polizei zum Einsatz von Bodycams kommen erhebliche Zweifel an der präventiven Wirkung von Bodycams auf.
Auf die Frage, ob bei bisherigen Einsätzen der Bodycam der gewünschte Effekt, den präventiven Druck auf den betroffenen Verantwortlichen zu erhöhen, eingetreten ist, gaben von den eingesetzten Polizeibeamten 26,6 % „ja“ an, davon 4,4 % „voll und ganz“, 22,2 % „überwiegend ja“. 47,8 % gaben „nein“ an, 16,7 % davon „überwiegend nein“ und 31,1 % „nie“. Des Weiteren gaben 14 % an, die Ankündigung, die Bodycam einzuschalten, wirke auf den betroffenen Bürger deeskalierend, und 29 % gaben an, diese Ankündigung verursache Zündstoff in der Diskussion mit dem betroffenen Bürger.