Protokoll der Sitzung vom 11.04.2019

Zum Schluss noch eine kurze Anmerkung in Sachen Anerkennung von Sozialarbeiterinnen und Sozialarbeitern sowie Sozialpädagoginnen und Sozialpädagogen.

In dem von der Staatsregierung vorgelegten Entwurf für ein Justizvollzugsdatenschutzgesetz – das nebenbei in vielen Punkten, Herr Justizminister, wahrscheinlich eine verfassungswidrige Zumutung ist, wie die Anhörung ergeben hat – ist allerdings dem § 46 unter der Überschrift Berufsgeheimnisträger Folgendes zu entnehmen. In Nummer 3 des Abs. 1 sind dort unter der Überschrift Berufsgeheimnisträger neben Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälten auch die staatlich anerkannten Sozialarbeiterinnen und Sozialarbeiter sowie die staatlich anerkannten Sozialpädagoginnen und Sozialpädagogen

aufgezählt. Manchmal scheint die Staatsregierung in ihrem Denken doch weiter, als die Realität ist.

Wenn selbst die Staatsregierung der Auffassung ist, sie zumindest in diesem Bereich den Berufsgeheimnisträgern zuzuordnen, dann wäre es sinnvoll, das ein für alle Mal gänzlich zu klären.

Da wir als Land dafür nicht zuständig sind, sondern der Regelungsbereich der StPO ein Bundesrecht ist, wäre es hilfreich, vor Anerkennung der spezifischen sächsischen Situation, aber auch vor dem Hintergrund, dass es seit vielen Jahren eine bundesweite Debatte ist und es endlich notwendig wäre, die Sozialarbeiterinnen und Sozialarbeiter in diesem Punkt zu stärken, eine entsprechende Initiative im Bundesrat vonseiten des Freistaates auszulösen und deutlich zu machen, dass es in Zeiten, in denen wie gestern kräftig am Berufsgeheimnisträgerschutz im Polizeigesetz durch die Koalition gesäbelt wurde, vielleicht Wege gibt, diesen Schutz zu stärken und das mit einer entsprechenden Bundesratsinitiative zu flankieren und damit wieder eine Debatte in Deutschland auszulösen.

Wir bitten um Zustimmung zu diesem Antrag.

Vielen Dank.

(Beifall bei den GRÜNEN und vereinzelt bei den LINKEN)

Für die CDUFraktion Herr Abg. Kirmes, bitte.

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Kolleginnen und Kollegen! Nach zwei langen Plenartagen will ich nicht in die juristischen Tiefen, soziologischen Überlegungen und sonstigen wissenschaftlichen Fragen, die hier tatsächlich kontrovers diskutiert werden könnten, einsteigen. Es bedarf aber doch einiger Worte dazu, warum wir diesem Antrag so nicht zustimmen können.

Rein systematisch, Herr Lippmann, ist es nicht ganz richtig, was Sie gemacht haben, wenn Sie den Datenschutz und das Zeugnisverweigerungsrecht vermengen. Das ist ein Recht, mit dem es den Sozialarbeitern vor Gericht oder allgemein vor den Schranken der Justiz – also auch der Staatsanwaltschaft – ermöglicht würde, Auskunft zu verweigern.

Warum – die Frage müssen wir uns stellen – soll das insbesondere für die von Ihnen genannte Berufsgruppe gelten? Stoßen Sie da nicht Türen auf, und zwar mit weitreichenden Konsequenzen für die Strafverfolgung? Könnten nach Ihrer Logik dann nicht Erzieher, Lehrer, Berater, meinethalben sogar Versicherungsvertreter – wer weiß, wer noch – ein solches Recht für sich in Anspruch nehmen wollen?

Der § 53 StPO nimmt eine abschließende Aufzählung derjenigen Berufsgruppen vor, die ein Zeugnisverweigerungsrecht haben. Das ist richtig so. Das hat sich im Verlaufe der letzten Jahrzehnte ein bisschen gewandelt, ist jetzt aber abschließend geregelt.

Jede Ausdehnung von strafprozessualen Zeugnisverweigerungsrechten auf neue Personengruppen schränkt Beweismöglichkeiten bei der Strafverfolgung ein. Als Grundsatz darf man das so stehen lassen, selbst wenn man im konkreten Fall ein paar Abwandlungen in der Betrachtung haben kann.

Das Bundesverfassungsgericht hat mehrfach das unabweisbare Bedürfnis einer wirksamen Strafverfolgung und das öffentliche Interesse an einer vollständigen Wahrheitsermittlung im Strafverfahren anerkannt.

Liebe Kolleginnen und Kollegen! Dieses Recht auf Zeugnisverweigerung besteht derzeit vorrangig für ein Vertrauensverhältnis, welches nach dem Ereignis, für das sich der Beschuldigte, der Betroffene verantworten soll, eingetreten ist. Wir befinden uns – wie gesagt – vor den Schranken der Justiz. Wir sind nicht im Datenschutzrecht. Das ist ein Unterschied, weshalb man etwas tiefer einsteigen sollte.

Der Strafverteidiger wird nach der – in Klammern – vermeintlichen Tat kontaktiert oder mandatiert. Nehmen wir die Schwangerschaftskonfliktberatung. Auch da ist das Ereignis vorher dagewesen.

So könnte man die Beispiele fortführen.

Ein Zeugnisverweigerungsrecht für Sozialarbeit und weitere staatlich anerkannte Sozialarbeiter und Sozialpä

dagogen würde nicht nur eine neue Gruppe von Zeugnisverweigerungsrechten begründen, sondern diese auch inhaltlich ausweiten.

Ich bin der Meinung, die Fansozialarbeiter sollten besonders im Vorfeld und in – ich nenne sie jetzt fälschlicherweise so – besonders Gefahr geneigten Gruppen präventiv tätig sein, aber doch keinesfalls, um den, der gerade aus diesen Fangruppen heraus Straftaten begeht, zu schützen, damit die Strafverfolgung für diesen erschwert wird. Ich glaube, dabei müsste man schon ein wenig differenzierter in die Sache einsteigen. Das darf meines Erachtens nicht sein. Es wird nämlich nicht der persönliche oder der intime Bereich des Betroffenen geschützt, sondern ein Einzelverhalten – nennen wir es meinethalben auch sein Freizeitverhalten. Das kann auch gegen diese Gruppe sein, die der Fanbeauftragte gerade betreut und mit der er vielleicht große Erfolge erzielt, wenn dann der eine, der in der Gruppe straffällig wird, geschützt wird, weil der Sozialarbeiter zum konkreten Fall und damit zur Höhe des Strafmaßes oder zur Verurteilung überhaupt nichts sagen darf oder sagen will.

Nehmen wir doch meinethalben einmal die Vorgänge, die wir beim Chemnitzer FC sehen mussten. Sollten zum Beispiel bei solchen rechtsextremen Handlungen, bei Randalen, bei erheblichen Ausschreitungen mit körperlicher Gewalt im Bereich der sogenannten Fanszene Sozialarbeiter ein Zeugnisverweigerungsrecht haben, um die Ahndung solcher konkreten Taten und Täter zu erschweren oder überhaupt nicht möglich zu machen? Wir sagen: Nein.

Ein Sozialarbeiter kann sehr wohl auch ohne Zeugnisverweigerungsrecht ein Vertrauensverhältnis zu seinen Klienten aufbauen und helfen, dass diese überhaupt nicht erst in den Bereich von Straffälligkeit kommen. Ich glaube, ihnen gebietet unser Dank, denn sie tun das in großartiger Weise, und wir wissen, was in Fanprojekten in Stadien teilweise immer noch passiert und welche mühevolle Arbeit die Sozialarbeiter in solchen Fanprojekten leisten.

(Beifall bei der CDU und der SPD)

Ich glaube, dass ein Zeugnisverweigerungsrecht das sogar konterkarieren könnte, wenn sich die Übeltäter aus solchen Gruppen – ich nenne sie einmal ganz allgemein so – dann auch noch geschützt fühlen müssen.

Ich bin der Meinung, dass die Bundesregierung an den bestehenden Regelungen derzeit festhält und sie zu den Regelungen nach § 53 Abs. 1 Nr. 3 a und 3 b StPO Stellung bezogen hat. Im Detail, um das hier nicht weiter auszuführen, darf ich auf die Bundestagsdrucksache 19/4371, eine Kleine Anfrage von Abgeordneten der LINKEN aus dem vorherigen Jahr, verweisen. Dort ist sehr detailliert aufgeführt, warum die Bundesregierung derzeit – dem schließe ich mich persönlich an – an dem bestehenden Katalog festhält.

Das Interesse an einer leistungsfähigen Strafjustiz fällt in den Gewährleistungsbereich des Rechtsstaatsprinzips

nach Artikel 20 Abs. 3 des Grundgesetzes. Soweit das Rechtsstaatsprinzip die Idee der Gerechtigkeit als wesentliche Bestandteile enthält, verlangt dies die Aufrechterhaltung einer funktionstüchtigen Strafrechtspflege, ohne dass die Gerechtigkeit in dem allgemeinen Sinne, wie man es immer sehen kann, nicht verwirklicht werden kann. Dazu gehört die umfassende Wahrheitsermittlung, besonders in sensiblen Bereichen.

Insofern können wir dem Antrag, so wie er gestellt und wie er begründet worden ist, nicht zustimmen. Wir sehen, dass das eine Materie ist, die in dem Bereich bleiben sollte, in dem sie bereits ist.

(Beifall bei der CDU und der SPD)

Frau Meiwald für die Linksfraktion, bitte.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Eines vorweg: Bundesweit nimmt die Zahl an Vorladungen von Fachkräften sozialpädagogischer Einrichtungen zu und bringt diese in schwierige rechtliche und fachliche Konflikte. Abhilfe kann hierbei nur ein Zeugnisverweigerungsrecht schaffen.

Wir beraten hierzu, sagen wir einmal, zu fast später Stunde einen Antrag der GRÜNEN, der inhaltlich ein wenig zu unseren gestrigen Debatten passt. Die Staatsregierung soll sich für eine Bundesratsinitiative starkmachen und den § 53 Strafprozessordnung reformieren und in den Personenkreis, in dem ein Zeugnisverweigerungsrecht zusteht, die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im Bereich der sozialen Arbeit aufnehmen, und dies vor allem vor dem Hintergrund der Fansozialarbeit in den Fanprojekten.

Herr Kirmes, ich weiß nicht, ob Sie Sozialarbeiter in Fanprojekten kennen und die Klientel, die dort zu Gast ist. Das hat nichts, aber auch gar nichts mit den Chemnitzer Vorfällen zu tun.

(Beifall bei den LINKEN – Zuruf des Abg. Svend-Gunnar Kirmes, CDU)

Bereits in den Fünfzigerjahren des vergangenen Jahrhunderts wurden Debatten um ein Zeugnisverweigerungsrecht für Sozialarbeiterinnen und Sozialarbeiter geführt. Schon damals sah sich die Sozialarbeit auf der Stufe der Ärzte, der Geistlichen und der Rechtsanwälte. Anfang der Siebzigerjahre flammten die Diskurse um die Jugendgerichtsbarkeit und die Einordnung der sozialen Arbeit erneut auf und mündeten in einem Beschluss des Bundesverfassungsgerichtes von 1972.

In diesem Beschluss führte das Gericht aus, dass die Regelungen des § 53 nicht das Recht der ratsuchenden Person auf Achtung ihrer Privatsphäre verletze. Sozialarbeit sei keine Berufsausübung, über deren Gesamtbild persönliche, grundsätzlich keine Offenbarung duldende Vertrauensverhältnisse kennzeichnend seien. Begründet

wurde dies unter anderem damit, dass der Berufsstand, der damals noch liebevoll „Fürsorge“ hieß, nicht scharf genug umgrenzt und nicht einheitlich geregelt sei und der Berufsstand noch nicht eine besondere Vorbildung und ein in langer Berufsausübung gewachsenes Berufsethos besäße.

Liebe Kolleginnen und Kollegen! Das war vor nunmehr 47 Jahren, und die Welt hat sich wirklich weitergedreht. Ich zitiere: „Dem veralteten Verständnis von Fürsorge stehen Entwicklungen von über 40 Jahren Fachlichkeit, methodischen Standards, eine zunehmend allgemeingültig gewordene Berufsethik sowie vereinheitlichte Ausbildungsstandards entgegen.“

Zu dieser Einschätzung kommt das von der Koordinationsstelle Fanprojekte in Auftrag gegebene Rechtsgutachten, das den möglichen Reformbedarf des besagten Paragrafen zum Zeugnisverweigerungsrecht untersucht hat. Seit dem Jahr 2014 besteht dazu bei der KOS eine Arbeitsgruppe gemeinsam mit der Bundesarbeitsgemeinschaft der Fanprojekte. Inzwischen ist aus dieser AG Zeugnisverweigerungsrecht ein breites Bündnis entstanden, das aus vielen weiteren Projekten und Akteuren der sozialen Arbeit besteht.

Fanprojekte – bundesweit derzeit an 59 Standorten mit 65 Fanszenen – leisten seit Beginn der Achtzigerjahre soziale Arbeit mit Jugendlichen und jungen Erwachsenen. Grundlage ihrer Arbeit sind das SGB VIII, also das Kinder- und Jugendhilfegesetz, und das sogenannte Nationale Konzept Sport und Sicherheit. Herr Lippmann hatte das in Rede stehende Zitat – Fanprojekte sind eine besondere Form der Jugend- und Sozialarbeit – bereits ausgeführt und auch auf das Vertrauensverhältnis hingewiesen.

Genau dieses Vertrauensverhältnis ist die Basis der sozialen Arbeit bei den Fanprojekten, in der Wohnungslosenhilfe, bei der mobilen Jugendarbeit, beim Streetwork, bei offener Jugendarbeit, bei der Opferberatung, aber auch für Sozialarbeiterinnen und Sozialarbeiter in Aussteigerprogrammen.

(Zuruf des Abg. Svend-Gunnar Kirmes, CDU)

Im vergangenen Jahr hatte unsere Bundestagsfraktion eine Anfrage zur Gewichtung des notwendigen Vertrauensverhältnisses zwischen Sozialarbeit und Klientel und der damit verbundenen Bedeutung eines zu gewährenden Zeugnisverweigerungsrechts gestellt. In der Antwort der Bundesregierung ist zu lesen – ich zitiere –: „Die Bundesregierung ist der Auffassung, dass die Tätigkeit von Sozialarbeiterinnen und Sozialarbeitern in den Arbeitsfeldern mobiler Jugendarbeit, Reintegration gewaltbereiter junger Menschen und bei der Beratung von Gewaltopfern ein besonderes Vertrauensverhältnis zum Klienten voraussetzt.“

(Zuruf des Abg. Svend-Gunnar Kirmes, CDU)

„Zu beachten ist jedoch, dass das Interesse an einer leistungsfähigen Strafjustiz“, Herr Kirmes, „in den Ge

währleistungsbereich des Rechtsstaatsprinzips nach

Artikel 20 Abs. 3 des Grundgesetzes fällt.“

Die Antwort der Bundesregierung zeigt leider deutlich, dass sie den Berufsstand der sozialen Arbeit einem von der Strafrechtspflege geprägten Ordnungs- und Sicherheitsprofil unterwirft, nicht aber einem präventiven Ansatz folgt. Eine soziale Arbeit, die als Zubringer für die Strafrechtspflege wirken soll, kann ethisch und berufsethisch nicht haltbar sein.

Dieser mehr als merkwürdigen Rechtsauffassung schließt sich nun die Staatsregierung an und führt aus, dass Kenntnisse von Sozialarbeitern über Interna der Fanszene im Rahmen von Ermittlungs- und Strafverfahren von Bedeutung sein können und dass ein Zeugnisverweigerungsrecht zur Folge hätte, dass Straftaten von Fußballfans während der Fahrt von und zu Spielen oder währenddessen schlechter aufgeklärt werden können.