Protokoll der Sitzung vom 20.01.2000

(Zuruf von Frau Budde, SPD)

Daran schließt sich die zweite Frage an, weil Sie mich vorhin direkt angesprochen haben. Erklären Sie mir bitte einmal, wie eine vernünftige Funktionalreform in diesem Land funktionieren soll, wenn wir eine völlig inhomogene kommunale Ebene haben. Das war nämlich immer das strukturelle Grundproblem. Wenn ich die Aufgaben zwischen Land und Kommunen vernünftig verteilen will,

(Herr Schulze, CDU: Die Frage, Herr Kollege!)

dann muß ich auch wissen, wie die kommunale Ebene aussieht.

(Zurufe von der CDU: Frage!)

Dies setzt - nach meiner Überzeugung jedenfalls - voraus, daß sie flächendeckend halbwegs leistungsfähig ist.

(Unruhe bei der CDU - Herr Dr. Daehre, CDU: Herr Präsident!)

Ja, das ist richtig. - Herr Dr. Brachmann, kommen Sie bitte zu der Frage.

Die Frage war, wie das funktionieren soll, wenn wir einerseits funktionale Gebietskörperschaften haben - ich bleibe jetzt bei den Landkreisen - mit nicht einmal mehr 70 000 Einwohnern, andererseits aber eben auch solche mit 150 000 Einwohnern und darüber.

(Zuruf von der CDU: Aufhören!)

Wie das funktionieren soll -

Die Frage ist gestellt. Bitte sehr, Herr Dr. Bergner, Sie haben jetzt Gelegenheit zu antworten.

Zunächst zum Verwaltungsaufwand auf kommunaler Ebene. Wir wissen aus der Antwort auf die Große Anfrage der CDU-Fraktion zu den Verwaltungsgemeinschaften, daß zwischen dem Jahr 1996 und dem aktuellen Stand auf kommunaler Ebene bereits wiederum ein beträchtlicher Personalabbau stattgefunden hat.

Ich kann Sie einladen, einmal eine Studie zu lesen, die an der Frankfurter Universität über den Finanzstatus der neuen Bundesländer angefertigt wurde. Darin wird die Sache sehr gründlich analysiert, übrigens auch unter Einbeziehung der ABM-Beschäftigten, die ja in diesem Zusammenhang mit berücksichtigt werden müssen.

(Zuruf von Herrn Webel, CDU)

Nun will ich nicht sagen, daß wir Grund hätten, uns zurückzulehnen; aber der Druck zu handeln ist, wenn ich die Frage des Personalaufwandes zum alleinigen Kriterium mache, auf der kommunalen Ebene ungleich schwächer als auf der Landesebene.

(Beifall bei der CDU)

Nun würde ich trotzdem sagen, wenn es Sinn machte, sollten wir in Gottes Namen bei den Kommunen anfan

gen. Aber die zweite Frage leuchtet mir nun überhaupt nicht ein. Ich bin immer davon ausgegangen, daß zunächst einmal im Rahmen politischer Entscheidungen von der politischen Entscheidungsebene her, von oben nach unten, Zuständigkeiten geklärt werden.

Wir können die Sache natürlich umgekehrt anfassen. Wir können sagen, wir ordnen den Gemeindeverwaltungen bzw. Verwaltungsgemeinschaften und den Kreisverwaltungen erst einmal kräftig Aufgaben zu, und dann sehen wir zu, was für die Ministerien und Landesbehörden noch übrig bleibt. Ich halte das für keine sinnvolle Verwaltungsreform.

Danke sehr. - Noch eine Frage von Herrn Bullerjahn.

Kurze Frage, kurze Antwort, Herr Dr. Bergner, weil Sie jetzt genauso herumeiern wie zum KiBeG. Ich weiß, daß diese Diskussion eine sehr politische zwischen den Parteien in Sachsen-Anhalt ist.

Würden Sie zum jetzigen Zeitpunkt - vorausgesetzt, daß das, was Herr Püchel im Zusammenhang mit der Verwaltungsreform angemahnt hat, auch eintreten wird, nämlich die Verschlankung der Verwaltung - erstens einem Vorschaltgesetz zustimmen, und würden Sie zweitens einem Gesetz zur Gebietsreform zustimmen?

Wir hoffen, daß wir in kurzer Zeit und möglichst schnell gesetzliche Vorlagen zur Reform der Landesverwaltung bekommen. Wir sehen ein Vorschaltgesetz zur Reform der Kommunalverwaltung im gegenwärtigen Zeitpunkt als überflüssig an.

(Beifall bei der CDU - Herr Bullerjahn, SPD: Das ist wie beim KiBeG! Wie ein Gummibär!)

- Das hat überhaupt nichts mit dem KiBeG zu tun. Herr Kollege, jetzt will ich nur einmal folgendes sagen: Selbst wenn wir nach der Funktionalreform oder nach Festlegung der Aufgaben zu dem Schluß kommen, daß bei den Kommunen etwas geschehen muß - - Ich lese in der Zeitung, daß im Innenministerium drei Varianten zum Umgang mit der Amtszeit von Bürgermeistern und Landräten existieren. Da existiert auch eine Variante, die der Innenminister vorgelesen hat. Danach bleibt es, wie es ist. Ehrenamtliche Bürgermeister, deren Orte ihre Unabhängigkeit verlieren, können im Jahr 2004 zu Ortsteilbürgermeistern werden; Landräte, deren Kreise wegfallen, würden für die Übergangszeit eine Jobgarantie im neuen Landkreis erhalten, zum Beispiel als Beigeordnete.

Das heißt, die rechtlich problematische Konstruktion für eine Reform, nämlich Amtszeiten einfach zu verlängern, Wahlen zu verschieben, ist selbst dann nicht nötig, wenn - was ich gern als offen betrachten möchte - wir sagen, wir müssen tatsächlich zu gravierenden Veränderungen in den Kommunalstrukturen kommen.

Ich habe die Sorge - deshalb sind wir gegen dieses Vorschaltgesetz -, daß mit dem Vorschaltgesetz gewissermaßen Tatendrang demonstriert werden soll, der im Grunde genommen in die falsche Richtung läuft.

(Beifall bei der CDU)

Nein, wir brauchen Gesetze zur Landesverwaltungsreform. Das muß der erste Schritt sein, auf den es ankommt.

(Herr Hoffmann, Magdeburg, SPD: Sie wollen erst 2029 die Reform!)

Danke sehr. - Meine Damen und Herren! Mit Blick auf die Uhr möchte ich daran erinnern, daß wir angedacht hatten, noch vor der Mittagspause einen Wahlvorgang durchzuführen. Ich bitte daran zu denken, wenn ich jetzt mit Ihnen gemeinsam Gäste der Landeszentrale für politische Bildung und eine zweite Gruppe aus der Sekundarschule Förderstedt begrüßen kann.

(Beifall im ganzen Hause)

Für die PDS-Fraktion erteile ich jetzt der Abgeordneten Frau Dr. Paschke das Wort. Bitte, Frau Dr. Paschke.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Sind die Kommunen Sachsen-Anhalts seit Januar 2000 in der Diskussion hin zum Aufbruch zu einer zukunftsfähigen, für Jahrzehnte stabilen kommunalen Struktur? Nein, Herr Innenminister, nein, Frau Budde, wir schätzen den Stand der Diskussion, die seit Beginn des Monats Januar 2000 hier im Land läuft, anders ein. Seit Veröffentlichung des Leitbildes gleicht die kommunale Landschaft einem Ameisenhaufen. Die Kommunen sind auf der Flucht - aus Furcht vor tatsächlich oder vermeintlich Schlimmerem, nicht aus Überzeugung.

Sie, Herr Innenminister, haben im Ameisenhaufen gestochert und haben ein Leitbild vorgelegt. Das macht die PDS Ihnen nicht zum Vorwurf. Aber allein die Zeitschiene erlaubt es uns nicht mehr, das, was jetzt in den Kommunen losgetreten wurde, in vernünftige Bahnen zu lenken.

Sie haben in Ihrer Zeitschiene als Beginn der freiwilligen Phase den Monat Januar 2000 festgelegt. Der Beginn einer freiwilligen Phase vor einer gesetzlichen Einwirkung ist immer auch schon Vollzug eines Prozesses,

(Beifall bei der PDS)

und dort liegt die entscheidende Kritik, die die PDS an Ihrem Leitbild übt.

(Herr Hoffmann, Magdeburg, SPD: Wir sehen kein Problem dabei!)

- Sie sehen darin kein Problem, Herr Hoffmann; na gut. Wir können darüber ja noch im zeitweiligen Ausschuß reden.

Es ist angesichts dieser Tatsache ziemlich unerheblich, ob es so gewollt oder nicht gewollt oder bewußt einkalkuliert ist. Herr Minister, wir halten Sie tatsächlich nicht für hochmütig, aber wir halten Sie für sehr clever. Auch Sie wußten, was jetzt auf der kommunalen Ebene ablaufen würde.

Fakt ist: Es gibt keinen Kreis, keine Stadt oder Kleingemeinde, die nicht nur über die Flucht nach vorn nachdenkt, sondern sich bereits in irgendeiner Art und Weise auf der Flucht befindet. Die Fluchtwege zeichnen sich jetzt schon eindeutig ab: Weg von den Städten, raus aus den Trägergemeindemodellen.

Wer reich ist, möchte es bleiben und hält Ausschau nach viel Mitgift. Wer hoch verschuldet ist, wartet we

nigstens auf ein kleines Kopfgeld vom Land. Wer noch kreditwürdig ist, macht schnell noch für eine dorfeigene Investition Schulden. So habe ich es selbst in einer nichtöffentlichen Sitzung dieser Tage erlebt. Die Verwaltungsgemeinschaften werden in ihrem Verwaltungshandeln bedroht.

(Zuruf von Herrn Scharf, CDU)

Ist es das, was gewollt wurde? Soll das jenes Anpacken der Probleme der Zukunft sein, raumordnerisch, verwaltungsorganisatorisch bis hin zu effizienten Strukturen? Herr Innenminister, daran haben wir arge Zweifel.

Warum debattieren wir heute? Debattieren wir, weil wir die Leitbilddiskussion auch auf der parlamentarischen Ebene eröffnen wollen, weil hier politische Befindlichkeiten vorgetragen werden sollen, weil uns der Schlagabtausch zwischen Herrn Püchel und Herrn Becker jeden Monat einen solchen Genuß bereitet? - Nein, um all das geht es nicht. Weit gefehlt, meine Damen und Herren, der Anlaß ist ernster.

Nach unserem Verständnis geht es heute und in den nächsten Wochen neben der Diskussion auch und parallel dazu um das Wie einer Schadensbegrenzung. Es geht um klare inhaltliche Forderungen an die Landesregierung, es geht um arbeitsfähige Strukturen für die Arbeit des Gesetzgebers an diesem wichtigen Thema und vor allem auch um eine Botschaft in das Land, eine Phase der Besinnung einzulegen.

(Zustimmung bei der PDS - Zuruf von Herrn Hoffmann, Magdeburg, SPD)

Unsere Anträge sind auf der Grundlage dieser Einschätzung eingebracht worden. Lassen Sie mich nun auf einige Schwerpunkte unserer Anträge eingehen, zunächst auf die Drs. 3/2562.