Protokoll der Sitzung vom 09.03.2000

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Fraktion der Freiheitlichen Deutschen Volkspartei ist dankbar dafür, daß die Problematik der Umsetzung der Pflegeversicherung im Land Sachsen-Anhalt auf der Tagesordnung der heutigen Plenarsitzung steht.

Die seit 1995 greifende, unter der CDU-Regierung eingeführte Pflegeversicherung, die zuvor von den Sozialämtern nur unzureichend bewerkstelligt werden konnte, hat im wesentlichen zu einer Erweiterung der sozialen Grundversorgung geführt. Dabei spielen die häusliche Versorgung und die individuelle Krankenpflege eine wichtige Rolle.

Das oberste Ziel ist es, einen langen Aufenthalt des Pflegebedürftigen in seiner eigenen Wohnung bzw. in seinem Umfeld zu ermöglichen. Wenn möglich und wenn nötig ärztlich verordnet, erfolgt die Betreuung durch finanziell unterstützte Betreuungspersonen, zumeist aus dem eigenen familiären Umkreis. Anderenfalls erfolgt die Pflege und Versorgung über Sachleistungen, die in der Regel durch medizinisch-soziales Pflegefachpersonal realisiert werden.

Insgesamt versorgen und kümmern sich weit über 500 ambulante Pflegedienste im Land Sachsen-Anhalt um 80 % der Pflegebedürftigen. Anders ausgedrückt: Zwei Drittel der privaten Leistungserbringer entfallen auf den Bereich der häuslichen Krankenpflege, realisiert durch eine Vielzahl kleiner bis mittelständischer Betriebe, in denen fast ausschließlich Frauen beschäftigt sind. Das sind hunderte Kleinbetriebe in unserem wirtschaftlich ruinierten Land, die im Unterschied zu den großen Wohlfahrtsverbänden, die ihrer bescheinigten Gemeinnützigkeit wegen steuerbefreit sind und eine enorme investive Förderung durch die Landesregierung erfahren, brav ihre Steuern zahlen.

Paradoxerweise sind genau diese Betriebe seit August 1999 von der opulenten Investitionskostenförderung der Landesregierung ausgeschlossen; denn selbst eine von 250 000 DM auf 100 000 DM reduzierte Mindestfördergrenze für betriebsnotwendige Investitionsaufwendungen wird von den meisten der ambulanten Pflegebetriebe nicht erreicht. Ergo, sie fallen hinten runter und profitieren nicht von einer Förderung, die zu 80 % aus Bundesmitteln stammt.

Wollen die unumstritten notwendigen Pflegedienste ihre tagtägliche Arbeit jedoch weiterhin in hoher Qualität und zur vollen Zufriedenheit der Patienten ausführen, sind sie gezwungen, die entstehenden Kosten auf die Patienten umzulegen. Dem hat die Landesregierung, die das Geld seit Jahren großzügig verschleudert und nun am Stock geht, mit Hilfe des Pflegeversicherungsgesetzes Tür und Tor geöffnet.

Mit anderen Worten: Die Landesregierung der SPD und PDS ist daran schuld, daß hunderte Kleinbetriebe im Land Sachsen-Anhalt in ihrer Existenz bedroht sind, wenn sie ihre investiven Kosten nicht auf die Patienten abwälzen wollen. Es wird hierzu von uns auf einen eklatanten Mißstand bei der Umsetzung der Pflegeversicherung in Sachsen-Anhalt verwiesen, der wieder einmal die kleinen Leute trifft. Im Klartext: Der kleine Mann, der ohnehin gebeutelte Patient, soll - wie so oft wieder einmal Höppners Zeche zahlen.

Wir sind entschieden dagegen und fordern von der Landesregierung die sofortige Orientierung an der Regierung des Landes Sachsen; denn dort werden schon seit Jahren 7 % der Pflegeversicherungsleistungen über das Land als Investivkostenanteil gefördert. In Sachsen müssen die pflegebedürftigen Patienten die Investivkosten nicht aus der eigenen Tasche bezahlen. Aber dort gibt es eine sozial engagierte und Klein- und Mittelstandsbetriebe fördernde Regierung.

Für uns ist darüber hinaus vollkommen unverständlich, warum die kleinen Pflegebetriebe im Land SachsenAnhalt keine Aufwendungen für die für den Pflegebetrieb notwendigen Anschaffungen und die Instandsetzung von Gebäuden sowie für sonstige abschreibungsfähige Anlagegüter vergütet bekommen. Das sollen nach dem Willen der Landesregierung gefälligst auch die pflegebedürftigen Patienten bezahlen.

Wir können allen kleinen und mittelständischen Pflegeunternehmen, die es bisher noch nicht getan haben, weil es keine diesbezügliche Aufklärung und Information seitens der Landesregierung gab, nur empfehlen, den bürokratischen Knüppel der Landesregierung aus dem Weg zu räumen und sich in den Pflegestrukturplänen der Kommunen zu verewigen und von ihnen den den Pflegeunternehmen zustehenden Förderanteil, an dem sich das Land lediglich zu 20 % beteiligt, einzufordern.

Uns nützen keine noch so scheinheiligen Großen Anfragen der PDS-Fraktion und anderer Fraktionen, wenn sie die soziale Ungerechtigkeit der Landesregierung nicht anprangern. Uns ist natürlich klar, daß die PDS als Defacto-Koalitionspartner der SPD auf soziale Gerechtigkeit in unserem Land pfeift. Das haben wir schon bei der Volksinitiative zum KiBeG gesehen.

Meine Damen und Herren! Wir fordern die Landesregierung auf, unverzüglich die Förderung der selbständigen kleinen und mittelständischen Frauenbetriebe hinsichtlich ihrer betriebsnotwendigen Investitionsaufwendungen zu übernehmen, damit die Pflegebedürftigen nicht

Herr Weich, kommen Sie bitte zum Ende. Sie haben schon eine Minute überzogen.

alles aus der eigenen Tasche bezahlen müssen. - Ich bin gleich fertig. - Die Pflegeversicherung und der Gesetzgeber - siehe andere Bundesländer - geben das allemal her. Was die Landesregierung hier betreibt, ist nicht nur eine grobe Wettbewerbsverzerrung zugunsten der großen Wohlfahrtsverbände und zu Lasten des kleinen Mittelstandes.

Kommen Sie bitte zum Ende, Herr Weich.

Das zeigt, wie die Landesregierung mit Artikel 52 des Pflegeversicherungsgesetzes umgeht.

(Beifall bei der FDVP)

Wir fordern eine sofortige und nachhaltige Prüfung -

Ich entziehe Ihnen das Wort, Herr Weich. Sie haben bereits mehr als eine Minute überzogen.

(Beifall bei der SPD - Herr Gallert, PDS: He! - Herr Weich, FDVP: Was ist los? - Frau Stolfa, PDS: Das Wort war Ihnen entzogen! - Herr Weich, FDVP: Von Ihnen lasse ich mir nicht das Wort entziehen! - Frau Stolfa, PDS: Der Präsident hat es Ihnen entzogen! - Herr Dr. Süß, PDS: Hin- setzen!)

Ich erteile nunmehr der Abgeordneten Frau Lindemann das Wort. Bitte, Frau Lindemann.

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ganz kurz zu Ihnen, Herr Weich. Ich habe das Gefühl, Sie hatten irgendwie eine andere Große Anfrage vor sich und haben die Antworten überhaupt nicht verstanden.

(Zuruf von Herrn Weich, FDVP - Frau Wiech- mann, FDVP: Das kann jeder behaupten!)

Mit den Leistungen der Pflegeversicherung soll den Pflegebedürftigen geholfen werden, trotz ihres Hilfebedarfs ein möglichst selbständiges und selbstbestimmtes Leben zu führen. Die Hilfen sind darauf auszurichten, die körperlichen, geistigen und seelischen Kräfte der Pflegebedürftigen wiederzugewinnen oder zu erhalten.

Alle Maßnahmen der Prävention und der Rehabilitation sollen eingesetzt werden, um Pflegebedürftigkeit zu vermeiden, zu überwinden oder eine Verschlimmerung zu verhindern. Sie soll bei häuslicher und teilstationärer Pflege die familiäre, nachbarschaftliche und sonstige ehrenamtliche Pflege und Betreuung nur ergänzen und bei vollstationärer Pflege die Pflegebedürftigen von pflegebedingten Aufwendungen entlasten.

Diesen Grundsätzen wird im Ausführungsgesetz zum Pflegeversicherungsgesetz im Land Sachsen-Anhalt Rechnung getragen. Vorrang hat dabei die ambulante vor der stationären Pflege.

Bei den stationären Einrichtungen wurden in den einzelnen Landkreisen unterschiedliche Versorgungsgrade angemeldet. Bei den Kreisen, die bisher mit einem Versorgungsgrad von 2,5 Plätzen auf 100 Bürger im Alter von 65 Jahren und älter die Versorgung mit stationären Pflegeplätzen sicherstellen konnten, muß nunmehr aufgrund der demographischen Entwicklung dieser oben genannte Versorgungsgrad neu überdacht werden.

Positiv ist die Entwicklung zu werten, daß sich die Anzahl der Heime insgesamt in der Zeit von 1992 bis 1998 nur geringfügig erhöht hat. Ein Anstieg im Bereich der Altenpflegeheime ist aufgrund des großen Nachholbedarfes zu verzeichnen. Dieser ist nach meiner Meinung auch legitim. Frau Ministerin Kuppe hat schon ausgeführt, wenn man an die Zustände in den Altenpflegeheimen zu DDR-Zeiten zurückdenkt, ist es nur angemessen, daß sich dort eine Qualitätsverbesserung ergeben hat.

(Frau Wiechmann, FDVP: Das ist ja nun kein Kunststück!)

Positiv ist weiterhin zu werten, daß an der Ausweitung der ambulanten Pflege sichtbar wird, daß der Grundsatz „ambulant vor stationär“ auch in unserem Land eingehalten wird.

Entscheidend dafür, daß immer mehr ältere Bürger in den eigenen vier Wänden bleiben möchten und können, ist das Wohnungsbauprogramm des Landes. Altengerechte Wohnungen bzw. betreutes Wohnen garantieren eine Selbständigkeit bis ins hohe Alter. Die in der Beantwortung der Frage 21 dargelegten Summen für diesen Förderbereich sprechen eine eigene Sprache.

Um das Bild der Förderstruktur abzurunden, sei mir der Hinweis auf die Beantwortung der Fragen 10 und 11 erlaubt. Insgesamt wurden 206 Millionen DM Landesmittel, nach Artikel 52 des Pflegeversicherungsgesetzes insgesamt 780,3 Millionen DM bereitgestellt. Ein Dank gilt an dieser Stelle den ICG, die den Trägern von Pflegeeinrichtungen bisher schnell und unbürokratisch den Weg durch den Förderdschungel gewiesen haben und dies weiterhin tun werden.

Daß wir im Lande Sachsen-Anhalt bei einem Fachkräfteanteil von 58,04 % liegen, ist ein positives Signal. Dieser Standard sollte von allen Trägern auch in Zukunft gehalten werden.

Hinsichtlich der in der Antwort auf Frage 14 aufgeführten Einrichtungen mit einer Fachkräftequote von gerade mal 50 % sollte man überlegen, welche Möglichkeiten es gibt, um auch in diesen 21 Einrichtungen einen höheren Fachkräfteanteil zu sichern. Der Fachkräfteanteil könnte durchaus ein Kriterium bei der Ausreichung von Fördermitteln sein.

Bei der Frage 15 nach dem Einsatz von Zivildienstleistenden hätte ich mir zumindest in diesem Bereich

eine Antwort gewünscht. Interessant wäre schon zu erfahren, wie sich die Anzahl in den Jahren verändert hat. Ich gehe davon aus, daß sich der Einsatz der Zivildienstleistenden durch den veränderten Finanzierungsmodus, das heißt eine höhere Eigenbeteiligung durch die Träger, verringert hat.

Auch bei der Beantwortung der Frage 11 auf Seite 22 hätte ich mir eine konkretere Antwort gewünscht, denn in Zusammenarbeit mit der Heimaufsicht wäre bestimmt eine Beantwortung möglich gewesen. Die Formulierung in dieser Antwort, die sich auf irgendeine Form von sozialer Betreuung bezieht, hat für mich so einen negativen Touch. Wer sich damit beschäftigt, sieht auch, wie über verschiedene Maßnahmen gerade der sozial begleitende Dienst eine immer größere Bedeutung gewinnt, sei es auch über den zweiten Arbeitsmarkt. Aber es wird gerade auf diesem Gebiet sehr viel geleistet.

Die Erkenntnis, daß in den Altenpflegeheimen viel Zeit für nichtpflegerische Leistungen verlorengeht, ist für mich ebenfalls nicht befriedigend.

Ich hatte zum Beispiel bei der Anhörung im Ausschuß für Ausschuß für Arbeit, Gesundheit und Soziales auf diesen Zusammenhang hingewiesen und auch auf die Möglichkeit des Einsatzes von medizinischen Dokumentationsassistentinnen.

Es wurden zum Beispiel durch das Arbeitsamt Magdeburg ca. 20 Frauen ausgebildet, die alle händeringend einen Einsatzbetrieb suchen. Die Träger können sie aber nicht einstellen, weil die Pflegekassen der Auffassung sind, die Pflegedokumentation kann und darf nur vom Pflegepersonal geführt werden. Eventuell sollten sich die Landesregierung und die Pflegekassen an einen Tisch setzen und über die Möglichkeit der Finanzierung nachdenken.

Bei der Beantwortung der Frage 9 auf Seite 29 wird bestätigt, daß es regionale Unterschiede in bezug auf die Einstufung von pflegebedürftigen Menschen gibt. Nur die Bestätigung dieses Tatbestandes reicht mir an dieser Stelle nicht aus. Durch den medizinischen Dienst der Krankenkassen hätten durchaus die Ursachen dargelegt werden müssen.

Insgesamt kann ich die völlig negative Einschätzung der Pflegelandschaft im Land Sachsen-Anhalt, wie sie der Abgeordnete Herr Dr. Eckert dargelegt hat, nicht teilen. Es sind doch schon sehr viele positive Signale gesetzt worden. Insgesamt lassen die Antworten auf die Fragen den Schluß zu, daß wir uns im Lande Sachsen-Anhalt auf dem richtigen Weg in eine neue Pflegelandschaft befinden. - Ich danke Ihnen.

(Beifall bei der SPD)

Danke sehr. - Meine Damen und Herren! Die Fraktion der DVU-FL hat auf einen Redebeitrag verzichtet. Deshalb wird als nächste Frau Liebrecht für die CDUFraktion sprechen. Bitte, Frau Liebrecht.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren Abgeordneten! Nachdem der Bundestag sowie die Landtage von Mecklenburg-Vorpommern und Sachsen sich auf Antrag der PDS mit dem Stand der Umsetzung der Pflegeversicherung aufgrund von Großen Anfragen eingehend befaßt haben, ist nun Sachsen-Anhalt an der

Reihe. Allerdings ist festzustellen, daß die Fragestellungen variieren, je nachdem, in welcher Nähe sich die PDS zu der jeweiligen Regierung befindet.

Der erreichte Stand der Pflegeversicherung ist nicht gerade zufriedenstellend. Es erfolgt lediglich eine Bestandsanalyse ohne Vergleichswerte. Es werden rein statistische Daten abgefragt, aber auf die Problemfälle, die seit Jahren akut sind, bzw. deren Lösung wird nicht eingegangen.

(Beifall bei der CDU - Zuruf von Frau Krause, PDS)

Fakt ist, daß die Pflegeversicherung nunmehr seit über vier Jahren in Kraft ist und sich vielfach bewährt hat. Sie hat dadurch auch Akzeptanz bei der Bevölkerung gefunden.

Die kritische Einschätzung zur Umsetzung der Pflegeversicherung, die in der Begründung zu der Großen Anfrage von seiten der PDS angemerkt wird, kann so nicht geteilt werden; denn die ursprünglich verfolgten politischen Ziele, wie zum Beispiel erhebliche Einsparungen bei den Sozialhilfeausgaben sowie eine erheb-liche Verringerung der Zahl der Sozialhilfeempfänger, sind durch die Leistungen der Pflegeversicherung erreicht worden.

(Beifall bei der CDU)