Protokoll der Sitzung vom 10.03.2000

Sie können doch nicht einerseits fordern, die Polizeibeamten sollen für bestimmte Vorkommnisse bei Einsätzen sensibilisiert und geschult werden, und sie andererseits dort ins Feuer schicken, ohne daß sie entsprechend sicherheitsmäßig ausgerüstet sind.

Sie sehen an diesen nur wenigen Dingen, daß Ihr Antrag bei weitem nicht weit genug geht. Wir werden deswegen Ihren Antrag ablehnen. Überarbeiten Sie ihn einfach, fügen Sie die Dinge ein, die man insgesamt dabei bedenken muß, und dann können wir an dieser Stelle gern noch einmal darüber sprechen. Danke.

(Beifall bei der FDVP)

Frau Liebrecht hat für die CDU-Fraktion das Wort.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren Abgeordneten! Das Thema Gewalt ist in Sachsen-Anhalt schon von Anbeginn von der CDU-Fraktion aufgegriffen worden. Gewalt gegen Frauen und Kinder in der Familie ist in ihren immensen Ausmaßen und in ihrer Komplexität in den letzten zehn Jahren mehr in das Bewußtsein der Öffentlichkeit gerückt.

Gewalt gegen Frauen und Kinder sowie in Ehe und Partnerschaft, also häusliche Gewalt, hat verschiedene Erscheinungsformen. Häusliche Gewalt bezieht sich nicht nur auf die Auseinandersetzung zwischen männlichen und weiblichen Erwachsenen in den Familien; sie bezieht sich auch auf die Auseinandersetzung zwischen Vätern, Stiefvätern, Großvätern und ihren Kindern oder auf die Auseinandersetzung zwischen Söhnen und Müttern.

Wir wissen alle, daß sich die Fälle von Gewalt in der Familie nur schwer erfassen lassen und die Dunkelziffer hoch ist. Ebenso ist nachgewiesen, daß sich die Gewalt von Männern seit Mitte der 80er Jahre fast verdoppelt hat. Damit ist die Gewalt eindeutig männerdominiert; denn knapp jeder 50. junge Mann ist heute aktenkundig bei der Polizei und wird als Täter verdächtigt, aber nur jede 1000. Frau. Bei Jugendlichen beider Geschlechter steigt die Gewaltbereitschaft, wenn auch bei Frauen ungleich weniger. Die Dominanz der Männergewalt zeigt, daß wir bei den Debatten über Gewalt in Zukunft den Geschlechteraspekt viel mehr berücksichtigen müssen als bisher.

(Zustimmung von Frau Bull, PDS, und von Frau Ferchland, PDS)

Als Konfliktursachen kommen zahlreiche Faktoren in Betracht, die einen gesellschaftlichen und kulturellen Hintergrund haben können. Aufgrund dessen müssen Hilfsmaßnahmen für Opfer und Täter diskutiert werden.

Neben dem Opferschutz muß das Ziel von Maßnahmen die Beseitigung der Ursache, das heißt der Abbau und die Verhinderung von gewalttätigen Übergriffen sein. Es ist auch ein klares Signal an den Täter nötig, das ihm zeigt, daß der Schutz der Familie vor Gewalt als öffentliche Aufgabe betrachtet wird und daß der Staat auch zur Intervention bereit ist.

Es ist uns bewußt, daß ein intaktes familiäres Umfeld der beste Schutz vor Jugendkriminalität ist. Die Konfrontation mit Gewalt zur Durchsetzung von Interessen im häuslichen Bereich führt fast immer dazu, daß Kinder und Jugendliche ihrerseits versucht sind, im späteren Leben bei Konflikten Gewalt anzuwenden. Dieser Kreis muß durchbrochen werden.

Deshalb hat die CDU-Fraktion bereits in der letzten Wahlperiode das Projekt „Hilfe statt Strafe“ initiiert, genauer gesagt den Antrag gestellt, ein Projekt „Hilfe gegen häusliche Gewalt - eine öffentliche Aufgabe“ entsprechend dem Passauer Modell zu schaffen. Dieses beinhaltet, daß zusammen mit der Staatsanwaltschaft geeignete Maßnahmen gefunden werden bzw. eine Beratungsauflage zu erteilen ist. Dies ist bereits Bestandteil eines Modellprojekts.

Die Bestrafung der Täter ist gesamtgesellschaftlich ein Signal, aber nicht immer hilfreich für betroffene Frauen. Eine Freiheitsstrafe wird ohnehin nur in schwerwiegenden Fällen verhängt. Meist wird eine Geldstrafe ausgesprochen, die den Familienetat belastet. Der Mann

wird deshalb nicht aufhören, seine Frau zu schlagen; und sie ist dennoch nicht unbedingt bereit, ihn zu verlassen. In minderschweren Fällen wurde das Verfahren stets eingestellt.

Bei all dem ist natürlich die Fortbildung der Polizei wichtig. Straftaten in der Familie werden häufig als Familienstreitigkeiten behandelt. Deshalb muß es in der Fortbildung darum gehen, umfassend über das Thema „häusliche Gewalt“ zu informieren. Dienstanweisungen und Verwaltungsrichtlinien sind so zu entwickeln, daß Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Polizei für praktische Einsätze bessere Handlungsstrategien haben.

Ferner gilt es, eine gute Kooperation mit der Staatsanwaltschaft zu entwickeln; denn die Verfahren im Zusammenhang mit Gewalt in der Familie müssen zügig behandelt werden. Den Opfern muß bewußt sein, daß Sanktionen gegen den Täter erfolgt sind. In diesem Zusammenhang möchte ich nicht vergessen zu erwähnen, daß das unter Tagesordnungspunkt 33 zu diskutierende Projekt „Gegen Angst in belastenden Lebenslagen“ ein gutes Beispiel dafür ist, das gerade die häusliche Gewalt in besonderer Weise dokumentiert.

Mit dem Ihnen vorliegenden Änderungsantrag möchten wir erreichen, daß die bestehenden Projekte und Initiativen in Sachsen-Anhalt bei der Berichterstattung in den Ausschüssen für Gleichstellung, Kinder, Jugend und Sport, für Inneres sowie für Recht und Verfassung berücksichtigt und angehört werden. Deshalb bitte ich Sie um Zustimmung zu unserem Änderungsantrag. Gegen die von Frau Schmidt vorgeschlagene Erweiterung haben wir natürlich nichts einzuwenden. - Vielen Dank.

(Zustimmung bei der CDU, bei der SPD und bei der PDS)

Die DVU-FL-Fraktion hat keinen Redebeitrag angemeldet. Für die PDS-Fraktion hat die Abgeordnete Frau Ferchland das Wort.

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Gewalt gegen Frauen ist ein klassisches innenpolitisches Thema. Ich muß ehrlich sagen, daß ich etwas verwundert darüber bin, daß der Innenminister nicht anwesend ist und daß er zu diesem Thema nicht gesprochen hat. Das hätte ich mir gewünscht.

(Zustimmung bei der PDS)

Ich würde mir auch wünschen, daß mehr Männer zu diesem Thema sprechen; denn wenn Männer Männer in die Schranken weisen, hört vielleicht endlich die Gewalt gegen Frauen auf.

(Zustimmung von Frau Bull, PDS)

Ich erwarte also einfach ein bißchen mehr Solidarität, meine Herren.

Die Polizei ist meist die erste Institution, die zur Intervention bei häuslicher Gewalt eingeschaltet wird.

(Unruhe)

- Sie können nachher darüber reden, meine Herren. An der Reaktion von Polizeibeamtinnen und -beamten messen mißhandelte Frauen und männliche Gewalttäter, wie sich Gesetzesvertreter ihnen und der Straftat gegenüber verhalten.

Die polizeiliche Intervention schafft die Grundlage für eine mögliche Strafverfolgung und für ein zivilrecht-liches Verfahren, da sich Staatsanwaltschaften und Gerichte auf polizeiliche Ermittlungsakten stützen. Polizeiliches Verhalten kann die Aussagebereitschaft der Frauen entscheidend unterstützen und zur Gewinnung und Sicherung von Beweisen beitragen. Damit ist die gründliche Arbeit der Polizei eine wichtige Voraussetzung für den Erfolg in weiteren Interventionsbereichen.

Darüber hinaus hat die polizeiliche Intervention nach den Erfahrungen aus anderen Staaten, zum Beispiel aus den USA oder Österreich, auch einen vorbeugenden und einen gewaltabbauenden Effekt. Gerade bei Männern, die noch nie mit dem Gesetz in Konflikt geraten sind, ist eine Ingewahrsamnahme durch die Polizei oft eine Abschreckung. Ein Nichteingreifen von Beamtinnen und Beamten ist jedoch für den Täter eine Ermutigung und eine Bestätigung dafür, daß er tun und lassen kann, was er will. Die Frauen werden dadurch entmutigt und in ihren Ohnmachtsgefühlen bestärkt. Dadurch steigt die Gefahr erneuter Gewalt.

Zur Zeit ist das Ob und Wie der polizeilichen Intervention stark von einzelnen Mitarbeitern der Polizeibehörde abhängig. Eine Handlungsrichtlinie fehlt. Bei der für den Einsatzauftrag bei häuslicher Gewalt häufig verwendeten Formulierung „Familienstreitigkeiten“ kommt eben nicht zum Ausdruck, daß es sich hierbei um eine Straftat handelt. So besteht die Gefahr, daß die Tat und der Täter unterschätzt werden, aber vor allem, daß die Opfer und auch die Einsatzpersonen sich in großer Gefahr befinden.

(Zuruf von Frau Wiechmann, FDVP)

Meine sehr verehrten Damen und Herren! Für die Klärung des Sachverhalts ist das Betreten der Wohnung durch die Beamten Bedingung. Entsprechende Grundlagen dafür gibt es im Polizeigesetz; dennoch werden sie in diesem Land nicht ausdrücklich genutzt. Die Opfer und Täter werden nicht selbstverständlich in verschiedenen Räumen der Wohnung getrennt befragt, sondern oftmals im Eingangsbereich der Wohnung. Eine getrennte Befragung ist jedoch Voraussetzung dafür, daß eine mißhandelte Frau eine umfassende Aussage machen kann. Notwendige Maßnahmen zur Sicherung von Beweisen, wie die Dokumentation eventueller Verletzungen bei Frauen und Kindern oder des Zustands der Wohnung, werden oftmals nicht durchgeführt.

Dies alles erzählen Frauen, die in dieser Situation gewesen sind. Ich kann allen weiblichen Abgeordneten nur raten, ein Frauenhaus in ihrem Wahlkreis zu besuchen und dort mit Frauen zu sprechen.

Eine genaue Protokollierung der Vorgänge wird ebenfalls sehr unzureichend vorgenommen. Diese wiederum ist eine Grundlage sowohl im Strafverfahren für die Anklageerhebung als auch im Zivilverfahren, wenn es um die Entscheidung über eine Schutzanordnung für die Opfer geht.

(Frau Stange, CDU: Herr Püchel, können Sie das bestätigen?)

Präventivmaßnahmen ergreift die Polizei nur selten, obwohl für eine Ingewahrsamnahme des Täters eine Rechtsgrundlage existiert, deren Voraussetzungen häufig erfüllt sind, da bei häuslicher Gewalt regelmäßig die Fortsetzung von Gewalttaten droht.

Meine Damen und Herren! Um das tatsächliche Ausmaß der Gewalt erkennen und die Gewalt eindämmen zu können, fehlt eine detaillierte statistische Erfassung von Fällen häuslicher Gewalt. Diese existiert, wie eine Kleine Anfrage ergab, im Land immer noch nicht, obwohl die Innenministerkonferenz im Juni 1997 eine Änderung der Kriminalstatistik beschloß.

In den polizeilichen Aus- und Fortbildungen ist das Thema Männergewalt gegen Frauen zwar in einzelnen Fachbereichen Unterrichtsgegenstand, eine intensive und zusammenhängende Beschäftigung mit den Ursachen und Folgen, mit der Dynamik und der angemessenen Intervention darauf steht jedoch immer noch aus.

Als Schlußfolgerung aus den aufgezählten Problempunkten ist es notwendig, Richtlinien und Handlungsanweisungen zu erarbeiten sowie eine umfassende Sensibilisierung der Polizeibeamtinnen und -beamten zu erreichen. Ein Handlungskonzept der Polizei würde sehr gut in den Landesaktionsplan, den wir im Januar beschlossen haben, passen.

Ich möchte ganz schnell noch etwas zu ein paar Mythen sagen, die hier immer wieder aufgebaut werden, und diese Legenden zerstören. So heißt es, Gewalt würde immer nur dort stattfinden, wo schwierige soziale Problemlagen bestehen. Wir haben im letzten Jahr im Sommer schon einmal erklärt, daß Gewalt in allen sozialen Schichten vorkommt. Frau Wiechmann, sonst müßten Frauen in der Mehrzahl der Fälle die Täter sein;

(Frau Wiechmann, FDVP: Das ist ja sehr merk- würdig, Frau Ferchland! Sehr merkwürdig!)

denn sie sind es, die am meisten unter der sozialen Lage zu leiden haben. - Danke schön.

(Beifall bei der PDS)

Frau Ferchland, würden Sie noch eine Frage des Kollegen Rothe beantworten? - Bitte.

Frau Kollegin Ferchland, Sie haben darauf hingewiesen, daß die Ingewahrsamnahme des Täters als Präventivmaßnahme selten angewandt wird. Es stellt ja auch einen recht tiefen Eingriff dar, wenn der Betroffene seiner Freiheit beraubt wird. Ich frage Sie, ob Sie es für sinnvoll halten, daß wir darüber nachdenken, für die Wegweisung des Verantwortlichen aus der Wohnung eine polizeirechtliche Grundlage zu schaffen,

(Zustimmung von Herrn Schomburg, CDU)

da andere Hilfsmittel entweder, wie es bei der Ingewahrsamnahme der Fall ist, einen sehr weitgehenden Eingriff darstellen, der häufig nicht zur Anwendung kommen kann, oder, wenn es sich um zivilrechtliche oder strafprozessuale Maßnahmen handelt, zu spät wirksam werden.

(Zustimmung von Herrn Schomburg, CDU)

Wir sollten vor allen Dingen im Ausschuß für Recht und Verfassung und im Ausschuß für Inneres darüber diskutieren. Nicht nur die Ingewahrsamnahme oder die Wegweisung aus der Wohnung ist ein Problem, sondern auch das Herausgehen aus der Wohnung der Frau. Das wird meistens vergessen. Ich stehe für eine

Diskussion in beiden Ausschüssen gern zur Verfügung. - Danke.

(Herr Rothe, SPD: Danke schön!)