Protokoll der Sitzung vom 10.03.2000

Besonders kritisch ist aus meiner Sicht allerdings, daß häusliche Gewalt von der Umgebung noch viel zu oft

ignoriert, manchmal entschuldigt oder sogar toleriert wird.

(Zustimmung von Frau Lindemann, SPD, und bei der PDS)

Der Bundesaktionsplan zur Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen war schon im Januar in unserem Landtag ein Thema. Damals habe ich wesentliche Projekte und Initiativen in der Antigewaltarbeit in Sachsen-Anhalt dargestellt, die die Grundlage für einen langfristigen Präventionsplan, für einen Landesaktionsplan darstellen können. Ich will die Einzelheiten nicht wiederholen.

Ein zentrales Element wird die Effektivierung der staatlichen Intervention bei häuslicher Gewalt sein müssen. Hierbei ist an erster Stelle die Polizei gefragt. In der Regel ist es die Polizei, die die erste staatliche Instanz ist, mit der ein Täter konfrontiert wird.

Es muß unmißverständlich deutlich gemacht werden, daß der Staat diese Gewaltausübung nicht als Privatsache abtut, sondern häusliche Gewalt als das behandelt, was sie ist, nämlich eine Straftat.

(Zustimmung bei der SPD, bei der PDS und von Minister Herrn Dr. Püchel)

Das Innenministerium hat in der Aus- und Fortbildung der Polizeibeamtinnen und -beamten bereits auf diese Problematik reagiert. Weil polizeiliches Einschreiten bei Ereignissen im sozialen Nahraum zu den Standardmaßnahmen der Polizei gehört, wurde die Aus- und Fortbildungskonzeption für die Landespolizei darauf ausgerichtet.

In der Ausbildung für den gehobenen und mittleren Dienst wird die Thematik in den verschiedenen Rechtsfächern, aber auch in den Fächern Psychologie und Kriminalistik behandelt.

Im Bereich der zentralen Fortbildung werden an der Fachhochschule der Polizei Sachsen-Anhalts Seminare angeboten, die sich mit der Thematik „häusliche Gewalt“ befassen.

In der dezentralen Fortbildung in den Polizeibehörden werden Einsatztrainings durchgeführt, die die Handlungskompetenz der Polizeibeamtinnen und -beamten bei Einsätzen weiterentwickeln und festigen soll.

Derzeit wird geprüft, ob und, wenn ja, in welchem Umfang die Beratungsstelle „Pro Mann“ in dieses Fortbildungskonzept einbezogen werden kann. Die Erfahrungen der Mitarbeiter dieser Beratungsstelle sind auch für die Aufgabenerfüllung der Polizei relevant. Es könnten so Anregungen zur besseren Situationsbewertung gewonnen werden.

Bei der Vorlage des Wegweisungsgesetzes aus dem Bundesjustizministerium wird zu prüfen sein, welche Handlungsoptionen sich für das Land und damit für die Polizei ergeben.

Ein weiteres zentrales Element und ebenso wichtig für ein wirkungsvolles Konzept ist aus meiner Sicht die ressortübergreifende Zusammenarbeit der Ministerien. Dafür bietet sich der Landespräventionsrat an, weil hierin alle Verantwortlichen der Landesregierung vertreten sind.

Im Rahmen dieses Gremiums wurde bereits eine Arbeitsgruppe „Gewalt im sozialen Nahraum“ eingerichtet, die den Landespräventionstag vorbereitet, der voraussichtlich im dritten Quartal 2000 stattfinden soll. Ein

Forum auf diesem Präventionstag soll sich mit dem Thema „häusliche Gewalt“ befassen.

Für eine wirkungsvolle Bekämpfung der häuslichen Gewalt bedarf es aber nicht nur der Kooperation zwischen den zuständigen Ministerien und den ihnen nachgeordneten Bereichen; vielmehr bedarf es auch einer Kooperation beispielsweise mit den kommunalen Jugendämtern, mit den Frauenhäusern, mit Beratungseinrichtungen, mit Initiativen und Projekten, also einer Kooperation zwischen staatlichen und nichtstaatlichen Stellen.

Ich wollte deutlich machen - ich hoffe, es ist mir gelungen -, daß das Thema „häusliche Gewalt“ nicht allein und nicht ausschließlich ein Thema im Frauenministerium sein darf.

(Zustimmung bei der SPD und bei der PDS)

Die konkrete Ausgestaltung und die Umsetzung unseres Landesprogramms zur Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen sehe ich als einen Prozeß an, an dem viele mitwirken können und müssen, angefangen bei der Landesverwaltung bis hinunter auf die Ebene vor Ort, bis hin zu einzelnen Bürgerinnen und Bürgern, die Verantwortung in ihrer Nachbarschaft übernehmen müssen.

(Beifall bei der SPD und bei der PDS)

Danke, Frau Ministerin. - Für die SPD-Fraktion spricht jetzt die Abgeordnete Frau Schmidt.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Bereits in der Landtagssitzung am 20. Januar 2000 haben wir über einen Landesaktionsplan zur Bekämpfung der Gewalt gegen Frauen debattiert. Bereits dort wurde erklärt, daß körperliche Gewalt in mindestens 90 % aller Fälle von Männern ausgeübt wird. Der größte Teil aller Gewalttaten gegen Frauen und Kinder findet im sozialen Nahraum statt. Jedoch ist das Thema - anders als es die Zwischenrufe nahelegen - immer noch weitgehend tabu.

Häusliche Gewalt ist keine Privatsache und keine Familienangelegenheit.

(Zustimmung von Frau Lindemann, SPD, und von Frau Ferchland, PDS)

Die Öffentlichkeit, die Justiz und die Polizei müssen sensibilisiert werden. Täter häuslicher Gewalt müssen verfolgt werden und sollen mit staatlichen Sanktionen zu rechnen haben. Bereits 1997 wurde innerhalb der Frauenministerkonferenz gefordert, daß in allen Fällen häuslicher Gewalt das besondere öffentliche Interesse an einer Strafverfolgung grundsätzlich zu bejahen ist.

Erfahrungen aus dem Berliner Interventionsprogramm gegen häusliche Gewalt zeigen, daß die Verurteilungsrate bei Tätern häuslicher Gewalt äußerst gering ist. Es gibt aber nicht nur körperliche Gewalt, sondern auch seelische Gewalt innerhalb des sozialen Nahraums. Dieser Bereich ist noch schwieriger zu greifen und für Außenstehende manchmal überhaupt nicht nachzuvollziehen.

Wir haben in Sachsen-Anhalt flächendeckend 27 Frauenhäuser und geschützte Wohnungen. Das sind ca. 200 Plätze für Frauen und ca. 330 Plätze für Kinder.

Durchschnittlich 1 100 Frauen suchen pro Jahr Zuflucht in diesen Frauenhäusern. Bestandteil der Frauenhausarbeit ist die Beratungstätigkeit für Frauen. Aber leider müssen immer noch die Opfer die Wohnung verlassen, und die Täter werden nicht aus der Wohnung entfernt.

Wir haben in Magdeburg inzwischen aber auch eine Beratungsstelle für gewaltbereite Männer, die Beratungsstelle „Pro Mann“. Das ist gut und wichtig, eine Chance, die Gewaltbereitschaft einzudämmen.

Die Bundesregierung hat einen Aktionsplan zur Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen aufgelegt. Ein Punkt davon ist die Prävention. Diese muß bereits in der Schule ansetzen, um den Kreislauf der Gewalt über Generationen hinweg zu durchbrechen; denn Gewalt wird auch in der Familie gelernt.

Das Aktionsprogramm fordert die Vernetzung von Polizei, Justiz, Jugendamt, Beratungsstellen und Frauenhäusern; die Ministerin hat eben darauf hingewiesen. Daß diese Vernetzung äußerst notwendig ist, möchte ich Ihnen an einem Beispiel erläutern.

Trotz der heute schon genannten zentralen Weiterbildung gibt es nämlich viele Defizite. Aufgrund einer Abendveranstaltung mit der Polizei während der Aktionswoche in Merseburg zum Thema Gewalt wurde die Leiterin des Frauenhauses in das Polizeirevier Merseburg zu einer Schulungs- und Informationsreihe eingeladen. Es wurden große Mißverständnisse, auch Unkenntnis über Sinn und Zweck der Frauenhausarbeit deutlich. Für einen Teil der Polizisten war es zum Beispiel nicht nachvollziehbar, warum Frauen oft mehrmals wieder nach Hause zurückkehren, die Polizei wieder gerufen wird und die Frauen dann wieder in die Frauenhäuser gehen. Die Sensibilisierung für dieses Thema ist also äußerst dringend geboten.

Nun liegt zu dem Antrag der PDS ein Änderungsantrag der CDU vor. Wir werden diesem Änderungsantrag zustimmen. Ich bringe mündlich noch eine Erweiterung dazu ein. Ich möchte den Kreis der Ausschüsse, in denen eine Berichterstattung erfolgen soll, nämlich im Gleichstellungsausschuß und im Innenausschuß, um den Ausschuß für Recht und Verfassung erweitern, weil viele der Punkte, die hier genannt worden sind, auch in den Bereich der Justiz fallen.

Ich bitte um Zustimmung zu diesem Antrag.

(Beifall bei der SPD und bei der PDS - Zustim- mung von der Regierungsbank)

Für die FDVP-Fraktion spricht jetzt die Abgeordnete Frau Wiechmann.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wir haben eben Ihre Beiträge gehört, wir haben auch Ihre Einbringung zu diesem Antrag gehört, Herr Gärtner. Ich habe dabei festgestellt - deswegen melde ich mich zu Wort, obwohl ich das eigentlich gar nicht wollte -,

(Zuruf: Hätten Sie es gelassen!)

daß Sie in der Vergangenheit immer Prävention statt Strafe gefordert haben. Ihre heutige Rede habe ich ganz anders in Erinnerung.

(Frau Bull, PDS: Sie hat nicht richtig hingehört!)

Heute fordern Sie Strafe, und das Wort „Prävention“ habe ich in Ihrem Beitrag überhaupt nicht vernommen.

Wir wissen, daß häusliche Gewalt ein Problem ist, und ich bin dafür, daß man dagegen auch mit allen rechtlichen Mitteln vorgeht. Aber häusliche Gewalt - das habe ich in Ihrem Beitrag auch vermißt - ist ein komplexes Problem.

(Frau Ferchland, PDS: Das hat er aber doch ge- sagt!)

- Ich habe es nicht vernommen.

Wodurch entsteht denn häusliche Gewalt? Ein unseres Erachtens dabei ganz wichtiger Punkt ist die soziale Situation der Familien, das soziale Umfeld der Fami-lien. Jetzt schauen wir doch einfach einmal nach SachsenAnhalt, und da sind wir wieder beim Hauptthema und beim Hauptproblem Sachsen-Anhalts, nämlich der schlechten wirtschaftlichen Lage und der riesig hohen Arbeitslosigkeit im Land. In ausweglosen Situationen, zum Beispiel in finanzieller Ausweglosigkeit, hervorgerufen auch durch Arbeitslosigkeit, kann es zu solchen Reaktionen und zu häuslicher Gewalt kommen.

Hier sind gezielt Taten gefragt. Damit bin ich natürlich bei Strafe, aber auch bei Prävention. An dieser Stelle ist die Landesregierung gefragt, um genau diese soziale Situation der Menschen in Sachsen-Anhalt zu verbessern, um diesen Problemen insgesamt entgegentreten zu können. Sie sehen daran, daß ausgewogen gehandelt werden muß.

Eines vermisse ich ganz besonders in Ihrem Antrag. Sie haben geschrieben, Polizeibeamte sollen sensibilisiert und geschult werden. Darin stimme ich Ihnen zu, aber ein weiteres vermisse ich, denn Sie haben ja vorhin gesagt, in Österreich werden die meisten Polizeibeamten bei Einsätzen anläßlich häuslicher Gewalt verletzt oder sogar getötet.

Wenn ich Ihren Antrag lese, dann finde ich zur Sicherheit der Beamten überhaupt nichts. Um so weniger verstehe ich dann natürlich, daß Sie - selbst wenn Sie daran gedacht hätten und es nur nicht aufgeschrieben haben - unseren Antrag auf eine verstärkte Sicherheit der Beamten zum Beispiel dadurch, daß sie mit entsprechenden körperangepaßten Schutzwesten ausgerüstet werden, ablehnen.

(Zustimmung von Herrn Wolf, FDVP - Frau Bull, PDS: Nein! - Zurufe von Herrn Gärtner, PDS, und von Frau Krause, PDS)

Sie können doch nicht einerseits fordern, die Polizeibeamten sollen für bestimmte Vorkommnisse bei Einsätzen sensibilisiert und geschult werden, und sie andererseits dort ins Feuer schicken, ohne daß sie entsprechend sicherheitsmäßig ausgerüstet sind.