Protokoll der Sitzung vom 10.03.2000

Beratung

Fortführung des Sofortprogramms zum Abbau der Jugendarbeitslosigkeit - Ausbildung, Qualifizierung und Beschäftigung Jugendlicher in Sachsen-Anhalt (JUMP II)

Antrag der Fraktion der PDS - Drs. 3/2674

Änderungsantrag der Fraktion der SPD - Drs. 3/2810 neu

Der Antrag der PDS-Fraktion wird durch die Abgeordnete Frau Ferchland eingebracht. Bitte schön.

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Jump ist wieder da. Wir reden heute aber nicht über den Radiosender, sondern über das Sofortprogramm der Bundesregierung, welches die Jugendarbeitslosigkeit nachhaltig senken soll. „Jump“ heißt eigentlich „Jugend mit Perspektive“ und wurde von der

Bundesregierung wieder neu aufgelegt, nur diesmal etwas leiser vermarktet.

Daß die PDS diesem wie auch anderen Sonderprogrammen in der beruflichen Erstausbildung kritisch gegenübersteht, haben wir des öfteren feststellen müssen, erstens weil das duale System damit aufgelöst wird und sich zweitens die Wirtschaft immer mehr aus der Verantwortung zieht, aber auch - drittens - weil die Akzeptanz dieser Sonderprogramme sehr gering ist. Das ergab eine im letzten Jahr von der PDS-Fraktion durchgeführte Anhörung von Trägern, die an diesem Programm beteiligt sind.

Aber auch in der Beantwortung der Großen Anfrage der PDS-Fraktion stellte die Landesregierung fest, daß bei den Jugendlichen in diesen Programmen Resignation und ein großer Motivationsverlust vorherrschen. Der Antwort der Landesregierung zufolge brechen 32,9 % aller Jugendlichen die Ausbildung in einem Sonderprogramm ab.

Das ist eine alarmierende Zahl, wie ich finde, die leicht über dem Bundesdurchschnitt liegt. Sie ist alarmierend, weil ein Kreislauf entsteht. Die Jugendlichen tauchen in anderen Sonderprogrammen wieder auf, zum Beispiel in Jump.

Sie werden sich fragen, warum. Das ist schnell beantwortet. Die Jugendlichen haben keine andere Chance, eine Ausbildung zu bekommen. Schließlich können sie eine Ausbildung für denselben Beruf erhalten, die sie schon einmal begonnen haben. Das ist für sie allemal lukrativ; denn in den Programmen im Rahmen von Jump erhalten sie eine Ausbildungsvergütung, die im landeseigenen Programm „Kooperation Schule/Wirt-schaft“ nicht geboten werden kann. Mitunter tauchen Jugendliche ganz ab und sind auch für die aufsuchende Sozialarbeit nur schwer zu erreichen.

Im Hinblick auf die Zahl der Abbrecher kann ich Herrn Minister Harms, der jetzt leider nicht anwesend ist, nur bitten, eine Entscheidung darüber zu treffen, ob das Programm „Kooperation Schule/Wirtschaft“ im Jahre 2001 weitergeführt werden soll.

Ich habe gehört, daß es Überlegungen gibt, dieses Programm zu qualifizieren. Das ist erst einmal ein guter Gedanke, aber es ist wohl noch offen, wie es qualifiziert werden soll. Ich kann die Landesregierung nur davor warnen, in dieser Konstellation in IT-Berufen auszubilden. Das ist nicht machbar. Ferner würde aus dem Sonderprogramm bei einer Verstetigung ein Dauerprogramm. Damit nehmen wir die Wirtschaft wieder aus der Verantwortung. Das sollten wir auf keinen Fall zulassen.

Sollte es dennoch zu einer Entscheidung kommen, das landeseigene Programm „Kooperation Schule/Wirtschaft“ weiterzuführen, muß den Jugendlichen, die in diesem Programm ausgebildet werden, eine Ausbildungsvergütung von mindestens 400 DM gezahlt werden. Diese Ungerechtigkeit ist nicht länger hinzunehmen und zu vertreten.

Ich komme aber zu Jump II zurück. Es ist ähnlich angelegt wie das erste Programm. Es gibt die berufliche Erstausbildung. Man kann den Hauptschulabschluß nachholen. Es gibt Qualifizierungs-ABM und Streetworking. Ferner sind Lohnkostenzuschüsse wie im letzten Jahr möglich.

Der Osten wird aufgrund seiner wirtschaftlichen Situation sogar etwas hervorgehoben. In den Richtlinien wur

de eine Klausel eingefügt, daß nur dort Maßnahmen bewilligt werden, wo die Zahl der Bewerber um mehr als 15 % über der Zahl der offenen Stellen liegt. Dieses Programm ist also nach der Richtlinie für SachsenAnhalt - leider - greifbar.

Es sind wieder 2 Milliarden DM in den Bundeshaushalt eingestellt worden. Dennoch gibt es im Hinblick auf das erste Programm Unterschiede. Der erste Unterschied besteht darin, daß im Jahre 1999 die 2 Milliarden DM in vollem Umfang ausgegeben werden konnten. Für das Jahr 2000 sind aufgrund der Bindung durch Maßnahmen des letzten Jahres bundesweit bereits 1,2 Milliarden DM gebunden. Dadurch stehen nur noch 800 Millionen DM zur Verfügung, und der Anteil der Neueintritte ist wesentlich geringer.

Der zweite Unterschied besteht darin, daß es keine Trainingsmaßnahmen gibt, also keine dreimonatigen Tiplehrgänge stattfinden können. Der Grund dafür ist schnell erklärt. Am 2. Dezember 1999 wurde dieses Programm im Kabinett beschlossen. Am 1. Februar 2000 trat es bereits in Kraft. Es gab keine Möglichkeit, die Tiplehrgänge anlaufen zu lassen.

Es gab im letzten Jahr aber auch erhebliche Kritik an den Trainingslehrgängen. Diese Kritik muß so heftig gewesen sein, daß das Bundesministerium gar nicht erst daran gedacht hat, sie erneut einzuführen. Das zeigt uns auch, daß dieses Programm ebenso wie im letzten Jahr wieder hastig und übereilt eingebracht wurde.

Der dritte und entscheidende Unterschied ist, daß der Schwerpunkt meines Erachtens auf der Bewilligung von Lohnkostenzuschüssen liegt, die nun das ganze Jahr über bewilligt werden sollen. Auch wenn es dazu bereits andere Programme gibt, begrüßen wir diesen Schritt ausdrücklich, und zwar erstens deshalb, weil aufgrund der ganzjährigen Bewilligung die Arbeitsämter mehr Zeit haben, Arbeitgeber anzusprechen, und zweitens deshalb, weil Jugendlichen bzw. jungen Arbeitslosen so die Möglichkeit des Einstiegs in das Berufsleben erhalten wird. Dennoch bleibt abzuwarten, ob aufgrund der finanziellen Enge wirklich das ganze Jahr über Maßnahmen bewilligt werden können.

Es gab im letzten Jahr sehr viel Kritik an diesem Programm, und wenn wir über das neue Programm reden, sollte man das nicht vergessen. Es gab Kritik am hastigen und übereilten Maßnahmenbeginn, an der finanziellen Ausstattung gerade in der beruflichen Erstausbildung, an der Unterschiedlichkeit der Ausbildungsvergütung mit Blick auf die vielen landeseigenen Programme, am zu sehr eingeengten Spektrum der Berufe, in denen ausgebildet wurde, an der Verdrängung von benachteiligten Jugendlichen gerade aus diesem Programm und an der geschlechterspezifischen Zuordnung der Berufe.

Leider müssen wir feststellen, daß diese Kritikpunkte bis heute nicht beseitigt werden konnten. Alle sechs Punkte treffen auch auf das neue Programm zu. Das Jahr wird zeigen, inwieweit der Kritik an diesem Programm, welche nicht nur von der PDS, sondern vor allen Dingen von Praktikerinnen und Praktikern geäußert wurde, Rechnung getragen werden konnte.

Wir haben nun die Aufgabe, uns in den Ausschüssen über Jump II zu informieren, nachzufragen, vor Ort mit Trägern und Jugendlichen ins Gespräch zu kommen und als Abgeordnete dieses Programm zu begleiten. Der PDS geht es sicherlich auch um Quantität, aber vor

allen Dingen um Qualität in der beruflichen Erstausbildung.

(Zustimmung von Frau Bull, PDS, und von Frau Stolfa, PDS)

- Danke schön. - Diese gilt es zu hinterfragen. Ich bitte deshalb, in den Ausschüssen zu berichten, zu diskutieren und unserem Antrag zuzustimmen. - Danke schön.

(Beifall bei der PDS)

Vielen Dank, Frau Ferchland. - Vor der vereinbarten Debatte der Fraktionen hat Frau Ministerin Dr. Kuppe um das Wort gebeten. Bitte, Frau Minister.

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Herren und Damen Abgeordneten! Jungen Menschen in Sachsen-Anhalt eine berufliche Perspektive zu geben ist eines unserer wichtigsten Politikziele. Dazu haben wir schon eine ganze Menge auf den Weg gebracht. Wir unterstützen die Wirtschaft in beiden Teilbereichen, auf der einen Seite bei der Erstausbildung, auf der anderen Seite auch wenn es darum geht, jungen Menschen nach der Ausbildung eine Beschäftigung, möglichst im ersten Arbeitsmarkt, zu bieten.

Wir wissen, daß alle diese Anstrengungen den Mangel an Ausbildungsplätzen und den Mangel an Arbeitsplätzen bis jetzt noch nicht haben beseitigen helfen können, aber es ist eine Brücke für junge Menschen.

Frau Ferchland, auch mein Wunsch ist es, daß die Wirtschaft in den nächsten Jahren immer stärker aus eigener Kraft diese berufliche Perspektive für junge Menschen eröffnen kann. Deswegen verfolge auch ich das Ziel, sukzessive die Sonderprogramme, egal ob auf Bundes- oder auf Landesebene, zurückfahren zu können. Wir müssen das mit Augenmaß machen. Deswegen strukturieren wir, schon in diesem Jahr beginnend, die Förderung der betrieblichen Erstausbildung um. Wir werden auch die Struktur der Sonderprogramme verändern. Die Bundesregierung hat bei der Umstrukturierung ihres Jump-Programms auch auf die Erfahrungen des vergangenen Jahres reagiert und Veränderungen vorgenommen.

Ich finde es richtig, daß sich der Landtag diesem wichtigen Thema intensiv zuwendet, daß wir im Ausschuß über die unterschiedlichen Programmbestandteile und deren Perspektive diskutieren.

Ich halte es nach den Erfahrungen, die wir bei der Auswertung von Jump I gemacht haben, auch für gut, die Arbeitsverwaltung und alle berührten Ministerien der Landesregierung, also nicht nur das Arbeitsministerium, sondern auch den Kultusbereich und das Wirtschaftsministerium, mit an den Tisch zu holen. Die Wirtschaft gehört natürlich auch dazu.

Diese Berichterstattung und das kontinuierliche Verfolgen des Standes, auf dem wir uns hinsichtlich der beruflichen Perspektive von jungen Menschen in unserem Lande befinden, ist ein gutes Ziel. Die Landesregierung ist dabei mit im Boot. Wir werden in den Ausschüssen gern zu diesem Thema diskutieren.

(Beifall bei der SPD - Zustimmung bei der PDS)

Vielen Dank. - Im Ältestenrat ist zu diesem Antrag eine Fünfminutendebatte in der Reihenfolge CDU-, DVU-FL-, SPD-, FDVP-, PDS-Fraktion vereinbart worden. Für die CDU-Fraktion spricht jetzt der Abgeordnete Herr Schulze. Bitte.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die CDU hat das Sofortprogramm Jump von Beginn an kritisch betrachtet. Insbesondere sprach aus der Sicht der CDU folgendes gegen das Programm: Mit dem Sofortprogramm werden die Weichen falsch gestellt. Die Tarifparteien werden aus ihrer Verantwortung für die Ausbildung junger Menschen entlassen, und es besteht die Gefahr, daß sich der Staat aus dieser Art der Ausbildungsförderung auch in den nächsten Jahren nicht mehr zurückzieht und dann auch kaum noch zurückziehen kann. Die Frage ist, wie man sich davon wieder lösen kann, wenn es anders wird. Die Ministerin bezeichnete dies selbst im Ausschuß als Förderfalle, in der wir uns bereits befänden.

Unterzieht man die Bilanz der Bundesregierung einer kritischen Überprüfung, so stellt man fest, daß mit einem immensen finanziellen Aufwand - 2 Milliarden DM - ein im Verhältnis zum finanziellen Aufwand minimaler Erfolg erzielt wurde. Nur wenige Jugendliche sind wirklich in betriebliche Ausbildung und Arbeit gebracht worden, viele dagegen in kurzfristige Trainings- und Qualifizierungsmaßnahmen. Eine langfristige, dauerhafte Perspektive kann den Jugendlichen so nicht geboten werden. Jugendliche werden zum größten Teil in teuren Warteschleifen g eparkt.

Meine Damen und Herren! Das 100 000-Stellen-Programm taugt nur begrenzt für die duale Berufsausbildung, da vor allem betriebsferne Lehrgänge gefördert werden. Die CDU hat grundsätzliche Bedenken, wenn Maßnahmen ergriffen werden, die das duale System womöglich unterlaufen. Junge Menschen, die auf der außerbetrieblichen Schiene ausgebildet werden, haben am Ende mancherlei Probleme, in der Wirtschaft unterzukommen. Wir wissen aber, daß es durchaus auch gute Ansätze gibt.

Benachteiligte Jugendliche haben bisher kaum von dem Programm profitieren können. Das Programm stellt in weiten Teilen eine Fehlsteuerung von öffentlichen Geldern dar. Es bekämpft keineswegs die wahren Probleme auf dem Ausbildungs- und Arbeitsmarkt, da die wirklichen Problemgruppen unter den arbeitslosen Jugendlichen nur in viel zu geringem Umfang erreicht werden. Mehr als ein Drittel der geförderten Jugendlichen hat mittlere Reife oder Abitur.

Die CDU hat gefordert, daß vor der Fortführung eines so teuren Programms mit bisher zweifelhaftem Erfolg eine durchgreifende Überarbeitung erfolgen muß. Aufgrund unserer anhaltenden Kritik ist dies nun teilweise geschehen.

Meine Damen und Herren! Jump hat die langfristigen Probleme am Ausbildungs- und Arbeitsmarkt für Jugendliche bisher nicht gelöst. Die strukturellen Probleme werden auch durch die Neuauflage des Programms weder im Westen, in den alten Bundesländern, noch bei uns in den neuen Bundesländern gelöst. Natürlich wird gerade in den neuen Ländern, wo die

Lage auf dem Ausbildungs- und Arbeitsmarkt nach wie vor dramatisch ist, ein sinnvolles und zielgerichtetes Förderprogramm für Jugendliche gebraucht.

Das Sofortprogramm muß verbessert werden. Grundlegende Mängel müssen schnellstens beseitigt, die angebotenen Maßnahmen dringend auf ihre Effektivität hin überprüft und die enormen Mittel sinnvoll eingesetzt werden. Es muß die Frage gestellt werden, ob es mit dem von der rot-grünen Bundesregierung zu verantwortenden Programm überhaupt gelingen kann, den harten Kern von jugendlichen Arbeitslosen mit erheblichen Vermittlungshemmnissen, wie mangelnde Ausbildung, Sucht- und andere soziale Probleme, in Arbeit zu bringen.

Im Interesse der jungen Menschen müssen weitere zielgerichtete, auf Tiefen- und Breitenwirkung ausgelegte Initiativen ergriffen werden, um die Ausbildungssituation zukunftsorientiert zu lösen. Es muß vermieden werden, Jugendlichen den Eindruck zu vermitteln, daß der Staat mit viel Steuergeldern nahezu alles möglich machen kann.

Mit Geld allein wird diese rot-grüne Bundesregierung die Probleme auf dem Arbeitsmarkt nicht in den Griff bekommen. Hier sind dringend notwendige Strukturreformen sowie eine innovative und erfolgreiche Bildungs-, Wirtschafts- und Steuerpolitik, die bisher bei dieser Bundesregierung weitgehend zu vermissen gewesen sind, gefragt.

(Zustimmung bei der CDU)

Das Programm wird aufgrund der hohen Anzahl der Maßnahmen als Erfolg gewertet. Es stellt sich jedoch die Frage Qualität versus Quantität. Nach dem Auslaufen der einmaligen Verlängerung des Programms muß die Frage gestellt werden: Was nun, Herr Bundeskanzler? Welche Verantwortung wird diesbezüglich von der Landes- und von der Bundesregierung wahrgenommen?

Der Ausschuß für Arbeit, Gesundheit und Soziales hat sich am 2. März 2000 bereits mit diesem Thema befaßt und sich darauf verständigt, daß auch weiterhin von der Landesregierung über die Umsetzung des 100 000-Stellen-Programms berichtet werden soll.

In dieser Sitzung wurde auf Vorschlag unserer Fraktion das Landesarbeitsamt von Sachsen und Thüringen angehört. Es wurde beschlossen, auf der Grundlage der Selbstbefassung das Thema erneut auf die Tagesordnung zu setzen.