Volkswirtschaften gehen zu Ende. Die verstärkte Anbindung an Netze schafft neue Kombinationsmöglichkeiten. Unternehmen lösen sich in kleine Geschäftseinheiten auf und werden zu Clustern, die in Form virtueller Organisationsmuster relativ autonome Unternehmenseinheiten zusammenführen. Diese netzwerkkooperieren-den Unternehmen produzieren Produkte, deren Wettbewerbsfähigkeit vor allem von ihrem softwarebasierenden Innenleben abhängen wird.
Zu den Produktionsfaktoren Arbeit, Boden und Kapital tritt der Faktor Wissen. Dessen Problematik ist es, daß er in zeitlicher wie in räumlicher Hinsicht äußerst flüchtig ist. Stimmen also die Rahmenbedingungen nicht, taucht er weg. Eine neue Arbeitskultur entsteht. Das sichere Normarbeitsverhältnis wird zum Auslaufmodell.
Die Umstellung von der Industrie- auf die Informationsgesellschaft ist nicht schmerzlos zu haben. Mit einem weiteren Abbau von Arbeitsplätzen in der Industrie und im Dienstleistungssektor wird zu rechnen sein; denn die den multimedialen Technologien innewohnenden Produktivitätspotentiale werden die Nachfrage nach alter Arbeit erheblich reduzieren. Gleichzeitig aber können Investitionen in Informations- und Kommunikationstechnologien - allerdings in Verbindung mit deregulierten flexiblen Wirtschaftsstrukturen - positive Arbeitsplatzeffekte hervorrufen.
Meine Damen und Herren! Die Beschreibung der unabwendbar auf uns zukommenden Veränderungsprozesse ließe sich beliebig fortsetzen. Das Problem ist: Sind wir auf diese Veränderungsprozesse ausreichend vorbereitet, oder laufen wir ihnen hinterher? Lebt unsere Hochkostenwirtschaft im wesentlichen von der Innovationsrente vergangener Tage, oder haben wir dafür eine entsprechende Innovationskultur bereits herausgebi ldet?
Die Überlegung des Bundeskanzlers, zur Behebung des Mangels an Informatikexperten möglicherweise bis zu 30 000 Fachkräfte aus Nicht-EU-Staaten aufzunehmen, läßt daran echte Zweifel aufkommen.
Deshalb will ich die Frage anders stellen: Welche Vorbereitungen können, ja müssen wir treffen, um auch in Zukunft leistungs-, wettbewerbs- und innovationsfähig zu sein, um nicht Gefahr zu laufen, von den technologischen Entwicklungen der Multimediagesellschaft und der Informationsgesellschaft in Japan und insbesondere in den USA überholt zu werden?
Insbesondere aber: Welche Aufgabe fällt hierbei der Politik zu? In welcher Weise soll sie die notwendigen Veränderungsprozesse selbst vorbereiten, anstoßen und aktiv begleiten?
Aufgabe der Politik ist es unserer Meinung nach, für die richtigen, das heißt für förderliche Rahmenbedingungen zu sorgen. Im konkreten bedeutet dies beispielsweise: Die hohe Regulierungsdichte, insbesondere in Infrastruktur- und Zukunftsbranchen, muß bereinigt werden, um Wachstumsprozesse freizusetzen. Wir brauchen also eine Veränderung des rechtlichen Ordnungsrahmens. Die Arbeitsmarktprozesse müssen so ausgerichtet werden, daß mehr Flexibilität und kurzfristige Reaktionsoptionen entstehen und der neuen Arbeitskultur, beispielsweise im Individualarbeitsrecht, entsprochen wird.
Damit verbunden als zentrale Herausforderung der kommenden Jahre ist die Umgestaltung der Bildungsinstitutionen und -regelungen. Es reicht zum Beispiel nicht aus, Schulen mit Computern auszustatten und ans Internet anzuschließen. Gefragt sind neue Lernkonzepte, die Computer und Internet in den Unterricht systematisch einbinden. Dazu sind Bildungspläne zu überarbeiten, schultaugliche Software ist zu entwickeln, und neue Akzente in der Lehrerbildung sind zu setzen.
Wir brauchen auch eine neue Innovationskultur und dementsprechende Rahmenbedingungen, also beispielsweise die Einführung eines öffentlich-privaten Risk-Sharing zur Abfederung der Risiken von Innovationsinvestitionen, Sonderregelungen für die Arbeitszeit im FE-Bereich, liberale Genehmigungspraktiken, Steuerbefreiungen für Erfindervergütungen, Kooperationshilfen für innovative Allianzen und vieles andere mehr.
Wir brauchen einen Abbau der Inputnachteile unserer Forschung, einen beschleunigten und breiteren Wis
senstransfer und entsprechende Technologiediffusionen sowie die Förderung einer branchenübergreifenden Institutionalisierung von wissenschaftlich-technologischen Netzwerken.
Wir brauchen eine Verknüpfung der beiden Leitbilder der Informationsgesellschaft und der nachhaltigen Entwicklung, die bisher in weiten Teilen unvernetzt nebeneinander stehen. Diese Vernetzung kann sich nicht nur auf die Problematik der Entsorgung von Elektronikschrott reduzieren.
Wir müssen uns auch auf veränderte Kostenstrukturen insbesondere im Bereich Forschung und Entwicklung sowie Dienstleistung einstellen. Sonst wird das, was wir Online-Outsourcing nennen, also die Online-Auslagerung von Tätigkeiten, von Arbeit nach Indien, Taiwan oder China, in großem Maßstab erfolgen.
Damit, meine Damen und Herren, müssen wir konstatieren: Die gesellschaftspolitische Herausforderung von Multimedia, nämlich die 20:80-Gesellschaft, muß verhindert werden. Dies ist angesichts einer bereits hohen Arbeitslosigkeit ein erstrangiges Problem auch für Sachsen-Anhalt.
In dieser Gesellschaft verfügt ein glücklicher kleiner Teil über Arbeit und damit Wohlstand, während die Arbeitskraft und das Wissen des weitaus größeren Teils nicht mehr gebraucht werden. Verhindern können wir solche negativen Anpassungsprozesse dadurch, daß der Aufbau neuer Multimedia- und Innovationsstrukturen in Arbeitsabläufen und -organisationen, Management und Personalführung rechtzeitig durch ihnen entsprechende Rahmenbedingungen gefördert werden.
Die Nettoeffekte aus Multimedia, so die entsprechende Enquete-Kommission des Deutschen Bundestages „Deutschlands Weg in die Informationsgesellschaft“, werden nur dann positiv ausfallen, wenn es der Politik gelingt, frühzeitig die richtigen Rahmenbedingungen zu schaffen.
Es geht also hier nicht so sehr um die durchaus zu würdigenden Einzelprojekte und Landesinitiativen, die es auch in Sachsen-Anhalt gibt, sondern um eine umfassende förderliche Rahmensetzung für den Aufbruch in die Multimediawirtschaft und Informationsgesellschaft, in die alle Ressorts einzubinden sind. Es geht um die Bündelung von Aktionslinien verschiedener Ressorts und ihre Anpassung im Sinne bestmöglicher Komplementarität.
Auch die oben genannte Enquete-Kommission betont ich zitiere mit Ihrer Erlaubnis, Frau Präsidentin -:
„Von entscheidender Bedeutung wird sein, daß alle diese strategischen Erfolgsfaktoren und Handlungsempfehlungen in einem abgestimmten Konzept gemeinsam weiterentwickelt werden. Einer Förderung einzelner Faktoren oder Projekte im Sinne isolierter Einzelmaßnahmen wird der erwünschte Erfolg mit Sicherheit verwehrt bleiben.“
Deshalb, meine Damen und Herren, schlagen wir vor, daß die Landesregierung in den im Antrag genannten Ausschüssen über ihre Vorstellungen und Aktivitäten berichtet, wie sie Sachsen-Anhalt den Weg in die Informationsgesellschaft und die Multimediawirtschaft zu bahnen gedenkt. Auf der Grundlage dieses Berichts sollten die entsprechenden Ausschüsse beurteilen, ob die Politik damit ausreichend ihrer Pflicht nachkommt, unser Land auf die neuen Herausforderungen vorzu
Im Ergebnis dieser Ausschußdiskussionen sollte die Landesregierung beauftragt werden, ein Gesamtkonzept oder einen strategischen Fahrplan zu entwickeln, der alle rahmensetzenden Aktionslinien der einzelnen Ressorts in ihren Entwicklungspfaden miteinander verknüpft. Möglicherweise könnte auch empfohlen wer-den, daß die Landesregierung die Koordination dieses Vorhabens auf eine wissenschaftliche Einrichtung mit ausgewiesener Expertise auf diesem Themenfeld überträgt.
Danke, Herr Kollege, für die Einbringung. - Meine Damen und Herren! Die im Ältestenrat verabredete Debatte mit fünf Minuten Redezeit je Fraktion wird in der Reihenfolge DVU-FL, PDS, SPD, FDVP, CDU stattfinden. Zuvor erteile ich jedoch für die Landesregierung Herrn Minister Gabriel das Wort.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich bedanke mich dafür, daß Sie das Thema auf die Tagesordnung gesetzt haben. Das ist vielleicht ein Beleg dafür, daß die Zukunft an Ihnen noch nicht ganz vorbeigegangen ist.
(Zustimmung bei der SPD - Herr Prof. Dr. Spot- ka, CDU, lacht - Herr Dr. Sobetzko, CDU: Was soll denn dieser Quatsch immer?)
Wir haben in Europa einen Internet-Anschlußgrad sprechen wir einmal nicht nur von Deutschland - von 5 % der Haushalte. In Amerika liegt er bei 50 %. Da ist schon einmal die Frage zu stellen: Seit wann gibt es denn diese Entwicklung? Sie gibt es ganz klar seit etwa 1980. Das heißt, seit 20 Jahren im letzten Jahrhundert läuft diese Entwicklung, und zwar in wesentlichen Teilen an Deutschland vorbei und in den letzten zehn Jahren an Ostdeutschland vorbei. Wem ist das denn zuzuschreiben? Doch wohl uns nicht!
Wir sprechen hier über eine Wachstumsbranche, die zu Recht die Nr. 1 ist, nicht nur in den Diskussionen, sondern auch was die tatsächlichen Daten angeht. Es ist klar, daß wir uns dieser Branche zuwenden müssen.
Die Informations- und Medienbranche in Sachsen-Anhalt hat vor allen Dingen in den letzten Monaten kräftig zugelegt und Profil bekommen. Innovative Dienstleistungen und Produkte mit hohem Niveau haben ihre Wurzeln in Sachsen-Anhalt. Ich will in diesem Zusammenhang nur die Spracherkennung, die Verkehrstelematik und das Flottenmanagement nennen.
Das sind einige herausragende Beispiele, bei denen Unternehmen Sachsen-Anhalts Schrittmacher sind. Wir reden über den Bereich der Wirtschaft, über regionale Ansätze und auch über die Wissenschaftslandschaft, die dabei eine wichtige Rolle spielt.
Der Weg in die Informationsgesellschaft ist vorgezeichnet. Der Boom des Internets und der Informations
technologien darf natürlich nicht am Land vorübergehen. Das ist unser Ziel. Weil das Ganze offenbar ohne politische Begleitung und Impulse im Selbstlauf nicht zustande kommt, haben wir sehr frühzeitig begonnen, uns diesem Feld zuzuwenden. Aber auch dabei braucht man ein paar Monate Anlauf.
Ich weiß nicht, wer von Ihnen auf der Cebit war und in den letzten Jahren die Entwicklung unserer Unternehmen dort verfolgt hat. Man kann sagen, daß wir uns noch mehr wünschen. Man kann aber auch nur den Hut vor den herausragenden Ergebnissen und Erfolgen dieser Unternehmen ziehen, und man kann sich im übrigen an der Stimmung, die bei diesen Unternehmen inzwischen herrscht, ein Beispiel nehmen. Diese Stimmung ist uns leider in vielen Bereichen heutzutage verlorengegangen. In diesen Unternehmen herrscht Aufbruchsstimmung, sie sind kampfeslustig und sehen die Globalisierung als Chance.
Wir haben im Jahre 1998 die Initiative „Info-Regio“ ins Leben gerufen. Ihr Ziel ist, den Einsatz moderner Technologien voranzutreiben, bestehende Arbeitsplätze für den globalen Markt wettbewerbsfähig zu machen und neue, zukunftssichere Arbeitsplätze zu schaffen, das heißt, die Anwenderseite zu stärken, um die Effizienzgewinne, die man mit der Anwendung der Technologie erzielen kann, für unsere Wirtschaft und alle anderen Bereiche nutzbar zu machen; das ist nicht nur ein wirtschaftliches Thema.
Man will natürlich auch erreichen, daß unsere Strukturen mehr und mehr auf die Anbieterseite kommen; denn da liegen die Märkte der Zukunft. Wo die Märkte der Zukunft liegen, liegen auch die Arbeitsmärkte der Zukunft. Diese Chancen müssen wir nutzen.
Das begann mit einer Informationskampagne, in der es darum ging, in der Wirtschaft, in den Verwaltungen und in den Medien das Bewußtsein zu schärfen, Hemmschwellen abzubauen, vor allem aber auf die Chancen hinzuweisen und natürlich die paar Risiken, die damit verbunden sind, nicht aus dem Blick zu verlieren. In der öffentlichen Diskussion ist es hilfreich, die Chancen zu sehen, die im übrigen in den letzten Monaten stark genutzt werden konnten. Wir haben eigene Leitlinien, die die vier Säulen Telebusineß, Telemedien, Teleregio und Telekompetenz betreffen.
Natürlich geht es auch darum, die Förderpraxis des Landes auf diese Ziele auszurichten. Ich betone aber an dieser Stelle ausdrücklich, daß das nicht nur eine Frage des Geldes ist. Das wird auch von der Europäischen Union so gesehen, wenngleich wir im Hinblick auf die Bereitstellung des Geldes auf dem gleichen Gleis wie die Europäische Union sind. Im Rahmen einer Landesinnovationsstrategie werden wir die finanziellen Fördermöglichkeiten zwischen Land, Bund und EU so abstimmen, daß ein Optimum für diesen Bereich der Wirtschaft zustande kommt.
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir bereiten auch ein Sonderprogramm vor, das den Weg in die Informationsgesellschaft unterstützen soll. Darüber wird auch im Ausschuß zu berichten sein.
Ich möchte nicht unerwähnt lassen, daß wir uns - weil wir das natürlich aus eigenem Antrieb heraus machen, aber nicht meinen, daß wir alles wissen und alles allein machen sollten - wichtige Verbündete gesucht haben. Sie haben sicherlich zur Kenntnis genommen, daß wir mit Microsoft, Cisco Systems, mit IBM und der Telekom
Vielleicht haben Sie auch die Äußerung von Herrn Levy, dem Deutschland-Chef von Cisco Systems, zur Kenntnis genommen. Ich zitiere es, wenn Sie es erlauben:
„Sachsen-Anhalt ist hier bundesweit Vorreiter. Das erste Bundesland, mit dem wir gemeinsam innovative Internetanwendungen entwickeln und einsetzen.“
Ich habe, sehen Sie es mir nach, am Rande der Landtagssitzung etwas Post mit erledigt und einen Brief von Bill Gates an den Ministerpräsidenten gefunden. Er spricht darin eine Einladung aus, erinnert sich gern an unsere Gespräche und würdigt die innovativen Ansätze des Landes Sachsen-Anhalt.
- Das können wir dann gern diskutieren. Ich habe nur eine begrenzte Redezeit. Vielleicht akzeptieren Sie einfach, daß Leute wie Herr Levy, der immerhin bei der D-21-Initiative der Stellvertreter von Herrn Staudt, dem IBM-Chef in Deutschland, ist, mit dem wir ebenfalls in engem Kontakt stehen, unsere Leistungen und Initiativen zu würdigen wissen. Bill Gates schließt sich dem an.
Nun können Sie sich gern auf die Zweiflerbank setzen und das alles in Frage stellen. Ich bin mir aber sicher, daß wir damit auf dem richtigen Weg sind.