Protokoll der Sitzung vom 07.04.2000

(Frau Krause, PDS: Die gleichen wie andere Menschen!)

Erst nach dieser Analyse könnten Schlußfolgerungen gezogen werden, um behinderte Menschen in das touristische Leben einzubeziehen.

Nach § 3 Abs. 2 des Schwerbehindertengesetzes ist die Auswirkung der Funktionsbeeinträchtigung als Grad der Behinderung nach Zehnergraden abgestuft von 20 bis 100 festzustellen. Um in den Besitz eines Schwerbehindertenausweises zu gelangen, muß ein Grad der Behinderung ab 50 erreicht sein.

Aber leider werden behinderte Menschen in der Regel noch allzuoft an den sozialen, wirtschaftlichen und kulturellen Rand unserer Gesellschaft gedrückt. Fakt ist, daß Menschen mit starken physischen oder psychischen Behinderungen eine besondere Beachtung und Fürsorge durch den Staat erfahren müssen.

Die im Land Sachsen-Anhalt regierende rot-rote Landesregierung hat die Pflicht, die entsprechenden Rahmenbedingungen für alle behinderten Menschen zu schaffen. Dabei geht es nicht nur um einen barrierefreien Tourismus, sondern auch um die Schaffung adäquater Arbeitsplätze in Sachsen-Anhalt.

Dabei muß sich die gegenwärtige Tolerierungskoalition, bestehend aus SPD und PDS, mit aller Entschiedenheit engagieren und vor allem positionieren; denn eine behindertengerechte Zugänglichkeit der entsprechenden Objekte, wie Gaststätten, Hotels, öffentliche Toilettenanlagen oder touristische Sehenswürdigkeiten, ist nicht zum Nulltarif zu installieren.

(Zuruf von Frau Krause, PDS)

Die Inhaber von Hotels, Arztpraxen und Schwimmbädern wären sicherlich sehr dankbar, wenn es durch eine finanzielle Förderung des Landes Sachsen-Anhalt möglich wäre, einen behindertengerechten Umbau vorzunehmen. Auch eine Novellierung der Landesbauordnung kann sehr hilfreich sein.

Da das Bauaufsichtsrecht Länderrecht ist, muß darauf geachtet werden, daß bei künftigen Genehmigungen von Neubauten, zum Beispiel bei Schulen, Gaststätten, Restaurants und anderen öffentlichen Einrichtungen, eine behindertengerechte Bauweise zum Tragen kommt. Dabei kann die rot-rote Landesregierung einmal beweisen, wie ernst sie sich des Problems der behinderten

Menschen annimmt oder ob es nur Lippenbekenntnisse sind. Bei den erwähnten Maßnahmen wäre das Steuergeld im Gegensatz zu den ansonsten gebauten Sandburgen der Landesregierung wenigstens vernünftig angelegt.

Zu dem Thema „barrierefreier Urlaub“ gibt es spezielle Informationen für Rollstuhlfahrer, welche im Ratgeber „Handicap-Reisen Deutschland“ angeboten werden. Trotzdem geht der Tourismus für Menschen mit Behinderungen noch sehr stark auf private Initiativen zurück.

So unterstützt zum Beispiel ein Herr aus Wolfen den Tourismus behinderter Menschen. Er selbst ist Rollstuhlfahrer und gibt seine Reiseerfahrungen an Behinderte weiter. Das sind, wie gesagt, alles private Initia- tiven.

Herr Höppner, ich habe einige Wege aufgezeigt.

(Frau Dr. Paschke, PDS, lacht)

Jetzt liegt es an Ihnen, etwas in die richtige Richtung zu tun, damit sich alle behinderten Menschen in diesem Land wohlfühlen können. - Danke.

(Zustimmung bei der FDVP)

Für die SPD-Fraktion spricht die Abgeordnete Frau Kachel.

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich denke, Sie stimmen mit mir darin überein, daß Reisen kein Privileg der Jugend, der Gesunden und der Nichtbehinderten sein darf. Menschen in jedem Alter mit und ohne Behinderung haben das gleiche Recht auf einen selbstbestimmten Urlaub. Mit einer barrierefreien Gestaltung der Umwelt sind hierfür die Voraussetzungen zu schaffen.

Im Rahmen der gesellschaftlichen Gleichstellung muß den Menschen mit Behinderungen sowie deren Familien die Integration in das allgemeine Reisegeschehen ermöglicht werden. Für diese Zielgruppe besitzt eine erfüllte Freizeit und Urlaubsgestaltung eine besondere Bedeutung. Sie stärkt das Selbstbewußtsein und die Selbsthilfe, eröffnet Chancen zur Selbstentfaltung und beugt so der Isolation vor.

Trotz vielfältiger Initiativen bestehen aber noch heute zahlreiche Hindernisse und Erschwernisse für Menschen mit Behinderungen. Das betrifft bei Reisen insbesondere die Beförderungsmöglichkeiten, die Information über Reiseangebote und die öffentliche Akzeptanz.

Wie ist nun der Sachstand? Anfragen bei der Tourismusagentur Sachsen-Anhalt, den fünf Regionalverbänden und dem Bäderverband ergaben, daß außer der Altmark mit der Broschüre „Urlaub aus anderer Perspektive“, die auch unser Minister erwähnte, keiner der zuständigen Tourismusverbände sich dieser Zielgruppe bisher zugewandt hatte.

Doch Stadtführer für Behinderte wurden unter anderem in Calbe an der Saale, Dessau, Halle, Magdeburg, im Mansfelder Land sowie im Wörlitzer Park bereitgestellt. Letztere Angebote sowie die analogen Informationen im Internet waren den zuständigen Tourismusverbänden unbekannt.

Seit längerer Zeit habe ich Kontakt zu einem Rollstuhlfahrer aus Wolfen-Nord, der seit mehreren Jahren eine Reiseberatung für Menschen mit Mobilitätseinschränkungen ehrenamtlich durchführt.

Er schätzt ein: Gemessen an den Bedingungen in anderen Ländern Europas und in anderen Bundesländern gilt es, in Sachsen-Anhalt Rückstände hinsichtlich der Angebote für Besucher mit Handicaps aufzuholen.

Das Defizit wird vor allem als Informations- und Präsentationsrückstand offensichtlich. Menschen mit Behinderung benötigen für ihre Reisevorbereitungen konkrete und verläßliche Angaben zum gewünschten Reiseziel. Diese sind in den Unterlagen kaum enthalten. Bei Rückfragen bekommt man nicht immer Auskünfte, die von Sachkenntnis zeugen. Wenn man in den einzelnen Regionen recherchiert, findet man auch entsprechende Angebote, über die man zuvor jedoch keine hinreichenden Informationen erhalten konnte.

Prinzipiell unterscheidet sich in dem folgenden die Lage in Sachsen-Anhalt nur unwesentlich von der in anderen Bundesländern. Das betrifft zum einen die Schaffung von lückenlosen Beförderungsketten für Reisende mit Mobilitätseinschränkungen, das heißt eine barrierefreie Ausgestaltung des ÖPNV, eine barrierefreie Bahn und entsprechende Fernreisebusse.

Zum anderen gibt es auch hierzulande eine Reihe von Hotels und Pensionen, die zumindest eines oder zwei ihrer Gästezimmer als rollstuhlzugängliche Unterkünfte gestaltet haben. Im Rahmen der durch den DehogaLandesverband durchzuführenden freiwilligen Hotelklassifizierung wird auf ein anteiliges behindertengerechtes Angebot besonderes Augenmerk gelegt.

Es fehlen wie auch anderswo rollstuhlgerechte Ferienhäuser und Ferienwohnungen. Im Bereich der Gastronomie ist der Anteil rollstuhlzugänglicher Räume sehr gering. Es fehlen vor allem entsprechende sanitäre Anlagen.

Das Land kann nur Rahmenrichtlinien schaffen. Erstens. Das Gesetz zur Gestaltung des öffentlichen Personennahverkehrs sieht in § 1 Abs. 4 vor, daß Mobilitätsbeeinträchtigungen berücksichtigt werden sollen. So fördert das Land nur noch Niederflurbusse und entsprechende Schienenfahrzeuge.

Ein Einfluß auf die Deutsche Bahn AG ist nicht möglich, was zu der paradoxen Situation führt, daß zwar der Bahnhofsvorplatz behindertengerecht ist, der Bahnhof selbst jedoch nicht.

Zweitens. Die Vorschriften für behindertengerechtes Bauen werden durch die Novelle zur Landesbauordnung, die im Monat Juni in den Landtag eingebracht werden wird und zum 1. Januar 2001 in Kraft treten soll, verbessert werden. Gaststätten und Hotels müssen künftig auch unterhalb der bislang vorgesehenen Mindestgröße von 100 Gastplätzen bzw. 50 Gästebetten barrierefrei zugänglich sein und ferner große Stellplatzanlagen bzw. Großgaragen vorweisen.

Frau Kollegin, Sie müssen zum Schluß kommen, Sie liegen außerhalb Ihrer Redezeit.

Sofort. - Des weiteren sind unsere Kurorte in der Regel behindertenfreundlich ausgerichtet. Hier hat das Wirt

schaftsministerium in einem Umfang von ungefähr 250 Millionen DM investiert.

Es gilt also das, was da ist, entsprechend aufzubereiten. Auch in Sachsen-Anhalt gibt es sehr gute Voraussetzungen für die Entwicklung des barrierefreien Tourismus.

Für die Zukunft wünsche ich mir - das ist mein letzter Satz - eine höhere Effizienz der Zusammenarbeit der zuständigen Ministerien

(Zustimmung bei der PDS)

unter Einbeziehung der neu gegründeten LMG bzw. der Regionalverbände und der Behindertenverbände.

Wir stimmen dem Antrag der Fraktion der PDS zu.

(Zustimmung bei der SPD und bei der PDS)

Die Fraktion DVU-FL verzichtet auf einen Redebeitrag. - Herr Dr. Eckert, bitte. - Entschuldigung, Frau Mewald. Für die CDU-Fraktion hat die Abgeordnete Frau Mewald das Wort.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Vieles ist bereits zum Tourismus speziell für behinderte und ältere Personen gesagt worden. Ich kann nur noch einiges ergänzen.

Bei der Bekämpfung der Arbeitslosigkeit bietet die personalintensive Tourismusbranche große Chancen. Schon jetzt hängen in Deutschland 13 % der Arbeitsplätze vom Tourismus ab. Reisen und Urlaub, sinnvolle Freizeitgestaltung an Wochenenden und am Feierabend sind Ausdruck gestiegener Lebensqualität. Für behinderte Menschen sind sie darüber hinaus wichtige Faktoren der Integration und der Teilnahme am gesellschaft- lichen Leben.

Das gleiche gilt für ältere mobilitätseingeschränkte Menschen. Infolge der demographischen Entwicklung ist hier eine Zielgruppe entstanden, die für den Tourismus, insbesondere in Deutschland, immer mehr an Bedeutung gewinnt und deren spezielle Bedürfnisse mehr Berücksichtigung finden müssen. Denn wie sieht die Realität aus? Häufig fehlen noch umfassende Informationen über behindertengerechte Angebote in den einzelnen Feriengebieten.

Im vierten Behindertenbericht der Bundesregierung heißt es:

„Das Bundesministerium für Gesundheit fördert eine kontinuierliche Öffentlichkeitsarbeit, um so auf breiter Basis die Einsicht in die Notwendigkeit behindertengerechter Urlaubsangebote im Rahmen der üblichen breitgefächerten Angebote für alle zu fördern. Unterstützt werden vor allem Veranstaltungen und Veröffentlichungen, die behinderte Menschen ermutigen, individuelle Urlaubspläne zu realisieren.“

Ich denke, das sollten wir auch für Sachsen-Anhalt in Anspruch nehmen.

Barrierefreies Reisen mit öffentlichen Verkehrsmitteln ist noch nicht durchgehend möglich, und vielerorts entsprechen die bautechnischen Voraussetzungen nicht in vollem Umfang den Bedürfnissen behinderter oder älterer Menschen, die in ihrer Mobilität eingeschränkt sind.

Deshalb müssen Anbieter sowie Hersteller von Transportmitteln über notwendige Maßnahmen informiert werden, mit deren Hilfe behinderte und ältere Menschen in die Lage versetzt werden, bestimmte Angebote noch besser zu nutzen.

Schon heute werden rund 40 % aller Reisen von älteren Menschen gekauft, deren Anzahl nach Schätzungen von Experten in den nächsten Jahren noch steigen wird. Beliebt sind Gruppenreisen mit Betreuung und persönlicher Zuwendung, mit einem gesunden Mix von Faulenzen und Kultur sowie Angebote im Bereich Wellness mit einem Schuß Fitneß. Gute Organisation - sozusagen von Tür zu Tür - empfinden die Senioren als besonders wünschenswerten Service.

Nach Aussagen des Dehoga-Landesverbandes Sachsen-Anhalt sind im Bereich der Gastronomie die materiell-technischen Voraussetzungen für Behinderte nicht so optimal wie im Beherbergungsgewerbe. Auf bestehende kleine Hotels und Gaststätten darf jedoch kein Zwang zur Nachrüstung ausgeübt werden, da diese Maßnahmen oft sehr kostenintensiv sind. Ein Idealzustand wäre zwar wünschenswert, ist aber immer auch eine Kostenfrage.