Protokoll der Sitzung vom 04.05.2000

(Beifall bei der CDU)

Danke für die Einbringung. - Meine Damen und Herren! Es ist eine Debatte mit fünf Minuten Redezeit je Fraktion vereinbart worden in der Reihenfolge PDS, DVU-FL, FDVP, SPD, CDU. Als erster Rednerin erteile jedoch für die Landesregierung Frau Ministerin Schubert in Vertretung des Ministers des Innern das Wort.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wie wir alle wissen, verlief die deutsche Geschichte im letzten Jahrhundert außerordentlich wechselvoll und widersprüchlich. Dem Fortschritt von Wissenschaft und Technik stand deren Mißbrauch durch diktatorische Regime gegenüber.

Im vergangenen Jahrhundert ist von deutschem Boden zweimal Krieg und Aggression ausgegangen. Zwischen 1933 und 1945 herrschte in Deutschland die Diktatur der Nationalsozialisten, in deren Verlauf Millionen Menschen ermordet wurden und unsägliches Leid über die Menschheit gebracht wurde.

Nach 1945 wurde in der sowjetischen Besatzungszone fast übergangslos erneut ein Unrechtsregime errichtet, das erst durch die friedliche Revolution von 1989/90 beseitigt werden konnte.

Diese unheilvolle Geschichte lehrt, daß auch unsere gegenwärtige freiheitlich-demokratische Gesellschaftsordnung potentiellen Gefährdungen ausgesetzt ist, denen wir uns mit aller Macht entgegenstellen müs- sen. Derartigen Gefahren kann eine Gesellschaft um so erfolgreicher begegnen, je intensiver die Menschen mit ihrer Geschichte vertraut sind. Geschichtskenntnis ist kein Allheilmittel gegen politischen Extremismus, aber sie ist ein Katalysator im Kampf gegen antidemokratische Entwicklungen jeder Couleur.

Gedenkstätten sind dabei offene Lernorte, deren Ziel es ist, aus der Geschichte für die Zukunft zu lernen. In der DDR existierte bekanntlich eine ganze Reihe von Mahn- und Gedenkstätten, die an die Verbrechen der Nationalsozialisten erinnerten. Letztlich fungierten diese Einrichtungen aber als Legitimation der SED-Herrschaft.

So war zum Beispiel die Gedenkstätte Langenstein/ Zwieberge zum Weiheort verkommen. In den 60er Jahren war über den Massengräbern eine Aufmarschfläche geschaffen worden. Die von Häftlingen errichtete Untertageanlage baute die NVA zu militärische Zwecken aus. Gleichzeitig wurde verbreitet, die Anlage sei gesprengt worden.

Die Untaten der Nationalsozialisten im Roten Ochsen in Halle waren wenig bekannt, das System der KZ-Außen- und Zwangsarbeitslager unzureichend erforscht.

Die friedliche Revolution in der DDR markiert auch in der Gedenkstättenarbeit eine Zäsur. Die Ausstellungen in den NS-Gedenkstätten waren auf der Basis neuer Forschungen, die auf der Grundlage der strengen Kriterien der Wissenschaft erfolgen mußten, neu zu gestalten. Dogmatische Bildungsansätze mußten überwunden werden; Diskussionen und offener Meinungsstreit hatten vorgegebene Interpretationen zu ersetzen.

Darüber hinaus bestand von seiten der SED-Opfer die berechtigte Forderung, neue Gedenkstätten einzurichten, die an ihre Leiden und an die Menschenrechtsverletzungen während der sowjetischen Besatzungsmacht und der SED-Diktatur erinnern sollten.

Eine demokratische Erinnerungskultur, die zur Identifikation und zur Auseinandersetzung des Bürgers mit der Geschichte und seiner Region führt, kann nur entstehen, wenn der Erhalt von Denkmälern und der Unterhalt von Gedenkstätten vor Ort von den Bürgern bejaht und weitgehend übernommen wird. In diesem Bereich hat das Ehrenamt eine besondere Aufgabe und einen hohen gesellschaftlichen Wert.

Es ist sicher in vielen Fällen nötig, daß der Staat sich beteiligt, aber nicht, daß er alles in eigener Regie betreibt. So haben wir drei Gedenkstätten, die das Land allein unterhält und führt, die Gedenkstätte für die Opfer der NSEuthanasie in Bernburg, die Gedenkstätte Roter Ochse in Halle und die Gedenkstätte „Deutsche Teilung“ in Marienborn.

Weitere zwei Gedenkstätten werden finanziell weitgehend, nämlich zu 95 %, vom Land getragen, aber von den Kommunen verwaltet, so die Gedenkstätte Langenstein-Zwieberge und die Gedenkstätte Moritzplatz in Magdeburg.

Neben diesen fünf Landesgedenkstätten werden etliche Gedenkstätten auch von den Kommunen selbst getragen, wobei das Land mit fachlicher Unterstützung sowie mit Zuwendungen in unterschiedlicher Höhe hilft. Das trifft für die Mahn- und Gedenkstätte Wernigerode, die Mahn- und Gedenkstätte Gardelegen und die Gedenkstätte Lichtenburg-Prettin zu. Das ist eine vielfältige Gedenkstättenlandschaft, die funktioniert und auch angenommen wird.

Neben dem Aufbau der fünf landeseigenen Gedenkstätten hat das Land in den zurückliegenden Jahren auch die Weiterentwicklung und Modernisierung von kommunal getragenen Gedenkstätten gefördert. Hier wird das Land auch in Zukunft seinen Beitrag leisten

Wie bei der weiteren Entwicklung der landeseigenen Gedenkstätten haben wir uns allerdings auch bei der zukünftigen Unterstützung der lokalen Einrichtungen an der schwierigen Finanzlage des Landes zu orientieren. Nicht alles Wünschenswerte wird auch tatsächlich realisierbar sein.

In diesen Zusammenhang ist auch das Grenzdenkmal in Hötensleben zu stellen. Gemeinde und Verein unterhalten und betreuen es. Viele Helfer, darunter das Land mit bisher 230 000 DM, unterstützen dieses finanziell. Gefördert und gewollt ist auch die Zusammenarbeit über den Verein „Grenzenlos“ mit der Gedenkstätte „Deutsche Teilung“ Marienborn und dem Zonengrenzmuseum Helmstedt.

Vergessen wir nicht, daß mit der eben dargestellten Organisation das Grenzdenkmal Hötensleben, das aus kommunaler und privater Initiative entstand, gesichert wurde und für die Öffentlichkeit nutzbar ist. Es ist insofern auch ein hervorragendes Beispiel dafür, daß nicht alles in der Gedenkstättenarbeit vom Staat selbst gemacht werden muß, sondern auch Bürgerengagement vor Ort mit staatlicher finanzieller Unterstützung bedeutende Beiträge zur Gedenkstättenarbeit im Land leisten kann.

Die Landesregierung hält es daher für zweckmäßig, das Grenzdenkmal wie bisher zu betreiben und bei Bedarf und nach den finanziellen Möglichkeiten des Landeshaushaltes seinen Unterhalt weiterhin und langfristig abzusichern, wie das ebenfalls bei den übrigen kommunalen Gedenkstätten geschieht.

Auch in anderen Fragen, zum Beispiel denen der Eigentumsverhältnisse, steht das Land gern beratend und - soweit möglich - helfend zur Verfügung. Eine Übernahme in staatliche Hand würde allerdings viel vorhandenes und notwendiges bürgerschaftliches und gemeindliches Engagement bremsen, zumindest seine Möglichkeiten nicht zureichend ausschöpfen lassen.

Selbstverständlich wird die Landesregierung zum Jahresende über die Entwicklung des Grenzdenkmals in Hötensleben berichten. Sollten wir im Laufe des Jahres zu neuen Erkenntnissen kommen, wird sich die Landesregierung auch nicht einer Überprüfung ihrer bisheri- gen Gedenkstättenkonzeption verschließen. - Ich danke Ihnen.

(Beifall bei der SPD)

Danke, Frau Ministerin. - Für die PDS-Fraktion spricht jetzt die Abgeordnete Frau Dirlich.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich denke, daß sich gegen den Erhalt des Grenzdenkmals Hötensleben keine einzige Stimme erheben wird. Wir haben schon eine ganze Menge zum Inhalt der Arbeit, zu den Zielen des Vereins und auch zu seiner Bedeutung gehört. Ich denke, auch das Problem ist jedem bewußt.

Wichtig ist zu sagen, daß in einem Informationsblatt des Vereins die Initiatoren für den Erhalt eines Grenzabschnitts selbst sagen, daß sie damals diese Initiative ergriffen haben, ohne die juristischen Folgen der Trägerschaft des Denkmals zu bedenken, und genau dieses Problem verfolgt sie nun schon seit vielen Jahren.

Ich kann die Nöte des Grenzdenkmalvereins Hötensleben e. V. gut verstehen. Ob aber das Land die Nöte aller eingetragenen Vereine lösen kann, muß bezweifelt werden.

Das Problem ist schon sehr lange bekannt. Auch der Gedenkstättenbeirat, dessen Mitglied ich seit einigen Jahren bin, hat bereits mindestens zweimal über das Thema geredet, das erstemal schon 1997. Damals ist uns gesagt worden, daß das Land Gedenkstätten in seiner Trägerschaft hat, die zum einen von besonderer überregionaler Bedeutung sind und die zum zweiten zwei ganz bestimmte Themenkomplexe abdecken bzw. ausweisen, und zwar zum einen den Themenkomplex des Gedenkens an die Opfer des Nationalsozialismus - die Gedenkstätten hat die Frau Ministerin eben schon genannt - und zum anderen die Gedenkstätten an die Opfer von Stalinismus und SED-Herrschaft.

Eine der Gedenkstätten befindet sich im Spannungsfeld der Tatsache, daß sie seit dem Ende des 19. Jahrhunderts stets als Gefängnis benutzt wurde, der Rote Ochse in Halle.

Damit engagiert sich das Land natürlich nicht in vielen anderen Gedenkstätten, die ebenfalls große überregionale Bedeutung haben. Auch hierfür hat die Ministerin schon einige Beispiele genannt, die Isenschnibbe, Prettin, die Synagoge Gröbzig oder auch Veckenstedt und auch das Grenzdenkmal in Hötensleben.

Alle genannten Gedenkstätten haben große Probleme, vor allem wegen des hohen Investitionsbedarfes, der überall besteht, und auch wegen der Belastung durch die Personalkosten, die die Kommunen jeweils ziemlich

schwer belasten. Ich erinnere an dieser Stelle an die Forderungen der PDS, den Titel „Investitionen für kommunale Gedenkstätten“ im diesjährigen Landeshaushalt aufzustocken.

Wenn wir aber an einer Stelle anfangen, weitere Trägerschaften des Landes anzunehmen, werden wir einen Stein ins Rollen bringen, der möglicherweise eine Lawine auslöst. Deshalb hat der Gedenkstättenbeirat in seiner Sitzung vom 7. Februar 2000 eben nicht die Forderung erhoben, das Grenzdenkmal Hötensleben in die Trägerschaft des Landes zu übernehmen.

Ob es eine andere Lösung geben kann und wie der Grenzdenkmalverein unterstützt werden kann, sollte im Ausschuß diskutiert werden. Sicherlich wird auch der Gedenkstättenbeirat des Landes sich des Themas erneut annehmen, nachdem er sich nun neu konstituiert hat. - Ich bedanke mich.

(Beifall bei der PDS)

Für die DVU-FL spricht der Abgeordnete Herr Montag.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! In einer Welt, in der täglich eine Vielfalt von Informationen auf die Menschen einwirkt, ist es um so notwendiger, - dies gilt besonders für unsere jungen Menschen - sie mit unserer jüngeren Vergangenheit vertraut zu machen. Zu unserer jüngeren leidvollen Geschichte gehörten nun einmal leider Mauer und Stacheldraht, als ein verbrecherisches politisches System Millionen von Menschen quasi in einem großen Gefängnis einsperrte und ihnen die fundamentalsten Menschenrechte verweigerte.

Dieses allein ist Grund genug, den Erhalt des Grenzdenkmals Hötensleben, integriert in einer politischen Stiftung, zu gewährleisten, um allen Menschen klarzumachen, zu welchen Untaten das kommunistische Herrschaftssystem in der ehemaligen DDR fähig war. Hier gilt es für die Gegenwart und auch für die Zukunft Aufklärungsarbeit zu leisten. Was wäre da sinnvoller, als der Öffentlichkeit den Ablauf des kommunistischen Grenzregimes zu dokumentieren?

Unsere Fraktion unterstützt den Antrag der CDU und fordert die Landesregierung auf, alles in ihren Kräften Stehende zu tun, um den weiteren Erhalt des Grenzdenkmals Hötensleben zu gewährleisten. Wir sind es auch den vielen Opfern schuldig, welche an Mauer und Stacheldraht den Versuch, dem DDR-Unrechtsregime den Rücken zu kehren, mit ihrem Leben bezahlen mußten oder dafür in kommunistischen Kerkern menschenrechtswidrig inhaftiert wurden.

Wer dafür Sorge trägt, daß solche Geschehnisse unvergessen und unwiederholbar bleiben, muß dringendst daran interessiert sein, solche Monumente der Zeitgeschichte, wie es das Grenzdenkmal Hötensleben ist, am Leben zu erhalten, um warnendes Mahnmal zu sein. Meine Fraktion unterstützt den Antrag und fordert dessen schnellstmögliche Umsetzung. - Danke.

(Beifall bei der DVU-FL)

Für die FDVP-Fraktion spricht die Abgeordnete Frau Wiechmann.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Der Antrag der Fraktion der CDU findet unsere volle Zustimmung.

Wenn man zehn Jahre nach dem Fall des antifaschistischen Schutzwalls in Berlin, den ja viele von uns in seiner ganzen Abnormität nicht mehr in Erinnerung haben, plötzlich mit einem Stück der ehemaligen Staatsgrenze konfrontiert ist, wird einem die ganze Menschenverachtung und die Brutalität des SED-Staates ins Gedächtnis zurückgerufen, eine Brutalität und Verachtung, die nur dem eigenen Volk galt.

Es darf nicht sein, meine Damen und Herren, daß, aus welchen Gründen auch immer, dieses Stück deutscher Nachkriegsgeschichte zerfällt oder zerstört wird. Wir wollen auch nicht abwarten, bis in 100 oder mehr Jahren die Betonbrocken womöglich aus dem Boden geklaubt werden müssen, um dann ein neues Denkmal zu schaffen, weil Bund oder Land sich aus finanziellen Gründen - ideologische kann ich mir beim besten Willen nicht vorstellen - nicht über Trägerschaft oder Eigentumsverhältnisse einigen können.

Man kann auch nicht die Meinung des Innenministeriums teilen, daß die Gedenkstätte nur örtliche Bedeutung habe. Der Landeskonservator Herr Voß ist da ganz anderer Meinung. Bei allen Vorbehalten, die man manchmal gegenüber übertriebener Denkmalpflege haben kann, diesmal hat er recht.

Das Regierungspräsidium Magdeburg muß sich auch sehr viel Mühe geben, um uns zu erklären, warum - außer aus finanziellen Gründen - eine Angliederung an die Gedenkstätte Marienborn nicht möglich ist. Es ist lobenswert, außer Marienborn den Moritzplatz Magdeburg und den Roten Ochsen in Halle zu erhalten. Dort aber, wo die Todesstrafe vollstreckt wurde, eine ablehnende Haltung einzunehmen, ist nicht nachvollziehbar.

Meine Damen und Herren! Finanzielle Mittel sind zwar im Land Sachsen-Anhalt knapp. Vielleicht kann aber Geld gespart und für Hötensleben bereitgestellt werden, wenn man auf Luxuswagen oder auf die Finanzierung obskurer Vereine verzichtet. - Ich danke Ihnen.

(Beifall bei der FDVP)

Für die SPD-Fraktion spricht jetzt die Abgeordnete Frau Leppinger.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Einer der wenigen Außentermine des Innenausschusses führte uns vor kurzem nach Hötensleben. Vor Ort konnten sich die Mitglieder des Innenausschusses ein Bild von der ehemaligen Grenze machen und hatten auch Gelegenheit, mit Vertretern des Grenzdenkmalvereins Hötens- leben zu sprechen.