Protokoll der Sitzung vom 04.05.2000

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Einer der wenigen Außentermine des Innenausschusses führte uns vor kurzem nach Hötensleben. Vor Ort konnten sich die Mitglieder des Innenausschusses ein Bild von der ehemaligen Grenze machen und hatten auch Gelegenheit, mit Vertretern des Grenzdenkmalvereins Hötens- leben zu sprechen.

Meine Damen und Herren! An dieser Stelle möchte ich namens der SPD-Fraktion der Arbeit der Mitglieder, an der Spitze Herrn Walter, große Hochachtung entgegenbringen und ihnen herzlich danken.

(Beifall bei der SPD, bei der CDU und bei der FDVP)

Nur ihrem Engagement ist es zu verdanken, daß ein Teil des ehemaligen Grenzsystems im Originalzustand zu studieren ist.

Wohl unüberwindbarer als die chinesische Mauer trennte der vom DDR-Regime so genannte antifaschi-stische Schutzwall auf einer Länge von ca. 1 400 km Familien und Freunde voneinander, und zwar mit der einmaligen Brutalität eines Absperrsystems, das ent-gegen der damaligen Propaganda gegen die eigenen Landsleute gerichtet war. Den Versuch der Überwin-dung der Mauer haben 899 Menschen mit dem Leben bezahlt.

Unzählige wurden beim Fluchtversuch in die Freiheit schwer verletzt. So erfuhren wir bei dem Besuch von dem Schicksal eines Halberstädters, dem bei dem Versuch, das Minenfeld zu überwinden, ein Bein abgerissen wurde und der trotz vergeblicher Bergungsversuche von westdeutscher Seite stundenlang im Minenfeld lag, bevor er von DDR-Grenzern geborgen wurde.

Unmenschliche Schicksale haben sich direkt an der Mauer abgespielt. Unmenschliche Schicksale haben sich aber auch durch die reine Existenz der Mauer in vielen Familientragödien abgespielt, denn die Mauer trennte über viele Jahre Mütter und Väter von ihren Kindern, Großeltern von Enkeln und Geschwister untereinander.

Im Jahr 1989 war der Freiheitsdrang nicht mehr aufzuhalten, und das Volk stürzte die von den Machthabern errichtete Mauer. Noch 1989 begann die NVA mit dem Abriß, und, wie ich finde, es war fast ein bißchen wie das Verwischen der Spuren, denn wer nicht schnell genug war, konnte nach kurzer Zeit kaum noch erkennen, wo die Mauer gestanden hatte. Das ist einerseits gut so. Auf der anderen Seite ist es aber auch gut, daß es engagierte Menschen gegeben hat, die hier ein Stück Zeugnis deutscher Geschichte erhalten haben.

Im Gegensatz zu Marienborn, einem Durchlaß für westdeutsche Besucher, steht ein Stück der Mauer, die ein ganzes Volk über 28 Jahre lang unter Verschluß hielt, in Hötensleben. Der Erhalt dieses Mahnmals kann allerdings nicht auf Dauer die Privatangelegenheit einiger weniger engagierter Menschen sein.

(Zustimmung bei der CDU und von Herrn Mokry, FDVP)

So muß über die künftige Trägerschaft nachgedacht werden. Ich könnte mir zum Beispiel gut vorstellen, daß Marienborn und Hötensleben zu einem Mahnmal zusammengefaßt werden. Um dieses Mahnmal für die nachfolgenden Generationen, aber auch für die betroffene Generation zu sichern, wollen wir der Überweisung des Antrages in den Innenausschuß zustimmen und dort über mögliche Konzepte reden.

Denn wenn ich höre, daß es immer noch Meinungen gibt, die da lauten: „Die an der Mauer umgekommen sind, sind doch selber schuld; sie wußten doch, wo- rauf sie sich einließen“, dann weiß ich, hier muß noch viel getan werden, damit diese Gesellschaft für immer resistent gegen jegliche gewaltsame Diktatur wird.

(Beifall bei der SPD, bei der CDU, bei der FDVP und bei der DVU-FL)

Herr Dr. Daehre hat das Wort. Es war zunächst Frau Ludewig angekündigt. Ich bitte, Änderungen rechtzeitig zu signalisieren.

Frau Präsidentin, nachdem wir die verwandtschaftlichen Beziehungen geklärt haben, können wir zum eigent- lichen Thema kommen.

Meine Damen und Herren! Frau Leppinger, ich bin Ihnen für die Worte ausgesprochen dankbar, die Sie hier zu diesem Thema gefunden haben. Deshalb kann ich mir vieles ersparen, was ich eigentlich zum Ausdruck bringen wollte.

Ich kann nur an die Abgeordneten dieses Landtages appellieren, sich unbedingt dieses Mahnmal in Hötensleben anzuschauen, wenn sie noch nicht dort waren. Dort sieht man tatsächlich noch, wozu ein System in der Lage war.

Meine Damen und Herren! Durch Marienborn sind sie durchgefahren. Vielleicht hat der eine oder andere von unserer Seite einen Reisepaß Richtung Westen gehabt; dann hat ihn das nicht interessiert. Marienborn ist nicht das, was wir der Jugend vermitteln müssen, wozu Staaten bzw. Regierungen in der Lage gewesen sind.

Meine Damen und Herren! Es tut schon ein bißchen weh, wenn wir bei einem Haushalt von 21,3 Milliar- den DM darüber diskutieren, ob wir uns das leisten können, Geschichte zu bewahren, wie wir sie Gott sei Dank bei den verschiedenen Gedenkstätten des Landes - die Frau Ministerin hat darauf verwiesen - aus dem Dritten Reich bewahren. Im vergangenen Jahrhundert gab es aber auch 40 Jahre DDR, den Stalinismus und alles, was damit zusammenhing. Viele wissen es nicht.

Deshalb bitte ich ganz einfach, daß wir auch bei den Haushaltsberatungen darauf achten, daß wir die Initiatoren dieses Grenzdenkmals Hötensleben unterstützen. Wir dürfen die, die sich im Jahr 1990 an die Spitze gestellt haben und in Eigeninitiative das Denkmal erhalten haben, nicht im Regen stehen lassen, sondern müssen ihnen entgegenkommen und dieses überregionale Denkmal erhalten.

Meine Damen und Herren! Die Stunde der Wahrheit wird bei den Haushaltsberatungen kommen. Dort werden wir uns verständigen, ob es nur Versprechen und Worte sind oder ob wir tatsächlich mit Taten das Grenzdenkmal Hötensleben unterstützen.

Zwei letzte Anmerkungen. Frau Dirlich, ich kann Ihnen das einfach nicht ersparen: Wenn Sie im Zusammenhang mit dem Verein in Hötensleben sagen, wo kommen wir hin, wie viele andere Vereine kommen dann auch noch - - Ich hoffe, daß Sie es nicht so gemeint haben; denn diesen Verein in Hötensleben kann ich nun wirklich nicht mit dem Taubenzüchterverein in einem Ort XY vergleichen.

(Frau Dirlich, PDS: Ich auch nicht!)

So haben Sie es hoffentlich auch nicht gemeint. Ich wollte es nur noch einmal geraderücken. Das ist ein völlig anderer Punkt. Ich denke, darauf sollten wir uns auch bei den Haushaltsberatungen verständigen.

Wer - auch das muß ich noch einmal sagen - 1,3 Millionen DM für einen Verein „Miteinander“ zur Verfügung stellen kann, der sollte doch wohl etwas Geld für das Grenzdenkmal in Hötensleben übrig haben. - Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der CDU, bei der FDVP und bei der DVU-FL)

Meine Damen und Herren! Wir sind damit am Ende der Debatte. Bevor ich mit dem Abstimmungsverfahren beginne, freue ich mich, Schülerinnen und Schüler der Sekundarschule Elbenau und Studentinnen und Studenten der Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg auch in Ihrem Namen in unserem Hohen Hause herzlich begrüßen zu dürfen.

(Beifall im ganzen Hause)

Es ist über die Drs. 3/3038 abzustimmen. Es ist beantragt worden, diese Drucksache in den Innenausschuß zur Beratung zu überweisen. Wer stimmt der Überweisung zu? - Gegenstimmen? - Keine. Stimmenthaltungen? - Ebenfalls nicht. Dann ist die Überweisung einstimmig beschlossen worden. Wir haben damit die Beratung des Tagesordnungspunktes 14 beendet.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 15 auf:

Erste Beratung

Förderung des Landeschorverbandes Sachsen-Anhalt

Antrag der Fraktion der CDU - Drs. 3/3039

Der Antrag wird eingebracht durch den Abgeordneten Herrn Professor Dr. Spotka.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die Landesregierung hat sich in ihrem Bericht zum Kultursponsoring klar dazu bekannt, daß die Bundesrepublik nicht nur ein Rechts- und Sozialstaat ist, sondern sich auch als Kulturstaat versteht und deshalb die Förderung von Kunst und Kultur eine originäre Aufgabe des Staates sei, um die freie Entfaltung von Kunst und Kultur sicher- zustellen.

Dies nochmals unterstreichend, verweise ich aber auf den Brief von Herrn Dr. Werner vom Landesmusikrat an die Mitglieder des Kulturausschusses vom 10. April dieses Jahres, der auf die dramatische Finanzsitua- tion und die kaum noch abzuwendende Auflösung des Chorverbandes Sachsen-Anhalt hinweist. Dieser Verband prägt mit seinen ca. 15 380 Mitgliedern, davon 12 000 Aktiven, maßgeblich das Chor- und Musikleben in Sachsen-Anhalt und hat durch eine Vielzahl beachtenswerter musikalischer Aktivitäten bundesweit Anerkennung errungen.

Just in dem Jahr, in dem der Landeschorverband das Jubiläum 2000 vorbereitet und feiern will, bei dem vor allem darauf hingewiesen werden soll, daß die Ursprünge des Chorwesens in Deutschland vor ca. 170 Jahren in Sachsen-Anhalt lagen, wird dem Landeschorverband die lebensnotwendige Bluttransfusion seitens der Landesregierung verweigert. Während die Landeschorverbände bzw. die Landesverbände des Deutschen Sängerbundes in vielen Bundesländern institutionell gefördert werden, wurde die Förderung in Sachsen-An- halt, vor allem die Förderung der Geschäftsstellenarbeit des Landeschorverbandes, drastisch heruntergefahren, nämlich auf ca. 40 000 bis 45 000 DM pro Jahr. Das ist zum Sterben zu viel und zum Überleben zu wenig.

Anträge auf institutionelle Förderung der Geschäftsstelle, die die CDU-Fraktion in den vergangenen Jahren gestellt hat, wurden von Ihnen, meine Damen und Herren von SPD und PDS, mit dem Hinweis auf die Projektför

derung der Geschäftsstelle abgelehnt. In diesem Jahr allerdings wurde auch ein Antrag auf Projektförderung der Geschäftsstellenarbeit abgelehnt, so daß das Aus für die Geschäftsstellenarbeit vorprogrammiert zu sein scheint.

Die Konsequenzen dieser Entscheidung liegen wohl auf der Hand: Das Ungleichgewicht zwischen der Förderung der sogenannten Hochkultur und der Breitenkultur wird drastisch weiter vergrößert. Die Aufgabe der Geschäftsstelle würde zu einer Erosion des Landeschorverbandes und zum Zerbröseln gewachsener Strukturen unseres Kulturlebens führen.

Eine Weiterführung mit ehrenamtlichen Kräften ist illusorisch. Die Professionalität der Arbeit, die vom Kultusministerium berechtigterweise eingefordert wird, würde in erheblicher Weise darunter leiden. Die Weiterbil- dung der Chorleiter, die Organisation von Leistungswettbewerben, die Ausgestaltung von Landesfesten, die Herausgabe von Anleitungsmaterialien und vieles andere mehr würde unter den Tisch fallen. Das Musik- bzw. Chorleben Sachsen-Anhalts würde um einiges ärmer werden.

Ich halte dieses Szenario für so bedrückend, daß ich pointiert sagen möchte: Wenn das Aufrechterhalten des landesweit mitgliederstärksten Musikverbandes in Sachsen-Anhalt nicht im Interesse dieser Landesregierung liegt, dann liegt es nahe, daß diese Landesregierung dem Landesinteresse weicht.

Die Argumentation, die Geschäftsstelle ließe sich über Projektförderung finanzieren, ist eigentlich kontraproduktiv. Die notwendige institutionelle Förderung, getarnt als Projektförderung, widerspricht einem wichtigen Grundsatz der Förderpolitik, nämlich dem der Problemadäquanz der instrumentalen Ausgestaltung der Förderung. Hier wird einfach die zweifellos für den Wirtschaftsbereich richtige Förderphilosophie schematisch auf ein völlig anders geartetes Politikfeld übertragen. Dabei wird diese Förderphilosophie selbst in der Wirtschaft nicht durchgehalten, obwohl in der Wirtschaft statt einer Konzentration auf die Erlangung von Subventionen das Streben nach Bewährung auf dem Markt eigentlich im Vordergrund stehen müßte.

Beispielsweise - in diesem Bereich kenne ich mich etwas besser aus - hat die Innovationsförderung der Landesregierung zwei Stoßrichtungen, nämlich einmal die Förderung von landesspezifischen Innovationspotentialen über Projekte und zum anderen die institutionelle Förderung des sogenannten Innovationsambientes, also einer Forschungs- und Entwicklungsinfrastruktur.

Was man der Wirtschaft bereits zugesteht, obwohl dies berechtigterweise gegen die Förderphilosophie verstößt, müßte man erst recht der Kultur zugestehen, nämlich die institutionelle Förderung einer kulturellen Infrastruktur, wozu ich auch die Geschäftsstelle des Landeschorverbandes zähle.

Was hier letztlich praktiziert wird, ist nichts anderes als kultureller Darwinismus. Das Grundprinzip müßte vielmehr lauten: Soviel Eigenfinanzierung wie möglich und soviel institutionelle Förderung wie unbedingt nötig.

In diesem Sinne sind auch die Einwendungen des Kultusministeriums, daß ein 15 000 Mitglieder starker Verband eine Geschäftsstelle aus eigener Kraft finanzieren können müßte, durchaus berechtigt. Aber, meine Damen und Herren, sie berücksichtigen zuwenig die gegenwär

tige konkrete Situation im Landeschorverband. Beispielsweise zahlt ein Mitglied des Silcher-Chores in Bernburg 100 DM Beitrag pro Jahr, wovon 8,50 DM pro Jahr an den Landeschorverband abgeführt werden müssen, der davon wiederum 2,70 DM pro Jahr an den Deutschen Sängerbund in Köln abführt.

Eine Anhebung der Beiträge, vom Landeschorverband versucht, von 100 DM auf 120 DM scheiterte in diesem Jahr am Widerstand der Mitglieder, da es sich hierbei nicht nur um betuchte Mitglieder, sondern durchaus auch um sozial Schwächere bzw. Kinder handelt. Würde man die Beiträge und damit die Beitragsabführung weiter erhöhen, würden den Chören die Mitglieder davonlaufen. Gleichwohl drohen bereits heute manche Chöre und teilweise ganze Sängerkreise, sobald sie von der Geschäftsstelle unter finanziellen Druck gesetzt werden, mit dem Austritt aus dem Landeschorverband, was sicherlich auch nicht wünschenswert ist.

Schließlich muß man die Mitgliederstruktur der Chöre einmal näher betrachten, die eine ganz andere ist als in den alten Bundesländern. Während dort zwei bis drei fördernde Mitglieder auf ein aktives Mitglied kommen, kommt man hier höchstens auf eine Relation von eins zu eins, wobei die fördernden Mitglieder in der Regel ausgeschiedene Chormitglieder sind, die nicht mehr singen können. Es ist den Chören, die in der DDR durch Betriebe, LPG usw. gefördert wurden, leider immer noch nicht gelungen, ein kräftiges Vereinsleben zu entfalten, das zahlungskräftige Fördermitglieder anzieht.

Bei mir war heute morgen der Wehrleiter der Feuerwehr der Stadt Bernburg. Dabei wurde deutlich: Auch der Feuerwehr ist es nicht gelungen, in zehn Jahren in Sachsen-Anhalt ein solches Vereinsleben aufzubauen. Die Feuerwehren zu DDR-Zeiten waren eher als paramilitärische Organisationen organisiert als als Verein, und auch nach zehn Jahren haben sie immer noch Schwierigkeiten - insbesondere in den städtischen Gebieten -, sich als Verein gewissermaßen zu generieren und gleichzeitig viele freiwillige Mitglieder zu gewinnen.