Protokoll der Sitzung vom 04.05.2000

Meine Damen und Herren! Unser Innenminister ist sachlich und fachlich sehr konzentriert auf die einzelnen Punkte der geplanten Gesetzesänderung eingegangen. Es genügt deswegen, wenn ich zu den drei hauptsächlich in Frage stehenden Punkten nur noch ein paar kurze Anmerkungen mache.

Zunächst zu den lagebildabhängigen Kontrollen. Dabei hatte ich übrigens den Eindruck, Herr Kollege Gärtner, daß Sie bei Ihrem Beitrag noch auf dem Stand der Diskussion des vergangenen Herbstes gewesen sind. Im Zuge der Diskussion war statt dessen nämlich auch der Begriff der verdachts- und ereignisunabhängigen Kontrollen in der Welt. Der grundsätzliche Unterschied zwischen beiden Begriffen ist nach meinem Eindruck in der Öffentlichkeit und, wie sich zeigt, auch im Parlament kaum diskutiert worden.

Eine verdachts- und ereignisunabhängige Kontrolle kann wie bei einer Stichprobe nahezu willkürlich nach Gutdünken oder Verfügbarkeit von polizeilichen Kräften eingesetzt werden, und zwar mit der Begründung, irgend etwas finde man ja immer. Sie entzieht sich damit weitgehend der gerichtlichen Überprüfbarkeit ihrer Notwendigkeit.

Die nun im Gesetz vorgesehene lagebildabhängige Kontrolle darf nur auf der Basis eines begründeten Verdachts erfolgen. Das wiederum ist die Voraussetzung dafür, daß auch die einzelne Bürgerin und der einzelne Bürger im Zweifelsfall vor Gericht prüfen lassen kann, ob der Grund berechtigt war. Willkür ist damit so gut wie ausgeschlossen.

Auch beim erweiterten Platzverweis ist eine sehr vernünftig begründete Differenzierung vorgenommen worden. Beim Verdacht auf rechtsextremistische Straftaten beispielweise reichen gewiß vier Tage, es müssen nicht 14 Tage sein; aber beim Drogenhandel werden vier Tage nicht ausreichen. Es klingt plausibel, wenn man hierbei die Zweiwochenregelung anwendet. Auch an dieser Stelle ist man im Laufe des Diskussionsprozesses der Forderung auf Bewahrung der Freiheitsrechte immer weiter entgegengekommen, ohne daß der geänderte Gesetzentwurf nennenswert an Wirksamkeit einbüßt.

Nun noch zu dem dritten umstrittenen Thema, der Videoüberwachung auf öffentlichen Plätzen und Straßen. Wie es mit dem Umfang des Anwendungsbereiches steht, habe ich schon dargelegt.

Das Beispiel England würde auch mich abschrecken, obwohl wir als Abgeordnete natürlich längst daran gewöhnt sind, ohnehin stets einer gewissen öffentlichen Beobachtung ausgesetzt zu sein. Aber es gibt viele Menschen - dafür habe ich auch Verständnis -, denen das ganz und gar zuwider ist. Sie leiden darunter, ständig beobachtet zu werden, auch wenn sie nichts zu verbergen haben. Es ist ihnen einfach unangenehm.

Bei der Videoüberwachung sind im Ergebnis unserer Diskussion zwei Gesichtspunkte von besonderer Bedeutung. Es soll damit auch künftig nicht mehr möglich sein, als grundsätzlich auch ein Polizist vor Ort mit Brille und Fernrohr, eventuell noch mit einem Fotoapparat,

leisten könnte. Die nach der Strafprozeßordnung auch bisher schon mögliche unmittelbare Aufzeichnung einer entstehenden Straftat ist durch diese Regelung ohnehin nicht erfaßt. Auch künftig braucht bei niemandem das unwohle Gefühl aufzukommen, das entsteht, wenn seine Bewegungen von ihm unbekannten Personen aufgezeichnet und beliebig angeschaut und archiviert werden können.

Ein zweiter Gesichtspunkt ist der Streit über die Frage, ob durch die Videoüberwachung die Kriminalität nur verdrängt, also an einen anderen Ort gedrängt wird oder ob sie tatsächlich zurückgedrängt, also insgesamt vermindert wird. Es ist naheliegend, daß beides passieren wird. Natürlich werden viele Straftäter an einen anderen Ort ausweichen. Genauso natürlich ist es jedoch, daß die Kriminalität in einem gewissen Umfang dadurch zurückgedrängt werden könnte, weil andere dafür geeignete Orte nicht beliebig zur Verfügung stehen. Erste Erfolgsmeldungen sollten meines Erachtens mit Vorsicht aufgenommen werden. Erst eine entsprechende Untersuchung über einen längeren Zeitraum wird darüber Klarheit bringen.

Meine Damen und Herren! Die Arbeit unserer Polizei ist nötig und gut.

(Zustimmung von Herrn Sachse, SPD)

Sie muß mit den uns zur Verfügung stehenden personellen, organisatorischen, technischen und rechtlichen Mitteln unterstützt werden. Damit schränken wir freiwillig auch unsere Freiheitsrechte ein. Das nehmen wir aber nur insoweit in Kauf, als wir es für unbedingt erforder- lich halten, um die Gefahrenabwehr und den Schutz vor Straftaten bis zu einem gewissen Maße zu gewährleisten. Der damit verbundene Abwägungsprozeß kann sehr schwierig sein und wird von fast jedem Menschen seiner persönlichen Situation entsprechend ein wenig anders vorgenommen.

Wir kennen unsere Grenzen, und eine gute Polizei kennt ihre Grenzen ebenfalls. Sie darf ihre Möglichkeiten nur ausschöpfen, wenn es für die Erfüllung ihrer Aufgaben eindeutig erforderlich ist. Das muß übrigens auch schon der alte Geheimrat Goethe so gesehen haben. Lassen Sie mich deswegen mit einem Zitat von ihm schließen:

„Meine Hauptlehre“

- so sagte er -

„ist vorläufig diese: Der Vater sorge für sein Haus, der Handwerker für seine Kunden, der Geistliche für gegenseitige Liebe, und die Polizei störe die Freude nicht.“

Danke schön.

(Beifall bei der SPD und von der Regierungs- bank)

Danke sehr. - Meine Damen und Herren! Wir begrüßen Schülerinnen und Schüler der Sekundarschule Bernburg-Süd und Ost sowie Gäste der Landeszentrale für politische Bildung Sachsen-Anhalt.

(Beifall im ganzen Hause)

Für die DVU-FL-Fraktion erteile ich nun dem Abgeordneten Herrn Büchner das Wort. Bitte, Herr Büchner.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Aufgrund der wachsenden Kriminalität in unserem Land ist die- ses Gesetz schon längst überfällig und sollte deshalb schleunigst beschlossen und in die Praxis umgesetzt werden.

Die organisierte Kriminalität setzt zur Erreichung ihrer Ziele immer mehr Technik ein, und das Land ist des- halb gefordert, zum Schutz seiner Bürger zu reagieren. Bürger unseres Landes, - das ist die übergroße Mehrheit - die sich entsprechend den gesellschaftlichen Normen bewegen, haben durch dieses Gesetz nichts zu befürchten, im Gegenteil, es dient letztlich ihrer Sicherheit.

In unserem Land, wo es heutzutage möglich ist, flächendeckend an Drogen jedweder Art heranzukommen, muß die Staatsgewalt einfach reagieren. Warum sollte man zur Bekämpfung von Kriminalität nicht die vorhandenen technischen Mittel ausschöpfen, die in der freien Wirtschaft schon längst gang und gäbe sind? Videoüberwachungen von Tankstellen, in Supermärkten und Geldinstituten gehören längst zum Alltag und werden von der Mehrheit der Bevölkerung akzeptiert. Daß Bankräuber und Ladendiebe nicht überwacht werden wollen, liegt auf der Hand.

Aufgrund der geographischen Lage von Sachsen-Anhalt wird unser Land in zunehmendem Maße von organisierten kriminellen Banden als Transitland benutzt. Aufgrund dessen ist nichts gegen Kontrollen auf Straßen und Autobahnen einzuwenden, wenn es auch für den einzelnen im Moment noch etwas unangenehm erscheinen mag.

Auch zur besseren Bekämpfung von gewaltbereiten Chaoten, die sich zur Kaschierung ihrer kriminellen Handlungen ein politisch gefärbtes Mäntelchen umgehängt haben, sprich: aus den Reihen der PDS,

(Frau Stolfa, PDS: Ach!)

dient dieses Gesetz, das von uns voll und ganz mit- getragen wird.

Wie nötig die schnelle Inkraftsetzung dieses Gesetzes ist, zeigen die Ausschreitungen in der Nacht vom 1. zum 2. Mai 2000 in Berlin, bei denen 220 Polizisten verletzt wurden; aber Gewalt von links ist ja nicht so schlimm, was die betroffenen Polizisten wahrscheinlich etwas anders sehen werden.

Wir verbinden unsere Zustimmung zu diesem Gesetz allerdings mit der Hoffnung, daß in Zukunft die Justiz schneller reagieren und der Zeitraum zwischen dem Begehen der Tat und der Verurteilung durch die Justiz so gering wie möglich gehalten wird, was letztlich zu einer besseren Motivierung der Ordnungskräfte führt.

Meine Damen und Herren! Lassen Sie mich noch ein paar Sätze darüber verlieren, was im Vorfeld zu diesem Gesetzentwurf alles geschehen ist.

Wenn es nach dem Willen der PDS gegangen wäre, würde dieses Gesetz weder heute noch in Zukunft auf dem Tisch dieses Hauses liegen. Da erdreistet sich eine Partei, die gewählt wurde, aber nicht von der Mehrheit der Bevölkerung, die Regierung unter Druck zu setzen, und nennt das auch noch Tolerierung. - Ein merkwürdiges Demokratieverständnis haben diese Leute.

Was wir für ein Polizeigesetz zu erwarten hätten, wenn die PDS 50 % der Wählerstimmen bekommen hätte, können wir uns lebhaft vorstellen, haben wir doch das

DDR-Regime noch nicht vergessen, dieses Regime, in dem so viel von Menschenrechten gesprochen wurde und so wenig davon zu spüren war.

(Unruhe bei der SPD und bei der PDS)

Die PDS fühlt sich schon wieder so hoffähig, daß sie glaubt - -

(Anhaltende Unruhe)

Meine Damen und Herren! Ich darf um etwas mehr Ruhe bitten.

(Herr Dr. Süß, PDS, und Frau Fischer, Leuna, SPD: Aufhören!)

Die PDS fühlt sich schon wieder so hoffähig, daß sie glaubt, schon wieder eine Kampagne fahren zu können. Selbst vor Erpressungsversuchen gegen die Landesregierung schreckte man dabei nicht zurück. Dem aufmerksamen Beobachter zeigt sich indes, daß diese Partei im Kern nicht reformfähig ist.

Meine Damen und Herren! Die Bevölkerung von Sachsen-Anhalt hat die Vertreter des Volkes in diesen Landtag gewählt, damit sie Politik nach demokratischen Spielregeln und zum Wohle des Volkes machen. Wir sind nicht dazu gewählt, um konspirative Sitzungen in irgendeinem Wasserschloß abzuhalten.

(Frau Lindemann, SPD: Das können Sie am aller- besten!)

Wir hoffen, daß auch die Regierungsvertreter dies in Zukunft beherzigen werden. - Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der DVU-FL)

Damit ist die Debatte beendet. Wir kommen zum Abstimmungsverfahren zu den Drs. 3/3023 und 3/3075. Der Vorsitzende der SPD-Fraktion hat die Überweisung in den Innenausschuß und zur Mitberatung in den Ausschuß für Recht und Verfassung beantragt.

(Herr Dr. Bergner, CDU, meldet sich zu Wort)

Herr Dr. Bergner, bitte, zur Geschäftsordnung.

Herr Präsident, ich bitte, über die Überweisung in die beiden Ausschüsse getrennt abstimmen zu lassen. Die Federführung durch den Innenausschuß ist sicher unstrittig, aber über die Mitberatung des Ausschusses für Recht und Verfassung möchte gesondert abgestimmt werden.

Dann stimmen wir zunächst über die Überweisung in den Innenausschuß ab. Wer sich dem Antrag anschließt, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenstimmen? - Stimmenthaltungen? - Bei zwei Stimmenthaltungen ist die Überweisung in den Innenausschuß vorgenommen worden.

Ich komme jetzt zur Überweisung des Gesetzentwurfes zur Mitberatung in den Ausschuß für Recht und Verfas