Protokoll der Sitzung vom 23.06.2000

- Das wird zurückgezogen. - Ich bitte nun die Abgeordnete Frau Kauerauf, für die SPD-Fraktion das Wort zu ergreifen.

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die SPD-Landtagsfraktion bewertet die Grundschule mit festen Öffnungszeiten als eine innovative und pädagogisch sinnvolle Gestaltungsform für eine zukunftsfähige Grundschule. Der heute durch die Landesregierung eingebrachte Gesetzentwurf wird von uns unterstützt und als Fortführung der mit der flexiblen Schuleingangsphase begonnenen Reform der Grundschule bewertet.

Parallel zu den Vorbereitungen der Landesregierung beschäftigt sich seit Februar 1999 auch der Arbeitskreis Grundschule im Fachausschuß Bildung der SPD-Fraktion mit einem inhaltlichen und organisatorischen Konzept zur Einführung einer Grundschule mit festen Öffnungszeiten. Die während dieser Arbeit gewonnenen Ergebnisse wurden bilateral mit Vertretern des Kultusministeriums erörtert.

Meine Damen und Herren! Daß dieses Gesetzesvorhaben schon Monate vor der Einbringung in der Öffentlichkeit intensiv diskutiert wurde, zeigt sowohl die Bedeutung für die Betroffenen als auch die Vielschichtigkeit der Thematik.

Aus den Stellungnahmen läßt sich jedoch auch klar ableiten: Die Grundschule mit festen Öffnungszeiten birgt neue pädagogische Chancen, die es zu nutzen gilt. Sie eröffnet die Gestaltung eines natürlichen Lern- und Lebensrhythmus fernab des sonst 45 Minuten dauernden Unterrichts. In organisatorischer Verantwortung der Schule erfolgt ein Wechsel zwischen gelenkten und offenen Phasen, zwischen Lernarbeit, Spiel und Freizeit. Dadurch wird individualisierendes, soziales und integratives Lernen gefördert, und es werden Kultur- und Lerntechniken vermittelt.

Die Einbeziehung pädagogischer Mitarbeiterinnen zur Ergänzung und Unterstützung des Unterrichts trägt zu einer Verstärkung der sozialpädagogischen und erzieherischen Kompetenzen an der Grundschule bei. Für Eltern bietet die regelmäßige schultägliche Öffnungszeit eine verläßliche Grundlage für berufliche Tagesplanungen.

Die tägliche Öffnungsdauer ist im Gesetzentwurf mit in der Regel 5,5 Zeitstunden angegeben. Die konkrete Zeitfestsetzung erfolgt im Benehmen zwischen der Schule, dem Träger der Schülerbeförderung und der öffentlichen und freien Jugendhilfe.

Zum festgelegten Zeitumfang gab es im Vorfeld eine Reihe von Diskussionen. Das ist in den Redebeiträgen angeklungen. Wir erachten den Zeitumfang als angemessen. Entscheidend ist aus unserer Sicht eine flexible pädagogische Ausgestaltung für die Einzelschule.

Wichtig ist in diesem Zusammenhang der ausdrückliche Hinweis, daß außerunterrichtliche Angebote von der Öffnungszeit nicht berührt werden. Sie werden also weiterhin von der Schule angeboten werden können, und sie sollen auch angeboten werden.

Zeitgleich mit der flächendeckenden Einführung der Grundschule mit festen Öffnungszeiten tritt - es wurde bereits erwähnt - am 1. August 2001 das Hortgesetz außer Kraft. Damit wird die Aufgabe der Kinderbetreuung dem bundeseinheitlichen Rahmen angepaßt und künftig ausschließlich vom Träger der örtlichen Jugendhilfe wahrgenommen. Somit haben Eltern für ihre Kinder auch weiterhin bis zum Abschluß der Klasse 6 - das möchte ich betonen - einen Rechtsanspruch auf einen Hortplatz im Rahmen des Kinderbetreuungsgesetzes. Das gibt es nur in unserem Bundesland.

Zur Sicherung und Ausgestaltung dieses Anspruchs bedarf es selbstverständlich sorgfältiger Abstimmungen der Grundschulen und der Schulträger mit den Trägern der örtlichen Jugendhilfe und der Schülerbeförderung. Ein sich dieser Problematik annehmender gemeinsamer Runderlaß der beteiligten Ministerien wäre nach unserer Ansicht wünschenswert.

Von den derzeit noch in den Schulhorten arbeitenden ca. 2 000 Horterzieherinnen werden zukünftig mehr als 1 200 als pädagogische Mitarbeiterinnen in den neuen Grundschulen arbeiten. Das ist eine zur erfolgreichen Umsetzung des pädagogischen Konzeptes notwendige Maßnahme. Für die verbleibenden Horterzieherinnen gibt es eine Reihe anderer beruflicher Perspektiven, in Sonderschulen, in Ganztagsschulen und auch bei der Schulsozialarbeit.

Damit wird dem Landtagsbeschluß vom 18. Februar 1999 entsprochen, der die Erschließung weiterer Einsatzmöglichkeiten im Bildungsbereich forderte, um betriebsbedingten Kündigungen von Hortnerinnen aus dem

Wege zu gehen. Dafür gebührt der Landesregierung und speziell dem Kultusminister hohe Anerkennung.

Abschließend sei ein Blick über die sachsen-anhaltischen Landesgrenzen erlaubt. Frau Feußner, auch hierbei möchte ich noch einmal auf das eingehen, was Sie sagten. Es ist keineswegs etwas Besonderes, wenn flächendeckend eine solche volle Halbtagsschule, wie sie in anderen Bundesländern heißt, eingeführt wird. Außer den acht Bundesländern, die das schon eingeführt haben, planen weitere Bundesländer die Einführung dieser Grundschule mit festen Öffnungszeiten.

(Frau Feußner, CDU: Auf freiwilliger Basis, Frau Kauerauf, ist das zu machen!)

Wir befürworten die Überweisung des Gesetzentwurfes in die beantragten Ausschüsse und wünschen die Federführung des Ausschusses für Bildung und Wissenschaft. - Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der SPD - Zustimmung bei der PDS)

Vielen Dank. - Von der DVU-FL-Fraktion ist ein Wortbeitrag nicht angemeldet worden. - Es bleibt dabei. Damit ist die Debatte abgeschlossen.

Wir kommen zur Abstimmung über die Ausschußüberweisung. Ich fasse das noch einmal zusammen: Der Ausschuß für Bildung und Wissenschaft als federführender Ausschuß dürfte unbestritten sein.

(Unruhe bei der CDU)

- Ich darf um Aufmerksamkeit bitten, damit ich die anderen Ausschüsse nennen kann. - Ferner wurde die Überweisung in den Ausschuß für Inneres, in den Ausschuß für Gleichstellung, Kinder, Jugend und Sport und in den Ausschuß für Recht und Verfassung gewünscht.

(Zuruf von der SPD: Und Finanzen!)

- Der Finanzausschuß wurde auch noch genannt. Somit sind es insgesamt fünf Ausschüsse, in die der Gesetzentwurf überwiesen werden soll.

(Frau Kauerauf, SPD: Vier!)

- Entschuldigung, Sie sagten, der Ausschuß für Recht und Verfassung, der Ausschuß für Inneres und der Ausschuß für Gleichstellung -

(Frau Kauerauf, SPD: Der Ausschuß für Recht und Verfassung nicht!)

- Dann sind es vier Ausschüsse.

Wer der Überweisung in die genannten Ausschüsse, auf die wir uns jetzt geeinigt haben, zustimmt, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Bei fünf Stimmenthaltungen und einer größeren Anzahl von Gegenstimmen ist die Ausschußüberweisung mit der dafür notwendigen Mehrheit beschlossen worden. Damit ist die Beratung zum Tagesordnungspunkt 6 abgeschlossen.

Ich rufe Tagesordnungspunkt 7 auf:

Erste Beratung

Entwurf eines Ersten Vorschaltgesetzes zur Kommunalreform

Gesetzentwurf der Landesregierung - Drs. 3/3265

Entschließungsantrag der Fraktion der CDU - Drs. 3/3310

(Unruhe)

- Meine Damen und Herren! Ich muß mit Nachdruck darum bitten, daß Ruhe im Saal einkehrt. Auch in der CDU-Fraktion muß wieder mehr Aufmerksamkeit vorhanden sein. Wenn es so dringliche Sachen zu besprechen gibt, müßten wir die Sitzung unterbrechen, bis Sie das geklärt haben.

Ich bitte den Minister des Innern Herrn Dr. Püchel um die Einbringung des Gesetzentwurfes.

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Sachsen-Anhalt braucht im Interesse der Zukunftsfähigkeit des Landes und seiner Kommunen eine Kommunalund Verwaltungsreform. Mit der Vorstellung meines Leitbildes Ende letzten Jahres habe ich dazu eine landesweite Diskussion angeschoben.

Die Debatte über die Kommunalreform wird überall im Land geführt - zwischen Arendsee und Zeitz, zwischen Wernigerode und Weißenfels. Das belegt, daß die Menschen in unserem Land an den Selbstgestaltungsmöglichkeiten ihrer Kommunen interessiert sind und die Strukturen im Bürgerinteresse optimieren und damit zukunftsfähig gestalten wollen.

In den letzten Monaten hat sich eine erstaunlich positive Entwicklung aufgetan. Waren anfangs überwiegend ablehnende oder skeptische Stimmen zu vernehmen, so können wir heute feststellen, daß häufig nicht mehr nach dem Ob, sondern wesentlich öfter nach dem Wie gefragt und über das Wie diskutiert wird. Dies ist ein echter Fortschritt und dürfte auch mit der um sich greifenden Erkenntnis zusammenhängen, daß am Ende derjenige, der sich nicht selbst bewegt, die vielfältigen Mitgestaltungsmöglichkeiten für die zukünftige Entwicklung seiner Kommune aufgibt. Ein Bürgermeister sagte kürzlich sehr treffend: Wer sich nicht bewegt, der wird bewegt!

Ich möchte an dieser Stelle all denen danken, die sich im Interesse der Sache in den Reformprozeß konstruktiv einbringen.

Die Diskussionen vor Ort zeigen aber auch, daß vom Land inhaltliche Begleitmaßnahmen angeschoben werden müssen. Die Kommunalpolitiker benötigen einen Orientierungsrahmen und erwarten zu Recht Regelungen, die zur Flankierung einer Kommunalreform erforderlich sind. In den vorgesehenen Umsetzungszeitraum fallen zudem zahlreiche Entscheidungen, die weit in die Zukunft reichen. Um Fehlentwicklungen möglichst auszuschließen, brauchen wir deshalb frühzeitig grundsätzliche Regelungen.

Diesem Anliegen widmet sich der Ihnen heute von der Landesregierung vorgelegte Entwurf eines Ersten Vorschaltgesetzes zur Kommunalreform. Wir beschreiten mit diesem Gesetz einen Weg, wie ihn alle Länder, die schon eine Kommunalreform durchgeführt haben, beschritten haben.

Bevor ich auf den Inhalt im einzelnen eingehe, möchte ich noch eine Bemerkung zur Terminierung dieses Vorschaltgesetzes vorwegschicken. Ich sagte bereits, daß die politische Diskussion um die konkreten Inhalte der Kommunalreform noch andauert. Dabei geht es auch um die Zahlen des Leitbildes. Gleichwohl sind jetzt schon flankierende Maßnahmen zu beschließen, um

Fehlentwicklungen zu vermeiden. Wir alle kennen zahlreiche Beispiele mit unerwünschten Folgen. Ich erinnere nur an das „Schiff“ in Staßfurt und an das Landratsamt in Genthin.

Das Vorschaltgesetz wird folglich bewußt parallel zur laufenden politischen Diskussion eingebracht. Dieser Umstand ist in der Sache unschädlich, da das Vorschaltgesetz keine Vorentscheidung bezüglich der Größe künftiger kommunaler Einheiten und ihres konkreten Zuschnitts beinhalten muß. Der vorgelegte Gesetzentwurf stellt besser gesagt den Einstieg in die freiwillige Phase der Kommunalreform dar.

Ich möchte noch einmal betonen, daß es dagegen im Land nur noch vereinzelten Widerstand gibt. Im Gegenteil, durch die jüngsten Beiträge der kommunalen Spitzenverbände, insbesondere durch die Stellungnahme des Städte- und Gemeindebundes, wurde die Notwendigkeit, eine Reform durchzuführen, nachhaltig unterstrichen.

Im Kern unterstützt diese Stellungnahme alle Eckdaten des Leitbildes zur gemeindlichen Ebene. Teilweise werden sogar Vorstellungen entwickelt, die über das Leitbild hinausgehen. Auch die in der Stellungnahme enthaltenen zahlenmäßigen Anforderungen an die Größe künftiger gemeindlicher Einheiten sind, soweit sie vom Leitbild überhaupt abweichen, akzeptabel.

Ich würde es begrüßen, wenn der Landtag sich die Kernpunkte des Papiers zu eigen machen würde, vielleicht schon im Zusammenhang mit der Verabschiedung des Vorschaltgesetzes, zum Beispiel in Form einer Entschließung. Meine Hoffnung, daß dies möglich sein sollte, wird durch die positiven Signale der letzten Tage, die von der PDS und von der CDU ausgegangen sind, bestärkt. Ich denke dabei an das letzte Wochenende. Lassen Sie uns gemeinsam diesen Schwung aufnehmen und die Reform umsetzen.

Ich möchte es an dieser Stelle nicht versäumen, vor allen Dingen dem Städte- und Gemeindebund zu danken, der sich bei dem für ihn gewiß nicht einfachen Unterfangen so engagiert und offen zum Leitbild bekennt.

(Zustimmung von Herrn Rothe, SPD)