Protokoll der Sitzung vom 23.06.2000

Danke, Frau Ministerin. - Die FDVP-Fraktion hat, wenn sich kein Widerspruch erhebt, ihre Rede zu Protokoll gegeben. - Kein Widerspruch.

(Zu Protokoll:)

Bisher zahlte der Arbeitnehmer bei einem Monatseinkommen bis höchstens 630 DM weder Steuern noch Sozialabgaben. Auch der Arbeitgeber führte keine Beiträge an die Sozialversicherung ab, lediglich pauschale Steuern von 22,5 %. Beide Seiten, sowohl der geringfügig beschäftigte Arbeiter oder die Arbeiterin - meist waren es Frauen - als auch die Wirtschaft, insbesondere das Hotel- und Gastronomiegewerbe, profitierten davon. Der Wirtschaft ging es besser als heute.

Doch der Staat sah hierin angeblich Steuerschlupflöcher, nein nicht für die Millionäre und Milliardäre, sondern für die Ärmsten dieses Landes; denn es soll vorgekommen sein, so der sozialfeindliche und jämmerliche Rechtfertigungsversuch der Bundesregierung, daß manche gleich zwei solcher Jobs ausführten, sich also wagten, 1 260 DM auf einmal steuerfrei zu verdienen.

Man muß wissen, daß diejenigen, die das taten, arbeitslos, langzeitarbeitslos, sozialhilfeabhängig oder Hungerrentner waren und ohnehin zuwenig Geld zum Leben und zuviel zum Sterben erhielten.

Doch Schluß mit dieser Symbiose aus Wirtschaft und staatlich verursachter Armut, sagte sich die neue Bundesregierung und sorgte dafür, daß das 630-DM-Arbeitsverhältnis auf der Lohnsteuerkarte penibel genau eingetragen werden muß, gegebenenfalls auf mehreren Lohnsteuerkarten, völlig ignorierend, daß die meisten Kleinständler aufgrund ihrer nicht vorhandenen Finanzdecke gar keine Vollbeschäftigten einstellen können, weil sie sie nicht bezahlen können.

Alle Einnahmen aus einer eventuellen haupt- und geringfügigen Nebenbeschäftigung, aber auch das Arbeitslosengeld, Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe werden angerechnet. Schließlich soll es den Ärmsten nicht zu gut gehen in diesem Staat.

Natürlich müssen geringfügig Beschäftigte jetzt auch in die Renten- und Krankenversicherung einzahlen, nennenswerte Rentenansprüche erwerben sie allerdings nicht.

Und auch auf Unternehmerseite boomt die Flaute, kommen die Kosten unter Umständen höher zu liegen.

Diese Regelung der Bundesregierung schreit zum Himmel, da das Billiglohngebiet Mitteldeutschland damit zementiert wird.

Wenn nun die CDU fordert, daß doch wenigstens ehrenamtlich Tätige unterhalb der Geringfügigkeitsgrenze, wie das die bayerische Initiative vorsieht, sozialversicherungsfrei gestellt werden sollen, dann halten wir das erstens für CDU-typische Makulatur an einem rot-grünen Gesetz und zweitens für eine Diskriminierung aller derjenigen Gruppen - und das ist nun mal die Masse -, die nicht ehrenamtlich tätig sein können oder wollen.

Eine Privilegierungsforderung à la CDU für die Gruppe der ehrenamtlich Tätigen, die im Berufsleben stehend schon gut genug verdienen, lehnen wir genauso kategorisch ab wie das 630-DM-Gesetz insgesamt.

Unser Änderungsantrag lautet daher ganz klar auf Wiederabschaffung der Gesetzesänderung zur geringfügigen Beschäftigung.

Dann hat für die SPD-Fraktion die Abgeordnete Frau Ute Fischer das Wort.

Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren Abgeordnete! Frau Stange, es ist wahr, wir haben uns zu diesem Gesetz schon des öfteren verständigt. Sie haben immer klargemacht, daß es große Mängel hat. Sie haben nicht einmal versucht, die positiven Seiten dieses Gesetzes irgendwie zu würdigen.

Ich will es ganz kurz machen. Die Ministerin hat dargelegt, warum wir Ihrem Antrag heute nicht zustimmen können, nämlich weil es zu diesem Entschließungsantrag jetzt einen Gesetzentwurf gibt, der noch nicht ausreichend dahin gehend geprüft ist, ob er die Nachbesserungen enthält, die wir wollen.

Auch wir sagen: Das Ehrenamt und die Aufwandsentschädigungen, die man für das Ehrenamt bekommt, sollen nicht durch zusätzliche Steuern belastet werden. Man muß natürlich prüfen: Bis zu welchem Umfang ist eine Tätigkeit eigentlich noch ein Ehrenamt? Welche Beträge werden dafür bezahlt, und ab welcher Höhe sollte man seine Sozialversicherungsbeiträge dafür zahlen?

Ich denke, wir sollten genau prüfen, was in diesem bayerischen Gesetz steht.

Ich sage für die SPD-Fraktion, daß wir diesen Antrag aus den von der Ministerin vorgetragenen Gründen heute ablehnen und den Änderungsantrag dazu ebenfalls. - Danke schön.

(Zustimmung bei der SPD)

Die DVU-FL Fraktion verzichtet auf einen Redebeitrag. Für die PDS-Fraktion hat die Abgeordnete Frau Dirlich das Wort.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Auch ich möchte nur weniges hinzufügen, weil ich glaube, daß die Frau Ministerin die Zusammenhänge ausreichend dargestellt hat.

„Ehrenamtliche Arbeit stellt für die überwiegende Mehrheit ehrenamtlich Tätiger keine Alternative zur Erwerbsarbeit dar.“

Diesen Satz habe ich - Ihre Genehmigung vorausgesetzt, Frau Präsidentin - einem Entschließungsantrag der sächsischen SPD entnommen. Auch die CDU-Fraktion will in dem heute vorliegenden Antrag das Ehrenamt grundsätzlich von abhängigen Beschäftigungsverhältnissen abgrenzen, wenn ich sie richtig verstanden habe. Auch der Gesetzentwurf des Freistaates Bayern, von dem heute schon die Rede war, geht davon aus, daß die Annahme eines Ehrenamtes voraussetzt, daß die Tätigkeit nicht wie in einem Arbeitsverhältnis vergütet wird.

All dem kann die PDS nur zustimmen, auch deshalb, weil man den Versuchen, sich aus den Bereichen der sozialen Arbeit, aber auch der Betreuungsformen immer weiter zurückzuziehen und solche Arbeiten von bezahlter Tätigkeit in ehrenamtliche Tätigkeit umzuwandeln, entgegentreten muß.

Man muß auch deshalb zustimmen, weil den zahlreichen Arbeitslosen in diesem Land mehr und mehr gesagt wird, sie möchten sich doch gefälligst durch die Übernahme eines solchen Amtes wenigstens etwas für die Gesellschaft engagieren, natürlich möglichst unbezahlt oder geringfügig bezahlt, sozusagen als Ersatz für Erwerbsarbeit. Wir haben das an verschiedenen Stellen und immer wieder abgelehnt.

Mir scheint aus all diesen Gründen der Zusammenhang zwischen Ehrenamt und 630-DM-Jobs, der hiermit festgeklopft werden soll, nicht ganz sachgerecht zu sein, weil es der Sinn und der Erfolg des Gesetzes ist, geringfügige Beschäftigungen sozial abzusichern, aber auch die Umwandlung von sozialversicherungspflichtiger Arbeit in ungeschützte Beschäftigungsverhältnisse einzudämmen.

Natürlich muß man das Ehrenamt gesellschaftlich aufwerten, also fördern. Natürlich müssen auch Menschen mit geringen Einkommen in die Lage versetzt werden, sich ehrenamtliche Arbeit leisten zu können. Das ist deshalb so, weil ehrenamtliche Arbeit eben nicht zum Nulltarif zu haben ist. Ein Schritt in diese Richtung - das hat die Ministerin gesagt - kann die im Gesetzentwurf des Freistaates Bayern zur Förderung ehrenamtlicher Tätigkeit vorgeschlagene Änderung des SGB IV sein.

Der Freistaat Bayern hat an dieser Stelle übrigens den Bezug zum 630-DM-Job-Gesetz nicht mehr hergestellt, was ich für richtig halte. Wenn man allerdings die Aufwertung des Ehrenamts ernst meint, dann werden die von Bayern vorgeschlagenen Regelungen nicht ganz ausreichen. Offen bleibt zum Beispiel der Konflikt, in den Arbeitslose mit den Arbeitsämtern geraten, wenn ihr Ehrenamt einen bestimmten Zeitrahmen sprengt und sie nach Auffassung der Arbeitsämter dadurch nicht mehr dem Arbeitsmarkt zur Verfügung stehen. Auch das soll es geben. Auch das müßte dann geregelt werden.

Deshalb und aus anderen Gründen wird der Landtag von Sachsen-Anhalt dem Vorschlag der CDU nicht folgen können. Wir werden das Thema Ehrenamt diskutieren müssen, aber nicht auf der Grundlage dieses Antrages. - Danke.

(Zustimmung bei der SPD)

Das Wort hat noch einmal für die CDU-Fraktion die Abgeordnete Frau Stange.

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich will es kurz machen. Ich will eines wiederholen: Es ist endlich eine Möglichkeit, konkret zu sagen, wie wir das Ehrenamt fördern. Unserer Ansicht nach ist ein unbedingter Zusammenhang und eine Verbindung zwischen dem 630-DM-Gesetz und dem Ehrenamt zu sehen.

Ministerin Stamm aus Bayern hat angekündigt, diesen Gesetzentwurf in der nächsten Bundesratssitzung einzubringen. Falls er dann abgelehnt wird, haben wir wenigstens einen Entschließungsantrag und können einen Schritt für die Ehrenamtlichen tun. Deswegen haben wir diesen Antrag heute eingebracht.

Ich möchte zum Abschluß, um noch einmal dafür zu werben, aus der ISW-Studie, dem Arbeitsmarktmonitor, an dessen Auswertung ich beteiligt war, zitieren, und

zwar zu dem Punkt der geringfügigen Beschäftigungsverhältnisse:

„Extrem negativ bewerten die 1999 nicht mehr geringfügig Beschäftigten (Aussteiger) die neuen gesetzlichen Regelungen. Nur 5 % der Erwerbstätigen meinen, daß die gesetzliche Neuregelung überwiegend Vorteile gebracht hat.“

Sie reden an der Realität vorbei. Diese Regelung des Bundes hat Auswirkungen auf die ehrenamtliche Tätigkeit nur in bezug auf den Teil der Sozialversicherungsfreiheit bzw. -pflichtigkeit. Das müssen Sie endlich eingestehen, auch wenn Sie vielleicht eine andere politische Richtung vertreten.

Tun Sie doch etwas für die Ehrenamtlichen in diesem Land. Sie wollen ihre Arbeit in Verbindung mit den Hauptamtlichen leisten, und wir müssen die politischen Rahmenbedingungen dafür schaffen.

(Zuruf von Frau Dirlich, PDS)

Deswegen und nur deswegen haben wir diesen Antrag eingebracht.

(Beifall bei der CDU)

Frau Stange, würden Sie noch eine Frage von Frau Dirlich beantworten?

(Frau Stange, CDU: Da es Frau Dirlich sowieso nicht verstehen will, brauche ich die Frage auch nicht zu beantworten! - Frau Dirlich, PDS: Ich wollte nur wissen, ob Sie der Frau Ministerin zu- gehört haben!)

Meine Damen und Herren! Die Debatte ist damit zu Ende. Wir kommen zum Abstimmungsverfahren zur Drs. 3/3272 und zur Drs. 3/3312.

Es ist zunächst über den Änderungsantrag der FDVPFraktion in der Drs. 3/3312 abzustimmen. Wer stimmt zu? - Gegenstimmen? - Stimmenthaltungen? - Bei wenigen Stimmenthaltungen ist dieser Änderungsantrag mit deutlicher Mehrheit abgelehnt worden.

Ich lasse jetzt über den Ursprungsantrag in der Drs. 3/3272 abstimmen. Wer stimmt zu?

(Zuruf von der CDU: Zählen!)

- Wenn die Auszählung der Stimmen verlangt wird, dann machen wir das. - Ich bitte noch einmal die Befürworterinnen und Befürworter um das Handzeichen. Gegenstimmen? - Stimmenthaltungen? - Mit Ja haben 21 Abgeordnete votiert, mit Nein 24 Abgeordnete, der Stimme enthielt sich eine Abgeordnete. Damit ist der Antrag abgelehnt worden. Wir haben den Tagesordnungspunkt 31 damit absolviert.

Meine Damen und Herren! Wir setzen die Sitzung mit der Beratung über den Tagesordnungspunkt 32 fort:

Beratung