Meine Damen und Herren! Ich bitte Sie daher, ohne Einschränkung unserem Antrag zuzustimmen. - Vielen Dank.
Vielen Dank. - Damit sind beide Anträge eingebracht. Im Ältestenrat ist zu beiden Anträgen eine Fünfminutendebatte vereinbart worden. Die Fraktionen sprechen in folgender Reihenfolge: DVU-FL, PDS, FDVP, SPD und CDU. Vor der Debatte der Fraktionen hat Ministerin Frau Dr. Kuppe in Vertretung des Herrn Ministerpräsidenten um das Wort gebeten. Bitte.
Herr Präsident! Meine Herren und Damen Abgeordneten! Die beiden Anträge erfassen die Komplexität der Herausforderungen, vor denen die Europäische Union zur Zeit steht. Zum einen wird die Osterweiterung zum Dreh- und Angelpunkt der Entwicklung Europas im nächsten Jahrzehnt oder - wie EU-Kommissar Günter Verheugen kürzlich formulierte - zur Brücke in die Zukunft. Zum anderen besteht innerhalb der heutigen Union ein erheblicher Reformbedarf, der bewältigt werden muß, wenn die Europäische Union den Anforderungen der Globalisierung gewachsen sein und auch mit 20 und mehr Mitgliedern handlungsfähig bleiben will. In den beiden Anträgen kommt das Spannungsfeld zwischen Erweiterung und Vertiefung zum Ausdruck, das die Entwicklung der Europäischen Union von Anbeginn begleitet hat.
Viele Beobachter sprechen mittlerweile zu Recht davon, daß Europa an einem Scheideweg seiner Entwicklung stehe. Bundesaußenminister Joschka Fischer sah den Erweiterungsprozeß in seiner Rede an der HumboldtUniversität in Berlin im Spannungsfeld zwischen Erosion und Integration. Er rief zu Recht zu einer neuen Debatte über die sogenannte Finalität Europas auf, mit der Ziele und Wege der europäischen Integration neu bestimmt werden sollen.
Die Landesregierung von Sachsen-Anhalt nimmt gemeinsam mit den anderen deutschen Ländern vor allem über den Bundesrat, über die Ministerpräsidentenkonferenz, über die Europaministerkonferenz und über den Ausschuß der Regionen aktiv an dieser Debatte teil. Es ist erfreulich, daß sich jetzt auch der Landtag mit diesen beiden Anträgen dieser wichtigen Thematik stellt.
Zum ersten Problemkreis, der Osterweiterung der Europäischen Union, und damit zum Antrag der SPD-Fraktion. Ein geeintes Europa, das auch Osteuropa einschließt, muß das konsequente Ziel all jener sein, die die deutsche Einheit aufrichtig wollen. Wir haben uns im Jahr 1989 nicht für den Fall der Mauer engagiert, um sie zehn Jahre später ein paar Kilometer weiter östlich wieder zu errichten
Meine Damen und Herren! Das gilt uneingeschränkt, auch wenn vor dem Hintergrund der Erfahrungen in Ostdeutschland zu bedenken ist, vor welche Herausforderungen uns die gesamteuropäische Einigung stellt. Sie sind nicht zu unterschätzen. Europa, Ost wie West, wird
nur verlieren, wenn die Osterweiterung nicht zustande kommt. Für Europa steht mehr als die Funktionsfähigkeit der alten EU auf dem Spiel. Die Erweiterung der Europäischen Union ist der entscheidende Schritt zur langfristigen Sicherung einer stabilen europäischen Friedensordnung, die Freiheit, Demokratie und Wohlstand für ganz Europa garantieren kann.
Der Erweiterungsprozeß bündelt in Osteuropa ein enormes Hoffnungspotential. Zu dieser Erwartungshaltung in diesen Ländern hat Deutschland maßgeblich mit beigetragen. Nunmehr kommt es darauf, diesen Prozeß mit Realitätssinn zu gestalten. „Europa aus der Welt der Träume in die Realität zu führen“ - so hat es Bundeskanzler Gerhard Schröder formuliert.
Je näher der Zeitpunkt der ersten Beitritte rückt, desto deutlicher wird der erhebliche Anpassungsbedarf, sowohl im Inneren der heutigen Europäischen Union als auch in den künftigen Mitgliedstaaten. Dies darf jedoch nach der Befürwortung der gesamteuropäischen Einigung praktisch en gros nicht zu einer Ablehnung en detail führen.
Die Landesregierung nutzt die in Sachsen-Anhalt gewonnenen Erfahrungen, um die Kandidatenländer bei der Vorbereitung auf die EU-Mitgliedschaft zu unterstützen und zugleich die bilateralen und nicht zuletzt die wirtschaftlich nutzbaren Kontakte zu vertiefen. Drei Beispiele seien genannt:
Am 19. Juni dieses Jahres fand eine gemeinsame Veranstaltung mit der Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit in Brüssel über ostdeutsche Transformationserfahrungen und ihren Nutzen für die Osterweiterung der EU statt. Die Veranstaltung ist der Auftakt für den Einsatz von Kurzzeitexperten aus Sachsen-Anhalt in Beratungsprogrammen dieser Gesellschaft im Rahmen der Strategie in der Vorbeitrittsphase. Fragen der Regionalpolitik, der Förderung von kleinen und mittelständischen Unternehmen, der Altlastenbeseitigung, der Abwasseraufbereitung, der Infrastrukturentwicklung und der Landwirtschaft stehen dabei im Mittelpunkt.
Darüber hinaus haben einige Ressorts stabile bilaterale Beziehungen zu Partnern in mittel- und osteuropäischen Staaten entwickelt. Schwerpunkte bilden beispielsweise die Aktivitäten unseres Ministeriums für Raumordnung und Umwelt mit Litauen, der Slowakei und Ungarn und des Wirtschaftministeriums mit Bulgarien, Tschechien und Polen.
Im Rahmen sogenannter Twinning-Projekte unterstützen Landesbedienstete als Langzeitexperten die Beitrittskandidaten, beispielsweise in den Bereichen der Bankenaufsicht in Tschechien und beim Strukturfondseinsatz im ländlichen Bereich und im Veterinärwesen in Litauen.
Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die Landesregierung hat dem Ausschuß für Wirtschaft, Technologie und Europaangelegenheiten am 17. Mai 2000 über die Osterweiterung der Europäischen Union und ihre Auswirkungen auf Sachsen-Anhalt einen ausführlichen Bericht erstattet. Die Landesregierung ist gern bereit, diese Berichterstattung auch in Zukunft fortzuführen.
Zum zweiten Problemkreis, der internen Reform der EU, und damit zum Antrag der CDU-Fraktion. Dieser Antrag greift einerseits Fragen der institutionellen Reform der Europäischen Union auf, die, wie schon erwähnt, dringend geregelt werden müssen, damit die EU handlungsfähig bleibt. Diese Fragen betreffen vorrangig die Stimmengewichtung der Mitgliedstaaten und den Über
gang von der Einstimmigkeit zu Mehrheitsentscheidungen im Ministerrat. Sie betreffen Größe und Zusammensetzung von Kommission, Parlament und weiteren europäischen Institutionen.
Diese sogenannten Left-overs von Amsterdam sind Gegenstand der laufenden Regierungskonferenz. Die Beratungen darüber sollen bis zum Europäischen Rat in Nizza im Dezember 2000 abgeschlossen werden, damit die Europäische Union nach Ratifizierung der Ergebnisse durch die nationalen Parlamente spätestens zum 31. Dezember 2002 erweiterungsfähig ist.
Darüber hinaus ergibt sich noch ein weitergehender Reformbedarf. Es besteht die Notwendigkeit, umfassend alle Aufgaben, Ziele und Funktionsweisen der Europäischen Union zu überprüfen. Dieser Reformbedarf ergibt sich nicht nur aus der Osterweiterung heraus, sondern aus dem originären internen Reformstau. Deswegen finde ich es falsch, wenn aus dem CDUAntrag abzulesen ist, daß die osteuropäischen Beitrittskandidaten praktisch zu einer Geisel einer solchen umfassenden Reform der EU gemacht werden sollen.
Daher halte ich das, was die Ministerpräsidentin und die Ministerpräsidenten auf ihrer Konferenz am 15. Juni dieses Jahres entwickelt haben, für ein tragfähigeres Konzept. Sie haben gefordert, daß die Beschlußfassung des Europäischen Rates von Nizza einen umfassenden Prozeß der Reform der Europäischen Union einleiten soll. Die nächste Regierungskonferenz soll mit dem Mandat ausgestattet werden, im Rahmen einer Konzentration der Union auf klar umrissene Aufgaben in Anwendung des Subsidiaritätsprinzips eine präzise Kompetenzabgrenzung zwischen der EU und den Mitgliedstaaten zu erreichen.
Also genau das, was Sie, Herr Dr. Sobetzko, angemahnt haben, hat die Ministerpräsidentenkonferenz einstimmig beschlossen.
Frau Ministerin, Sie haben Ihre Redezeit schon deutlich überschritten. Ich muß Sie bitten, zum Schluß zu kommen.
Dabei sollen nach Möglichkeit bereits die wesentlichen Aspekte des bestehenden Vertragswerkes benannt werden, die dann überprüft werden müssen.
Mit dieser Forderung hat die Ministerpräsidentenkonferenz der Europapolitik der Länder in diesen Fragen eine klar umrissene Orientierung gegeben. Sie stellt die Forderung der deutschen Länder in den Mittelpunkt, ohne legitime Interessen anderer zu mißachten.
Über die deutsche Verhandlungsposition, insbesondere auch die Sicherung der Aufgaben der Daseinsvorsorge, laufen intensive Gespräche zwischen Bund und Ländern, über die die Landesregierung wie gewünscht berichten wird. Nach dem Stand der Gespräche wäre allerdings dem Änderungsantrag der SPD-Fraktion zu
folgen, da einer Beratung im Herbst gegenüber einer kursorischen Berichterstattung in der Sommerpause sicherlich der Vorrang gewährt werden sollte.
Vielen Dank. - Da Mitglieder der Landesregierung in der Fünfminutendebatte zehn Minuten Redezeit haben und die Frau Ministerin Ihre Redezeit um zwei Minuten überzogen hat, kann jeder Debattenredner seine Redezeit um eine Minute überziehen.
Für die DVU-FL-Fraktion hat der Abgeordnete Herr Büchner gebeten, seinen Redebeitrag zu Protokoll geben zu dürfen. Ich habe dieser Bitte entsprochen.
Der Antrag der SPD zur Osterweiterung der EU kann so von uns, der Fraktion der DVU-FL, nicht mitgetragen werden. Vielmehr sollte die Landesregierung von Sachsen-Anhalt im Bundesrat darauf hinwirken, daß der Beitritt anderer Länder zur EU härteren Kriterien unterworfen wird.
Wir haben prinzipiell nichts gegen eine Erweiterung der EU zu einem Europa der Vaterländer. Einem von oben her verordneten Multikulti-Europa müssen wir allerdings eine Absage erteilen, und wir glauben, damit der Meinung der Mehrheit der Bevölkerung zu entsprechen.
Als durch die Wende vor zehn Jahren unser Volk nach 40 schmerzvollen Jahren wieder zusammenfand, hatten die neuen Bundesländer längst nicht die EU-Kriterien erfüllt, und die Folgen spüren wir noch heute. Ein hochentwickeltes Industrieland, in dem die soziale Marktwirtschaft relativ gut funktionierte, wurde mit einem heruntergekommenen Planwirtschaftsstaat, ohne einen nennenswerten Mittelstand, zusammengetan, was auch des Volkes Wille war.
Mit der deutschen Einigung - Helmut Kohl und HansDietrich Genscher ist dafür zu danken, die einmalige historische Chance genutzt zu haben - gingen leider auch viele Arbeitsplätze in den neuen Bundesländern verloren.
Wie wir wissen, hat das verschiedene Ursachen. Zum einen wurden durch den Einsatz moderner Technologien viele Arbeitsplätze überflüssig, zum anderen waren einige Bereiche der Wirtschaft unter den neuen Marktbedingungen überhaupt nicht mehr konkurrenzfähig. Durch die Vereinigung unseres Volkes befinden wir uns seit zehn Jahren im Stadium der Rezession, obwohl schon sehr viel an Aufbauleistung vollbracht wurde.
Mit Mitteln des Klassenfeindes, meine Damen und Herren von der PDS, wurde in den letzten zehn Jahren auf dem Gebiet der neuen Bundesländer mehr getan als in den 40 Jahren des real existierenden Sozialismus. Trotzdem sind wir noch lange nicht in der Lage, aus eigener Kraft ohne Geldtransfer aus den alten Bundesländern zurechtzukommen.
Durch eine Osterweiterung der EU zum jetzigen Zeitpunkt hätten wir dieselben Probleme noch einmal, obwohl die Probleme im eigenen Land noch längst nicht gelöst sind. Es würden sich Ströme von Arbeitnehmern in unser Land ergießen, welche sich weit unter Tarif hier verdingen würden und den deutschen Arbeitnehmern
Auch würde dies eine Zunahme der Kriminalität für unser Land bedeuten; denn längst nicht alle Menschen, welche bei uns einreisen, tun dies mit lauteren Absichten. Nun könnte man meinen, das sind Vorurteile und von unserer Fraktion auch nicht anders zu erwarten. Mitnichten.
Eine Untersuchung im Auftrage des Berliner Innensenators Werthebach, nachzulesen in der „BZ-Aktuell“ vom 6. Juni, bei der Straftaten im Bereich der organisierten Kriminalität nach ethnischer Herkunft unterschieden wurden, hat folgendes erschreckendes Ergebnis hervorgebracht: Bei einem Ausländeranteil von 12 % im Raum Berlin liegen 54 % der organisierten Kriminalität in den Händen von nichtdeutschen Bürgern.
Nun kann man das als gegeben hinnehmen oder als verantwortungsbewußter Politiker Handlungsbedarf erkennen. Zum jetzigen Zeitpunkt würde eine Erweiterung der EU nach Osten keine Verbesserung der Arbeitsmarktsituation für uns bedeuten, und eine Zunahme der Kriminalität wäre unausweichlich. Eine Festigung des inneren Friedens für unser Land läßt sich von uns dadurch nicht erkennen.
Wir fordern deshalb von der Landesregierung, sich im Bundesrat dafür einzusetzen, daß die Osterweiterung um mindestens zehn Jahre zurückgestellt wird oder erst dann möglich sein darf, wenn die Arbeitslosigkeit in Deutschland unter der 2,5%-Marke zu liegen kommt.
In den Ländern, welche hinsichtlich der Osterweiterung im Gespräch sind, gilt es auch noch viele Aufbauleistungen zu erbringen, so daß dort die Arbeitskräfte dringender gebraucht werden als bei uns. Auch sehen wir, daß noch nicht auf allen Gebieten demokratische Strukturen Einzug gehalten haben.
Nichtsdestotrotz kann man beim Aufbau demokratischer Strukturen in den betroffenen Ländern behilflich sein, wobei man jedoch deren nationale Eigenheiten berücksichtigen sollte. Dieses Joint-venture auf dem Gebiet der Verwaltung und der Wirtschaft kann aber nicht nur Aufgabe von Deutschland sein, sondern alle jetzigen EUStaaten müssen sich dabei in die Pflicht genommen fühlen.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es ist gut, daß wir in diesem Haus über die Fragen der EU-Osterweiterung und die Reform der Institutionen der EU debattieren. Gerade die neuen Länder können hierbei wichtige Aspekte in die Diskussion einbringen. Natürlich können sie, so auch Sachsen-Anhalt, die im SPD-Antrag beschriebene Brückenfunktion einnehmen.