Protokoll der Sitzung vom 15.09.2000

Er plädierte für ein geordnetes und menschliches Verfahren im Umgang mit den Kriegsflüchtlingen. In Deutschland sei die Lage komplizierter als in der Schweiz, weil die Zahl der Kosovo-Flüchtlinge sehr viel größer sei und weil die Bundesländer für die Abschiebung zuständig seien. Zwangsweise Abschiebungen seien, so Kouchner, eine wirkliche Last für das Kosovo. Er werde ein Moratorium beantragen, falls die Situation im Kosovo zu schwierig werden sollte.

Das war vor einiger Zeit. Nunmehr ist die Situation in bestimmten Regionen des Kosovos noch explosiver geworden als vor gut einem viertel Jahr.

(Zuruf von Herrn Wolf, FDVP)

Ich erinnere hier nur an Kosovska Mitrovica. Gerade in den nächsten Tagen sind erneute Spannungen in der Region zu erwarten. Es gibt viele Spekulationen, welche Lage nach den Wahlen in Jugoslawien eintreten wird. Was passiert, wenn der Kandidat der Opposition, der in allen Umfragen vorn liegt, gewinnt? Was passiert in der Teilrepublik Montenegro? Fragen über Fragen und keiner kann sie momentan beantworten. Eines ist jedoch klar: Diese Region ist ein riesiger Krisenherd.

Aus diesem und aus den oben genannten Gründen hat sich die PDS-Fraktion dazu entschlossen, den Ihnen

heute zur Beratung vorliegenden Antrag zu stellen, in dem wir die Landesregierung auffordern, das Prinzip der Freiwilligkeit bei der Rückkehr der Flüchtlinge aus dem Kosovo strikt einzuhalten und den Rückführungsprozess bis zum Frühjahr 2001 auszusetzen. Das wäre ein wichtiger humaner Schritt. Deshalb bitte ich um Zustimmung zu unserem Antrag. - Vielen Dank.

(Beifall bei der PDS)

Meine Damen und Herren! Es ist eine Debatte mit fünf Minuten Redezeit je Fraktion vereinbart worden in der Reihefolge: DVU-FL, SPD, FDVP, CDU, PDS. Als erstem Redner erteile ich für die Landesregierung Minister Herrn Dr. Püchel das Wort.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Der Kosovo-Krieg ist vor gut einem Jahr beendet worden. Die Bilder sind den meisten von uns noch gegenwärtig, auch wenn die Erinnerung an die furchtbaren Ereignisse auf dem Balkan in der Zwischenzeit von anderen Ereignissen überlagert worden ist.

Erinnern wir uns: Der Bosnien-Krieg dauerte drei Jahre, von 1992 bis 1995. Er kostete mehrere Hunderttausend Menschen das Leben und brachte allein 350 000 Flüchtlinge nach Deutschland, davon 2 000 nach SachsenAnhalt. 300 000 Flüchtlinge sind bisher in ihre Heimat zurückgekehrt.

In Sachsen-Anhalt halten sich derzeit nicht einmal mehr 90 bosnische Flüchtlinge auf. 33 dieser Flüchtlinge haben feste Weiterwanderungspläne und bei einigen handelt es sich um Härtefälle, sodass nur noch 28 unmittelbar ausreisepflichtige Personen verbleiben. Wir können schon heute von einem guten Abschluss sprechen.

Die Rückführung wurde - immer in Absprache mit den anderen Ländern in der IMK - unter besonderer Beachtung humanitärer Grundsätze zeitlich und insbesondere nach Problemgruppen gestaffelt erfolgreich durchgeführt. So wollen wir es auch mit den Kosovo-Flüchtlingen halten, auch dem interfraktionellen Antrag „Humanitäre Grundsätze in der Flüchtlingspolitik“ entsprechend, den der Bundestag im Juli verabschiedet hat.

Der Kosovo-Konflikt des Jahres 1999 war von der zeit- lichen Dimension gesehen viel kürzer als der BosnienKrieg. Der Zerstörungsgrad ist dementsprechend auch geringer. Er hatte jedoch eine ungeheure Vertreibungs- und Flüchtlingswelle zur Folge. Infolge der brutalen Vertreibungen und Deportationen durch die Serben ist fast die Hälfte der ehemals im Kosovo lebenden 2,1 Millionen Menschen aus dem Kosovo zumeist in Nachbarstaaten vertrieben worden.

Die Bundesrepublik Deutschland hat rund 180 000 der Flüchtlinge aufgenommen. Sachsen-Anhalt hat mit der Aufnahme von rund 3 500 Kosovo-Albanern seinen Beitrag in der Solidargemeinschaft der Länder geleistet, insbesondere auch mit der Aufnahme von rund 600 aus Mazedonien evakuierten Flüchtlingen. Der überwiegende Teil der Kosovo-Albaner war schon vor dem Ausbruch des Krieges als Asylbewerber zu uns gekommen.

Inzwischen liegt das Kriegsende mehr als ein Jahr zurück. Die Entwicklung ist weitergegangen. Rückkehr und Wiederaufbau sind im Gange, wenn vielleicht auch nicht so schnell wie gehofft und erwartet.

Die Innenminister und die Innensenatoren der Länder sind sich mit dem Bundesminister des Inneren einig, dass angesichts der zwischenzeitlichen Ergebnisse der zivilen Friedensimplementierung und des Wiederaufbaus die Rückkehr der Kosovo-Albaner in ihre Heimat seit Herbst letzten Jahres grundsätzlich möglich ist. Ich konnte mich anlässlich meines Besuches im Frühjahr dieses Jahres vor Ort selbst davon überzeugen.

Ich übersehe allerdings nicht, dass es auch jetzt noch ethnische Übergriffe gibt. Nun richten sich diese Übergriffe vor allen Dingen von Kosovo-Albanern auf Minderheiten, insbesondere auf Serben, auf Roma und auf Aschkali, die außerhalb der Grenzen des Kosovo Schutz suchen müssen. Sachsen-Anhalt hat in diesem Jahr weitere 300 Flüchtlinge dieser Personengruppen aufgenommen und ihnen einen vorübergehenden Aufenthalt gewährt.

Ausgehend von den guten Erfahrungen bei der Rückkehr der ehemaligen bosnischen Flüchtlinge in ihre Heimat gilt auch für die Rückkehr der Kosovo-Albaner das Prinzip des Vorranges, der Freiwilligkeit und der Beachtung humanitärer Grundsätze.

Meine Damen und Herren! In der schon angesprochenen Initiative des Bundestages vom 6. Juli hat der Bundestag die Bundesregierung aufgefordert, humanitäre Grundsätze der Flüchtlingspolitik bei der Rückführung der Kosovo-Albaner zu berücksichtigen. Der Landtag von Nordrhein-Westfalen hat sich in der vergangenen Woche dieser Initiative des Bundestages zum sensiblen und umsichtigen Umgang mit Flüchtlingen angeschlossen.

Mein Haus hat bereits mit Erlass vom 16. Februar, den humanitären Grundsätzen der Flüchtlingspolitik Rechnung tragend, die Rückführung der Kosovo-Albaner mit folgenden Schwerpunkten geregelt:

Erstens. Alle Kosovo-Albaner ohne dauerhaftes Aufenthaltsrecht in Deutschland haben sich auf eine freiwillige Rückkehr vorzubereiten.

Zweitens. Die freiwillige Rückkehr hat Vorrang vor der zwangsweisen Rückführung.

Drittens. Die freiwillige Rückkehr wird insbesondere im Rahmen der Programme REAG und GARP gefördert, die im Prinzip von Bund und Land zur Hälfte finanziert werden. Der Bund zieht sich leider zum Teil aus der hälftigen Finanzierung zurück, was wir Länder natürlich heftig kritisieren.

Viertens. Zurückgeführt werden nur Albaner aus dem Kosovo. Andere Volksgruppen, zum Beispiel Serben, Roma und Aschkali, bleiben vorerst ausgenommen.

Fünftens. Unbeschadet des Vorranges der freiwilligen Ausreise sind, sofern die Ausreisepflicht nicht beachtet wird, Maßnahmen zur zwangsweisen Rückführung einzuleiten.

Sechstens. Es erfolgt eine nach bestimmten Personengruppen gestaffelte Rückkehr.

Siebentens. Bestimmte Personengruppen werden von der Rückführung vorerst ausgenommen, zum Beispiel traumatisierte Personen, Zeugen, die in Den Haag aussagen sollen, Familien unterschiedlicher Ethnie und Auszubildende.

Achtens. Die Ausreisefrist eines erwerbstätigen Familienangehörigen kann verlängert werden, wenn die übrigen Familienmitglieder freiwillig ausgereist sind.

Diese Verfahrensweise bei der Rückführung von Kosovo-Albanern hat aktuell zu folgenden Ergebnissen geführt: Von den insgesamt rund 3 800 vom Land aufgenommenen Kosovo-Albanern befinden sich gegenwärtig noch 2 400, davon nur noch rund 80 von den 600 aus Mazedonien evakuierten Flüchtlingen, in SachsenAnhalt.

Im Einzelnen: 990 Kosovo-Albaner sind bisher freiwillig zurückgekehrt. 980 Kosovo-Albaner, davon nach eigenen Angaben rund 680 Roma und Aschkali, befinden sich noch im Asylverfahren einschließlich Folgeanträgen. Rund 375 Kosovo-Albaner sind zwischenzeitlich nicht mehr auffindbar, sind offenbar untergetaucht. 96 Kosovo-Albaner wurden im Wege der Abschiebung zurückgeführt, darunter vier Straftäter.

Die Rückkehr der Flüchtlinge erfolgt koordiniert in Abstimmung des Bundesinnenministeriums und des Auswärtigen Amtes mit der UNMIK, dem UNHCR und IOM. Besonders wichtig ist, dass die Rückkehr ausschließlich in vom UNHCR freigegebene sichere Zielgebiete erfolgt. Dies sind zurzeit Pristina, Gujilana Urazevac, Prizren, Pec, Dragovica und Mitrovica. Wohnunterkunft und Lebensunterhalt sind gewährleistet. Das bedeutet jedoch nicht, dass in jedem Fall der vor der Vertreibung genutzte Wohnraum wieder zur Verfügung steht.

Das angewandte Prinzip des Vorrangs der Freiwilligkeit, die getroffenen Regelungen zur Rückkehr und die erreichten Ergebnisse zeigen, dass in Sachsen-Anhalt bei der Rückkehr der Kosovo-Albaner weitestgehend mit der nötigen Sensibilität, aber auch unter Beachtung der zwingenden ausländerrechtlichen Gesichtspunkte verfahren wird.

Meine Damen und Herren! Nach dem vorliegenden Antrag der PDS soll die Rückführung der Kosovo-Albaner strikt nach dem Freiwilligkeitsgrundsatz erfolgen, die Rückführung in stark zerstörte Regionen im Kosovo bis zum Frühjahr 2001 ausgesetzt und die Rückführung ebenfalls erst ab dem Frühjahr 2001 vorgenommen werden, wenn sich die Lebensbedingungen im Kosovo nachprüfbar verbessert haben.

Das vom Antragsteller geforderte strikte Prinzip der Freiwilligkeit müsste mit dem Ausländerrecht und der IMK-Beschlusslage in Übereinstimmung gebracht werden. Dies ist kaum möglich, aber auch, wie meine obigen Ausführungen gezeigt haben, nicht notwendig, um humanitären Grundsätzen zum Durchbruch zu verhelfen.

Die Aussetzung der Rückkehr bis zum Frühjahr 2001 würde zudem zu einer längeren finanziellen Belastung des Landes, vor allem der Kommunen führen. Ich sehe keine sachlichen Gründe für eine derart verzögerte und verteuerte Rückführung, insbesondere da die Rückführung, wie bereits erwähnt, nur in vom UNHCR freigegebene sichere Zielgebiete erfolgt.

Für den Antrag besteht also insgesamt kein Bedarf. Das Land wird sich vielmehr wie bisher im Einklang mit dem geltenden Ausländerrecht und der IMK-Beschlusslage bewegen und wir werden auch wie bisher diese Regelungen so positiv wie möglich für die Flüchtlinge interpretieren.

Die besonders liberale Ausländerpolitik in unserem Lande gerade in diesem Bereich braucht sich - das wissen alle Fachleute - im Bundesvergleich nicht zu verstecken. Daher sehe ich auch keinen Anlass, von den bewährten Rückkehrgrundsätzen abzugehen.

Wenn Menschen in Not sind und als Flüchtlinge zu uns kommen, sind wir verpflichtet, ihnen zu helfen. Wenn die Gründe für ihre Flucht jedoch nicht mehr existieren und die Möglichkeit der Rückkehr besteht, müssen sie jedoch genauso bereit sein, in ihre Heimat zurückzu- kehren.

Der von uns im Februar herausgegebene Erlass ermöglicht es, dass diese Rückkehr so human wie möglich erfolgen kann. Selbstverständlich bin ich gern bereit, Sie im Innenausschuss noch einmal ausführlich darüber zu informieren. - Ich danke Ihnen.

(Beifall bei der SPD - Zustimmung bei der CDU)

Danke, Herr Minister - Die DVU-FL-Fraktion hat auf einen Redebeitrag verzichtet. Für die SPD-Fraktion spricht jetzt die Abgeordnete Frau Leppinger.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren Abgeordneten! Der Innenminister hat die Rechtslage und die derzeitige Praxis der Rückführung von Kosovo-Albanerinnen und Kosovo-Albanern in Sachsen-Anhalt dargelegt und damit auch das Bemühen der Landesregierung dargestellt, die Rückführung nach humanitären Gesichtspunkten und zunächst auf freiwilliger Basis durchzuführen und dabei den rechtlich gesetzten Rahmen bestmöglich im Sinne der Betroffenen auszuschöpfen.

Soweit die PDS aber fordert, Rückführungen strikt nach dem Freiwilligkeitsprinzip auszurichten, will sie rechtlich Unmögliches. Aus diesem Grund kann der Antrag auch nicht unsere Zustimmung finden.

Meine Damen und Herren! Dennoch spricht sich die SPD-Fraktion für eine Überweisung des Antrages in den Ausschuss für Inneres aus; denn indem Deutschland die vor Völkermord und Bürgerkrieg geflüchteten KosovoAlbanerinnen und Albaner aufgenommen hat, hat es auch die Verantwortung für das weitere Schicksal der Menschen übernommen.

Zwar war von Anfang an auch den Flüchtlingen klar, dass nur eine Aufnahme auf Zeit gewährt werden würde. Dennoch ist es im Leben nun einmal so, dass Flüchtlinge, die in Deutschland Aufnahme gefunden haben, häufig hier verwurzeln und aus nachvollziehbaren Gründen zögern, in ihre Heimat zurückzukehren. Diese Lebenserfahrung gilt es bei der Anwendung des geltenden Rechts zu berücksichtigen.

Meine Damen und Herren! Ziel muss daher sein, rechtlich tragfähige, für alle Beteiligten überzeugende Lösungen zu finden. Ich rege daher an, sich im Zuge der Ausschussberatungen auch mit dem Vorschlag des Flüchtlingsrates Sachsen-Anhalt auseinander zu setzen, eine so genannte Härtefallkommission nach dem Vorbild Schleswig-Holsteins oder Nordrhein-Westfalens auch in Sachsen-Anhalt einzurichten.

An diese Kommission, deren Mitglieder neben Vertretern der Landesregierung mehrheitlich Sachverständige von Organisationen sind, die sich besonders intensiv um Probleme von Flüchtlingen kümmern, können sich auch ausreisepflichtige Ausländer wenden. Sind die Kommissionsmitglieder überzeugt, dass eine Abschiebung für den Antragsteller eine besondere Härte bedeutet, geben sie gegenüber den zuständigen Behörden eine entsprechende Empfehlung ab.

Natürlich ist auch für die Kommissionsarbeit Grund- lage stets das geltende Recht. Daher hat die Kommission keinerlei Weisungsbefugnisse und kann nicht aus eigener Kraft Abschiebungen aussetzen oder Asyl gewähren.

Jedoch - hier teile ich die Einschätzung des Flüchtlingsrates - käme einer Härtefallkommission besondere Bedeutung für die künftigen Chancen zu, Flüchtlingen zu helfen. Denn in der Auseinandersetzung von Fachleuten mit Einzelschicksalen vermögen sich in dem einen oder anderen Fall Chancen aufzutun, die im normalen Verwaltungsvollzug vielleicht übersehen würden.

Meine Damen und Herren! An dieser Stelle möchte ich aber sagen, dass dies allerdings für die Kosovo-Albaner als Gruppe nicht zutreffen wird. Ich muss wiederholen, dass die Landesregierung gerade bei der Rückführung dieser Menschen den rechtlichen Rahmen bestmöglich im Sinne der Betroffenen ausschöpft.

Zusammenfassend gilt: Die antragstellende PDS-Fraktion muss zur Kenntnis nehmen, dass die Rechtslage eine Verwirklichung des von ihr Geforderten ohne Einzelfallbezug nicht zulässt. Ich plädiere allerdings dafür, dass im Ausschuss über die gesamte Problematik vom Innenministerium vorgetragen wird. - Ich danke Ihnen.